Der Polenvertrag.
Die Entschädigungsfrage vor dem Ausschuß.
Die vertrauliche Beratung der beiden Ausschüsse für die auswärtigen Angelegenheiten und den Reichshaushalt über die politische Seite des deutsch - polnischen Liquidationsabtommens wurde am Sonnabend gegen Schluß der Sigung unterbrochen, um dem Reichsfinanzminister Dr. Moldenhauer Gelegenheit zu geben, sich in öffentlicher Sigung über die finanziellen mit dem Problem verbundenen Fragen zu äußern. Diese Fragen liegen äußerst verwidelt. Wesentlich aus der Erklärung des Ministers ist,
daß allen Personen, auf deren Ansprüche Deutschland in dem Abkommen verziájtet hat, eine ausreichende Entschädigung gewährt werden soll.
Diese Personen sollten nicht schlechter gestellt werden, als sie ständen, wenn das Abkommen nicht geschlossen worden wäre und sie ihren Anspruch vor dem deutsch - polnischen Schiedsgericht hätten durch fechten müssen. Die Entschädigung fann jedoch im Hinblick auf die ungünstige Finanglage des Reiches nicht in bar, sondern nur in Schuldverschreibungen gewährt werden. Es liege in diesem Abkommen ein sehr erheblicher Unterschied gegenüber den Liquidationsgeschädigten, die auf Grund des Versailler Bertrages ihre AnSprüche verloren haben und mit diesen ihren Ansprüchen an das Reich verwiesen worden sind. Aus der Stellungnahme gegenüber den Poengeschädigten tönne daher ein Rückschluß auf die Fäile der Liquidationsgeschädigten nicht gezogen werden, da die letzteren Fälle vollkommen anders liegen
Nach dem Minister sprach das Zentrum durch den Abg. Ulihka den Wunsch aus, daß eine Entädigung all derjenigen Reichsangehörigen eintreten möge, die durch die verschiedenen politischen Ereignisse im Osten Schaden erlitten haben.
Abg. von Lindeiner- Wildau( Chr. Nat. Arbeitsgemeinschaft) begründete eine Entschließung, in der die Reichsregierung ersucht wird: 1. die Beiträge, die an dem für die Durchführung des Kriegsschädenfchlußgefeßes in Aussicht genommenen Entschädigungsfapital von 1388,1 Millionen Reichsmart gespart werden, 31= gunsten der Liquidations- und Gewaltgeschädigten zu verwenden, wobei insbesondere die Entwurzelten und wiederaufbauenden Ge schädigten berücksichtigt werden sollen, deren Wiederaufbau durch die Umstände des Einzelfalles, insbesondere auch durch die Art der Entschädigung bisher verhindert oder erheblich beeinträchtigt worden ist;
2. Richtlinien für die Verwendung des lleberschusses aufzustellen und dem 18. Ausschuß des Reichstags vorzulegen. Von den Fraktionen des Zentrums, der Deutschen Boltspartei, der Bayerischen Boltspartei, der Demotraten und der Wirtschaftspartei ging ein Antrag ein, der den entscheidenden Entschädigungsparagraphen des Gesetz entwurfes in folgender Weise geändert haben will:
Reichsangehörige, die durch die deutsch - polnische Ueberein funft( Artikel 1 Nr. 3 dieses Gefeßes) einen unmittelbaren Bermögensnachteil erleiden, erhalten eine ange meffene Entschädigung. Hierbei dürfen die Geschädigten nicht schlechter gestellt werden, als wenn die Entschädigung nach den für die bisherige Rechtsinstang maßgebenden Rechtsnormen festgestellt worden wäre. Die Entschädigung wird als verzinsliche Forderung in das Reichsschuldbuch eingetragen Die näheren Borschriften über die Höhe der Berzinsung und Amortisation der Reichsfuldbuchforderung erläßt der Reichsminister der Finanzen mit Zustimmung des Reichsrats und nach Anhörung eines Aus.
schusses des Reichstages.
