Rr. 13 47. Jahrgang
1. Beilage des Vorwärts
Donnerstag. 9. Januar 1930
Reichsknappschaft am Breitenbachplatz Preindi vom Amt fuspendiert.
Diefer Raften
perfchanbelt die
Gegend!" So ähnlich lauten die Urteile mandher gutbürgerlicher Sonne tagsipaziergänger über den Neubau der Reichstnappi aft am Breitenbachplag. Amerdings, wenn die Architekten Mar Laut und Hoffmann etwas bauen, dann fühlt sich der Durchschnittskunstverstand bemüßigt, seinem Mißbehagen über die neue Architektur Ausdruck zu geben. Und doch fügt sich der neue Bau, der von der Bauhütte ausgeführt wird, mit seiner fchlichten, rotbraunen Klinkerfassade und der wohlüberlegten Gliederung sehr gut in die Architektur des werdenden Breitenbachplatzes. Bisher in Mieträumen untergebracht, die nun für Wohnzwede frei werden, wird die
Reichstnappschaft noch in diesem Frühjahr die hellen und luftigen Bureauräume in dem langgestreckten Neubau beziehen, der außer dem Archin auch einen großen Sizungsfaal für die Mitglieder des Borstandes enthält, welch letzterer fich aus Arbeitgebern und Arbeit nehmern zusammensetzt.
Die Hauptaufgabe der Reichstnappschaft, die seit dem 23. Juni 1923 besteht und der 16 Bezirks- Knappschaften im Reich
Rasende Automobilisten.
Die Fußgänger sollen schuld sein!
Nach übereinstimmenden Jeugenaussagen war der Motorradfahrer Wintler mit rasender Geschwindigfeit durch die Belle- Alliance- Straße gefahren. Er hatte dabei einen 76jährigen Mann, der den Straßendamm überschritten hatte und schon auf der anderen Seite furz vor der Bordschwelle war, umgefahren. Der verunglückte alte Mann hatte einen Unterschenkelbruch erlitten und war an den Folgen nach vier Monaten im Krankenhause gestorben. Winkler wurde wegen fahrlässiger Tötung vom Berkehrsgericht Berlin- Mitte zu vier Monaten Gefängnis verurteilt. Die Strafe fiel verhältnismäßig milde aus, weil nach Ansicht des Gerichts auch der Berunglückte einen Teil Schuld an dem Vorfall getragen habe, da er bei seinem hohen Alter beim Ueberschreiten des Fahrdammes hätte vorsichtiger sein müffen. Die Berhandlung hat ergeben, daß der alte Mann schou auf der anderen Seite der Straße war. Das Gericht aber war der Auficht, daß er trotzdem noch vorsichtiger hätte sein müssen. Bielleicht verbietet man demnächst in Rüdsicht auf die Automobiliffen den
alten Leuten überhaupt das Betreten der Straße.
Drei Zote und drei Schwerverletzte.
Der folgenschmere Autozufammenstoß am Kaiserdamm, der fich am 10. Auguft 1928 ereignete und drei Tote und drei Schmer perlegte zum Opfer hatte, beschäftigte die Verkehrsab teilung des Schöffengerichts Berlin- Mitte unter Borstz von Amtsgerichtsrat Marggraf. Angeflagt megen fahrläffiger Tötung und fahrlässiger Körperverlegung in Ausübung feines Berufes war der Verkaufsangestellte Schulz eines größeren Automobilgeschäfts am Kurfürstendamm . Er fuhr zum Zwecke der Brüfung mit einem Chevrolet- Wagen den Kaiserdamm entlang. Unmittelbar hinter der Kreuzung der Sophie- Charlotte- Straße hatte er einen Zusammenstoß mit einer entgegenkommenden Kraftbroschte. Zwei Infaffen seines eigenen Wagens und der Chauffeur der Droschte
Aluizio Azevedo
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Ein brand Manicher Mierchaus
५
Zulmira mar jezt beinahe dreizehn und ein typischer brasilianischer Badfisch. Dünn und bleich, leicht sommersproffig, erinnerte fie an eine Nachtblume oder an die fühle, wächferne Weiße einer Magnolie. Ihr Haar mar hell fastanienbraun, ihre Hände beinahe durchsichtig mit furzen weichen Nägeln wie die ihrer Mutter, und ihre Füße zierlich und fchlant. Sie hatte scharfe, gleichmäßige Zähne, und ihre Augen, das Bemerkenswerteste in ihrem Gesicht, waren groß und schwarz und abwechselnd funkelnd oder heimtückisch. Gerade um diese Zeit fam aus dem Innern des Landes der Sohn eines reichen Pflanzers, Mirandas besten Kunden, an, der den Jüngling der Obhut des Kaufmanns anvertraut hatte. Henrique war fünfzehn und wurde nach Rio de Janeiro gefchicht, um sich für die medizinische Laufbahn vorzubereiten. Miranda quartierte den jungen Mann bei seinen Bureau angestellten ein, die über dem Geschäft wohnten, aber das Studentchen fühlte sich dort so unglüdlich und unzufrieden, daß der Kaufmann, bemüht, es einem so wichtigen Gönner recht zu machen, feinen anderen Ausweg jah, als ihm in feinem eigenen Haus Gastfreundschaft anzubieten.
