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3lr 535* 46. Jahrgang
1. Beilage des Vorwärts
Donnerstag, 44. November 4929
So sieht es in Moskau   aus. Die Ulohnungsnol spotte! ieder Boschroiming."
Dir hatten uns kürzlich(sieheDer Abend' Nr. 522 uns 530) eingehender mii einem Artikel derRoten Fahne' beschäftigt, der sich mit den Wohnungsverhältnissen in Moskau   be- faßte. Mit Hilfe eines klaren Zahlenmaterials konnten wir nachweisen, daß die Wohnungsnot in Sowjetrußland u n geheuerliche Formen angenommen hat. Das Äommunisten- blatt, in dessen Spalten nur noch Lügen Aufnahme zu finden scheinen, ist nun plötzlich recht kleinlaut geworden. Es erklärt: �klemand bestreitet, und auch wir haben in unserer Bericht. erslatlung niemals beflritlen, daß die Wohnungsnot in Moskau  gegenwärtig noch sehr groß ist.' Bekanntlich verwehren die Sowjetbehörden den Vertretern dar deutschen sozialdemokratischen Arbeiterpress« die Einreise, lediglich weil sie eine objektiv« Darstellung der dortigen Verhältnisse fürchten. Wir sind deshalb in erster Linie auf die Berichte der Mo: kauer Vertreter bürgerlicherLinksblätter angewiesen. Vor«inigen Monaten erschienen in einigen Ullstein-Blättern längere Artikel über die Wohnungsverhältnisie der Moskauer B«> völkerung, die ein grauenhaftes Bild des herrschenden Elend« geben. Als Ergänzung zu unseren bisherigen Publikatio. nen veröffentlichen wir nachstehend einig« Auszüge aus diesen Be- richten. Die..Vossische Zeitung' schrieb am 3. Juli 1S2S: Die Wohnungsnot in Moskau   spottet seder Beschreibung. wer sie nicht selber sieht, kann, sich nicht vorstellen, wie e» in dieser Hinsicht in der Hauptstadt des kommunistischen Reiche» ans- sieht.... Die Gericht« sind überlastet mit den ewigen Beleidi. gungs. und sonstigen Skreitsällen. die sich au» dem nnerträgllch engen Nebeneinander in Küchen und Korridoren ergeben: Morde, llebersälle, Prügeleien, nervensressende Schikanen sind selbst. verständliche 5°tgen de» Wohnungselends, von der hygienischen Misere und dem moralischen Elend der Sinder ganz abgesehen, die in diesen menschlichen Ameiseahansen Erwachsener aufwachsen.' Ein Korrespondent derBerliner Morgenpost  ' schildert« unter der UeberschriftDas heim in der Waschküche' das Familienleben seines Nachbarn in Moskau  . Da kann man folgendes lesen: ,Ln unserer ausgebautenWaschküche' wohnt ein fach» männisch ausgebildeter Handwerker mit seiner Frau, fünf er» wachsenen und zwei kleinen Kindern, der allen Mutter und einer Tante. Ein« der Töchter ist bereit» seit längerer Zeit verheiratet, deren Mann und Kind wohnen ebenfalls in diesen drei Räumen. Die Einrichtung der Wohnung ist ä r m l i ch e r als ärmlich, das Lllernotwendigst« fehlt. Daß Ehepaar« nur«in kleine», schmale» Bett haben, ist hier schon längst ein« Selbstverständ» ltchkeit. Bei dem Raummangel können nicht beliebig Letten aufgestellt werden. Die Kinder schlafen auf Pritschen, jede Pritsche ist für zwei Personen bestimmt,«in wenig Stroh, lose hmgestreut, dient als Unterbett. Oberbetten siird in unmöglicher Verfassung, neue Decken tosten zuviel; die Gehälter reichen ja kaum für die tägliche Nahrung. Wenn man hört, daß in den drei kleinen Räumen 13 Menschen wohnen, so packt un» doch eigentsich da» Granen... Und die Jugend, die jetzt heranwachsend« Jugend. weiß ja auch gar nicht, daß man tullroierter, zivilisierter leben kann. Da» Lehen der Arberter und Handwerker im Ausland« wird ihnen stets in den schwärzesten Farben geschildert; sie glauben ja. daß sie die Glücklicheren sind.' Wir führen diese Schilderungen lediglich an. um wkeder einmal die Heuchelei der deutschen   Kommunisten zu zeigen, die immer wieder versuchen, mit der Schilderung der angeblich sowunder­vollen' Zustände in Sowjetrußland Dumme zu fangen.