Die Deutsch nationalen wandten fich in einem Antrag dagegen, daß über Arf und Umfang der Entschädigung ein Ausschuß Des Reichstags mur gehört werden solle, und verlangter in einem Antrag die Worte ,, nach Anhörung eines Ausschusses des Reichstags" zu ändern in unter Zustimmung des Reichstags" Schließlich ver. langten die Deutfcnationalen noch, in die Präambel des Gefez. entwurfs die Einfügung der Worte nach Erfüllung der Barausfegungen verfassungsändernder Gesetzgebung". da sie im Gegensatz zur Regierung den Standpunkt vertreten, daß das Liquidations abtommen verfassungsändernden Charakter habe.
Die weitere öffentliche Beratung über die finanziellen Fragen und die gestellten Anträge wurde in der Montagssigung fort. geführt, in der neben Regierungsvertretern zahlreiche Abgeordnete der bürgerlichen Parteien das Wort ergriffen. Von den Abgg. Dr. Böhler( 3.) und Laverreuz( Duat.) wurde betont, die von der Regierung vorgenommene formale Trennung werde nichts daran ändern tönnen, daß die neue Regelung der Polenschäden auch die übrigen Geschädigten veranlassen werde, nun ihre durch das Kriegsschädenschlußgesez abgegoltenen Ansprüche wieder anzumelden. Bu einer Abstimmung fam es nicht, ba in geheimer Sigung die politische Seite des deutsch - polnischen Abkommens wetter per handelt wurde.
Umschwung in Litauen . Gozialdemokrat fche Partei wieder zugelaffen.
Kowno , 24. Februar.( Oft- Expreß.) Der Direktor des Polizeidepartements hat an alle Kreispolizeichefs die Vorschrift erlassen, der Erneuerung der Organisation der Sozialdemokratischen Partei teine Hindernisse in den Weg zu legen, da der Partei die Wiederaufnahme ihrer politischen Tätigkeit gestattet ist. Ferner ist den Polizeibehörden vorgeschrieben worden. den sozialdemokratischen Ortsgruppen die Vermögens werte wiederzugeben, die von der Regierung Wolbe. maras beschlagnahmt worden sind.
Chautemps ist optimistisch. Tardieu führt de Opposition.
Paris , 24 Februar.( Eigenbbericht) Der erste Kabinettsrat des Ministeriums Chau temps fand am Montag vormittag 10 Uhr statt. Das Kommuniqué, das mittags herausgegeben wurde, besagt lediglich, daß der Kabin ttsrat unter Borstz des Ministerpräsiden en Ch autemps fämtliche schweenden außen und innenpolitijden Fragen durchberaten hat und der endgültige Lert der Regierungsertlärung festgelegt werde. Chautemps felbst äußerie sich beim Berlassen der Kammer au s geprochen optimistisch über die Chancen seines Kabinetts. Auch in politischen Streisen rechnet man allgemein mit einer nap. pen, aber sicheren Mehrheit für das Linkstabinett, troß der unverhohlenen Gehässigkeit, mit der die Reaktion und besond.rs ihr gestürzter Halbgott Tardieu ihm gegenüberstehen. Es v tlautet, daß Tardieu selbst bei der Interpellationsdebatte am Dienstag das Wort ergreifen und die erste Atacke gegen f inen Nachfolger reiten wird. Chautemps erflärte, allen Anfeindungen und Intrigen mit ftoischer" Ruhe entgegenzusehen.
0
Bei Lieferungen an das Ausland fann es natürlich vorkommen, daß deutsche Soldaten von deutschen Granaten zerriffen werden. Aber da muß Euch der Gedanke trösten, daß wir auf diese Weise den Krieg noch einige Monate länger finanzieren konnten!"
湯
Der Erfolg des Schober: Besuchs.
Bevorstehender Abschluß des Handelsvertrags.
Amtlich wird durch WTB. mitgeteilt:
Die politischen Besprechungen zwischen dem öster reichischen Bundeskanzler Dr. Schober und der deutschen Reichsregierung wurden heute vormittag in der Reichs. fanzlei zu Ende geführt. An den Besprechungen, die unter dem Vorsitz des Reichskanzlers Müller statt. fanden, nahm der gleiche Kreis von Teilnehmern wie am vergangenen Sonnabend teil. Der heutigen Sigung waren am gestrigen Sonntag Einzelbesprechungen wirt. fchaftspolitischer Art vorangegangen. Auf dieser Grund lage tonute in der heutigen Aussprache über den geplanten Handelsvertrag zwischen Desterreich unb Deutschland eine Einigung über die wichtigsten, bis her noch offenen Fragen erzielt werden. Es kann danach mit Bestimmtheit erwartet werden, daß der deutsch - öster. reichische Handelsvertrag binnen kurzem zum Abschlußt gelangen wird. Die noch zu bereinigenden Einzelfragen werden sofort nach Beendigung der Genfer Zollfriedens fonferenz durch die beiden Delegationeu erledigt werden.
