1929
Der Abend
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Nr. 578 B 288 46. Jahrgang
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Die Parteiführer beim Kanzler.
Kritische Lage im Reichstag.
Die Führer der Regierungsparteien fraten heute vormittag 11 Uhr beim Reichskanzlet Hermann Müller zu einer Beratung zusammen, die der geplanten Reichsfinanzreform galt. Der Reichstanzler erörterte zunächst die Ergebnisse der gestrigen Kabinettsfihung von allgemeinen Gesichtspunkten aus. Sodann nahm der Reichsfinanzminister Hilferding das Wort, um die vom Kabinett beschlossene Erklärung und die in ihr angekündigten Steuerreformen im einzelnen zu erläutern.
Wie verlautet, will die Regierung dreierlei: Erftens ein Berfrauensvofum, zweifens die Beitragserhöhung zur Ar. beitslosenversicherung und die Erhöhung einer Konfumfteuer( Bier oder Tabat) zum 1. Januar, driftens ein Berfprechen der Regierungsparteien. daß sie die Finanzreform im Sinne der vom Kabinett beschlossenen Erklärung erledigen wollten.
Ueber diese Forderungen der Regierung wird jetzt zwischen den Parteiführern beraten und soll heute abend in den Fraffionen be rafen werden. Dabei wird es, wie leicht vorauszusehen ist. Schwierigkeiten geben. Was zunächst die sozialdemokratische Reichstagsfraffion betrifft, fo welß man zwar, daß sie gerne eine Krise vermeiden möchte und daß die Erhöhung der Beiträge zur Arbeitslofenversicherung ihre eigene Forderung ist. Auch eine Erhöhung der Steuern auf 2lkohol oder Tabat läßt sich schwer ablehnen, zumal diefe Steueru in anderen großen Ländern viel höher find als bei uns. Fraglich bleibt jedoch, ob sich die Fraktion zu einer Borwegnahme eines Teils der Finanzreform und zu einer Feftlegung auf ihre übrigen Teile entschließen wird. Hier scheinen uns, soweit die sozialdemokratische Reichstagsfraktion in Betracht tommt, die allergrößten Schwierigkeiten zu liegen.
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In der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion wird nämlich sehr lebhaft die Meinung vertreten, daß die Finanzlage des Reiches eine Berminderung der Einnahmen nicht gestattet. Eine folche Verminderungn würde aber froth höherer Bier- oder Tabaksteuern eintreten, wenn die Steuersenkungen an anderer Stelle in dem Maße vorgenommen würden, wie bisher geplant worden ist. Das Defizit von 1929 ist so groß, daß auch der inzwischen hergestellte Nachtragsetat zu seiner Dedung nicht ausreichen wird Und was das kommende Etatsjahr betrifft, so steht nur noch die Frage offen, ob die sogenannten Young- Ersparnisse gänzlich aufgezehrt werden, oder ob von ihnen noch ein verhältnismäßig geringer Betrag übrigbleiben wird. Unter solchen Umständen hält man es in der sozialdemokratischen Reichstagsfraffion für gebofen, in der Frage der Steuerjenfungen außerordentlich furz zu freten.
Einen besonderen Streifgegenstand bildet die Berwalfungsgebühr", die sogenannte„ Kopfsteuer", die in den Gemeinden die Gewerbesteuer ganz oder teilweise ersetzen soll. Die Sozialdemokratie fann dieser unsozialen Steuer ihre Zuffimmung nicht geben.
Alles in allem wird man froh des ziemlich allgemeinen Beftrebens, die Regierung unbeschädigt durch die zweite Haager Konferenz zu bringen, die augenblidliche innenpolitische Cage nicht als gefahrlos bezeichnen können.
Kieler Munitionsschiebung.
Deffentlichkeit.
Ausschluß der
B. S. Siel, 10. Dezember. Vor dem Schöffengericht in siel unter Borsiz von Landgerichtsdirektor Wichmann begann heute morgen die Verhandlung gegen die Beteiligten an der im Januar 1928 versuchten Munitionsausfuhr nach China , und zwar gegen die Kaufleute Schwarz, Taub, Daugs, Beltjens und Biening aus Berlin sowie gegen Major a. D. Seemann und Leutnant der Marine Proze.