Zu unserem ArtikelSeht dach nach Moskau  !' schreibt uns ein Leser: Die.Fiote Fahne' schreibt in ihrem Hetzartikel mit Bezug auf die WoHnungsvechältniffe in Moskau   unter der UeberschriftDie billigsten Arbeiterwohnungen der Welt', daß die Wohnungsmieto außerordentlich niedrig sei. sie betrage auch in den Neubauwohnungen nur durchschnittlicheinen Rubel für den Quadratmeter(k Rubel und 22 Kopeken für den Ouadratarschin). Das Kommunistenblott hat sich verrechnet. Ein Arschin ist noch immer 71,1 Zentimeter und ein Quadratarschin nicht mehr als OL Quadratmeter. Also tostet ein Quadratmeter Wohnungsfläch«, das sind zwei Ouadratarschin, nicht einen Rubel. sondern 8Rubel und 44 Kopeken, da» heißt bei einem Kur» des Rubels von 2,16 M. nicht weniger als IS Mark und 23 Pfenpig! DieRote Fahne' hat nur etwa ein Neuntel der wirk- lichen Kosten angegeben, aber was macht das? Sie rechnet darauf, daß alles, was aus Rußland   kommt, von ihren Lesern geschluckt wird, ohne Prüfung und ohne eigenes Denken.
Schwindel mit der Stadtbank. Sine Erklärung des Magistrats. Wir hören aus sicherer Quelle, daß sowohl dt« re» aktiouäreu Parteleu als auch dl« K o m« u- uifteu dl« Oeffeutllchkelt mit Enthüllungen über schwere Verluste und Schwierigkeiteu der Berliner  Stadtbank alarmieren wollen, um mit dieser Beunruhi- guug ein besseres Wahlgeschäft machen zu könne«. Dos» halb ist es zu begrüßen, daß der Magistrat durch den Städtischen Nachrichtendienst in voller Offenheit sowohl den jetzigen Stand der Berliner Sparkasse als auch die Lage der Berliner   Stadtbank bekanntgeben läßt. Mit vollster Deutlichkeit geht ans den von der Zentral- revisionsstelle des Deutschen   Sparkassen, und Girover» bandes geprüften Ziffern hervor, daß es sich bei der Ber- breituag der Gerüchte über Schwierigkeiten der beiden stadtischen Banken n« eine üble Mache handelt. der jede sachliche Grundlage fehlt. Di« Sparkasse der Stadl Berlin   ist nicht nur absolut sicher. sondern absolut flüssig. Bis Ende Oktober 1929 haben sich di« Ein-
3)ie li ffialm nach Lankow. Die Arbeiten an der Ver­längerung der Hoch- und Untergrundbahn über die Station Nordring hinaus bis Pankow  , BreiteStra II e, schreiten rüstig vorwärts. Hinter der Station Senef eider platz wurde die Schnellbahn als Hochbahn geführt. Hier wie auch in der Biilom- und Kleiststraße im W esten wur­den vor dem Kriege ohne Rücksicht auf die Nerven der Straßenbewohner die Mittelpromenaden der schö­nen, breiten Straßenzüge oerbaut. Das kostet nämlich etwas weniger. Grund ge­nug für eine private Ver* kehrsgesellschaft, mit don­nernden Hochbahnzügen die Anwohner zu peinigen. Auch hier zeigt sich die über- legene, vorausschauende Bau­planung der städtischen Ge- seUschafi. Die neue Verlängerungsstrecke wird wieder als Uniergrundhahn gebaut. Gleich hinter der UeberfÜkrung der Bornholmer Straße beginnt sich der Bahnkörper zu senken. In schöner Kurve führt die Bahnstrecke in ziemlich geringer Steigung in die Erde. Unser Bild zeigt die Rampe, von Norden nach Süden gesehen; Etwa in Höhe der Westerlandstraße endet der Tunnel. Der Bau ist jetzt soweit fort­geschritten, daß mit den Gleisanlagen begonnen werden kann.
