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Beilage

Donnerstag, 2. Januar 1930

Der Rurno

Snalausgabe des Verwand.

Raum für alle hat die Erde "- nur nicht für die kinder!

Geburtenrüdgang? Diese Tatsache liegt offenfundig por| uns und kann nicht mehr bestritten werden. Viele Leute zerbrechen sich den Kopf, aus welchen Gründen es so gekommen ist. Andere stellen Zukunftsbetrachtungen an und malen Bilder schmarz in schmarz- über die ,, aussterbende" Nation. Der Segen des Kinder­reichtums erfährt in manchen Zeitungen eine Lobpreisung nach der anderen. Nur will merkwürdigerweise so selten jemand mit gutem Beispiel vorangehen.

Oft will es einem jedoch scheinen, als ob es noch viel zu viel Kinder gäbe, nder aber, als ob felbst für die wenigen Kinder nicht mehr genügend Raum vorhanden sei, wenigstens nicht soviel Blak, daß die Kinder wirklich auch Kinder sein tönnten.

Du, du meinst, hier kann man eben so gut spielen, roie bei euch auf dem Lande? Da bist du aber angeschmiert. Hier so'n paar Häuser weiter wohnt Frau Blüte. Bübel hat ge­sagt, sie müßte eigentlich Stock heißen, das paẞt besser als Blüte. Wenn du da vorm Haus spielst, dann kommi sie mit einem Gummiknüppel raus und sagt: wollt ihr hier mal meggehen, sonst hau ich euch den Schlauch um die Ohren! Ich habe aber gesagt: die Straße frei. Das stimmt dodi? Findest du das nicht auch? Und sie sollte man zu ihrem August sagen, er sollte mit seinem Motorrad nicht soviel Spektakel machen. Jeden Sonntag morgen geht's mit seine Ratterkiste hier vorm Hause los. Als roir sie mal geärgert und an thre Klingel gedrückt haben, ist sie mit'm Pott voll Wasser raus gekommen und wollte uns naß gießen. Als sie zugoß, roaren die Jungs schon ausgepickt, und Hanni hat den ganzen Senf ins Gesicht gekriegt." Ja, gießt sie Hanni einfach naß, und die hatte doch nichts getan. Mit dem Roller darfst du da audi nicht vorbeifahren, dann roird sie gleich ungemütlich. Das woollen überhaupt die meisten Leute nicht haben, aber man muß sich nicht drum kümmern.

Hier wohnt Heinz, die sind ganz nett, aber sie haben ja auch' nen Jungen.

Ich finde, die dieken Frauen werden immer am ersten ärgerlich. Wir haben mal in der Schule eine Geschichte gelesen, da hieß die Riesenfrau Dickedull. Ich dachte an die Dickedull, die es hier auf der Straße gibt, sie wohnt da! Meinst, man kann hier gemütlich Ball spielen? Fällt der Ball ihr ins Kellerloch, nimmt sie ihn einfach weg und gibt ihn uns nicht wieder. Meine Mutter sagt, die sammelt wohl Bälle.

Wo soll man nun spielen? Von dem Spielplatz jagen uns die großen Jungs auch weg, die da wohnen und dahin gehören. Da bleibt nur noch der Stiftsgarten über. Da hat man auch noch seine Not. Walter und der Vorsteher sagen, wir

dürfen darin spielen, aber die dicke Meta sagt, wir dürfen nicht. Wir tun das, was die Männer sagen. Einmal wollten wir mit einem Tau ein Brett über den Zaun zichen. Da kam Meta angelaufen und sagte: wollt ihr das mal lassen, sonst hole ich die Polizei. Sie hielt das Tau fest. Da riefen roir: alle ran ans Tau! Tau riet! Tau riet! Tau riet! Mitm mal riß das Tau mitten durch, und sie wäre beinahe hin­gepflogen. Das hätte ihr aber nichts geschadet. Kann sie uns nicht spielen lassen, wenn der Vorsteher es uns gesagt hat.

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Ich finde, auf dem Lande schimpfen die Frauen gar nicht. Das kommt roohl, weil sie mehr zu tun haben."

So schrieb und philosophierte ein Elfjähriger. Frau Meyer" aus der Abendausgabe des 28. November bitte ich dringlich, diese Kinderflage gründlich zu studieren.

Wer näher zuschaut, tann hundert Merkmale für eins finden, daß der kleine Schreiber nicht übertrieben hat. Kinder sind im Wege, überall.

