!0eilo£e Donnersfag. 16. Januar 1930
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Was wiflcn wir vo« unsere« Kindern? Wenn Kinder so leicht zu durchschauen wären wie es den Anschein hat. dann hät!«n sich nicht bis m die neuest« Zeit hinein so grundfalsche Anschauungen und Meinungen vom kindlichen Wesen erhalten können. Was dessen Studium anscheinend so leicht macht, ist die Unbefangenheit und darum Durchschaubarkeit des Kindes. und auch das gilt doch nur für das Kleinkind. Was dagegen das Verständnis erschwert und darum zu oft verhängnisvollen Irrtümern in der Behandlung der Kinder führt, das ist die Schwierigkeit für den Erwachsenen, stch in das kindliche Denken und Fühlen hin«in- zuversetzen, kindliche Art zu begreifen. Von austen gesehen zeigt das Kind dieselben Züge und Fähig- leiten wie der Erwachsene: es beobachtet, denkt, hat Gedächtnis, Phantasie, zeigt Liebe und Abneigung, freut sich und leidet. Zwar nicht in dem Grade und der Tief« wie der reife Mensch, aber im Grunde ist es doch dasselbe. So kommt man auf den Gedanken, das Kind als einen kleinen unentwickelten Erwachse- nen zu betrachten und— zu behandeln. Wir sollen nicht lügen, das Kind auch nicht.' Wenn w i r lügen, dann geben wir ein Er- dichtetes für die Wirklichkeit aus; das ist«in Unrecht, weil wir sehr wohl das eine vom anderen zu unterscheiden wissen. Aber das Kind kann das nicht. Das Kind ist lang« Zeit ein Wach- t r S u m e r: Traum und Leben, Schein und Wirklichkeit fließen bei ihm ineinander. Seine wach«, lebhafte Phantasie spiegelt ihm ein Leben vor. das ihm vielleicht wirklicher ist als das wirkliche Leben selbst. Darum ist es auch Einflüsterungen, der Suggestion. so zugänglich, darum erlebt es die Märchen. So kommt es. bist Ihm Wahrheit und Unwahrheit lange Zeit leere Worte bleiben. Das hat der Dichter Jean Paul einmal so ausgedrückt:„In den ersten fünf Iahren sagen sie kein wahres Wort und kein lügendes: sie reden nur." Die moderne Strafrechtspflege hat aus dieser Erkenntnis auch schon die Folgerung gezogen, indem sie kind- liche Zeugenaussogen sehr vorsichtig bewertet. Mit alledem soll nun natürlich nicht gesagt sein, dast man nun ruhig das Kind das Blaue vom Himmel herunt«rlügen lassen soll. Nein, man soll dem Kind, wo es nur möglich ist, di« Unrichtigkeit einer Behauptung nachweisen, damit es Wahrheit und Unwahrheit unterscheiden lernt. Aber etwas anderes ist es mit der Beurteilung seiner Un- Wahrhaftigkeit; dies« ist weder böse noch schlecht, sie ist einfach kindlich. Kindlich ist auch seine sogenarmt« Moral. Wir nennen «inen Menschen moralisch, der sich den Forderungen und Gesetzen der Gemeinschaft fügt. Das wird einmal durch die Entwicklung des sozialen Gefühls, zum anderen durch die Beherrschung des Trieb- lebens durch di« Vernunft erreicht. Nun ist aber das Kind von Natur ein Ich wesen, ein Egoist; das soziale Gefühl entwickelt sicki langsam und verhältrrismästig spät. Andererseits steht es völlig unter der Herrschaft seiner Triebe und Affekt«: die kühle Vernunkt gewinnt noch langsamer als das sozial« Gefühl Macht über seine Instinkt«. Darum h ö r t das Kind sehr wohl unser« Hundertelei Ge- und Verbote: du mußt brav sein, du mußt hübsch fölgeii: das darfft du nicht tun, das mußt du tun— es Hai auch vielleicht den guten Willen, artig zu sein, mir nicht die Kraft dazu. Es wird darum auch lange nicht einsehen, dast es„böse" ist. Um es kurz zu sagen, das Kind ist noch keine sittliche Persönlichkeit. Gut ist ihm, was