Nr. 365* 46. Lahrgang
1. Beilage des Vorwärts
OienSiog. 3. Dezember 1929
Des Slnb, der Mensch ntm morgen, soll so früh mie möglich zum Denken, zum Basteln, zu vorläufig spielerischer Arbeit an- geregt werden. Die Industrie, als die praktisch« Ausbeuterin jeder Neuerung, hell diesen Gedanken in die Tat umgesetzt. Man hat ober vielleicht K«i all diesen klugen Erwägungen die kindliche Psyche ein wenig außer geht gelassen. Der kindliche Denkapparat wird einzig und allein von der Phantasie gespeist, die wiederum ihre eigenen Wege geht. Mit einer großartigen, fir und fertigen Sache imponieren wir einem Kinde lange nicht in dem Maße, wie wir es uns einbilden. Seine Dorstellungswelt von allen Dingen ist eine primitivere, natürlichere und es liebt darum das Spielzeug, dessen Beschaffenheit ihm völlig klar ist, noch besser, an der es aus eigener Einsindung heraus, mitgearbeitet hat. Daß ein.lhaustier vier Beine hat und tirrch einen an seinem lhals befindlichen Strick zum Fort- bewegen gezwungen werden kann, ist dem Kinde aus seiner visuell«» Empfindung völlig klar und so wird die hölzerne Kuh erzgel/rg, scher Herkunft die berlinische Wackelente mit dem„Bauch motiM� immer wieder verdrängen. Natürlich gibt es, hauptsächlich bei größeren Kindern, auch ernsthafte Reflektanten auf die Er- Zeugnisse moderner Spielwarenindustrie: im großen und ganzen ab« macht stch doch eine Abkehr vom Spielzeug der reinen Der- nipnst zum Spielzeug der freien kindlich» Phantasie bemer'bar. Die Herkunft der schönen Dinge. Ein« reich heschickt«, vielgestaltige Welt ist e», die den weih- nachlichn Spielwarernnarkt bevölkert. Eharakterpuppe und Hund l�onzo, Affe und Teddybär, Pogel- und.Kriechgetier in allen mag- nicken grotesken Spielarten. All diese Artikel, die oft nach künst- l°rischn Entwürfen hergestellt werden, kommen in der Hauptsache aus den Spielzeugstödten Sonneberg in Thüringen und Wallers. hausen,«o sie fabrikmäßig und als Heimarbeit angefertigt werden. Die Herstellungswesse ist in Einzelhandlungen zerlegt, da näht einer die Stosfleiber und füllt sie, der andere malt das Gesicht, der dritte fetzt die Augen ein. Bei Pappinacheepuppen werden wieder au einer Stelle nur die Porzellanköpfe mit aufgeklebtem Haar her- gestellt und den Torso macht ein anderer. Einsachre, kleinere Puppen werden vielfach an einer Arbeitsstelle fix und fertig in d-n versandbereiten Karton verpackt. Während in Thüringen die Puppenindustrie zu.Hause ist, kommen die mcchnlschn Spielwaren aus Süddeutschland (Nürnberg und Fürth ): die feineren Holzspiel- waren, wie die modernen Puppenwohnstuben und-küchn. Kouf- laden usw. werden in Württemberg (Göppingen ) hergestellt und die kleinen primitiven Holztierchen und Figürchn kommen aus dem Erzgebirge . Diese fabrikmäßige Herstelluvgsweise, die ja nur im Stückiohn bezahlt wird, wirft natürlich im Verhältnis zu der oü sehr mühsamen Arbeit einen überaus mageren Verdienst ab. Die bedoiuernswertesten unter den Spiel-eugarbeitern sind die oirnen Erzgebirgler, denn wenn man bedenkt, daß ein Dutzend kleiner buntbemalter Holztierchn mit 20 Pfennig verkauft wird. worin schließlich immer noch ein Derdienstanteil für de» Hersteller
enthalten sein muß, dann kann man sich ja so ungefähr ausrechnen, wie hock,, oder besser gesogt wie niedrig der Arbeitslohn ousfallen muß. Gesellschaftsspiele, elegantere Puppenausstattung, Stickkästen usw. werden in Berlin selbst hergestellt. Die große L e! p zi g e r F r ü h s a h r s m e s s e ist der tro- ditionelle Bestelltermin für weihnachtlich« Spielwaren und am ersten Sonntag im März kommen in- und ousländische Einkäufer, lassen sich die Muster vorlegen, wählen aus und machen dar- aushin ihre Bestellungen. Der Exporthandel ist ein ziemlich aus- gedehnter, und zwar ist England mit seinen sämtlichen Dominien (Kanada , Südafrika , Australien usw.) der Hauptabnehmer: st« be- kommen die Ware zollfrei: Amerika , bisher der größte Abnehmer, -st feit Einführung des Schutzzolles fast ganz ausgeschieden und fabriziert zum arößten Teil selbst: nur die Puppenköpie aus Porzellan werden von Deusscklaud bezogen, da die Porzellanerde hier ein« besonders geeignete ist. Auch die Nordstaaten sind gute Ab- nehmer. Berlin allein hat«inen ungefähren Konsum von hundert Waggon?