Morgenausgabe
Nr. 539
A 271
46.Jahrgang
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Vorwärts
Berliner Boltsblatt
Sonnabend 16 November 1929
Groß- Berlin 10 Pt. Auswärts 15 Pf.
Die stapaltige Ronpareillezette 80 Pfennig. Reflameteile 5.- Reichs mart Aletne Anzeigen das ettge brudte Wort 25 Pfennig( zulässig zwet Fettgedruckte Borte), jedes weitere Bor 12 Pfennig. Stellengefuche das erite Bort 15 Pfennig, jebes weitere Worl 10 Pfennig. Worte über 15 Buchstaben Arbeitsmartt gablen für zwei Borte Belle 60 Pfennig. Familienanzeigen Zeile 40 Pfennig. Anzeigenannahme imhaupt. elchäft Lindenstraße 3, wochentäglich von 8 bis 17 Ubr.
Bentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands
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Severing antwortet Westarp.
Es bleibt beim 22. Dezember!
Bielefeld , 15. November.( Eigenbericht.) Reichsinnenminister Severing befaßte sich in einer Rede zur Gemeindewahl auch mit einer Berliner Rede des deutsch nationalen Grafen Westarp. Severing führte aus:
„ Graf Westarp hat von mir gefagt:„ Ein zynischerer Miß brauch, ein frivoleres Spiel mit der Staatsautorität der Be amten sei niemals dagewesen." Graf Bestarp gehört zu den fitzenden Schichten bezeichnete. Er gehört zu den„ Edelsten und auf legt, daß er so in öffentlichen Versammlungen charakterisiert
Schichten des Volkes, dié man früher als die gebildeten und be Besten der Nation". Ich weiß nicht, ob der Herr Graf Wert dar
wird.
Es läge ja jetzt nahe, ihn mit den gleichen Waffen zu schlagen, mit denen er ficht. Ich verzichte darauf, eingebenf des guten aften Sprichwortes:„ Wer schimpft, hat unrecht." Und wer von einem schamlosen Mißbrauch der Staatsautorität spricht und dafür nicht den geringsten Beweis anführen kann, der schimpft nur und hat unrecht. Aber sind wir denn verpflichtet, dem Grafen estarp mildernde Umstände zuzubilligen? Denn wer sich mit Fugenberg in eine Front begibt, wer sich in eine von vornherein so hoffnungslose politische Schlacht wie den Hugenbergschen Boltsentscheid einläßt, dessen tägliches Ende alle einfichtigen Politiker vorausgesagt haben, der sucht hinterher einen Sündenbod, und
da er einen solchen nicht findet, muß der sozialdemokratische Innen. minister herhalten, dem der Graf Westarp auch sonst nicht gerade minister herhalten, dem der Graf Westarp auch sonst nicht gerade besonders freundlich gesonnen ist. Doch was bildet die Veranlas Ich war am Montag in einer Bersammlung in Stettin . Bor Beginn meiner Rede wurde mir ein deutschnationales Blatt über.
fung zu den Schimpfereien des Grafen?
reicht, in dem sich ein Artikel mit der Behauptung befand, daß ich Anweisung gegeben habe; in meinem Reffort im Disziplinarwege gegen die Beamten vorzugehen, die sich für das Bolksbegehen eingetragen haben. Ich habe von einer solchen Verfügung, unbeschadet der rechtlichen Auffassung, daß man gegen Beamte, die ihre Borgesetzten ins Zuchthaus bringen wollen, disziplinarisch vorgehen tann, abgesehen!
Die Absicht aber, gegen solche Beamte, die sich nicht nur eingetragen, fondern auch in öffentlichen Aufrufen und öffentlichen Bersammlungen für das Boltsbegehren eingefeht haben, vorzugehen, bleibt bestehen.
