Nr. 126
47. Jahrgang
Technik
Sonnabend 15. März 1930
Schnelldampfer ,, Europa"
Eine fchwimmende Maſchinenſtadt
Um 19. März friff der Schnelldampfer„ Europa" feine erste Auslandsreise von Bremen nach New York an."
Der Norddeutsche Llond wird in diesen Tagen das Schwesterschiff der Bremen ", den Schnelldampfer Europa", auf die Probefahrt schicken. Zusammen mit dem Dampfer Columbus" werden diese beiden Schiffe ein neues, einzig dastehendes Schnell. dampfertrio bilden, das den Namen Lloyd- Expreß" führen
wird.
Schnelldampfer Europa" hat eine Länge von etwas mehr als 285 Meter, eine Breite von 31 Meter und eine Seitentiefe bis zum oberen Promenadended pon 27.2 Meter an der niedrigsten Stelle des Mittschiffs. Die Besagung des Dampfers Europa " umfaßt rund 975 Personen. Der Mannschaft stehen Räume für den gemeinsamen Aufenthalt während der Freizeit zur Verfügung. Auch in den Mannschaftslogis ist fließendes Wasser vorhanden.
Die Reifelräume des Dampfers Europa " sind in zwei Doneinander unabhängige Hauptgruppen geteilt. Aeußerlich ist dies in der außerordentlich weiten Stellung der beiden großen Schornsteine voneinander erkennbar. Diese Anordnung hat neben gewissen Einrichtungsgrundlagen den großen Vorteil, daß selbst im Falle einer schweren Rollision im mittleren Teil des Schiffes die eine der beiden Kesselhauptgruppen stets intatt bleiben wird, das heißt also, daß das Schiff in einem solchen Falle feine. Fahrt mit eigenem Dampf selbständig noch mit einer ziemlich erheblichen Geschwindigkeit fortseßen tann.
Auch die Hauptmaschinen sind in zwei benachbarten, wasserdicht voneinander getrennten Abteilungen untergebracht, die am Trennungsschott noch mit einer starten Rollisionsnische versehen find, so daß selbst im ungünstigsten Falle ein gleichzeitiges Unter wasserfegen beider Hauptmaschinenräume nicht zu befürchten sein wird. Hinter dem Hauptmaschinenraum ist noch ein besonderer Raum zur Aufnahme der Hilfsmaschinen, insbesondere der elettrifchen Zentrale, ebenfalls wasserdicht abgeteilt. Da jede der beiden Hauptfesselgruppen in zwei benachbarten wasserdichten Abteilungen untergebracht ist, ergeben sich im ganzen für die Aufnahme der Maschinen- und Refselanlage sieben wasserdichte
Räume.
Die dem Schnelldampfer Europa" verliehene Geschwindigkeit wird durch vier gleich große Getriebe Turbinen. Aggre gate erzeugt. Dampfer Europa " ist somit ein Bierschrouenschiff. Zwei Getriebeturbinensäge sind in einem vorderen und zwei in einem hinteren Maschinenraum aufgestellt, und zwar besteht jeder einzelne Turbinenfab aus je einer Hochdrud, einer Mittelbrud- und einer Niederbrud Turbine, die bei etwa 2100 Umdrehungen in der Minute auf ein Zahnradübersehungsgetriebe wirken. Daburch wer den die für Propeller zu hohen Umdrehungszahlen der Turbinen auf je 210 Umdrehungen für die Propellerwellen heruntergebracht. Die Turbinen find mit einfacher Ueberfegung ausgeführt, da man mit dieser Konftruttion in den legten Jahren die besten Erfahrungen gemacht hat. Für die Rüdwärtsfahrt sind besondere Rüdwärtsturbinen eingebaut.
Zum Bau der hochwertigen Anlage ist naturgemäß mur das allerbeste Material verwandt worden. Um allergrößte Wirtschaftlichkeit erzielen zu fönnen, sind die Maschinen- und Rafelanlagen mit den modernsten Meß- und Kontrollapparaten versehen, außerdem find fämtliche Wärmequellen gegen Wärmeverluste auf das sorgfältigste isoliert. Ein Stab von mehr als 30 Ingenieuren, außer der großen Anzahl von Ingenieurassistenten, Elektrikern und Kühlmaschinenwärtern ufm. überwacht die ganze Anlage.
Für etwaige Reparaturen sind die verschiedensten Werkstätten für Maschinenschlosser, Dreher, Schmiede, Kupferschmiede, Elektrifer usw. in einer Größe an Bord vorhanden, wie sie mancher Landbetrieb nicht aufweisen kann.