Preffeempfang des Bundeskanzlers.
Bor feiner Rückreise nach Wien sprach am gestrigen Montaabend Bundestanzler Schober zu den Vertretern der in und ber aus. ländischen Presse.
Nach Schilderung der von uns anläßlich dieses Staatsbefuchs gefennzeichneten Wirtschaftslage Deutfchöfterreichs führte der Kanzler aus, man habe ihm den Vorwurf gemacht, daß er als er in einem
Augenblid ber größten innerpolitischen Spannungen und frisenhafter Gefahren wiederum an die Spize der Regierung getreten fei, nicht vor allem die Sanierung der Wirtschaft in Angriff genommen, sondern zunächst die Tätigkeit der Regierung auf die Ber: fassungsreform tonzentriert habe. Die Entwicklung der Dinge habe schließlich ihm recht gegeben. Der organische Wiederaufbau der Wirtschaft sei erst in dem Augenblick denkbar, da Desterreich wieder in den Besitz seiner vollständigen finanziellen Soupe ränität gelangt. Die innerpolitischen Berhältnisse des Landes jeien heute in fortschreitender Konsolibierung begriffen. Diese auch im Ausland vorhandene Erkenntnis habe Desterreich auf der zweiten Haager Konferenz pon dem brückenden Generalpfandrecht auf die Staatseinnahmen befreit.
Die österreichische Landwirtschaft hat die Weizenproduktion dere doppelt und für Roggen, Gerfte und Hafer 85 Broz. bes Bedarfs erreicht. Defterreich verfüge über 444 Waffer- und Kohlenfraftwerte mit einer Leistung von 2949 Millionen Kilowatt. Die Staatsschulden find von 2544 Millionen auf 1987 Millionen Schilling vermindert. Durch das langfristige Investitionsprogramm wird man auch zu Steuerfenfungen gelangen tönnen.
Außenpolitisch fann Desterreich sich Ueberraschungen nicht leisten, es muß freundschaftliche Beziehungen mit allen Staaten unterhalten. Deshalb auch das Bemühen, mit Italien in ein freundschaftliches Berhältnis zu treten. 3ar feiner lebhaften Genugtuung hat der Kangler von bem
Amneffieerlaß der italienischen Regierung
Renntnis genommen, der ein Ausfluß der römischen Besprechungen fei. Er erhoffe qute Förderung der wirtschaftlichen Beziehungen zu Italien . Das Wirtschaftsproblem betrifft vor allem die Intensivierung des Wirtschaftsverkehrs mit allen Nachbarstaaten, besonders mit dem Deutschen Reich, mit dem Desterreich sich auf das engste ver.. Barallelität der Wirtschaftsverhältnisse hüben und drüben Interessen. bunden fühlt. Wenn auch in beiden Ländern eine gewisse gegenfäße schafft, jo müssen doch die höheren Gesichtspunkte, unter benen gerade diese Berhandlingen geführt werden, die Beseitigung der Hindernisse ermöglichen.
Dr. Schober schloß mit dem Wunsch, daß die Einsicht von der Sidfalsgemeinschaft, die über alle staatlichen und nationalen Bande hinaus mehr oder weniger alle Kulturvotter erfaffe, noch größere Fortschritte machen möge, als auf den vielen internationalen Konfe renzen der Nachkriegszeit bisher schon geschehen sei
Schober verließ abends mit seiner Begleitung Berlin . Neben dem Gesandten Dr. Frant und den Mitgliedern der Desterreichi schen Gesandtschaft hatte sich Reichsaußenminister Dr. Curtius
zum Abschied eingefunden. Der Reichstanzler, der zu feinem Bedauern durch Verhandlungen im Reichstag verhindert war, zu erscheinen, ließ sich durch Staatssekretär Dr. Bünder vertreten. Ferner waren Staatssekretär Dr. v. Schubert, Ministerialdirektor Dr. Köpfe, Polizeipräsident 3ōrgiebel, Bolizeivizepräsident Dr. Weiß und zahlreiche Mitglieder der österreichischen Kolonie erschienen, die bei der Abfahrt des Zuges Hochrufe auf den Bundeskanzler ausbrachten.
