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Rr. 50546. Jahrgang

1. Beilage des Vorwärts

CHARITE

I.

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3mischen Stadtbahn und 2uisenstraße liegt der große Komplex des Krankenhauses, der jedem Berliner   mindestens dem Namen nach bekannt ist, liegt die Charité. Blumenhändler um säumen an den Besuchszeiten das Tor in der Schumannstraße, ein dichter Strom Menschen flutet aus und ein. Drinnen flankieren den breiten Hauptmeg Gebäude aus den übelsten Zeiten wilhelminischer Backsteinepoche, 3mischenglieder non Krankenhaus und Kaserne mitten drin steht plöglich irgendein altes, architektonisch höchst an­nehmbares Gebäude; es macht freilich einen so schlecht gehaltenen, heruntergefommenen Eindrud, daß man mirflich einen Echred be­fommt, menn man durch ein Schild Augen flinit" banon unterrichtet mird, daß diefer leibhaftige Anachronismus noch immer als Krankenstation dient. Links stehen niedere Baraden, gegen: über von der Aufnahme ist die Kinderklinik. Eines der neuen Ge­bäude sieht aus mie das andere, alle umfassen sie dieselben großen Gäle, in allen stehen die weißen Betten, in denen soviel gelitten wird.

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Und das ist eigentlich alles, was der Berliner   von der Charité zu sehen bekommt, menn er da mal einen Krankenbesuch zu machen hat und das ist auch zumeist alles, mas er von ihr meiß. Ja, noch eins meiß er daß er nicht herein mill. Es hat sich da in den lehten Jahren viel geändert, der Berliner   ist heute nicht mehr halb so frankenhausschen, wie er es noch vor dreißig, vierzig Jahren war, aber für den älteren Berliner   ist gerade der so tröstlich flingende Name der ,, Charité"( Barmherzigkeit) mit einem unheimlichen Hauch umwittert, ohne daß sich die meisten Rechenschaft geben fönnen, moher das eigentlich kommt. Wer die Geschichte der Charité fennt weiß freilich, daß es sich da um eine mündlich weitergetragene Tra­dition handelt, die diese Scheu nur zu berechtigt erscheinen läßt.

Das Pesthaus vor den Zoren.

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GMAS

Um bas Jahr 1709 permüstete die Best Preußen und Branden­ burg  , und meil der damalige König Friedrich I. auf einer Reise schwere Angst vor der Ansteckung ausgestanden hatte, so gab er gleich nadh feiner Rüdfehr ein Beftreglement heraus, das für alle größeren Drte die Errichtung eines Pesthauses vorschrieb. 1710 wurde das Berliner   Pesthaus feierlich eröffnet und dieses Haus war der Urahn der heutigen Charité" und lag auf dem gleichen Blaze nor den Mauern der Stadt. Die Best verschonte Berlin  , das Pest­haus war überflüssig und man dachte nun an eine anderweitige Be­nuzung des Gebäudes. Man machte es zum Arbeits- und Spinn baus, und außerdem wurde es zum Garisonlazarett ,, destiniert". Davon wollten aber die Regimenter nichts wissen, sie hatten ja ihre eigenen Lazarette und dann da draußen hörte ja die Weit auf, fo weit weg wollte niemand! Und wirklich, der Gang vom Molfen­inarft zum Besthaus" war eine ganze Expedition: Die Dorotheen­straße hieß damals ja legte Straße" und die Georgenstraße Rabensteg". Dann aber famen Wiesen und Aecker... Schließlich machte der geworfene Amts und Stadtchirurgus Habermaß eine Eingabe, in der er dem sparsamen König begreiflich machte, welchen Nugen zur Aufnahme und Ercolierung der Medizin und der Chirurgie" ein solches Hospital und Lazarett haben würde; und der König, der damit verhindern wollte, daß irgendein Untertan an fremde medizinische Schulen ging, stimmte zu. So wurde aus dem Pesthause im Jahre 1727 die Charité", die Hospital, Gar­ nison   und Bürgerlazarett in sich vereinigte und der Armendirektion unterstand. Zu einer derartigen Benutzung des Gebäudes gehörte auch eine umfangreiche Defonomie, es wurde ein Waschteller, ein Biftualienfeller, cine Badstube und eine ,, Gelegenheit zum

Johann Komáromi:

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He, Koraken!

Chardam Ungarischen

von Cllexander von Sacher Maroch Copyright by Büchergilde Gutenberg, Berlin  .