ihm angenehm ist, bös«, was ihm Schmerz bereitet. Nun sind wir natürlich fest davon überzeugt, daß solche Auf- fassungen für älter« Kinder nicht gelten. Mit unseren„er- wachscnen" Kindern können wir doch vernünftig reden; sie reden sa auch vernünftig. Gewiß! Sie gebrauchen die Worte, di« sie von uns gelernt haben. Ob si« aber auch immer die Gedanken damit verbinden, die wir haben? Vor ungefähr 15 bis 20 Iahren hat ein Berliner Schularzt einigen tausend Fortbildungsschülern und anderen jungen Leuten im Alter von 14 bis 18 Iahren die Frage vorgelegt:„Warum ist Stehlen oerboten?" Der größte Teil der Jüngeren gab die Antworten:„Weil es oerboten ist."„Weil man bestraft wird, wenn man erwischt wird."„Weil man der Familie Schande macht."— Auf di« moralisch« Ver- werfllchkeit des Diebstahls, auf seinen antisozialen Charakter, sind nur wenige gekommen— trotz eines.intensiven achtjährigen Religionsunterrichts. Also fehlt diesen Jugendlichen das sittliche B e w u ß t s e I n. das uns den Diebstahl verwerflich macht. Daraus zog der betreffend« Schularzt den Schluß, daß man solche Jugend- liche noch gar nicht für ihre Taten verantwortlich machen könne. daß darum di« Strafmündigkeit vom zwölften Lebensjahr minde- stens aus das fünfzehnte heraufgesetzt werden müsse. Eine praktische Folge dieser neuen Erkenntnisse sind auch die Jugendgerichte. welche die Möglichkeit geben, die Jugendlichen nach ganz anderen Grundsätzen und mit ganz anderen Mechoden zu behandeln als die Erwachsenen. Ueberhaupt ist der Jugendlich«, also der reisende junge Mensch in der Zeit der Geschlechtsreise, der sogenannten P u b e r- t ä t, ein psychologisches Rätsel. In dieser Zeit schwindet vor allem die kindliche Unbefangenheit, vor allem vor Eltern und Erziehern. Ihnen begegnet er mit Mißtrauen, weil er erkennt, daß sie„andere Menschen" sind, di« ihn gar nicht verstehen. Um so mehr erschließt er sich seinen Altersgenossen. Mit diesen schließt er schwär- merische Freundschaft: unter ihnen sucht er sich seine Vorbilder, während er Eltern und Lehrer offen ablehnt. Sie sind die Rück- ständigen, mit denen meistens nichts anzufangen ist. Daher die Konflikt« zwischen Eltern und Kindern in dieser Zeit. Und doch zeigt der Jugendliche gerade in dieser Zeil ein Gesicht, das in viel- facher Hinsicht nicht sein wahres ist. Die berüchtigte Flegel» h a f t i g k e i t ist nur zu oft di« Maske für die innere Unsicher- h e i t: die Großmäuligkeit meistens nur die Sucht, ein« Rolle zu spielen: etwas zu gelten, was man noch gar nicht ist. Es sind Uebergangserfcheinungen, die. wenn das Kind sonst nicht dies« Züge gezeigt ha», mit der Zeit verschwinden werden. Man braucht si« darum nicht tragisch zu nehmen, und man begegnet ihnen am besten mit gelasiener Ruhe und Festigkeit. Wenn wir heut« eine wesentlich vertiefter« Kenntnis vom Kinde und Jugendlichen haben als die vorhergehende Ellern , und Erzieher- generation. so verdanken wir das der emsigen, eindringlichen Arbeit von Aerzten, Psychologen und Pädagogen in der ganzen Kulturwell. Sie haben eine völlig neue Wisienschaft vom Kinde und Jugend- kichen, die Iugendkunde. geschassen. Wer Kinder verstehen will, kann an deren Lehren nicht vorübergehen. Aber damit ist «s noch nicht getan. Jedes Kind ist ein Fall für sich. Man muß es verstehen, die Wisienschaft vom Kinde zu individualisieren, d. h auf den Einzelfall anzuwenden. Dazu gehört Scharfsinn. Geduld. vor allem aber Zell und Lieb«, viel, viel Li«b«. Dr. kl. Stern.