( Lebhafter Beifall.) Wenn ich vor der Alternative stehe, Humanität walten zu lassen oder ein Unrecht zu begehen, so werde ich mich immer für die Humanität entscheiden. Ein Unrecht aber wäre es, gegen Beamte vorzugehen, deren Namen man zufällig aus der
PP
Einzeichnungsliste erfahren hat, während andere Beamte, die sich auch einzeichneten, von denen man es aber nicht weiß, unbehelligt blieben. Wenn ein Handwerksgeselle oder ein Ar beiter feinen Borgelegten beleidigt, so ist das nach der Gewerbeordnung ein Grund zur Entlassung. Wenn Beamte ihren höchsten Chef als Landesverräter bezeichnen, so sollen fie dafür noch einen Freibrief erhalten? Der Schafstopf" oder„ Trottel, den ein Arbeiter im Zorn seinem Meister oder sonstigen Vorgesezten entgegenschleudert, wiegt federleicht gegen über dem Landesverräter". An dem energischen Borgehen der Regierung wird also nichts geändert.( Stürmischer Beifall.) Ich habe aber noch ein anderes Verbrechen begangen, nämlich das Datum des Bolts entscheids auf den 22. Dezember feſt gelegt. Auch diesen Vorwurf muß ich als unbegründet ablehnen. Benn die Herrschaften überhaupt geglaubt haben, daß nach ihrem Boltsbegehren noch ein Bolksentscheid kommen würde, dann hätten fie das Volksbegehren ja vier Wochen früher anmelden gereicht wurde, fonnten sich die Herrschaften selbst ausrechnen, daß fönnen. Da aber das Volksbegehren erst Ende September eine
rüden mußte; den die Termine werden ja nicht von dem Reichs der Termin des Bolfsentscheids in die Nähe des Weihnachtsfestes rüden mußte; den die Termine werden ja nicht von dem Reichs immenminister feftgesetzt, sondern sind zum Teil gefeßlich fest gelegt. Hinzu kommt ja auch, daß Graf Bestarp selbst den Wunsch geäußert hat, der Boltsentscheid möge noch in diesem Jahre erledigt werden. Außerdem haben wir ganz selbstverständlich ein Interesse daran, daß die Beunruhigung, die nach dem Wunsche der Macher des Boltsbegehrens ins Bolt hineingetragen werden soll, fo schnell als möglich beseitigt wird.
Es bleibt bei dem festgelegten 22. Dezember.
Jett, menige Tage vor der Wahl, versucht man, mich für die Fest fegung dieses Termins verantwortlich zu machen. Man jammert, daß durch die Wahl dieses Tages die Weihnachtseintäufe leiden würden. Aus solchen Reden spricht der gleiche Größen. mahnsinn, den diefelben Leute befaßen, als sie ihr Volks begehren einreichten. Es ist mehr als
lächerlich, zu behaupten, die 4% Millionen, die sich an der Abftimmung beteiligen werden und die sich auf ganz Deutschland verfrümeln, fönnten in irgendeiner Weise das Weihnachts geschäft beeinträchtigen.
Wäre es eine allgemeine Wahl, so fönnte man vielleicht eine solche Ansicht vertreten. So aber macht dieser Volksentscheid für das Weihnachtsgeschäft auch nicht das geringste aus.
,, Die weitere Abrechnung mit dem Grafen Weſtarp" schloß Gevering- ,, werde ich im Reichstag vornehmen."
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Oeffentliche Wählerkundgebungen
Heute, Sonnabend, 16. November:
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Mitte. Abmarsch zum Werbeumzug mit Mufit und Fackeln um 16% Uhr vom Artonaplay. Tiergarten. Antreten zum Werbeumzug mit Musik und Fackeln um 18 Uhr Kleiner Tiergarten. 8. Abt. Treffpunkt zum Werbeumzug um 17% Uhr auf dem Dennewißplay. Das Reichs banner tritt an der gleichen Stelle an. Kreuzberg . 15 Uhr Abfahrt der Propagandaautos mit Musik von der Fontanepromenade. Schöneberg . Treffpunkt zum Werbeumzug mit Mufit um 19 Uhr auf dem Wartburgplatz. Friedrichshain . Achtung, Straßenkundgebung!
Der
Sammelpuntt zur Straßenfundgebung ist nach dem Lands berger Play verlegt. Treffpunkt 17% Uhr, Abmarsch
beteiligung.
Neukölln. Dritter Werbeumzug beginnt um 18 Uhr am Richardplay. Treffpunkte der einzelnen Abteilungen: 89. und 90. Abt. 17 Uhr am Reuterplay, 91., 94. und 95. Abt. 17% Uhr am Boddinplatz, 92. und 93. Abt. 17% Uhr am Herzbergplatz, 96., 97. und 98. Abt. 17% Uhr am Richardplay, Spize nach dem Hohenzollernplay, 99. Abt. Briz 17 Uhr Hannemannstraße Ede Rungiusstraße( Idealfiedlung). Redner bei der Schluß fundgebung: Landtagspräsident Friedrich Bartels . Lichtenberg . Großer Werbeumzug. Treffpunkt: Platz vor der Jugendbühne, Spize Berlin . Abmarsch pünktlich 17% Uhr. - Werbeausschuß Lichtenberg. Sämtliche Arbeiter, Angestellte und Beamte der öffentlichen Berwaltungen, Anstalten und Betriebe im Bezirk Lichtenberg beteiligen sich restlos an dem Werbeumzug des Kreises Lichtenberg . Treffpunkt und Abmarsch: 17% Uhr Platz vor der Jugendbühne, Spize Berlin . Lankwitz und Lichterfelde . Treffpunkt zum Werbeumzug mit Mufit um 18 Uhr Händelplatz in Lichterfelde . Anschließend Rundgebung auf dem Rathausplatz in Lantwiz. Stadtrat Wilhelm Reimann.