Die Antage in diesem Prozeß, der megen seines großen Umfanges im Schmurgerichtssaal des Kieler Strafgerichtsgebäudes stattfindet, vertreten Oberstaatsanwalt Mazz und Staatsanwaltschaftsrat Bohmeyer, während die Angeklagten von den Rechts anwälten Dr. Alsberg, Justizrat Hahn und Dr. Sad, Dr. Feld und Dr. Lachmann aus Berlin sowie von Rechts anwalt Rathje- Riel verteidigt werden.
Bertreter des Reichswehrministeriums, des preußischen Innenministeriums, des Polizeipräsidiums Berlin und des Polizeipräsidiums Kiel wohnen der Verhandlung als Beobachter bei. Die Bresse ist start vertreten. Es handelt sich um 8 Millionen Schuß Patronen, die feit zwei Jahren, feit dem Zeitpunkt ihrer Beschlagnahme durch Zollbeamte, auf einem Leichter ( Fortfegung auf der 2. Geite.)
Der preußische Haushalt.
Finanzminister Höpfer: Aschoff legt den Etat vor.
Im Preußischen Landtag legte heute| tommen, sondern mit 100 Prozent in die Reichskasse fließen. Dann Finanzminister aber auch ist auf Grund der verbesserten Leg Brüning Dr. Söpker Aschoff den Haushaltsplan für 1930 vor.
Der Minister begann seine Ausführungen zum Etat mit einem Ridblick auf die Finanzen des Jahres 1928. In den Jahren 1927 und 1928 war der Haushalt im Gleichgewicht. Das günstige Ergebnis der Steigerung der Einnahmen im Jahre 1928 mar den erhöhten Ueberschüssen der Betriebsverwaltungen, der erhöhten Ueberweisung an Reichssteuern und einer Steigerung der preußischen Steuern zu danken. Demgegenüber standen aber auch die Erhöhungen der außerplanmäßigen Ausgaben burch die Sanierung des Schichauunternehmens, die gemeinsam von Reich und Preußen unternommen wurde, und die Durchführung des Ostpreußenprogrammes und der verschiedenen Notstands affionen zur Abwendung von Hochwasser- und Unwetterschäden. Es
die Lohnsteuer gefappt.
Soweit das Ergebnis der Lohnsteuer 1300 Millionen Mark im Jahre übersteigt, wird der Mehrertrag nicht mehr mit 75 Broz. an die Länder und Gemeinden verteilt, sondern dieser Mehrertrag wird für Knappschafts - und Invalidenversicherung zurückgestellt. Das ist für die Länder eine starke Beeinträchtigung der Finanzlage.
Der Aufbau des Haushaltsplanes
für 1930 ist in einigen Teilen abgeändert. Nach dem Bruttohaushalt belaufen sich die Einnahmen und Ausgaben auf
4288 Millionen Mart, also 87 Millionen Mart mehr als im
Jahre 1929. Dieser bereinigte Bruttohaushalt gibt vom Standpunkt des Bruttoprinzips insofern einen Ueberblick über die Einnahmen und Ausgaben, als die durchlaufenden Posten, die sich im Bruttohaushalt befinden, ausgeschieden werden müssen, wenn man fich ein Bild von den Bruttoeinnahmen und ausgaben Preußens allein machen will. Solche durchlaufenden Posten sind die Ueberweisungen an die Gemeinden, die Preußen vom Reich bekommt und an die Gemeinden weitergibt, der Teil der Hauszinssteuer, der für die Bautätigkeit verwendet wird, die hinterlegten Gelder und Reichsmittel, die vom Reich an Preußen für besondere Zwecke überwiesen werden und eine Reihe kleinerer Posten. Nach Ausscheidung dieser Posten schließt der bereinigte Bruttoetat ab mit 2332 Millionen Mark.