Hochschullehrer««» Staat
4km« zeitgemäß« Erinnerung
Der Hochschullehrer Professor Julius Schaxel - Jena be- müht« sich an dieser Stell« mit großem Eifer um die Hebung der Universitäten, um ihre Erfüllung mit neuem Geist, welcher an der Zukunstsgestoltung unseres Volkes freudig mitarbeitet. Lebhaft wecken diese Bemühungen die Erinnerung an unseren am 10. Oktober 1919 verstorbenen Genossen, den Berliner Physiker Leo Arons , der, ein weißer Rabe unter seinen Kalle- gen, schon in der Zeit des Sozialistengesetzes sich der Partei an- schloß und für sie wirkte. Wenn heute an die Hochschullehrer die selbstverständliche Forderung gestellt wird, sich zum mindesten in ihrer amtlichen Betätigung jeder Beschimpfung der Staatsform und der Träger der staatlichen Autorität zu enthalten, so schreien sie über Terror und Eingriff in die akademische Freiheit. Arons konnte unter dem zugrundegegangenen Regime nichts anderes zum Vorwurf gemacht werden als seine sozialdemokratische Ge- I i n n u n g und seine Werbetätigkeit für di« Partei. Selbstverständlich betrieb er sie nicht in seinen Vorlesungen, dort behandelte er physikalisch« und mathematische Problem«, und di« waren damals so wenig wie heut« monarchisch oder republikanisch, kapitalistisch oder sozialistisch diese Probleme bieten keine Gelegen- heit, für bestimmte wirtschaftliche und gesellschaftliche Anschauunzen zu werben. Aber s«ine staatsbürgerliche Freiheit ließ sich Arons nicht nehmen, er verbarg nie seine sozialistische Gesin- nung und nahm das Recht für sich in Anspruch, für die Partei wer- bend tätig zu sein. Von der philosophischen Fakultät wurde er wegen seiner wissen- schaftlichen Bedeutung und seiner besonderen Lehrbegabung wieder- Holl für«ine Professur vorgeschlagen, doch lehnte das Ministe- r i u m es stets ab. ihn zu berufen, es legte der Fakultät vielmehr nahe, ihn aus seinem Lehramt— er war Prioaldozent— zu entfernen, well ein Sozialdemokrat dem Lehrkörper der Universität nicht angehören dürfe. Dem wiederholten Drängen des Ministe- riums gab di« Fakultät endlich insoweit nach, als sie zwar betonte, wegen seiner politischen Gesinnung schreit« sie nicht gegen ihn ein, aber sie konstruierte doch, daß er bei seiner Werbetätigkeit für die Partei Aeußerungen gemacht habe, die allenfalls mißverstanden werden könnten und erteilte ihm eine Verwarnung. Nun griff die Regierung, da di« Fakultät nicht willfährig genug war, zu anderen Mitteln. Sie brachte einen Gesetzentwurf an den Landtag, den sie«zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Privat- dozenten" nannte und im Landtag mit gewohnter altpreußischer Heuchele! damit begründete, di« Privatdozenten müßten vor der Willkür der Fakultäten geschützt werden. Dieses Gesetz, welches der nach dem Dreiklassenwahlrecht gewählte Preußische Landtag gehör- sam apporti«rte, gab der Regierung das Recht, unabhängig von der Fakultät ein Verfahren gegen einen Privatdozenten einzuleiten und macht« das Ministerium In diesem Verfahren zur Berufungsinstanz gegen das Urteil der Fakultät. Nunmehr wurde das Disziplinarverfahren gegen Arons auf Veranlassung des Staatsministeriums eröffnet; aber mit seltener für das Ministerium unerwarteter Freimütigkeit erklärte di« Fakullät noch einmal mit aller Deutlichkeit, daß si« die politische Gesinnung ihrer Mitglieder nicht prüfe und aus ihr keinen Anlaß zum Einschreiten entnehmen könne, sie spreche daher Arons frei. Nun konnte der vom Ministerium ernannte Staatsanwalt auf Grund des Gesetzes— man nannte es allgemein treffend �Lex Arons— Berufung beim Ministerium einlegen, und in der erneuten Der- Handlung vor dem Staatsministerium wurde Arons zur Eni- fernung vom Lehramt verurteilt, und mit brutaler