Geh mal los und suche eine Wohnung, die mehr ist als schlechtester Stall, und verrate dabei, daß du vier kleine Kinder hast. Wenn man überhaupt auf deine unverschämtheit antwortet, wird man es se tun, daß du für immer genug hast.

Die Straße gehört dem Verkehr, dem Auto, dem Motorrad, allenfalls noch den Radfahrern und den Fußgängern. Nicht den Kindern. Von der Hauptstraßen verjagt dieser Verkehr die Kleinen von selbst. Daß der Platz zwischen rasenden Fahrzeugen und haftenden Menschen kein geeigneter Spielplatz ist, wiffen die Kinder längst, sie sehen es ein und ziehen in Selbstverständlichkeit die Schlußfclgerung. Darüber hinaus tönnten sie in ihrem Ver­halten dem modernen Berkehr gegenüber den Erwachsenen als Lehr­meister dienen. Mit mehr sicherem Instinkt als wir Alten wissen sie fich zu benehmen. Wer es noch nicht glaubt, prüfe die Statistiken

über Verkehrsunfälle.

in die Großstadt. Wer Tiere so sehr liebt, daß er sie außerhalb des zoologischen Gartens um sich haben muß, soll aufs Land ziehen, um seiner Tiere willen. Aber die Hunde dürfen doch wenigstens auf die Straße, dürfen dort bellen, sich balgen und sonst noch etwas. lind merkwürdig: die Mitbürger, die ihre Hunde auf die Straße schicken und bei Klagen über Belästigungen, die ihre geliebten Tiere verur­fachen, taub zu sein scheinen, find gegen spielende Kinder am unerbittlichsten.

Es ist nicht zu bestreiten: Kindergefchrei ist nicht immer schön. aber schön und lieblich ist es, wenn Lautsprecher, Gram. mophone, Klaviere Tag und Nacht ihre holden Stimmen erschallen lassen, am besten aus geöffneten Fenstern und von Beranden und Balkonen.

Alle vier Wochen erscheint pünktlich eine Zeitungsnotiz, die die Erziehungsberechtigten daran erinnert, daß die Straße nicht der Spielplatz ihrer Kinder ist, und daß vor allem das Fahren Rollern den Ohren der nervösen Mitmenschen nicht zugemutet werden

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darf. Aber feiner weist den Berechtigten für Musik und Hundebesitz in seine Schranken.

Wohin mit den Kindern? vorausgesetzt, daß du ihrer großen Zahl megen mit ihnen noch nicht hast in eine Höhle des Baldes zu ziehen brauchen.

In die Wohnstube! Damit sie blaß werden und ihre jungen Glieder einrosten.

Auf die Spielpläje! Wieviel haben mir denn davon? Wo liegen sie? Wie sehen sie aus? Zum Sport hergerichtet. Aber daß man dort vorzüglich Verstecken, Indianer und Trapper und über. haupt richtig spielen fönnte, wird fein Junge glauben.

In den Kinderhort! Für die Allerbedürftigsten gibt es mohl melche, aber mehr auch nicht.

In die Schule! Doch sie ist ja nur vormittags geöffnet, und die Zahl der Lehrer, die die Kinder auch nachmittags zu Spiel und Arbeit um sich versammelt, ist herzlich gering.

Bielleicht weiß Frau Meŋer einen Ausweg.

Student, Arbeiter, Partei

Eine Auseinandersetzung

Aevermann.

sind sie, wenn auch nur eine fleine Gruppe vorerst, eine wesentliche Kerntruppe im Gesamtrahmen sozialistischer Studentenarbeit. Ein Arbeiterstudent, stud. jur.

II.

Der Bereinigung Sozialdemokratischer zu erreichen und dem Sozialismus neue Kämpfer zuzuführen. Go Studierender gehören sowohl die sogenannten Arbeiter studenten an, d. h. Hochschüler, die unmittelbar aus dem Proletariat fommen, und solche Studenten, die die Er­tenntnis zum Sozialisten gemacht hat. Es ist natürlich, wenn diese beiden Gruppen in ihren Anschauungen nicht immer ganz miteinander übereinstimmen. Bedauern fann das nur, wer vor dem Leben selbst Angst hat. Leben ist nun einmal Rampf: die große Auseinandersetzung über den Daseins­inhalt. Und so zeigt denn gerade diese Gruppierung inner­halb der Bereinigung Sozialdemokratischer Studierender, daß fie lebt und noch nicht erstarrt ist. Wir geben an dieser Stelle je einem Bertreter beider Richtungen das Wort, um ihre Stellung zu begründen.

I.