Referent:
Tempelhof . 18% Uhr Sammeln zum Werbeumzug am Ulsteinhaus . Anschließend Kundgebung in der Aula des Realgymnasiums, Raiferin Augufta- Straße. Referent: Stadtverordneter Dr. Sieg Die Radfahrer treffen sich um 15% Uhr bei Bommerening, Berliner Str. 100. Eingeladen hierzu find die Pankow . Werbeumzug mit zwei Musikkapellen und Fackeln. AbRadfahrer der SAJ., des Reichsbanners und von Solidarität"
fried Kawerau.
marsch 18 Uhr Pankow , Breite Straße, Marktplatz. Johannisthal . 17% Uhr auf dem Kaiser- Wilhelm- Plaz Konzert der Reichsbannerkapelle. Ansprache: Stadtrat Albert Horlig. Anschließend Fadelzug mit Mufit. Schmöckwin- Eichwalbe. 20 Uhr im Lofal Bitte, alb schlößchen", Eichmalde, Kaiser- Friedrich- Straße 1. Filmvor führung: Freie Fahrt. Referent: Stadtverordneter Reinhold Eichberg. Raulsdorf- Süd. 20 Uhr in der Schule, Ulmenstraße. Filmworführung: Weg einer Proletarierin. Referentin: Frauenfefretärin Räthe Kern. Freie Scholle. 20 Uhr im Lofal Schollenkrug". Referent:
Stadtverordneter Hermann Amberg.
dem Maienplatz.
Reinickendorf : Ost. Treffpunkt zum Werbeumzug 18% Uhr auf Karow . 20 Uhr im Lokal Maye, Dorfstraße. Referent: Stadtrat
Burkhardt.
Bolenste.
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Buch. 20% Uhr im Lotal Lange, Am Bahnhof. Referent: Rarl Borher um 18% Uhr Antreten zum Werbeumzug mit Mufit am Bahnhof. Steglik. Treffpunkt zum Werbeumzug mit Mufit und Fackelin 18 Uhr auf dem Marktplay, Düppelstraße.
Morgen, Sonntag, 17. November: Kreuzberg . Lette Wählerfundgebung aller radfahrenden Barte genoffen, der Sozialistischen Arbeiterjugend, der Reichsbanner fameraden und der Arbeitersporiler. Treffpunkt: vormittags 10 Uhr Heinrichplah.
Für den Sieg der Liste 1
Postschedkonto: Berlin 37 536.- Bankkonto: Bank der Arbeiter, Angestellten und Beamten, Wallstr. 65. Dt. B. u. Disc.- Ges., Depofitentasse Lindenstr. 3.
Gewerkschaft und Gemeinde.
Die Bedeutung der Kommunalwahlen.
Von Emil Dittmer.