Dagegen schließt der Nettohaushalt für 1930 mit 1662,5 Millionen in Einnahme und Ausgabe ab, das ist mit einem Mehrbetrag von 49,4 gegenüber 1929. Dieser Nettohaushalt ist nur ein Gedankending, er stellt den Zuschußbedarf der Hoheitsverwaltungen und die Dedung dieses Zuschußbedarjes durch Ueberschüsse der Betriebe, durch Steuern und Abgaben dar. Die Aufftellung eines solchen Nettohaushalts ist notwendig, um ein flares Bild über die Finanzgestaltung überhaupt zu gewinnen. Der Minister gibt einen turzen Ueberblick Erhöhung des Zuschußbedarfes
im Nettohaushalt, der von 1924 mit 1347,6 Millionen auf 1662,5 Millionen im Jahre 1930 angewachsen ist. Es sind daran die Justizverwaltung, das Ministerium des Innern, das Kultusministerium mit ihrem Mehrbedarf beteiligt. Hinzu kommt eine gewiffe Verschlechterung der Einnahmen. Gegenüber 1929 sind die Betriebseinnahmen mit 14,9 Millionen geringer veranschlagt. Steuern und Abgaben verirngern sich um 0,9, sonstige Einnahmen um 22,9, zufammen also um 38,6 Millionen gegenüber 1929. Die Erhöhung des Zuschußbedarfes um 49,4 Millionen und die Ber schlechterung auf der Einnahmeseite um 38,6 Millionen ergibt die
" Die Titel ham's uns wieder genommen. Do ift dös Bier Gesamtfumme von 88 Millionen. Um den Etat ins Gleichgewicht intre vanzige Stammeseigentümlichkeit."
tommen außerdem die Anleiheausgaben in Höhe von 13,3 Millionen Mark für die Hibernia hinzu, die außerplanmäßig verrechnet wurden.
Auch der Anleiheetat stand für 1928 günstig. Für das erste Halbjahr 1929 war die Entwicklung der Reichssteuerüberweisungen nicht ungünstig. Sie liegen bei 370,4 Millionen mit 7,1 Millionen über dem Boranschlag. Dagegen haben sich die preußischen
Steuern im ersten Halbjahr 1929 ungünftig entwickelt.
zu bringen, ist ein entsprechender Posten von 88 Millionen an Mehreinnahmen aus Reichsüberweisungssteuern eingesetzt. Diese 88 Millionen find natürlich zunächst Fehlbeträge. Und diese Position wird sicher starte und berechtigte Kritik finden. Hier wird die Frage aufgeworfen: Waren Ersparnismög= lichkeiten vorhanden und sind diese mit allem Nachdruck aus= genutzt worden? Wäre nicht dieser Ausgleichsfonds von 88 Millionen überflüssig gewesen? Der Minister spricht bei Redaktionsschluß weiter.
Zugfatastrophe bei Ramur.
Arbeiterzug entgleift.- 17 Zote, 48 Verletzte.
Brüssel , 10. Dezember.( Eigenbericht.) Heute morgen um 6.58 Uhr ist der von Brüssel kommende Arbeiterzug, der nach Arlon im belgischen Luxemburg fährt, auf der Station Namur ent
So hat die Hauszinssteuer, someit der Anteil für den allgemeinen Finanzbedarf in Frage kommt, 16,8 millionen zu wenig gebracht und die Grundvermögenssteuer 6,8 Millionen zu wenig. Doch gibt diese Entwicklung zu Besorgnissen keinen Anlaß, denn erfahrungsgemäß wird die Mindereinnahme des ersten Halbjahres durch die Mehreinnahme des zweiten Halbjahres ausgleist. Vier Personenwagen wurden über die Lokogeglichen.
Daß für das Jahr 1929 teine Mehrerträge bei den Reichs. ffeuerüberweisungen zu erwarten sind, erklärt sich daraus, daß dem Reiche nach dem Haushalt ein sogenanntes„ Voraus“ von 120 Millionen Mark bei den Heberweisungssteuern eingeräumt wurde, die an die Länder und Gemeinden nicht aur Berteilung
motive geworfen. Die Lokomotive stürzte um und liegt
quer über den Gleisen. Drei Wagen wurden völlig zertrümmert, der vierte ist schwer beschädigt. Die Zahl ber Toten beträgt nach den bisherigen Feststellungen 17, die der Verletzten 48.