Tlr. 608* 46. Jahrgang
2. Beilage des Vorwärts
Sonntag, 29. Dezember 4929
3t. 3rance: Toii 1 II ifSllil 11611 1 dt
Tausend Beweise liegen heute zurecht, daß der sogenannte „Barsintsßitmensch� auf Erden gewandelt Ist. Daß die Weltgeschichte „ cht mit den morgenländischen Völkern, auch nicht mit irgend- einem sagenhaften„Zldam" begann, nicht nach Jahrtausenden zählt, sondern nach Erdepochen. In den Schichten, welche die Eiszeit hinterlassen Hot. liegen unzweifelbare Spuren des fossilen Menschen, und«s geht heilte nur noch mehr darum, wie rreit sein Dasein in der Voreiszeit zurückverfolgt werden kann. Während noch vor vierzig Iahren, namentlich infolge des Wirkens von Rudolf D i r 6) o w allgemein die Ueberzeugung herrschte, es gebe keinen„vorsintflutlichen Menschen", gibt es heute schon bald kein Heimatmuseum mehr, in dem nicht wenigstens Nochbildun- gen der weltberühmt gewordenen Funde dieser Art aufgestellt sind. Zwar war schon einmal, vor zweihundert Iahren die Welt erfüllt von Staunen, über einen„Vorsintflutmenschen", den ein biederer. naturforschender Schweizer Pastor aufgesunden hatte. In einem schönen Kupferstichwerke dichtete er ihn an als„betrübte» Bein- gersist von einem armen Sünder". Aber zur Heiterkeit der Räch- welt pellte sich später doch heraus, daß jenes Skelett nur das Ge- rippe eines vorweltlichen großen Salamander» gewesen sei. Da. gegen sind die sogenannten Neandertaler Funde, die sehr spärlichen Res» von Trinil m Java, der„Unterkiefer von Mauer" bei Heidel- berg heute allgemein anerkannt als die ältesten Reste von menschen- artigen Geschöpfen, die vor vielen zehntausend Iahren auf Erden gewandelt sind. Aus jüngeren Zeiten haben dann noch die Höhlen im mittleren Frankreich , in der Dordogn««in überaus reiches Fund- material erschlossen. Auf diese Funde hat man bis in die jüngste Zeit seine Ansichten über die älteste Geschichte de» Menschengeschlechtes aufgebaut. E» ist ober nicht dabei geblieben.. sondern, namentlich in den Jahren, als der große Krieg den geistigen Zusammenhang der Menschheit zerriß und seitdem sind viele neu« Funde von sehr großer Bedeutung ge- macht worden, die uns heute«in ziemlich vertiestes und verändertes Bild unserer Vorohnen zu entwerfen gestatten. Zunächst ist es endlich sicher geworden, daß jenem berühmten ..Affenmenschen" von I a v a, der soviel Aufsehen erregt hat, keine entscheidende Bedeutung in dieser.Frage zukommt. Man ist nach Java gereist, um die Fundstätte genauer zu untersuchen, und es hat sich herausgestellt, daß sie keineswegs so alt Ist. wie man ursprünglich dachte. Der Dormensch von Java hat also au» der , Ahnenketter" de» Menschen auszuscheiden ln dem Sinn, daß er den Ruhm abgeben muß, der älteste Fund vorgeschichtlicher menschen- ähnlicher Wesen zu sein.-Unbestritten höchste Bedeutung aber kommt nach wie vor dem rätselhaften Menschenkiefer von Mauer zu. Bei Heidelberg ,?4 Meter unter der jetzigen Erdoberfläche in einer Sandgrube mit einigen Tierknochen, welche aus ein« Zwischeneiszett schließen lasten, ist von einem Erdarbeiter«in menschlicher Unter» kieser zutage geföidert worden, der massig, ohne Kinn, aber mit harmonischem Menschengebiß. auf ein Geschöpf hinweist, das primitiver als alle sonstigen Dormenschen, doch schon ein echter Mensch, gewesen fein muß. Man hat sein Alter v o r die Steinzeit gesetzt und schätzt es auf wenigstens IfiOOÖÖ Jahre, höchstens anderthalb Millionen Jahre. Beide» sind Zahlen, bei denen uns«in Schwindel befällt und an die man schwer glauben kann. Daß aber in jenen ältesten Zeilen Menschen über die Erde ge- wandelt sind, wurde seitdem durch vielerlei Funde sichergestellt. In Ehringsdorf bei Weimar sind Knochen zutage gekommen, ,ch«r Mensch von Taubach", der mtt dem von Mauer in bezug auf Alter Vetteifern tonn. Bei Talgai in Australien , bei Wadjak auf Iaoo. in Transvaal , überall hat man ähnliches gefunden, die be- rühmteste Tatsache dieser Art aber ist der„M e n s ch v v n B r v ck e n Hill" in Rhodesia (Zentvalasrika). Dort hat man im Jahre 1S2l in einer Höhle zwischen zahllosen Resten von Fluhpferden. El«. fanten. Löwen. Nashörnern und anderen Tieren«wen Schädel mit einem ziemlich in den wichtigsten Teilen erhaltenen Gerippe g«» funden, die sehr bemerkenswerte Ausschlüsie gegeben haben. Das Gerippe entspricht ganz dem vom lebenden Menschen. Da an dem Schädel das Hinterhauptloch so weil nach vorn liegt, wi« bei einem Menschen von heute, muß man auf einen vollkommen aufrechten Gang jenes Urgeschöpfes schließen. Aber der Schädel selbst steht zwischen Schimpansen und Europäer.'