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vo*.CUutanc£eruon Copyright by BttAergilde Gateaborg. Bor 1 in Inmitten der brausenden drohenden Menge zogen wir die Straße abwärts. Vor uns führten sie Josef Paczals Leichnam auf der Karre, hinter uns kamen die wer Gen- darmen im Taktschritt, ohne mit der Wimper zu zucken. Wir waren nicht mehr weit von unserem Hause entfernt. als die Hand meiner Großmutter erbebte. Ich schaute auf. Ilnb da erblickte ich den Oberkosaken, wie er in herausfordern- der Haltung in der Vorhalle stand. Sein haar war vollständig verwirrt. Als er di« Gendarmen bemerkte, schien«p. als wankt« er einen Augenblick. Aber dann stieß er bitterlaut den Ruf aus:.Losakenl he, Kosaken!' Aber die Kosaken zeigten sich nicht. Dann sah er sich um, mst noch mehr verbitterter Miene, weil ihm jedoch niemand zu HUse kam, schnaubte er kräftig und sprang mit großem Zorn in das Vorderhaus zurück. Und dann tauchte er wieder auf, mst der Axt.   So erwartete «r die Gendarmen. Großmutter rief ihm händeringend von der Straße zu: ..Sei vernünftig. Michael!' Der Oberkosak beachtete sie nicht: Er stand sprungbereit in der Türe. Das halbe Dorf drängte sich auf der Straß« und beobachtete mit angehaltenem Atem die letzten Vorbereitungen des asten Mannes... Di« Gendarmen marschierten mit auf- gezogenem Vasonett zur Türe hinauf. Der Oberkosaft schlug mst einer blitzenden Wendung das erst« Bajonest beiseite, daß «» nur so trachte und warf sich auf den zweiten Gendarmen. Aber vorläufig drängten sie ihn in das Vorderhaus zurück. Und jetzt begann drinnen ein fürchterlicher Kampf: die letzte Schlachl des Oberkosaken. Füßestampfen, das Krachen der Axt. der Lärm des Gefechtes war zu hären. Dann fiel da, ein« Fenster klirrend samt dem Rahmen vor das Haus. Dann entstand Schweigen. In taubem Schweigen stand dl« Menge. Nur mein« Großmuster schluchzte. Und jetzt tauchten die vier Gendarmen auf und der Ober- kosak in ihrer Miste. Seine Handgelenke gefejsest. tief in das Fleisch. Das Blut floß ihm aus dem Haar und träufelte über die Stinte herab. Auch fem Gesicht war blutig
Die Gendarmen stießen ihn in den Hof hinab und bildeten ein Viereck um ihn. Der Oberkosak blickte über das ver- sammelle Voll hinweg, aber keiner von den Kosaken war zu sehen. Da gewahrte er meine Großmutter. Er schrie sie an: Was heulst du da?" Der Wachtmeister stieß ihm in die Seite. Marsch! Sie schritten aus, das Dorf entlang. Der Oberkosak schüttelt« seine blutige Mähne. Dann spuckte er. 7. Auch das ging freilich vorbei, wie alles vorbeigeht. Die Jugend, die alte Frische, die Trauer. Und auch wir tauchen einmal unter, ohne eine Spur zu hinterlassen. Genau so un» bemerkt, wie wir einmal diese Welt betraten. Nach zwei Wochen sprach schon fast niemand von der frechen Brandstiftung. Mein Großvater lag auf dem Fried- Hof und am gleichen Tage mit chm wurde auch Josef Paczal verscharrt. Die drei Heuschober waren abgebrannt, nun was mehr, und den Wiederaufbau des Tennendaches begann mst junger Kraft mein Onkel mst den allen Gesellen. Denn Brugos tat ihn an Stelle meines Großvaters. Der Verwalter fuhr übrigens mehrmals zur Stadt, doch jedermann wußte, daß chm nichts weiter geschehen werde. Denn auf Josef Paczal hatte er pünktlich in jenem Augen- blick geschossen, als der mit dem Feuer unter dem Schober arbeitete. Auch munkeste. man. daß er mit aller Kraft an der Befreiung des Oberkosaken arbeite. Anscheinend hatte er die BUte meine» sterbenden Großvaters erhört, allen seinen Feinden zu vergeben. Und dann haste nur ein einziger Knecht den Oberkosaken in jener Nacht auf dem Tennendach gesehen. Em Knecht