Henrique war ein sympathischer Junge, aber äußerst fcheu und von geradezu mädchenhafter Empfindlichkeit. Er ermies fich als fehr fleißig und als so bescheiden, daß er außer feinen täglichen Ausgaben nichts verbrauchte. Jeden Morgen verließ er das Haus mit Miranda, tam nach Schulschluß heim und blieb zu Hause, menn er die Familie nicht gerade auf Spaziergängen begleitete. Sehr bald überschüttete ihn Donna Eftella mit einer fast mütterlichen Bärtlichkeit und fümmerte fich um sein Taschengeld, deffen Höhe Miranda bestimmt hatte, ba ihm vom Bater in jeder Beziehung freie Hand gelassen morden war.
Er forderte niemals Geld. Benn irgendein Gegenstand geliraucht wurde, so beauftragte Dona Estella ihren Mann mit der Besorgung, und die Kosten plus einer schwankenden Kommissionsgebühr wurden dem freigebigen Bater ordnungsgemäß in Rechnung gestellt. Roft und Logis bildeten eine
untergeordnet sind, ist die Sozialversicherung, die sich auf alle im Bergbau beschäftigten Arbeiter und Angestellten erstreckt. Ihr obliegt die Krankheits-, Invaliden und Angestelltenversicherung( Unfallversicherung ausgenommen) und die Regelung der Knappschaftspensionen.
wurden getötet, während ein Fußgänger und die beiden Insassen der Kraftbroschte verlegt wurden. Als Grund für den Zusammenstoß gab der Angeklagte an, daß der Fußgänger ganz plöglich Dorfein Auto gekommen sei, so daß es den Anschein gehabt habe, als ob er sich in selbstmörderischer Absicht vor den Wagen geworfen habe. Der Zeuge selbst, ein 20jähriger junger Mann, bestritt die felbstmörderische Absicht und behauptete, daß er in ordnungsmäßiger Weise über den Fahrdamm gehen wollte und sich noch umgesehen habe, um die Entfernung der ankommenden Autos abzuschätzen. Die Zeugenausfagen widersprachen sich in vielen Punkten, mit Ausnahme der einen Tatsache, daß der Angeklagte übermäßig schnell gefahren ist. Mehrere erfahrene und langjährige Kraftwagenführer befundeten, daß der Wagen durch sein übermäßig schnelles Tempo und die Art, wie er sich durch das Publikum hingeschlängelt und andere Wagen überholt habe, aufgefallen sei. Ein Zeuge fagte fogar aus, daß er entfeht über das rafende Tempo gewesen wäre. Das Schöffengericht erblickte die Schuld des Ange tlagten darin, daß er über die Straßenfreuzung mit rafender Schnelligkeit, mindestens 60 bis 70 Kilometer, gefahren sei, so daß er nicht in der Lage war, bei einem auftauchenden Hindernis red zeitig auszuweichen. Das Urteil lautete gegen den Angeklagten auf
ein Jahr sechs Monate Gefängnis.
Der verschwundene Geheimrat.
Bon Angehörigen bes verfchallenen Geheimrats Beder vom Auswärtigen Amt wird uns mitgeteilt, baß entgegen anders lautenden Nachrichten feststeht, daß Geheimrat Beder am Freitag und Sonntag der vergangenen Woche in Friedenau gesehen worden ist. Aller Wahrscheinlichkeit nach scheine er sich nach wie vor in geistiger Verwirrung in Berlin aufzuhalten. Da die Er mittlungen der Kriminalpolizei bis jetzt zu feinem Ergebnis geführt haben, haben sich die Angehörigen des Vermißten dazu ent schlossen, für Personen, die Nachrichten zur Auffindung des Vermißten geben fömmen, eine angemessene Belohnung auszufezen.
monatliche Einnahme von zweihundert Milreis", über die der Pflanzer hätte stugen müffen, aber er überlegte wahr scheinlich, daß der Junge alle Bequemlichkeiten genoß und wie ein Sohn des Hauses angesehen und behandelt wurde. Hin und wieder gingen an einem schönen Abend Dona Estella und ihre Tochter, von Henrique und einem jungen Mulattendiener namens Valentin begleitet, am Strande und die wellige Küste Botafogos entlang spazieren. Und menn die Familie Miranda Besuche machte oder einer der vielen Gesellschaften beiwohnte, zu der sie geladen war, wurde der Jüngling nie zu Hause gelassen.