(gleich 3 Güterzügen) Spielwaren in der Saison. Gpielzeugladen der Kleinen. „Ansehen kost nischt" und die spielerische Pracht der große» Kaufhäuser mit allen Schikanen eines ingeniösen kaufmännischen Geistes ist auch dbm AerMste» zugästgllch. Da stehen sie ja, straßauf. straßab',' auf Schritt und.Tritt.l.sasort greikbar/ d!« ambulanten Sausleule. die ahn« ein schützend Dach und ein strahlendes Licht, ohne die Kunst des Dekorateurs und der nirnmermüden Derkaufs- kraft, Mädchen für alles in einer Person, in Wetter und Sturm ihre Ware feilbieten. Sie stehen sich die Beine in den Bauch und schreien sich die Kehle wund, Humor und gute Laune dürfen aber nicht ausgehen, ob auch die Füße»aß und der Magen leer. Als Kleinhändler für den weihnachtlichen Spielwarenverkauf kommen in Berlin etwa 3000 Händler in Betracht, die auf den Weihnachts- markten in Buden oder aber freistehend auf der Straße ihre Ware anbieten. Für dl« Belieferung der Straßenhändler existieren etwa 50 Firmen, die sich aus den Bedarf diesrr Verkäufer eingerichtet haben. Hier handelt es sich hauptsächlich, wie bereits oben erwähnt,
um sensationell wirleude Neuheiten: ein Jahr ist es die lausende Puppe, das andere Mal die wackelnde Ente usw.. die als neu- altiges Spielzeug die klein« Gejellschast erfreuen soll. Der Einkauf ihrer Waren vollzieht sich bei diesen Kleinsthändler» einfach, schnell, absolut nicht großartig. I» den ersten Dezembertagen, wenn der weihnachtliche Straßeuverkauf einsetzt, wird die Berkaufsbude vom Boden geholt und wieder instand gesetzt, der Bauchladen in Ord- »ung gebracht, oder auch bloß ein Köfferchen und ein paar Papp- kartonz bereitgestellt, dann geht der Mann oder die Frau— einer bleibt stets im„Geschäft"— und richtet nach vorsichtiger.Kalkulation, dos Lager ein. Bar berappen ist Ehrensache, denn Atel vhne Sicherheit gibt's bekanntlich nicht. Kann einer mehr anlegen, wie zum Beispiel der„billige Fokob" in der Warschauer Straße, dann kann er bei reichhaltiaem Warenlager naturgemäß auch größere Betdienste erziele». Die meiste» aber sind froh, wenn sie sich das Nolwend'gste einkaufen können, nur nicht zuviel, daß um Gottes- willen keine„Ladenhüter" da sind: aber dafür sargt schon die magere Geschästskasse: und die schönen, schneeig glitzernden Kien- äpsel für den Weihnachtsbaum, die holt man sich beizeiten ans dem Wald, steckt sie in solche Glibbertunke und fertig iss der„Lock". « So zeigt der Weihnachtsmann die verschiedenartigsten Gesichter, mal«in behäbig-mildies mit schön gepflegtem weißen Bart, das andere Mal ein arg verhuzelies, sorgengekerbtes Altmannerantlitz: für die einen hat er einen ganz großen Sack voll llckerrafchungen und für die anderen bloß eine magere Tüte. Ob nun aber viel, ob «enig unter dem Weihnachtsbaum liegt, tausend fleißige Hände nmßten sich rühren, um die heißbegehrten Herrlichkeiten herzustellen. Trunkene iöteien einen Trunkenen. Dom Alkoholrousch in den Vlutrausch. Öiin brutaler Ueberfall, an dessen Folgen der 24jährig« Pehlachtergesell« N e u in a n n verstarb, beschäftigte das Schwur- gerieht II. Angeklagt wegen gemeinschaftlicher Körperverletzung mit Todeserfolg waren zwei Männer namens Koch und Schouland. Di« bgidttv Angeklagte» hatten am 1. April, dem zweiten Oster- feiertag, n o'ch dem Besuch mehrerer Lokale die Neu� Fischerhlllte in Schlachtensee besucht Dort gerieten- si« mir. Neu- mann, der seh r betrunken war, in- Streit. Als Neumann aus dem Lokal geworfen wurde und»ach Hause ging, folgten ihm die beiden. Schouland brach eine Latte vom Zaun, schlug sie in zwei Stücke und gab Koch das eine. Bon hinten überfielen sie den Neumann und schlugen ihn nieder. Als der Ileberfallene schon am Boden lag, prügelten sie ihn w i« im B l u t r a n s ch weiter. Neumann starb einige Tag« später, ohne das Bewußtsein wiedererlangt zu haben. Das Schwurgericht verurteilte Schauland zu zwei Jabren und Kach zu ein Jahr sechs Monaten Gefängnis und be- tonte, daß dieser Ueberfall der beiden Angeklagten, die in sinn. loser Trunkenheit gehandelt haben wollen, soft einem Tot- schlog gleich käme.