aber konnte vor dem Richter nichts anderes aus- sagen, als chm Brugos befahl. Der Verwaster hatte sich in diesen paar Wochen sehr ver- ändert. Ich bereitete mich in dieser Zell mst Bandi schon auf die Prüfung vor und gewöhnlich steckten wir unter den Büschen des Gartens beisammen. Mehr als einmal sahen wir den Alten, wie«r mst rückwärts verschränkten Armen irgendeinen der Gartenpfade entlang schrstt und zu sich selbst sprach. Sein Nacken war magerer geworden und auch sein Bauch schwippte nicht mehr so auf und nieder wie ehedem. Sein Schnurrbart bäumest« abwärts. Fräulein Emmis unerwarteter Verlust beschäftigte auch mich sehr. Mein herz bangte um sie. Wir tranken den Kaffee mit Bandi jetzt nur zu Zweit, denn seine Mutter li«ß sich nicht blicken- Es war Schweigen, großes Schweigen in den Zimmern. Auch Bandi wußte nichts weiter, nur in der zweiten Woche kam er in großer Erregung mit der Nachricht, Emmi hätte einen Brief geschrieben, gemeinsam mit ihrem Gatten. Denn sie hatten schon am nächsten Tage in Kassa
geheiratet. Da» Unglück war also nicht einmal ernstlicher Natur. Ein Tag nach dem anderen verging. Mein« Großmuster. di« Frau des Oberkosaken, weinte noch«ine Zeit lang im Hause, dann aber kehrte allmählich ihre Laune zurück, was ich bei ihr seit meiner ganzen fernen Kindheit nicht erlebt«. In der argen Buße des Oberkosaken ahntest« einen Finger- zeig Gottes und schickte sich darein. Ein-, zweimal suchte ich auch das Haus meines verstorbenen Großvaters auf. Brugos hatte meine Großmutter bereits beruhigt, daß sie bis an ihr Lebensende in dem Hause wohnen dürfe und auch ihre vierteljährliche Unterstützung erhalten werde. Das Haus war still und alle gingen auf den Zehenspitzen. Nur Urgroßvater kauerte, vor sich hindämmernd, in der Ecke. Wenn er mich erblickte, winkte er mich zu sich und zog die rechte Braue hoch: Ist er noch immer fort?' Ich wußte gleich, daß er den Oberkosaken meint«. Er sitzt im Kerker. Großväterchen.' So, so.' und er nickte.Auch Christus lstt um die Wahr  - ./est. Nun, wenn er wieder zum Vorschein kommt, dann sage ihm. er möge mich besuchen, weil ich ihm die Hand drücken will. Der junge Mann gefällt mir. das Feuer möge die großen Hunde fressen! Ich will ihnen allen den Bauch auf- schneiden, der Frost möge sie schütteln, wenn ich erst zornig werde!' Ich ließ den Alten in großer Aufregung zurück. Vor Zorn bearbeitete er die Ofenbank mit seinen kraftlosen Händen. Die Tage vergingen. Die Kosaken waren nicht mehr zu sehen. Seit ihr Anführer gefangen war. zerfielen sie un- gesehen in die vier Weltgegenden. Die Saaten wurden gelb und wogten im schwanen Winde unentwegt in der ganzen Gegend, als Brugos eine« Vor- mittags in seinem Sonistagsanzug zur Stadt fuhr. Und in der gleichen Nacht kam der Oberkosak heim. Es war spät, als er in die Vorhalle trat. Er wünschte einen guten Abend, dann sprach er nichts mehr. Er verzehrte sein Abendbrot, stützte unter der Hängelampe die Ellenbogen auf den Tisch und starrte vor sich hin. Sein haar war zer- rauft und viel Gebeugtheit saß in seinen Augenwinkeln. Wie lange er so in großer Einsamkeit dasaß, wußte ich nicht, denn ich schlief ein. Am nächsten Morgen sagte meine Großmutter nur. daß der Aste die hetzpestsche umgehangen hätte und in die Ebene von Nezpest geritten sei. Er kehrte erst am Nachmsttag heim. Er schien ruhiger. Eine Zestlang beschäftigte er sich um den Stall, dann kam er zurück und blieb in der hohen Vorhalle stehen. Und so blieb er. reglos. Denn vor der Strafte trat in diesem Augen­blick Brugos in unseren hos. Er hiest auf den Alten zu und grüßte:«Ich wünsche einen guten Tag!"(Forts, folgt.)