Und in diesem Gerichtstagsmetter tauchte eines Nach mittags mein Bater auf. Der Sturm warf ihn gleichsam zum Vorhaus he Er warf die Agt auf den Boden, trat in die Stube, scha fich aus der Belzjade und während ihn die Hausbewohner tunt betrachteten, schlug er die behand schuhten Hände zusa. n und schrie zusammenhanglos durch­einander: Mit den Kosaten it's aus! Sie haben uns auseinander­gejagt mie der Sturm das Herbstlaub! Und dennoch, Herr gott  , wie wir uns geprügelt haben!"

,, Gut, gut," niďte Urgroßvater.

Aber mein Großvater war ernstlich besorgt.

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Aber um Gotteswillen, was ist denn schon wieder ge­schehen?" ,, Nichts," leierte mein Bater. Wir haben uns bei der Lohnzahlung mit dem Oberförster überworfen, so fing es an. Richtiger, haben wir uns erst mit den Rußnyaten geftritten, die wir so verprügelten, daß fie auf ihren Hintern den Berg hinunterlegelten, aber dann tamen die Gendarmen, zwanzig an der Bahl. Der Alte brüllte plöglich: He, Kosaten! Dann ging es los. Die Gendarmen mit Gewehren, wir griffen zu den Werten und Kipfen. Der Alte benutzte die Deichsel. Zehn von uns lagen schon im Schnee und etwa acht von ben Gen darmen. Dann legten sie dem Alten die Eisen an, nur ich allein fonnte fliehen unter vielen Gefahren.. Wir sind ver loren, verloren!"

4.

Man brauchte sich aber um die Rojalen nicht zu sorgen. Um die Mittagszeit des nächsten Tages waren sie bereits alle daheim. Sie tamen wie gewöhnlich: unter lautem Gejang. Der Oberfojat faß auf dem ersten Wagen und lentte persön lich. Das Schneegestöber mar jo start, daß sie auf der Dorf­ftraße aus dem flimmernden Weiß nur für einen Augenblick auftauchten, dann versanten sie wieder, während ihre Wagen

Brannimeinbrennen" eingerichtet. Dieses Odium des Armenhauses" haftete der Charité   lange an. Beinah alljährlich brach eine Lazarett­fieberepidemie aus, von 6000 Patienten starben 3000. Und als gegenüber die Ecole veterinaire eingerichtet wurde, bezeichnete ein Bizbold die beiden Häuser als die, wo man die Menschen wie Hunde und die Hunde wie Menschen behandelt". Selbst der lang= jährige Charitéprediger Brahmer schrieb, daß die Kranken an allem Mangel litten, die Dekonomie die wichtigsten, von den Aerzten ge­forderten Medikamente für die Kranten verweigere und die Ba­tienten in Schmutz und Ungeziefer verfämen. Es war manchmal nicht einmal ein Cafen auf dem bloßen Strohjad, und an Bleifolik crfrankte Arbeiter murder mit schwarzem Brot ernährt! Urspräng­lich war die Charité ja zur Ausbildung von Feldärzten bestimmt, und lange noch blieb auf irgendeine Weise etwas von der feldscheer­mäßigen Berachtung des Menschenlebens bei ihr Tradition. Erst als fich über 100 Personen infiziert hatten, boute man 1836 die erste Isolierftation!

Das Neueste in der Charité.

Auch die 1835 auf dem gleichen Gelände errichtete Neue Charité" erwies fich bald als unzureichend und unzulänglich, und so

Die Charité, wie sie früher war.

vorbeiraffelten und sie mit rotgefrorenen Gesichtern ein Lied fangen, daß an einen Kriegsgefang erinnerte. Auf den großen Lärm hin liefen wir zum straßenseitigen Fenster, aber wir jahen nur soviel, während sie vorüberglitten, daß die meisten Rojaten verbundene Schädel oder aufgebundene Arme hatten. Aber ihre Begeisterung war die alte.

Sie rafseiten durch das Dorf und nach ihnen entstand Schweigen. Nur der Wind zerrte an den Hausdächern herum. Aber auch das währte nicht allzu lange.

Denn am Abend besuchte uns der Oberkojat, sein Kopf war mit zerfeßten Tüchern umwunden. Er trat ein, sah sich um und als er mich erblickte, gab er mir eine hinter die Ohren, daß ich hinfiel. Mein Großvater war nicht im Zimmer und meine zwei Tanten hingen fich bettelnd an den zornigen Alten, aber er schüttelte sie von sich ab. Nachdem er mich ergriffen hatte, riß er mich mit einer Hand in die Höhe, schüttelte mich tüchtig, verabreichte mir noch weitere vier Hiebe und stieg mich zur Tür hinaus.