Leider find die Arbeiterstudenten noch immer eine ver­schwindend fleine Schar an den deutschen Hochschulen. Wer sind sie? Wo und wie fanden sie den Weg zur Hochschule? Was wollen sie?

Sie kommen oft aus den untersten Schichten der Arbeiterschaft und haben nur die Volksschule besucht. Sie genossen da Unterricht während der Kriegsjahre, in einer Zeit, in der eine regelmäßige, ordentliche Ausbildung durch Lehrermangel und häufigen Lehrerwechsel unmöglich war. Schon während der Schul zeit, noch im frühen Entwicklungsalter, traten sie ins Erwerbs leben ein, um den notleidenden Eltern eine wirtschaftliche Stütze Beruf erlernen. Ein großer Teil jedoch fand gar keine Unter­zu sein. Nach der Schulentlaffung fonnten viele von ihnen einen stützung durch die Eltern und mußte sofort als Arbeiter mitver­dienen helfen.

Früh lernten sie alle die wirtschaftliche, soziale und fulturelle Not der eigenen Familie und der der Arbeitskollegen fennen und verstehen. Mit vielen Leidensgenossen schlossen sie sich der flaffen­bewußten, organisierten Arbeiterschaft an, in dem ernsten Willen, diese ungerechten gesellschaftlichen Verhältnisse zu ändern. An Vortrags- und Diskussionsabenden der Arbeiter bildungsvereine, in der SAJ., bei den Jungsozialisten und in den Bolkshochschulen schulten sie sich geistig und formulierten ihr poli­tisches Wollen.

Immer angeregt zu eifriger Mitarbeit im Dienste der sozialistischen Idee stellte sie die Lehrlingsräte in den Fabriken, die Schülerräte in den Fortbildungsschulen, die Gruppenführer in der Jugend der Gewerkschaften und Partei. Viele von ihnen gingen auf Walze, d. h. fie ergriffen die einzige Möglichkeit, die sich einem Arbeiterjungen bietet, aus den engen Verhältnissen heraus zukommen und die Buntheit des Lebens und der Bevölkerung kennen zu lernen. So wechselten sie sehr oft den Wohnort, arbeiteten in vielen Branchen und erlangten dabei eine tiefgehende, Kenntnis der wirtschaftlichen und kulturellen Verhältnisse und ihrer Miß stände.

Getragen von sozialem Berantwortungsbewußtsein, bewährt als Bertrauensleute und Funktionäre der Arbeiterschaft und ihrer Organisationen, erstrebten sie, eine Bresche in das noch immer bestehende Bildungsmonopol der Besitzenden zu schlagen und ihren Wirkungsfreis zu erweitern. In Arbeiterabiturienten­tusen, als Extraneer und durch Ablegen des Kultureramens" per: fuchten sie, die Berechtigung zum Universitätsstudium zu erlangen. Einem kleinen Teil dieser Arbeiterkinder ist die Erreichung dieses Zieles trotz hemmender wirtschaftlicher Not durch emfige Arbeit bei großen persönlichen Opfern auch gelungen.

Bas Kinder hingegen nicht einsehen, ist die Forderung, daß sie auch auf den Straßen nicht spielen sollen, die feinen Berfehr aufweisen. Sachlichen Notwendigkeiten fügen sie sich, aber nicht den für sie unnüßlichen Verordnungen paragraphenmütiger Studium und Gesezesmacher und ebensowenig dem Schelten gefühlsverfalfter Mit- schaft. In der Erkenntnis, daß die Bildungsarbeit der bürger. menschen älterer Jahrgänge.

Ausnahmen von solchen Feststellungen find anscheinend auch da. Auf der Fabrifstraße neben der Spinnerei frabbelt es nur so von spielenden und schreienden Kindern, und niemand schilt. Doch schnell kommt die Aufklärung. Es ist feiner da zum Schelten. Frauen und Mütter find tagsüber im Werk beschäftigt, und wenn sie heimkehren, finden sie noch soviel Arbeit vor, daß für anderes weder Zeit noch Kraft bleibt.