Wer erinnert sich noch daran, daß bis zur Revolutionszeit in allen preußischen Gemeinden und damit auch in Berlin das Hausbesigerprivileg und das Dreiklassen= in ft e m bestand, so daß der Wille der schaffenden Bevölkerung niemals flar zum Ausdrud fommen fonnte? So war auch die Tätigkeit der Sozialdemokratie in den Gemeinden zunächst vorwiegend auf Opposition und Kritik mit positiven Vorschlägen eingestellt. Die eigentliche Verwaltungstätigkeit aber verblieb den besitzenden Schichten. So nur ist es verständlich, daß die neu geschaffene Gemeinde Groß- Berlin seit 1920 auf fast allen Gebieten gewaltige Umwälzungen durchlezen mußte, um die Sünden des ehemaligen Kommunalmeindepolitik ist in hohem Maße Wirtschafts- und Sozialfreisinns einigermaßen gutzumachen. Fortschrittliche Gepolitik. Daher ist es auch erklärlich, daß die Wirtschaftsorganisationen der Arbeitnehmer( Arbeiter, Angestellte und Beamte), und das find die Gemertschaften, ein unmittelbares Interesse an der neuzeitlichen Entwicklung der Gemeindepolitik haben; denn hier ist gewissermaßen die Reich. Urzelle der gesamten sozialen Entwicklung für Staat und
Das tommt besonders den älteren Gewerkschaftsmit gliedern flar zum Bewußtsein in Erinnerung der unseligen Methoden, nach denen früher die Verkehrspolitif, die Wohnungspolitit, die soziale Fürsorge ( Armenwesen und anderes) gehandhabt wurden. Für die Millionen Schaffenden ist es ungemein wichtig, eine möglichst einheitliche soziale Berkehrspolitit zu haben. In der Vorfriegszeit waren die Aktionäre Herren des Berliner Vertehrswesens mit der ausgesprochenen Tendenz des Direktoriums, viel Dividende herauszuwirtschaften. In wenig völlig umgestellt und erneuert. Heute fönnen wir bereits Jahren wurde das gesanite Berfehrswesen Groß- Berlins flar erkennen, daß das Berliner Verkehrswesen im besten 3uge ist, mustergültig und richtunggebend für alle Großstädte wesens in Groß- Berlin hat sicher dazu beigetragen, daß die 6u werden. Die Entwicklung des gemeindlichen VerkehrsElektrifizierung der Stadtbahn in beschleunigtem Tempo durchgeführt wurde, da diese Bahnen andernfalls überhaupt nicht mehr fonkurrenzfähig und völlig unrentabel geblieben wären. So ist ein enormer Fortschritt auf der ganzen Linie festzustellen, der insbesondere der Arbeitnehmerschaft zugute tommt.
Eng damit verbunden ist auch das Wohnungs- und Siedlungswesen. Gewiß haben wir auch heute noch große Wohnungsnot. Wer aber in den Mietsfasernen der früheren Zeit mit zwei bis drei Hinterhöfen von wenigen Quadratmetern, Quergebäuden oder Seitenflügeln wohnen muß( wie folche Wohnungen insbesondere in den Arbeitervierteln Berlins zu Tausenden zu finden sind), und nun die neuen Siedlungsbauten betrachtet, die auf Grund. einer neuen Bauordnung im allgemeinen hygienisch einwandfrei und zweckmäßig beschaffen sind, der muß zu= geben, daß ein gewaltiger Fortschritt auf diesem Gebiet erreicht worden ist. Hieran sind in hohem Maße die Gewerkfchaften unmittelbar beteiligt, dant dem System der Ge= nossenschaftsbauten und der Bauhütten. Die neue GroßBerliner Bauordnung bedeutet eine völlige Abkehr vom Wohnungsfürsorge" billigste Abgabe von städtischem Grund alten System. Sie ermöglichte in Verbindung mit der und Boden für die neuen Wohnungen. Es gelang dadurch in zahlreichen Fällen, die an sich all zu teuren Preise der Neubauwohnungen durch Hauszinssteuer usw. herabzusetzen. Gleftrizität bedeutet für die Arbeitnehmer eine mehr Auch die Preisgestaltung für Wasser, Gas und oder minder günstigere Gestaltung ihres Wirtschaftsbudgets. Wenn man bedenkt, daß heute noch die privaten Charlottenburger Bafferwerke den doppelten Wasserpreis nehmen, so ist aus diesem einen Beispiel schon ersichtlich, in wie startem Wirtschaftsgebiete nicht in Händen der Gemeinden wären. Maße die Arbeitnehmer geschröpft würden, wenn die großen Heute aber sind diese Werke gleichzeitig der Regulator für den staatlicherseits allzu gering bemessenen Sozialetat der Städte; denn die Ueberschüsse dieser Werke ermöglichen erst bie Balancierung des Gesamtetats.
Wenn in den letzten Jahren von der Privatwirtschaft Sturm gelaufen wird gegen die öffentliche Wirtschaft, so haben die ernst zu nehmenden bürgerlichen Kommunalpolitiker wohl oder übel anerkennen müssen, daß ohne diese öffentliche Wirtschaft die Gemeinden ihren Verpflichtungen auf den verschiedensten Gebieten überhaupt nicht nachtommen tönnten. In der Praxis freilich wird man bei den bürgerlichen Parteien aller Schattierungen zumeist Widerstand finden, wenn die Ausdehnung der kommunalen Wirtschaft vor sich gehen soll. Je stärker der sozialistische Einschlag in den Gemeinden, um so besser die Entfaltung der Gemeindewirtschaft und der öffentlichen Betriebe.
Die öffentlichen Betriebe bringen feinen Unternehmerprofit. Daher können sie ihre Leistungen nicht nur billiger gestalten, sondern fie tönnen auch vorbildliche Lohn- und