Der für die Turbinen und deren Hilfsmaschinen erforder. liche Dampf wird von großen Wasserrohrfesseln, die mit Del geheizt werden, geliefert. Auch bei der Anordnung der Reffelgruppen ist die Unabhängigteit jebes einzelnen Tur
Zwei der mächtigen Schrauben binen- Aggregats gewahrt und eine Unterteilung in vier Gruppen den vier Lurbinenanlagen entsprechend durchgeführt. Jeder der großen Doppelteffel ist mit Glasgespinstmatten isoliert. Die Rauch fänge der beiden vorderen Reffelgruppen führen in den vorderen. Die ber beiben hinteren Reffelgruppen in den hinteren Schornstein Bekanntlich muß in einer Schiffsmaschinenanlage der verbrauchte Dampfwieder zu Waffer niedergeschlagen merben, um ihn als Speisewasser den Reffeln wieder zuführen zu können. Für die Arbeit des Niederschlagens diajes Abdampfes aus den Hauptturbinen- Aggregaten werden& B stündlich etwa 32 000 Tonnen Kühlwasser der See entnommen und ununterbrochen durch die Kondensatoren hindurchgepumpt und wieder ins Meer zurückbefördert zur Beschaffung des elettrischen Stromes für Licht und Kraft find vier große fomprefforiofe Defel Dynamos modernster Bauart im Schiff in einem besonderen Hilfsmaschinenraum aufgestellt worden. Es handelt sich hier um eine elettrische Zentrale, die etwa den gleichartigen Anlagen der Städte Heidelberg oder übed entspricht. Dieser Dieselanlage fällt die Aufgabe zu, nicht weniger als etwa 420 Elektro.
motoren und damit ebenso viele Hilfsmaschinen an Bord des Schiffes| cinem etwaigen Ausfall der Hauptstation die Lieferung des Stromes in Betrieb zu sehen. Allein für die meifverzweigte Lüftungsanlage übernehmen. des Schiffes müffen stündlich 1 500 000 Rubitmeter Luft bewegt werden können. Der Betrieb der Kessel und die Lüftung der Kessel- und Maschinenräume erfordern weitere 1 700 000 Rubit meter Frischluft pro Stunde.
In dem Schiff ift ein Rabel und Leitungsnetz von etwa 1 000 000 meter verlegt worden. Bon ungefähr 10 000 verschiebenen Stellen aus fönnen Klingeln in Bewegung gesetzt werden. Bollständig unabhängig von der gewaltigen elektrischen Anlage in den unteren Regionen des Maschinenraumes sind auf dem Sonnended zwei große tompressorlose Not- Diesel- Dynamos aufgestellt, die be
Bon den vielen für die Sicherheit des Schiffes und die Annehmlichkeiten der Passagiere erforderlichen Hilfsmaschinen und Apparaten, die zum größten Teil in den Maschinen- und Kesselräumen untergebracht sind, seien Apparate und Pumpen für die Barmfrisch- und Warmseemasserbereitung für das große Schwimmbad erwähnt; amei große Kühlmaschinen dienen der Kühlung der Proviantoorräte in den ausgedehnten Provianträumen sowie der Zuführung von Solefeitungen nach einer großen Anzahl von solchen Stellen im Schiff, an denen Kühlschränke und Trinkwasserkühler und Luftkühler aufgestellt wurden.
Heinrich Hertz in der Erinnerung seiner Mutter
Wir haben uns heute mit Recht daran gewöhnt, bei der Würdigung bedeutender Männer auch der Mütter zu gedenken, denen sie nicht nur das Leben, sondern sehr oft geniale Beranlagung und reiche Förderung und Anregung verdanken. Seltsamer meise beschränkt sich diese Kenntnis jedoch meist auf die Mütter berühmter Dichter und Künstler, Staatsmänner und Philosophen. Ganz anders aber ist es, wenn es sich um Männer der Technik handelt, um Ingenieure und Erfinder, um Phyfiter oder Chemiter. 3mar sind ihre Taten unvergessen, ihre Entdeckungen und Er findungen find bekannt und berühmt, aber über sie selbst, ihren Lebensweg, ihr Lebensschicksal weiß nur ein kleiner Streis besonders Interessierter etwas. Es geht ihnen wie dert Dichtern der ungezählten kleiner Bolkslieder, die längst vergessen sind, während ihre Schöpfungen noch weitergefungen werden und weiterleben.
Nahezu jeder fennt den Namen der Mutter Goethes oder der Henriette Feuerbach , der Mutter des bekannten Malers. Aber wer weiß etwas von der Mutter von Heinrich Herz, um den heute noch die physikalische Welt trauert? Seine Arbeiten und Bersuche auf dem Gebiet der elektrischen Welle wirken bis heute auf die Entwicklung und Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse auf technischen und physikalischen Gebieten weiter. Aber wer weiß etwas von der Tragödie dieses Menschenlebens, und wer kennt die Mutter, die diesen Sohn gebar und erzog, die sein bitteres Schicksal miterleben und miterleiden mußte? Es ist nicht schwer, fie tennen zu
lernen, seitdem die Tochter des großen Gelehrten, Dr. Johanna Herb, Erinnerungen, Briefe und Tagebücher herausgegeben hat, die in ihrer Gesamtheit einen tiefen Einblick und ein erschütterndes Bild des jo jäh aus dem Leben geschiedenen Forschers und seiner Mutter
geben.