MMO Christine(Saft und Cfthcr Rubin hatten seit einigen Mo- naten keine Briese miteinander gewechselt. Esther hatte die Stockung verschuldet, später war noch einmal ein herrliches. wenn auch kurzes Schreiben von ihr gekommen, ober danach hatte sie und endlich auch Christine geschwiegen. Uebrigens hatte Esther sich im voraus entschuldigt: mit vieler Arbeit und wichtigen Ereignissen, von welchen sie erst später be- richten wollte. Alz nun Christine in Berlin ankam, mitten im Chaos der zu neuer Arbeit gewillten Stadt, ging sie gleich vom Bahnhof zum Lazarett, in dem sie Esther beschäftigt muhte. Aber sie erfuhr zu ihrem Verwundern, die Pflegertn Rubin wäre seit Monaten nicht mehr im Dienst dort, und nicht ein- mal ob sie sich noch in der Stadt befände, konnte sie erfahren. Erst auf dem Polizeipräsidium erhielt sie Auskunft über Esthers Adresse, und unverzüglich machte sie sich auf den Weg. Esther bewohnte ein Zimmer in einem Teil der Stadt. wo zumeist einfache, arme Leute woben. Christine trat in eine enge Stube ein. Obgleich das Fenster, das auf einen Hof hinausführte- sperrweit geöffnet war und Kälte von fcrauhen ins Zimmer strömte, herrschte ein dumpfer Geruch im Raum. Auf dem Sofa lag. einen Roman in der Hand. Maada Rubin: Christin« erkannte sie sofort: im Bett ruhte eine auffallend bleiche Frau, neben dem Bett stand eine Wiege Christine, verwirrt, sah im Anfang nur Magda an, die zu ihr hersah. Aber dann, von einer Ähnung ergriffen, qina sie näher zum Bett, bis zur Wiege— und von dort be- trachtete sie das bleich- Gesicht. „Estcherf... Was ist denn in�wi'chen geschehen?" Esthers Gesicht verzog sich zu einem Lächeln, aber gli'ch- zeitig füllten sich ihre Augen mit Tränen. Da sagte sie:„Ja. ich bins. Christine." Maat»«»ar inzwischen vom öofa aufgestanden, sie faßte mm Christines Schalter und schrie, als ob sie
Christine für schwerhörig hielte:„Du darfst sie nicht auf- regen! Sic ist noch so schwach. Sie ist erst seit einigen Wochen Mutter!" Offenbar war es für Magda ein Vergnügen, das Gc- sicht der Besucherin hierauf zu beobachten. Christine sah zur Wiege und sagte nichts: Magda nickte. Esther sah aber die Freundin unverwandt an, und in ihren Augen kam ein fiebrischcs Glimmen auf. Christine bemerkte dos wohl. „Kann ich dir helfen, Esther? Was soll ich tun? Ich will dir beistehen, wie ich nur kann— außer mit Geld. Ich habe selbst kaum zu essen mehr." „Du kannst bei uns wohnen", sagte Esther hastig und ergriff ihre Hand, um sie.zu pressen und zu streicheln.„Wir beide, Magda und ich, wohnen in diesem Zimmer zusammen. Aber die Wirtin hat noch ein Zimmer mit Bett, da kannst du schlafen. Ueber den Tag wohnst du mit uns hier im Zimmer— ja?" Magda ging summend herum, dann legte sie sich wieder aufs Sofa.„Wie geht es dir?" schrie sie von dorther, wieder so auffällig laut wie vorhin. Aus der Wiege kamen wimmernde Laute. „Setze dich doch zu mir osfs Bett", bat Esther, in deren Augen noch immer das Fieber war.