Aehnliche„älteste" Spuren gab die Erde in Südamerika (Monte Hermoso), in England(bei Piltcown), in Schansi in China wieder. Bon diesen mag der englische Fund unsere Aufmerksamkeit besonders wachrufen, ist er doch in einer Umgebung aufgefunden worden, die für englische Berhällniste recht merkwürdig anmutet. In einem Kteelager bei P i l t d o w n logen da mtt Flußpferden und tertiären Elefanten zusammen Schädelteile eines„Bonnenschen" allermerk- würdigster Art. Als man sie zusammensetzt und entsprechend er- gänzt, grinst uns ein wahrer Schimpanse entgegen mit einer furcht. baren Tierschnauze, aber ohne namhafte Augenwülste und doch wieder ganz menschlichem Gebiß. Da stand er also, der so lange gesuchte, aus Feuersteinwerkzeugen erschlossene, immer wieder bezweifelte„Mensch der B o r e> s z e i t", der Mensch der Tropen- welt. der Flußpferde und Elefanten in England zum Zeitgenosien hatte! lind kurz daraus erhiell er sogar einen Gefährten, nicht einen Knochenmann, sondern ein anderes noch viel merkwürdigere» Zeugnis des tertiären Menschen, nämlich seinen Fußabdruck! Im Frühsahr 1918 wurde bei Antwerpen in Belgien (zu Hol) in tertiären Gerollen und Muschelhaufen aus zu Fels verfestigten Grünfandstein der Abdruck eines menschlichen Fußbollens und mehrerer Zehen aufgedeckt. Und damtt kein Zweifel möglich sei, lagen künsttich aufgebrochene und zu Schabern umgearbeitete Knochen von Walen und Robben, tolithische Feuersteinwerkzeuge. Bohrer. Kaisischzähn«(!) und noch mehr Zeugnisie dabei, daß hier Menschen gehaust hallen. Am Strand waren sie auf der Nahrungssuche umhergegangen und im feuchten Sand hatte sich der Fuß eingedrückt. Seine Spur war so erhalten worden wie die fossilen„Regentropfen" und Ab»
drücke des Handtieres. Was die Sage oft erzählt hall« und frommer Glaube am Mosesberg im Sinai oder dem Adamspik in Ceylon heute noch zeigt, daß die oder jene Sagengestalt im Gestein ihren Fußabdruck hinterlassen habe, das mutet uns nun durch die Wissen- schaft gerade von dem ältesten aller Menschen zu und vortäusig müssen wir wohl dieses kaum Glaubliche als„Tatsache" hinnehmen. Aber nicht nur fossile europäische Urmenschen hat die Erde wiedergegeben, sondern sie hat uns auch verraten, daß die Raffen- gliederung bereits zu den ältesten Merkmalen des Menschen- geschlechtes gehören muß. Wenigstens die Negerrasse scheint schon seit der ältesten Eiszeit zu bestehen. Das bezeugen Skelettfunde an, Kilimandscharo (Oldewayschlucht), ein spanischer(Balonas) und ein Fund in einer Grotte bei Mentone an der französischen Riviera, den ich selbst studieren konnte. Schädel, Rumpf und Gliedmaßen stimmen da wirklich so sehr mit den Vertretern der heutigen schwarzen Rasse überein, daß auch darin wohl kein Zweifel mehr bestehen kann, der Neger ist nicht wesentlich jünger als der Weiße und hat in der Vorzeit auch in Europa gelebt. Dielleicht ist er mit der zu chm gehörigen Tierwelt, den Elefanten, Nashörnern Und Flußpferden erst vor den Drohungen der späteren Eiszeit nach Afrika hinübergeslüchtet, vielleHt wäre Europa ohne sie ebenso schwarz und unkultiviert wie jenes. Jedenfalls ist heute der Dorsintflutmensch, der Eiszeitmensch durch mehr als hundert Funde belegt, eine Totsache, die nicht mehr umgestoßen werden kann. Der Mensch als«in Geschöpf der Tertiär- zeit— so lautet nunmehr das nächst« Problem der Forschung. Di« ousklingende europäisch« Tropenwelt, vielleicht noch die Braunkohlen - zeit, das ist gegenwärtig der wichtigste und interessanteste Punkt der gesamten Erdgeschichte. Unser« Generation hat die Zivilisation des Eiszeitahnen i» allen Einzelheiten sichergestellt. Unserer Söhne haben eine groß- artig« Aufgabe vor sich: den Schleier endgültig zu heben von der Schöpfung des Menschengeschlechtes im Tertiär!