Marsch, nach Hause! Das hast du also bei mir gelernt!?" Auch meine Großmutter fam zum Vorschein und wendete sich gegen den Alten. Michael! Michael! Was mollen Sie von dem Kinde?" Richts!" schnaubte der Alte. Entweder er lernt An stand oder ich erwürge ihn!" Und sie stellten sich ihm vergeblich in den Weg. denn da schob er mich bereits aus dem Borhaus und trieb mich vor sich her auf der Straße. Bor Entsezen blieb mir das Wort in der Rehle stecken und im eisigen Bind gefroren mir die Tränen auf der Bange. So trieb er mich bis nach Hause. Dort stieß er mich in das Hinterhaus, mo meine andere Großmutter faß, mit der Schürze ihre Tränen trodnend. Ich begann zu weinen. Ich will wieder zurüd! Jd) will nicht hierbleiben!" Himmel, jetzt wurde der Obertojak wütend! Er neigte sich zu mir, hielt die Fäuste über meinem Haupt und während er die Augen rollte, knirschte er mit den Zähnen: ,, Rusch. sonst schlage ich dich nieder! Seinen eigenen Großvater zu verraten? Pfui!" Und er spie mir ins Gesicht. Großmutter stellte sich zwischen uns beide und deckte mich mit ihrer Schürze zu. Der Oberfoja? ließ uns stehen und warf die Türe mit solcher Kraft zu, daß sie fast zersplitterte. Wir zmet meinten dann miteinander. Großmutter gab. mir das Abendbrot und fragte mich aus, ob mir nichts fehle. Ich habe mir nur die Haare verfühlt, denn ich verlor auf der Straße meine Müze."

Die Arme drückte mich an sich.

Sonntag, 27. Otober 1929

murde am Ende des vorigen Jahrhunderts ein völliger Neubau ernst.

haft in Ermägung gezogen. Die neue Anstalt sollte umfassen:

1. die I. medizinische Klinik,

2. die II. medizinische Klinik,

3. die chirurgische Klinik und die chirurgische Rebenabteilung,

4. die geburtshilflich- gynäkologische Klinik,

5. die psychiatrische und Nervenklinik,

6. die Kinderfitnit,

7. die Klinik für Syphilis immd Hautkrankheiten,

8. die Augenlinif,

9. die Ohrenklinik,

10. die Hals- und Ncsenklinik.

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Dazu kommen noch allerhand andere Gebäude für Verwaltung, für die Aufnahme, Küchen- und Wirtschaftsräume und die unner­meibliche Anstaltstapelle, eigenes Elektrizitätsmert, Isolierboraden. Waschhaus usw. also die Charité ist eine richtige Stadt für sich. Sind doch schon die Patienten an 2000 Personen ungerechnet alles ärztliche und Pflegepersonal, Arbeiter und Wirtschaftshilfen! Durch ben in den letzten Vorkriegsjahren durchgeführten Um- und Neubau bekam die ganze Anstalt dieses entfeßliche nüchterne Anstaltsgesicht, das geradezu erschreckend wirkt. Unwillkürlich sieht man schon die langen traurigen Säle der Krankenstation vor sich: sauber und trift. Aber zwei Häuser zum mindesten gibt es, die diese Voraussicht Lügen strafen: das ist die chirurgische Klinik und die Diätstation. In beiden sind alle Räume in heller leuchtender Farbe gestrichen, fie machen einen geradezu unwahrscheinlich modernen Eindrud. Sie find freilich auch erst vor einem halben und einem Jahr neu her­gerichtet. Das Interessanteste ist wohl Außenstehenden augenblicklich die Diätstation, in der Tuberkulöse jeder Form( Haut-, Knochen-, Weichteil, Lungentuberkulose) mit der neuen falzlosen Diät nachh Dr. Gerson   behandelt werden. Es ist hier nicht der Ort, näher auf diese Diättherapie einzugehen; sie ist vielfach als ein Auheilmittel auspofaunt worden, das beinahe auch Tote lebendig machen kann. Es gibt eine Form der Tuberkulose, die schneller arbeitet", als sie heißt nicht umsonst galop­irgendein Heilmittel wirken fann pierende Schwindfucht; ir vielen Fällen aber wirkt die Diät, und in einem ist sie wirklich ein Wundermittel: bei der Hauttuberkulose, dem Lupus  , der fressenden Flechte". Hier heilen die ältesten, ver­zmeijeltsten Fälle, und es gibt nichts Erschütternderes, als die Wachs: moulinegen der in München   geheilten Menschen: Gesichter mit halben Nasen, aus denen schwammige Gebilde herausmuchern, mit ange: fressenen Augenlidern, Gesichter von Menschen, die schon in irgend ein Armen- und Siechenheim verborgen und versteckt merden sollten und die nun wieder gesund und arbeitsfähig sind. Die Klinik ist überbelegt, die erste klasse ist abgeschafft worden, so groß ist der Andrang der Batienten, und für die meisten bedeutet die Aufnahme hier ja wirklich eine Lebensreitung. Und darum tönt in einem Zimmer das Spiel einer Laute, darum rennen wir gegen vergnügt quietschende und lachende junge Mädel, darum springt der dreizehn­jährige Junge, dem ein Lupus zwölf Jahre lang das Geficht zerfraß and sogar die eine Hand verfrüppelte, vergnügt herum: fie alle wissen, daß der Sieg über den unheimlichen Feind ihnen so nahe mie noch nie in ihrem Leben ist. Auf der einen Veranda dreschen ein paar Männer Stat, viel andere der Patienten haben die Radio­hörer ungeschnallt denn hier hat jeder Patient die Möglichkeit, auf der Beranda im Liegestuhl und im Bett Radio zu hören. Eine besondere Kostbarkeit aber ist...