Offenheit wurde in der Urteilsbegründung erklärt, daß«r durch die Betätigung seiner sozialdemokratischen Gesinnung sich des Vertrauens unwürdig gezeigt Hab«, welches das Lehramt erfordere. Trotz dieser Erfahrung verlor Arons seinen freudigen Optim:»- mus nicht, die philosophische Fakultät hatte sich ja auch besser ge- halten, als man nach ihrem ersten schwächlichen Nachgeben bei der Erteilung eines Verweises erwarten konnte. Arons war«rfüllt von einer ungemeinen Hochatung vor geistiger Bedeutung, auf welchem Gebiete sie sich auch zeigt«, und von einer hohen Auffassung der Aufgaben der Universitäten und der Universitätslehrer, er lebte des Glaubens, die wissenschaftlich hervorragendsten Köpfe müßten auch bei der lebendigen und ständigen Fortentwicklung des Volkes die Führung übernehmen. In dieser Ueberzeugung richtete er gleich nach der Staatsumwälzung, am 11. November 1919, von seinem Krankenlager— er war damals bereits längere Zeit schwer trank— einen offenen Brief an Rektor und Senat der Berliner Universität, worin er sie auffordert«, einen Hochschultongreß in Berlin zusammenzuberufen, zu dem auch die geistigen Kräfte des praktischen Lebens herangezogen werden müßten. Hauptgegen- stand der Beratung sollte sein: Wie können die geistigen Kräfte der Nation am besten für die Neugestaltung von Groß- Deutschland nutzbar gemacht werden? Als unerläßliche Be- dingung für die Zulassung zu dem Kongreß war in dem Brief ge- sagt:„Als Vertreter dürfen nur solche Männer und Frauen ge- wählt werden, die erklären, sich ganz auf den Boden der deutschen Republik zu stellen." Es wird wohl nur wenige überraschen, daß der Kongreß nicht zustande kam. Zwar erhielt Arons eine große Zahl freudig zustim- mender Erklärungen, vor allem aus den Kreisen der Prioatdozenten, aber auch von manchen hochbedeutenden Professoren. Im ganzen jedoch rechtfertigte der weitere Verlauf der Angelegenheit die M-i- nung«ines Mannes, der den Vorschlag ablehnte und zur Begrün- dung an Arons schrieb:„Die Professoren haben in diesem Kriege zur Evidenz gezeigt, daß man von ihnen in politischen Dingen nichts lernen kann, daß«s dagegen dringend not tut, daß sie eins lernen, nämlich: Maul halten!" Wir begehen wohl keine Indiskretion, wenn wir den Namen dieses Mannes oerraten, den Arons einen der berühmtesten deutschen Professoren nennt; es war Albert E i n st e i n, der seine Ersah- rungen in diesem lapidaren Satz niederlegte. Arons ließ sich freilich in seinem Idealismus nicht beirren und wirkte weiter für die Idee, die Universitäten zu ihrer Pflicht anzuhalten,„ihre Kräfte", wie er bei der Herausgabe seines offenen Briefes und des wichtigsten Teils des sich anschließenden Brief- Wechsels sagt,.„ganz in den Dienst der neuen Entwicklung von Groß- Deutschland zu stellen, nicht durch Redenhalten, sondern durch«rnste Mitarbeit". Die Entwicklung der Urliverfltäten in den seit Arons' Tod verflossenen zehn Iahren hat nicht dazu geführt, Arons' hohe Mei- nung von ihnen zu rechtfertigen, die Hochschullehrer blicken zum großen Teil auch heute in die Vergangenheit statt in die Zukunft. Um so mehr muß es Aufgabe des Staates sein, daran zu arbeiten, sie mit neuem Geist in Arons' Sinne zu erfüllen, sonst wird sich zwischen ihnen und den lebendigen Kräften des Volkes eine Kluft auftun oder vielmehr die bestehende noch erweitern, wodurch sie schließlich zum Absterben verurteilt werden, während doch gerade die in ihnen vorhandenen geistigen Kräfte in lebendigster Berührung mit dem Volksganzen bleiben müssen. Dr. Lruno Uorcbsrät.
Schule am Meer Von einer Mutter wird uns geschrieben: Di« Rütli-Schulen in Neukölln bestehen aus drei Schulen. In einer von diesen nahmen sich die Lehrerschaft und die Eltern vor, sämtlichen Klassen zu einem Landschulaufenthall zu verhelfen. Weil kein eigenes Heim vorhanden ist. wurde das G e r h a r t- Hauptmann-Iugendheim bei dem Ostseebad Sellin auf Rügen von Mai bis September gemietet. Der Ferienmonat Juli war natürlich ausgeschlossen. Ein halbes Jahr vorher ging's lustig ans sparen heran. Jedes Kind bekam eine Sparkarte; der Lehrer kassierte die wöchent- lichen Spargelder ein. die zu der K o n s u m s p a r k a s s« gebrach: wurden. Als es soweit war, wurde die Schule in Gruppen ein- geterll; immer zwei Klassen, manchmal auch drei, zogen auf nicht ganz drei Wochen hinaus an die See. Von jeder Klasse kamen zwei bis drei Mütter mit, um das Essen zu kochen und das Heim sauber zu hallen. Si« hatten gewiß nicht über wenig Arbeit zu klagen. Sämtliche Mahlzeiten setzte man schon vorher fest, so daß wir die