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BERLIN Sonnabend

11. Januar 1930

Der Abend

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Nr. 18

B9 47. Jahrgang

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Curtius bleibt im Haag.

Die Lage hat sich zugespitzt.- Keine Streitfrage gelöst.

Haag, 11. Januar. ( Amtlich.). Reichsaußenminister Dr. Curtius ftattete heute vormittag gegen

9 Uhr dem franzöfifchen Ministerpräsidenten Tardieu einen Besuch ab. Gleichzeitig hatte Reichsfinanzminister Dr. Molden­hauer eine Unterredung mit seinem franzöfifchen Ministerkollegen Chéron. Im Anschluß an diese Besprechungen, die etwa eine Stunde danerfen, wurden die Verhandlungen der sechs im Ausschuß für deutsche Reparationen vereinigten einladenden Mächte wieder aufgenommen.

Nachdem man ursprünglich mit einer besonders langen Dauer der Besprechungen gerechnet hatte, denen Snowden die Aufgabe hatte fezen wollen, die Bethandlungsgegenstände juristenreif" zu machen, wurden fie wider Erwarten bereits um 12 Uhr ( holländische Zeit) beendet.

Dr. Curtius hat endgültig darauf verzichtet, persönlich nach Genf zu gehen,

Da in der Sanktionsfrage in feiner heutigen Besprechung mil Tardieu ein Fortschritt nicht erzielt werden konnte, und heute nachmittag 5 Uhr eine neue Besprechung zwischen den beiden Dele­gationsführern angefeht werden mußte. Auch in den verschiedenen materiellen Fragen, die heute in der Sechsmächtefihung be­handelt wurden, fam es nicht zu einer Berständigung, im Gegen­teil hat sich der Kampf der Meinungen zugespiht.

V. Sch. Haag, 11. Januar. ( Eigenbericht.)

Schande der französischen Polizei.

Die Dirne als politische Zeugin- entlarvte Lockspitel.

Paris , 11. Januar. ( Eigenbericht.)

Die französische Polizei sucht mit allen Mitteln die Version aufrecht zu erhalten, als hätten die in Cannes in der Villa Fontamaria verhafteten Italiener ein Bombenattentat geplant. Sie hat jetzt eine Pro stituierte aus Nizza aufgetrieben, die sich zu der Aus­sage bereit fand, daß in der Villa mehrfach geheime Besprechungen stattgefunden hätten. Die radikale ,, Republique", die sofort einen Sonderberichterstatter an Ort und Stelle gesandt hat, erklärt heute aufs ent­schiedenste, daß die verhafteten Brüder Puddu und ihr Komplize Lusso nichts anderes als gemeine Ein­brecher seien. Kein italienischer Politiker der republi. kanischen oder der sozialistischen Parteien habe mit ihnen in Verbindung gestanden oder sei irgendwie kompromit. tiert. Mastrodonato endlich, der bei seiner polizei.. lichen Vernehmung erklärte, die italienische Liga für Menschenrechte habe um die Attentatspläne gewußt, sei ein faschistischer Lockspitel.

Kämpfe in Italien .

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Arbeiterrvolten. junger Sozialisten.

In der Sigung der Sechs, die nach einer Stunde wieder auf Abwehr des Terrors. Arbeiterrvolten. flog, soll Snowden in einer energischen Rede seine Enttäu. fchung darüber geäußert haben, daß die Deutschen keine definitiven und annehmbaren Vorschläge unterbreiteten.

Jaspar ist inzwischen als Vermittler wieder in Tätig feit getreten mit dem Ergebnis, daß die deutsche Delegation ver sprochen hat, unverzüglich neue Vorschläge zu unterbreiten, die gegen 1 Uhr mittag überreicht werden sollen. Ueber diese Bor­fdläge werden nun die sechs einladenden Mächte in einer neuen Konferenz am Nachmittag zusammentreten.

Auf beiden Seiten herrscht eine gereizte Stimmung.

St. Lorenzen vor Gericht.

Nur ein Sozialdemokrat angeklagt- der erste Heimwehrs zeuge verjagt.

Wien , 11. Januar. ( Eigenbericht.)

In Graz begann vor dem Schöffengericht der Prozeß wegen der Borgänge in St. Lorenzen( Steiermart). Dort war es zwischen den Ungehörigen des Republikanischen Schuhbundes und der Heim­wehr im Sommer zu schweren Zusammenstößen gekommen. Es gab einen Toten und mehrere Schwer- und Leichtverletzte. Als ein­3iger Angeklagter steht merkwürdigerweise nur der sozialdemokra­fische Arbeiterfekretär Ludwig Toesch vor dem Gericht. Die An­flage gegen ihn auf Grund von Angaben der Heimwehrleute lautet, daß er sich schwerer Körperverletzung schuldig gemacht habe. Bon den Heimwehrleuten ist niemand angetlagt, ob­wohl sie in Wirklichkeit die Zusammenstöße heraufbeschworen haben. Nicht nur in fozialdemokratischen, sondern auch in bürgerlichen Kreisen hat die einseitige Aufbürdung der Schuld an den Zusammen­ftößen auf die Sozialdemokraten lebhaftes Befremden hervor­gerufen.