Diese Entwicklung prägte auch ihre Einstellung zum fozialistischen Studenten­

zur

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lichen Hochschulen an den wesentlichsten Gegenwartsfragen vorbei geht und die Studenten für ihre gesellschaftliche Funktion nur un genügend vorbereitet, wird ihre Aktivität in der Studentengruppe eine zwiejache. Einmal versuchen Sie in der Idee des Sozialismus bereits durch ihre ganze Entwicklung gefestigt in den Bildungs abteilungen sich vorzubereiten für die praktische Be­fätigung in der Gesellschaft, und zwar- mas gar nicht mehr umstritten ist im Dienste der Arbeiterschaft und die zweite Aufgabe ist die politische Aktivierung der Studenten Hunde haben es beijer, Eigentlich gehören jie ja nicht mit dem doppelten Ziel: eine völlige limftellung der Hochschulen

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Bir" sozialistischen Studenten mer ist mir"? Bir find im ganzen noch gar nicht vorhanden, denn piele von uns wollen erst Sozialisten werden. Wir haben auch wenig Gemeinfames, dem in keiner Studentengruppe scharen sich Menschen so ner­schiedener Herkunft und so verschiedenen Wollens zusammen, wie bei uns.

Bas tragen wir hinein in die Studentenbewegung? Jeder bringt das mit, was et fucht. Der Arbeiterstudent sucht auf den Hochschulen festen Fuß zu faffen und sich wirtschaftlich durchzufämpfen. Also wird er arbeiten für den Ausbau der Wirt­fchaftshilfe, wird eintreten für Staffelung der Studiengelder usw. Der margistisch Vorgebildete will im Kampf der Meinungen neue Gedanken finden und Kenntnisse erwerben, die ihm die heutige Hochschule nicht oder nur ungenügend vermittelt. Also wird er in die Arbeitsgemeinschaften gehen und in Dis tuffionen und Referaten seine Aufgabe sehen. Der politisch rege Genosse will Bewegung in die Waffe der politisch un­entschlossenen Studenten bringen. Er weiß, was organisatorische Reinarbeit bedeutet. Der politische Kämpfer will agifieren, et sucht den Gegner.

In einer so großen Ortsgruppe wie hier in Berlin ist diesem vielgestalteten Wollen die Möglichkeit zu einer vielgestalteten. Tat gegeben. Wenn das nicht immer der Fall ist, so liegt es daran, daß das Suchen der einzelnen oft start zu einem organischen In­einandergreifen 31 einem emanzipierten Gegeno einander führt. Um von den vielen Reibungsmöglichkeiten die wesentlichsten herauszugreifen, muß man leider grundfäglichen Unterschied feststellen zwischen denen, die unbedingt alle Fragen des Sozialismus theoretisch durchzuarbeiten bestrebt sind, und denen, die sich damit begnügen, ohne umfassende theoretische Vorarbeit, mehr praktische Mitarbeit zu leisten.

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einen

Es geht nicht an, daß unter uns sich an dieser Stelle eine

Es mag

irgendwie bemäntelte Fremdheit zueinander entwickelt. auch mehr eine Frage psychologischer Art sein; auf jeden Fall haben wir Studenten hier etwas mitzubringen, was unsere Arbeit deutlich anders ausrichtet, als es Partei- oder Gewerkschaftsfaktik verlangt. Wenn wir uns nicht bemühen, die geistig durch­gebildete Schicht des Proletariats zu werden, dann haben wir nichts, was wir aus der Studentenbewegung beim Abgang von der Hochschule mitnehmen müssen. Denn alles, was wir als Sozialisten politisch zu lernen haben, lernen wir auch außerhalb der Studenten­bewegung. Hier aber und später im Leben verlangt man von uns, die geistigen Zentren der Bewegung zu stellen. Wir haben die Erreger des soziologischen Stoffwechsels in den Organismus der Gesellschaft zu tragen. Es wäre bedauerlich. wenn die Bedeutung dessen bei uns nicht genügend eingeschätzt würde.

Ein sozialistischer Student, stud. med.

Eine Universität für Sozialwissenschaft

In Chicago ist eine Universität für Sozialwissenschaft eröffnet worden. Im Lehrplan find Vorlesungen über Soziologie, Historie, Anthropologie, Defonomie norgesehen. Einen wesentlichen Bestand­teil des Studiums soll die praktische Arbeit im Wohlfahrtswesen und anderen sozialen Institutionen bilden.

Eine National- Universität in Tsingtau

Das chinesische Kultusministerium hat die Gründung einer neuen National- Universität in Tsingtau beschlossen. Es ist beab fichtigt, die Universität, wenn irgend möglich, schon im kommenden Semester zu eröffnen. Borläufig soll jie nur vier Fakultäten um­faffen, und zwar eine philosophische, eine naturwissenschaftliche, ehne technische und eine landwirtschaftliche. Der Jahresetat wird auf 540.000 chinesische Silberdollar festgeseht, wovon die Zentralregie­rung 240 000, die Provinzialregierung 180 000, die Stadt Tsingt und die Schantung- Eisenbahngesellschaft je 60 000 beifteuern.