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die Küche:

Hier find natürlich die abscheulichen großen Kessel abgebaut, man muß ja bet dieser Diät mit der möglichst fürzesten Zeit auskommen, vielfach wird auch Rohkost gegeben. In der Mitte steht ein großer Gasherd, vor ihm ein Spülstein aus weißen Kacheln, in dem das Gemüse so oft gespült werden kann, wie es diese besondere Diätform verlangt, an der Wand eine elektrische Universalmaschine zum Zer­fleinern von Fleisch und Gemüse und zum Saftpressen, in derselben Front zwei blanke Nickelgefäße: ein Kartoffeldämpfer und ein Milch­tocher. An der Wand hängt der Küchenzettel. Der zeigt an: Mittag: Grünfernfuppe, Kalbsschnigel mit Rahm und Champignons, Roten Rübensalat; abends: Eierauflauf, Kompott. Und dieser Küchenzettel

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,, Wenn er zornig wird, fann er sich gar nicht beherrschen, mein Kindchen, das ist sein größter Fehler."

Als es dunkel wurde, famen die Kosaten der Reihe nach an und versammelten sich im Vorderhaus. Einmal vernahm ich die aufgeregte Stimme meines Großvaters, des Zimmer­durch manns, wie er nach mir fragte. Danach hörten wir das Borhaus- nur ein großes Durcheinander von Worten, die Kosaten führten drüben heftige Reden oder lachten manch­mal grell auf.

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Es war schon spät, als mich meine Großmutter ent­fleidete und in das Borderhaus in mein Bett brachte. Es waren mindestens zwanzig Männer in der Stube. Der Qualm mar so groß, daß man die Lampe faum sehen konnte. Die Mannen des Oberfosaten sprachen dem Getränk reichlich zu. Beim schwachen Lichtschimmer nahmen ihre Gesichter im nebelnden Rauch eine schiefe Gestalt an und fast alle Köpfe waren verbunden als Folge der Rauferei im Walde. Manche hatten auch andere Verlegungen davongetragen.

Der Oberkosat jaß am oberen Tischende, die Ellenbogen vorgestemmt und vom Trunk spannte sich die Haut auf seinem Gesicht. An seiner einen Seite jaß der alte Andreas Bifor, an der anderen mein Großpater, der Zimmermann, aber mein Großvater trant nicht. Auf dem Tisch lagen Silbergulden auf­gereiht. Mein Vater las die Namen der Kojaten von einem Bapier und der bärenkräftige Georg Bajda zahlte sie aus. Josef Baczal stand neben dem Kamin, den Rücken an die Wand gelehnt, die eng umspannten Beine übereinander­Er gelegt, aber er hatte feinen Anspruch auf Bezahlung. frant nur und überdies fog er mit solchem Genuß an einer stiellosen Pfeife, daß seine beiden Wangen ganz einfielen. Aus seinem hinteren baumelte noch immer Stroh.

Der Oberfosat nidte mitunter Georg Bajda zu. Jedem gleioje Teile. Nur mir gebührt das Doppelte." Während der Auszahlung sagte mein anderer Großvater bittend zum Obertojaken:

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Ich sage dir, Michael, überlege dir die Sache..." Ich habe nichts zu überlegen!" gab der Oberkosak heiser Antwort. Ich hab' gerade genügend nachgedacht, aber vom Kopfzerbrechen allein fönnen mir alle ruhig frepieren!" Ist das dein legtes Bort, Michael?" Jamohl!" fuhr der Obertojak auf. Benn sie uns zu Tode sohinden, nun, dann werden sie die Folgen zu fühlen - und bekommen. Bis zum Frühjahr warten wir, aber er erhob sich und schüttelte seine Mähne-, aber mir sind auf dem Posten. ( Fortsetzung folgt.)

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