Kolonialwaren vorher bei der Konsum- genossenschaft bestellen konnten, mit der wir dann auch sehr zufrieden waren. Schon Ansang Mai reiste die erste Gruppe ab. Si« mußte allerdings die Zentralheizung in Tätigkeit setzen. Ans Baden war gar nicht zu denken. Di« Kinder kamen froh und munter wieder heim. Unsere Gruppe setzte sich aus drei Klassen zusammen, sieben- bis neunjährige Jungen und Mädchen, ein lustiges Volk. Ich habe nicht ein einziges Kind Trübsal blasen sehen, dazu hatten sie eben gar keine Zeit. Immer wieder hörte man aus Kindermund sagen:„Ach, hier ist es so schön, ich möchte gar nicht mehr weg." Selbst solche Kinder, denen die Eltern allerlei ver- sprachen hatten, wenn si« zurückkommen, dachten nicht an di« Heimreise. Gerade für diese sieben- bis neunjährigen Kinder ist es sehr wertvoll, wenn sie mit ihren Lehrern einige Wochen im Landschul- heim vübringen können. Hier kommt erst die Natur der Kinder zum Durchbruch. Der Lehrer findet hier die Zeit, stch mehr in jedes einzeln« Wesen zu vertiefen, dadurch kann er mehr m die Kinderseelen schauen, die ihm ja auf einige Jahre anvertraut sind. Das Verhältnis zuoinander gestaltet sich viel inniger, sie sind einer auf den anderen angewiesen. Der Gemeinschaftssinn, von dem di« Kinder ja viel mehr aufbringen könnest als die Erwachsenen. kommt hier zur praktischen Anwendung. Weich am Morgen nach der ersten Nacht war ich erstaunt, w i e
ruhig di« Frühaufsteher sich in ihren Betten verhielten, um nicht die anderen zu wecken. Abends war es das gleiche, machte erst einer den Anfang einzuschlafen, so hatte man bald ein ruhiges Zimmer. Hatte einer irgend etwas vergessen, gleich waren mehrere da, die auszuhelfen wußten. Mit allem, was da kreucht und fleucht und sprießt, wurde Freundschaft geschlossen. Di« Mistkäser mußten wir abends aus den Betten entfernen. Di« Konserven- büchsen reichten nicht aus, um all die Blumen aufzunehmen, die da gepflückt wurden. Holz wurde so viel gesammelt, daß wir oft bitten mußten, aufzuhören, weil wir nicht mehr an die Kohlen herankamen. Die Knirpse, die in Berlin keinen Film von Tom Mix ungesehen lassen, hatte man bald heraus. Sprang uns irgend- «in Reh über den Weg, gleich war es ein Räuber gewesen. Oft fiel ihnen eine Gruppe niedriger Tannen im grünen Laubwald düster ins Auge, da saßen dann ganz bestimmt Räuber dahinter. Einmal konnte ich einen Jungen beim Spiel mit Mistkäfern beobachten. Er baute ihnen aus Seesand ein« Rutschbahn, natürlich rutschten sie ganz unbeholfen hinunter, aber er meinte:„Ihr müßt das doch begreifen." Ein Käfer sing ganz unglücklich zu humpeln an. Der Junge:„Ach, mit dir muß ich wohl zum Arzt gehen: brauchst keine Angst zu haben. Onkel Doktor tut dir nichts, aber vorher bekommst du noch ein Brausebad." Er ließ nun den Sand ganz fein auf den Käfer hinunter rieseln, dann drehte er sich um und war mit dem Käser auch schon beim Arzt:„Ach, guten Tag, na, wo hast du denn dein Wehwehchen, du schwarzer Mohr? So, die�Beine, na dann zeig mal her." Er drehte den Käser um und dann ganz erstaunt:„Ach, du hast ja sechs Beinchen, wo hast du denn die her?" Zwei Kinder, die dieses Spiel ruhig mit anhörten. fingen nun unbändig zu lachen an und aus war es mit dem schönen Selbstgespräch. So vertieft ins eigene Spiel können doch nur Kinder sein, wenn sie sich wohlfühlen und das war ja unser« größte Freude. Dank der Hausordnung hatten auch wir Mütter alle zwei Tage 2 bis 3 Stunden freie Zeit, die wir natüykich bei schönem Wetter an der See verbrachten, um uns von den Küchenstrapazen zu er- holen. Uebrigens möchte ich behaupten, daß unter uns zehn erwachsenen Personen mehr M« i n u n g s v e r s chi«- denheiten herrschten als unter den sechzig Kindern, die wir zu betreuen hatten. Aber da sich keiner scheute, irgendeine Verantwortung zu übernehmen und da alle ihre Pflicht taten. wurde alles wieder in gut« Bahnen gelenkt. Krankheitsfälle hatten wir in den ganzen Gruppen n i ch t zu verzeichnen. In schul- tschnischer Hinsicht mag so ein Unternehmen nicht immer angenehm sein. Aber das körperliche und seelische Wohlbesinden uns«"- Kinder dürste wohl ausschlaggebend sein.