Der Reichspräsident hat dem Bundeskanzler zur Erinnerung fein Bild im filbernen Rahmen überreicht.
Nach 12 Jahren Bolschewismus.
Aus Moskau wird der Brager Preffe" berichtet, daß die neuen Lebensmittelrationen für die nächsten Monate
herabgefeßt und wie folgt festgesetzt werden:
Täglich und pro Kopf 400 Gramm Schwarzbrot.( An drei Tagen im Monas bars an Stelle der Brotration ein Pfund Mehl getauft werden.)
An 17 Tagen im Monat 100 Gramm Brei pro Kopf.
Im Monat pro Ropf: 200 Gramm Butter( Handarbeiter: 400 Gramm); 100 Gramm Tee; 1200 Gramm 3uder; 800 Gramm Gerste, 400 Gramm Heringe( doch nur den Genossenschaftsmitgliedern); 1 Liter Spiritus für Kochzwede.
Eier, Milch, Reis und Mehl werden nur solchen Familien gewährt, die Kinder unter zwölf Jahren zählen.
Für jedes Kind erhält man: 15 Eier im Monat,% Liter Milch an 24 Tagen im Monat, 400 Gramm Mehl und 400 Gramm Butter im Monat.
Kartoffeln, Gemüse und Früchte sind die einzigen nicht rationierten Lebensmittel, doch sind nur Kartoffeln leicht zu haben, Gemüse und Früchte dagegen außerordentlich schwer erhältlich. Bezugsberechtigt für Woll und Baumwollwaren sind aus. Schließlich Arbeiter und zwar mit 4 Meter pro Familie. Einmal alle drei Monate hat man auf den Ankauf einer 3wirn. rolle Anspruch.
-
Ebenso erhalten im Monat die Arbeiter aber nur sie 400 Gramm Seife.
Die
Somjetherrschaft ist feit zwölfeinhalb Jahren errichtet, die Zeiten des Bürgerkrieges liegen acht Jahre zurüd.
Nicht auszudenten wäre die Hungersnot in der Somjet union , namentlich in den Städten, wenn Rußland auch nur annähernd ein solches Industrieland wäre wie es Deutschland ist!
Die Entwicklung der Sowjetunion .
Geheimrat Cleinom fprach) gestern in der Hochschule für Politik über„ Die innere Entmidlung der Sowjet union und die beutsche Ostpolitit". Er beantwortete die Frage, ob das Rußland von heute der Staat der Hoffnung und der Zukunft ist, mit einem glatten Nein. Die unleugbaren industriellen Beistungen in der Elektrifizierung und Industriealisierung bes Landes geschahen auf dem Rücken der Arbeiterschaft und des Bolkes überhaupt. Der Arbeiter steht unter Affordlohn, durch angestellte Untreiber zu größerer Leistung angeftadelt, bei geringerer Leiftung Bestrafungen ausgelegt Die Wohnfläche ist zurückgegangen, die Bes pflegungsmittel müssen mehr und mehr rationiert werden. Die Zahl der Analphabeten ist heute so hoch wie 1913; der Notschrei ertönt: Bo bekommen wir den Nachwuchs für die Industrie her? Die Ge wertschaften sind ein Rädchen des Staatsapparates und teine Ber tretung der Arbeiterschaft. Der Fünfjahresplan ist nichts als ein Gerippe, eine Stizze, ein Propagandamittel, um die Lethargie zu beheben, in die Krieg, Bürgerkrieg und Bolschewismus Land und Bolt gebracht haben. Das Geld zu seiner Durchführung wird auf. gebracht durch Zwangsanleihen , die von den Arbeitern gezeichnet werden müssen. Die Valuta, die durch zwangsmäßige Ausfuhr hin
einkommt, lohnt nicht die Gestehungskosten. Rußland ist heute ein Staat in innerer Zermürbung.