„Du Arm«, da seh ich die Narbe vom Brand. Du hast viel gelitten. Christine— ich auch. Siehst du den angefangenen Brief auf der Fenster- dank. Ich wollte dir schreiben, schon lange wollt ich dir schreiben. Aber—" sie unterbrach sich, ihr Blick sah in die Wiege hinein. Christine lüpfte ein wenig die Decke, eine graue Decke mit weißen Streifen. „Nachher, Christine, will ich dir alles erzählen, aber du mußt beginnen. Wo kommst du nun her?" Als Christin« ihre Geschichte beendet hotte, kam vom Hof her durchs Fenster die Dunkelheit. Magda entzündet« das Gaslicht, nahm von einem Schrank, dessen Austotz mit Nippes übersoden war. einen kleinen samtenen Hut. kleidete sich zum Ausgehen an und fuhr mit einem rofoweißlichen Puderschmomm übers Gesicht. Bor dem Spiegel, der auf dem Waschtisch stand, zog sie sorgsam Striche an Wimpern und Brauen— und als sie dann zum Fortgehen grüßte, bl-eb Christine der Gruß In der Kehle stecken, so verändert sah Magda jetzt aus. Sie schwieg still, noch alz Magda längst aus der Stube war. Hm hm, dachte sie nur. „Nun sprich von dir", verlangte sie dann. Ihre Stimme war barsck), wie sie immer mar, wenn wichtige Ding« in Frag« standen.
Esther erhob sich in ihrem Bett, sie war schön, wenngleich mager und bleich. Sie nahm das Kind aus der Wiege an die Brust. Plötzlich begann sie:„Christine, du hast vorhin gesagt, beistehen wolltest du mir--" „Ja. Esther." „Ich heiße nicht mehr so", sagte Esther slüsternd.„ich habe mir deinen Namen entliehen. Geh aus die Post und frage nach Briefen, es liegen dort welche mit deinem Namen, aber sie sind für mich. Christine! Der Mann, den ich liebe, der Mann, der mich liebt, der Mann, der der Voter dieses Kindes ist. nennt mich mit deinem Namen." „Christine?" „Noch mehr, Auch Gast." „Christine Gast? Das bin ich ja, haha." „Er ist aus einer Adelsfamilie. Und als ich ihn sah» da liebt ich ihn gleich. Und er liebte mich, wir wußten gleich alles, wir wußten das schon in der ersten Stunde. Aber daß ich eine Jüdin bin, dürft ich nicht sagen. Und sa liebt er bis heute— Christine Gast." Christine sah ihr« Freundin an. um den Mund herum zuckte es. aber sie sagte nichts, denn Esthers Geschichte war noch nicht zu Ende. Als Christine aber„Hohenau " hörte und einiges mehr— da verlor sie den Kops, sie sah ihre Freundin mißtrauisch an und hätte wohl Lust gehabt, ihr Fieber zu messen. Aber die Geschichte ging lückenlos fort, Christine versank in Horchen und Staunen. „Er kam zweimal auf Urlaub, jedesmal waren wir heimlich zusammen. Beim zweitenmal war er Offizier. Ich war damals noch Schwester im Lazarett, noch Monate nach- her war ich im Dienst. Dann könnt ichs nicht mehr verheim- lichen und mußte fort. Damals wurden auch die Briefe für dich so selten. Nun weißt du den Grund denn. Christine, wir liebten uns, Hans und ich, wie noch heut— wir hatten fo ganz alles andere vergessen, außer uns beiden und unserem Glück, wir waren nur für einander da— da wußte ich gleich, das Kind würde kommen. Und ich war keine Stunde unglück- lich darum. Und es würde auch gut sein, alles gut sein", fing sie plötzlich zu flüstern an, und klammerte ihre Hände um den Arm der Freundin, immer höher hinauf, bis sie Christines Schultsr umspannt hielt", es würde auch gut sein in aller Zukunft, und glücklich er und«ch und das Kind— könnte ich nur noch eine Zeitlang so leben als Christine Gast! Wenn dein Rame vorerst noch mir gehörte, dann war alles gm. (Fortsetzung sollst)