Bei den Mirandas diente ein junges Mulattenmädchen namens Izaura, ein dummes, gutmütiges Ding, das jeden Kupfer, den es in die Hände betam, für Süßigkeiten aus Romaos Lapen ausgab. Dann mar noch Leonar da, eine ichlante, biegsame, junge Negerin, der alle Schimpfworte zur Berfügung standen, die die portugiesische Sprache tennt. Dieser unvergleichliche Wortschatz machte Leonor zu einem gern gesehenen Gast in Joao Romans Wirtschaft, mo die Schreiber und sonstigen Kunden feine Gelegenheit vorüber gehen ließen und fie folange quälten, bis sie loslegte, fürchter lich zu fluchen anfing und schließlich jedesmal damit drohte, fie alle vor den Richter zu schleppen. Der dritte und legte ber Dienerschaft mar Balentin, Sohn einer Stlapin pon Dona Eftellas Familie, dem aber feine Herrin die Freiheit geschenkt hatte.
Bielleicht behandelte Mirandas Battin diefen jungen Mulatten mit einer Freundlichkeit, die an Ergebenheit grenzte, meil er ein Andenken an ihre Mädchenzeit war. Er hatte die denkbar größte Freiheit, befam immer Geld und Geschenke, trug immer gutfißende Kleider und esfortierte Dona Estella und die jungen Herrschaften stets auf Spaziergängen. So freundlich und fürsorglich behandelte ihn seine Herrin, daß Zulmira nicht selten eifersüchtig war, und in dem Streit, der unweigerlich zwischen der Tochter und dem Diener erfolgte, nahm die Mutter ftets die Partei des Mulatten. Auch sorgte die verliebte Herrin dafür, daß Valentin immer das Beste befam, mas es im Hause gab. Als er einmal an einem Nierenanfall ertranfte, ließ ihn Miranda ungeachtet der flehentlichen Bitte feiner Gattin ins Krankenhaus transpor tieren. Dona Estella weirde tagelang, meigerte sich Klavier zu spielen, sang nicht mehr und hatte für niemand ein Lächeln übrig. Um diesen täglichen Szenen vor den anderen Dienstboten ein Ende zu machen, gab Miranda lieber nach, und fieg
Frifierte Bauabrechnungen.
Gegen Stadtrat preindt vom Bezirksamt Lichtenberg fchwebt wegen verschiedener dienstwidriger Handlungen, die er sich als städtischer Beamter hat zuschulden kommen laffen, ein Disziplinarverfahren. Der Oberpräsident hat nunmehr den Regierungsbaumeister a. D. Stadtrat Preindl vom Amte suspendiert.
Das Bezirksamt Lichtenberg teilt dazu mit: Stadi rat Preindl hat mider besseres Wissen die Ueberschreitung der Bautosten für das Hallenbad Lichtenberg , das im Februar 1928 eröffnet wurde, dem Bezirksamt Lichtenberg nur mit 166 000 Mart gemelder während dieser Betrag tatsächlich um 57 000 Mart höher war. Auf Grund der falschen Angaben ist seinerzeit auch eine Nachtragsforderung in Höhe von 166 000 Mark an die städtischen Körperschaften abgegeben, die auch bewilligt wurde. In Höhe von 57000 Warf find also Rechnungen zurückbehalten worden. Die Schlußabrechnung über den Bau des Hallenbades ist dann so frisiert werden, daß sie mit der von den städtischen Körperschaften bewilligten Gesamtsumme abschloß, also wisfentlich unrichtig aufge stellt war. Der Grund für die Maßnahme ist offenbar darin zu suchen, daß Stadtrat Preindl die Höhe der lleberschreinig möglich, ſt niedrig erscheinen lassen wollte. Er hat den Stadtoberarchitekten zur Teilnahme an dieser Täuschung verleitet. Beide haben dann versucht, die fehlende Summe von 57 000 Mart durch) Ueberschreibung auf neue Bauprojekte wieder einzuholen. Gegen Stadtrat Preindl schwebt sowieso ein Disziplinarverfahren auf Dienstentlaffung wegen verschiedener dienstwidriger Handlungen, die er sich hat zuschulden fommen lassen. Preindl gehört der Zentrumspartei an.
Voruntersuchung gegen acht Personen.