Die Borgänge in St. Corenzen find noch in guter Erinnerung: es follte in einem Gartenlokal ein Gründungsfest der sozial­demokratischen Organisationen stattfinden; es stellten sich jedoch auch etwa 1500 Heimwehrleute ein. Toesch wird beschuldigt, zu Beginn des Kampfes, der durch ein Steinbombardement der Sozialdemo­traten entfeffelt worden sei, mehrere Revolverschiffe abge­geben zu haben. Er bestreitet, überhaupt einen Revolver beseffen zu haben. Der erste Zeuge, Heimwehrmann Schebel, hatte in der Boruntersuchung angegeben, er habe gesehen, daß Toesch einen Re­volver in der Hand gehalten habe. Jetzt erklärte er vor Gericht, daß er andere Aussagen machen müsse, da er unter Eid aussage. Daraufhin betonte der Staatsanwalt, es fei unverantwortlich, mif der Ehre eines anderen Menschen in so leichtfertiger Weise umzu­gehen. Er müffe fich Schritte gegen den Zeugen vorbehalten. Auch andere 3eugen erklären mit Bestimmtheit, sie hätten nicht ge­jeben, daß der Angeklagte einen Revolver in der Hand hielt.

Aus Italien wird uns berichtet:

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sondern nach Ravenna verbracht zu werden, um so außer Reichs weite aller Anschläge der Faschisten Faenzas zu sein.

Fast zur gleichen Zeit erhoben sich die Arbeiter in verschiedenen Fabriken Turins und Mailands gegen die Drohung von Massenkündigungen und Lohnabbau. Um dem Weitergreifen der Be­wegung vorzubeugen, mußten sich die Fiat Werke in Turin verpflichten, allen ihren Arbeitern den ganzen Winter hindurch wenigstens den Lohn für fünf Arbeitstage pro Woche zu zahlen, In Mailand nahmen die Arbeiterunruhen in den Bredea= Werken und ganz besonders in den Fabriken von Miani und Silvestri eine sehr ernste Wendung. Die beiden letzteren Fa­briken, die in der Transportmittelproduktion an erster Stelle stehen, hetten beschlossen, ihre technische Organisation umzustellen und auf einen Schlag eineinhalbtausend Arbeiter zu ente lassen. Man rechnete mit ihrem ergebenen Gehorsam. Aber

in den Fabriken Miani und Silvestri brach eine Revolte aus. Die Frauen mischten sich ein. Weder Miliz noch Carabinieri reichten aus,

man war gezwungen, Kavallerie einschreiten zu lassen. An dieser Stelle hören die Nachrichten auf; die Angelegenheit hat sicher eine weitere Entwicklung genommen. Diese spontanen Bewegungen der Arbeitermasse sind nicht ohne Rüdwirtung auf die italie= Heldentaten nische Jugend geblieben. Der Sozialist Alessandro Pers tini gehört zu jenen, die Filippo Turati auf seiner romantischen Flucht im Motorboot begleiteten. In Italien hatte er glänzend sein Doktoreramen in Rechts- und Staatswissenschaft bestanden, aber in Frankreich arbeitete er als Baumaler, um beffer in die Arbeiter­schaft eindringen zu können. Er ließ sich unweit der Grenze nieder und es gelang ihm, die Verbindung mit einigen italienischen Gruppen aufrechtzuerhalten.

Ein Republikaner, namens Denati, der zu der Ueberzeugung gelangt war, daß ein bestimmter Faschist seinen Bruder unschuldig hatte verurteilen lassen, begann damit, den Faschisten dessen öffentlich zu bezichtigen; da nun sein Gegner der Meinung war, er könne ihm auf faschistische Art antworten, zog der Republikaner seinen Revolver und tötete ihn. Der Mörder hatte sich in einem von der Familie Sangieri anerkannten Sozialisten gehaltenen Bauerngut ver steckt und da glaubte die Faschistenjugend sich eine Expedition er­lauben zu dürfen, um dessen Bewohner zu züchtigen.

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Es fam zu einer regelrechten Schlacht: acht Faschisten wurden verletzt, die ganze Truppe mußte flüchtend das Feld räumen. Die Miliz wurde aufgeboten, aber auch das war erfolglos. Daraufhin wurden die Carabinieri( Gendarmen) zum sozialistischen Bauerngut entsandt. Und die gleichen Leute, die ihr Haus gegen die Faschisten verteidigten, ergaben sich, nachdem sie in den Unter handlungen erreicht hatten, nicht nach den Gefängnissen von Faenza ,

Als er sich überzeugt hatte, daß eine Reise nach Italien die von ihm gewünschten Ergebnisse zeifigen würde, reifte er. Schon auf dem Rückweg wurde er erkannt und von einem seiner Landsleute verraten. Aber die Aufgabe war bereits erfüllt. Vor dem Ausnahmegericht hat er nichts verheimlicht, weder seine Ab* fichten, noch seine Hoffnungen, noch seinen 5 a ß gegen das Regime. Dadurch, daß die Faschistenpresse berichtete, daß sein Auftreten ein ,, verächtliches und zynisches" war, hat sie seiner Haltung die ge­bührende Ehre erwiesen. Aber das Gericht hatte nicht den Mut, ihn zur Höchststrafe zu verurteilen man warf ihn auf zehn Jahre in den Kerfer. Aber schon gehen andere junge Genossen, die die Jugend in Schulen und Fabriken aufrütteln, denselben Weg.

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Republikanischer Studententag

In Berlin wurde die Tagung des Deutschen Studentenver­bandes im Beisein des Reichs­minifters Severing eröffnet. 20 000 republikanische Stu­denten find durch Delegierte vertreten.