mchaeisowchenko: 3)er
Also so weit ist es mit uns gekommen, Bürgerl Ein Arbeiter darf nicht ins Restaurant, wird einfach nicht hineingelassen. Das hat Wassily Stepanytsch Konopaiofs am eigenen Leid« erfahren. An seiner höchsteigenen Person. Aus dem Restaurant haben sie ihn hinausgeschmissen. So weit sind wir gekommen. Schien es doch Wassily Stepanytsch gleich, als er in die Türe trat, wie wenn da etwas nicht stimmte, wie wenn der Portier auf seinen Anzug geschielt hätte. Run ja, der Anzug war ja wirklich nicht besonders fein, ein Arbeitsanzug halt, nun wi« das eben so ist. Darum handelt es sich ja auch nicht. Aber die Behandlung kränkt« Wassily Stepanytsch bis zu Tränen. Er sagte zum Portier: „Was schielst du?" sagte er.„gefällt dir mein Anzug nicht? Du suchst wohl die Manschetten?" Aber der Partier packte Wassily Stepanytsch am Ellbogen und ließ ihn nicht herein. Wassily Stepanytsch riß. sich los.'' „Ach sol" schrt» er,„Emen Arbeiter läßt man nicht ins RestauraM? Der Anzug ist nicht mteressant genug?" Jetzt sanmtelte sich natürlich Publikum. Schaut« zu. Wassily Stepanytsch schrie: „Ja, Bürger, Manschetten habe ich nicht an. Hab' auch keine Krawatte, und vielleicht habe ich auch meinen Hals schon seit drei Monaten nicht gewaschen. Aber vielleicht habe ich meinen Schweiß bei ehrsicher Arbeit in der Fabrik vergossen. Und vielleicht habe ich keine Zell, mich von vorne und hinten schätz zu machen!" Jetzt drängten die Kellner Wassily Stepanytsch zurück. Faßten chn unter den Armen und schleppten ihn hinaus. Der Portier. dieser Hund, half sogar mit dem Knie nach, damtt es ohne Hindernis durch die Tür ging.. Wassily Stepanytsch Konopotofs geriet in Raserei. Der Mensch heulte beinahe. „Genossen," sagte er,„Brüder! Ja. was geht denn im Arbeiter- und Bauernstaat vor?! Ohne Manschellen kriegt ein Mensch wohl überhaupt nichts zu fressen?..."
Das Volk fühlte, hier geht es um die Ideologie. Man drängte die Kellner beiseite. Der eine schwang ein« Flasche, ein anderer einen Stuhl... Der Wirt schrie au» Leibeskräften, sein Betrieb würde wegen unmoralischer Zustände geschlossen werden. Inzwischen lief einer vom Orchester die Miliz holen. Die Miliz erschien. Sie packte unser Täubchen, Wassily Stepa- nitsch Konopatoff, und setzte ihn in eine Droschke. Wassily Stepanytsch war aber auch setzt noch nicht still. „Brüder," schrie er,„ja was ist denn das? Ja, wenn auch die Miliz für die Unternehmer Partei nimmt und einen Menschen wegen seines Anzugs hinausschmeißt, dann schwimm ich sieber zn den Bourgeois nach Amerika als solche Zustände zu ertragen." Man brachte Wassja Konopatoff zur Wache und steckte chn in» Arrestzimmer. Die ganze Nacht schloß unser Täubchen. Wassja Konopatoff, kein Auge. Erst gegen Morgen schnarchte er ein Stündchen. Und i» der Früh« wurde er geweckt und,-vor den Kommandanten gesichrt- Der Kommandant sagte: „Gehen Sie, Genosse." Wassja sagte: „Man hat einen Menschen beleidigt und jetzt heißt«»— gehen Sie! Ich werde mich gleich in ein« Droschke setzen, tes Sownarkom fahren und mich dort über Ihre Handlungsweise beschweren." Der Kommandant sagte: „Beruhige dich doch, Genosse. Wir haben den Befehl, keine Betrunkenen ins Restaurant hineinzulassen." „Wie denn?" fragte Konopatoff.„Asso hat man mich nicht wegen meines Anzuges hinausgeworfen?" Jetzt kam Wassily Stepanytsch eine Erleuchtung. „Und ich dachte wegen des Anzugs," sagte er.„Ja. asso. wenn deswegen, weil ich besoffen war— das kann ich verstehen. Das sehe ich ein. Dagegen habe ich nichts einzuwenden." Wassily Konopatoff drückte dem Kommandanten die Hand, ent- schuldigte sich wegen der verursachten Störung und verschwand. <Au« dem-Russischen von Alma LepMOl