Wegen der Schießerei in der Görlitzer Straße. Die Staatsanwaltschaft hat am Mittwoch die Eröffnung der Boruntersuchung gegen acht Personen beantragt, die unter dem Verdacht stehen, an der Schießerei in der Görlitzer Straße im Südosten Berlins in der Nacht vom 29. zum 30. Dezember v. J. Sie werden des schweren Landbeteiligt gewesen zu sein. friedensbruches und der Körperverlegung mit tödlichem Ausgang beschuldigt. dieser Sache der Tischler Barn, der Schlächter Ried, der Bader Sentbeil, der Mechanifer Olwig, der Arbeiter Berth und der Fleischergeselle Kobierowiti. Nach weiteren Tatverdäch tigen wird gefahndet.
In Haft befinden sich in
Jeder achte Berliner hat ein Telephon!
1930 Refordzunahme an Fernsprechanschlüssen.
Das Jahr 1929 hat eine über Erwarten große Ausdehnung des Berliner Fernsprechneges mit sich gebracht, vor allem weil am 1. Januar 1930 von der Boft eine Ermäßigung der Einrichtungs gebühren von neuen Anschlüssen stattgefunden hat und außerdem auf
Antrag Ratenzahlung gewährt wurde. In den ersten 11 Ronateit bes Jahres 1929 murben bereits girta 40 000 neue Anschlüsse in der Reichshauptstadt hergestellt. Ende November wurden von der Ober postdirektion Berlin 307 000 21 pparate gezählt, davon pparen 297 000 Hauptanschlüsse, 210 000 Nebenstellen. Es fomnit also un
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gefähr auf jeden 8. Berliner durchschnittlich ein Tefe phon. Zu Anfang des Jahres gab es girta 266 000 5 au p t und etwas über 200 000 Nebenanschlüsse. Infolge der 1928 sehr zeitig für 1929 bekanntgegebenen Erleichterungsbedingungen war damals. der Zuwachs schwächer; es sind 1928 mur zirka 22 000 Neuanschlüffe
hinzugekommen.
Die große Sporthalle in Köln , die Rheinland halle", die etma 8000 Besucher faßt, hat ihre Zahlungen eingestellt. Fast sämtliche Veranstaltungen in dieser Halle haben mit einem D fizit abgefchloffen.
reich fehrte Valentin zu der zärtlichen Pflege seiner liebe vollen Herrin zurüd.
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Es lebte noch jemand in Mirandas Hause, der alte Botelho, den man genau so gut gleich den Parasiten nennen ein armer alter Kerl nahe an fönnte( denn das war er) fiebzig, dessen unsympathische Eigenschaften ihm gründliche Unbeliebtheit eintrugen. Sein furzes weißes haar mar wie fein Schmurrbart und sein knapp geftugter Bart storr mie die Borsten einer Bürste; mager und leicht gebeugt, lief er um her mie ein alter Bogel, und diese Aehnlichkeit wurde noch durch eine Hafennase, auf der seine stahlgeränderte Brille saß, betont. Seine dünnen, schmalen Lippen öffneten sich über fämtlichen Zähnen, die farblos und so abgenugt maren, daß fie faft bis zum Zahnfleisch heruntergefeilt zu fein schienen, Er mar ftets schwarz gefleidet, trug einen runden, tief über die Ohren gezogenen Filzhut und rührte sich nie ohne seinen alten Regenschirm aus dem Haus.
In seiner Zugend hatte er in verschiedenen Bureaus ges arbeitet, mar später Sflavenhändler geworden und erzählte oft ausführlich von einer Afrifareise, die er einmal auf eigene Soften zum Kauf von Negern unternommen hatte. Er hatte fich auf die verschiedensten Spekulationen eingelassen, hatte mährend des Paraguayfrieges eine Menge Geld verdient, aber später hate ihn das Glüd verlaffen, und alles war ihm wieder durch die Finger geronnen. Enttäuscht und hilflos hing er als Greis ganz von Miranda ab, der einmal jein Kollege gewesen war und dessen Freundschaft er sich in frühe ren Jahren zufällig und später aus Notwendigkeit erhalten hatte.
Tag und Nacht von unversöhnlicher Bitterfeit- der tiefen Berzweiflung aller Besiegten und von einer ohn mächtigen But auf alles und alle verzehrt, brütete Botelho dauernd über der Tatsache, daß all seine alten Bekannten 3: 1 Wohlstand gekommen und nur seine eigenen zitternden und müden Hände leer geblieben waren. Und da sein Zustand erbärmlicher Abhängigkeit offene Feindschaft mit anderen Menschen nicht zuließ. machte er seiner üblen Laune dadurch Luft, daß er auf die Zeiten, die Sitten und die Veränderun gen, die alle, mie er behauptete, zum Schlechten waren, schalt.
So tam es häufig zu lebhaften Diskussionen an Mirandas Tisch, besonders wenn der Alte auf die Bewegung zur Aufhebung des Sflavenhandels zu sprechen tam und von dem unbilligen Rio Branco Gesez, das die fünftigen Kinder von ( Fortsegung folgt.). Stlaven frei erklärte, redete.