Sieben Jahre nach dem Tode des Sohnes begann die Mutter ihre Erinnerungen an ihn niederzuschreiben. Schlicht und ohne Künftelei erzählt sie von seinen ersten Jugendtagen, die ihr, der Mutter, soviel innere Bereicherung gegeben haben, lebendig und wahrheitsgetreu läßt sie die Bergangenheit neu erſtehen. Wir sehen Mutter und Kind am Tisch sizen, wie sie Bilderbücher und Gabeln betrachten, wie der Kleine unaufhörlich fragt und die Mutter un ermüdlich auf alles eingeht. Frau Herz hatte niemals theoretische pädagogische Studien getrieben. Aber sie ist ein Beweis dafür, daß ein harmonisch veranlagter Mensch, voll Liebe und Intereffe für das zu erziehende Kind, diefer Studien feineswegs bedarf, um ein guter Bädagoge zu fein. Wie wunderschön ist die fleine Begebenheit, in der die Mutter dem Kinde klipp und Bar eine fleine unwahrheit eingesteht, ohne dabei zu befürchten, etwas von ihrer Autorität einzubüßen. Sie hatte von dem fleinen Jungen etwas Unartiges gehört und erzählt es ihm mit der Bemerkung, ihr kleiner Finger habe es thr erzählt. Der kleine Heinrich Herz aber ist damals schon fritisch und prüft die Dinge bis auf den Grund. So sieht er bie Mutter fest an und spricht zweifelnd: Mama, sprichst du immer die Wahr. heit?" Die Mutter aber geht sofort auf seinen ernsten Ton ein und fühlt, baß fie bas sind jeßt nicht betrügen darf, und wenn es sich nur um einen fleinen Schers handelt. So beugt sie sich zu ihm nieder und erwidert den Blick vertrauensvoll. Ja, mein Kind,"
| sagte sie. ,, ich spreche die Wahrheit, aber diesmal habe ich es nicht getan." Heinrich Herz gehörte zu den glücklichen Kindern, die nicht mit Sorge und Furcht, sondern mit Freude und Dankbarkeit von der Mutter erwartet und geboren wurden. Er genoß weiterhin den Borzug, in geordneten Familienverhältnissen aufzuwachsen, in denen es teine Not und feine großen materiellen Sorgen gab. So fonnte er, betreut von einer geistig hochstehenden Mutter und einem verStändnisvollen, meitsichtigen Bater alle Talente, alle Neigungen in sich zur Reife bringen. Er darf modellieren und zeichnen, er nimmt Privatunterricht in Sprachen, die ihm Freude machen, er besucht neben seiner eigentlichen Ausbildung die Gewerbeschule, er erhält eine Hobelbant und Unterricht bei einem Drechslermeister. Seine Erziehung ist nicht einseitig, sondern sie entspricht bereits allen Forderungen der modernen Pädagogit. Und nichts ist bezeichnender für den Eifer und das Talent, mit dem der junge Heinrich Hertz auch seine prattische Arbeit leistete, als der Ausspruch seines Lehrherrn, des Drechslermeisters. der be der Nachricht, Hertz sei zum Professor ernannt worden, ausruft: Wie schade, was wäre das für ein Drechsler geworden!"
Bis zur Ablegung der Abiturientenprüfung führt uns die Mutter durch ihre Erinnerungen. Dann tritt sie bescheiden zurück und läßt in Briefen und Tagebüchern den Sohn selbst sprechen. Troß ihrer Kürze aber sind diese Erinnerungen eine wertvolle, unschäßbare Bereicherung der Memoirenliteratur. denn sie enthalten die ganze Stimmung des Elternhauses, den Geist, in dem Heinrich Herz aufgewachsen ist, das frische geistige Leben und das große Verständnis, das er durch seine Eltern genießen durfte. Hertz hat vieles mit der Mutter gemeinsam. Die gleiche Sachlichkeit, die Pflichttreue, die gleiche geistige Tiefgründigkeit zeichnen ihn aus. Auch er erzählt schlicht und schmucklos, wie es seine Art war, von seiner Studienzeit und seinen Arbeiten, seinen Plänen und Hoffnungen. Wir verfolgen seine ersten physikalischen Arbeiten, seine Freundschaft mit Helmholtz, seine ersten großen Erfolge. Dann taucht das Gespenst der Krankheit auf, Bahn und Najenoperationen in rajcher Folge, Arbeitsmüdigkeit, Schmerzen und wieder Operationen, Todesahnungen und endlich sein jähes Ende im Alter von 37 Jahren infolge einer Blutvergiftung.
Wie ein Nefrolog flingen die Worte, die er drei Wochen vor seinem Tode an seine Eltern schrieb ,, Wenn mir wirklich etwas geschieht, so follt ihr nicht trauern, sondern ein wenig stolz sein und denten, daß ich zu den besonders Auserwählten gehöre, die nur kurz leben und doch genug leben. Dies Schicksal habe ich mir nicht gewünscht und gewählt, aber mo es mich getroffen hat, muß ich zufrieden sein, und menn mir die Wahl gelassen wäre, würde ich es vielleicht selbst gewählt haben."
So füllen die Aufzeichnungen von Heinrich Herz und die Erinnerungen feiner Mutter eine Lücke aus, die sonst, bei ben meisten großen Wissenschaftlern und Technikern bis heute noch offen steht. Auch der Nichttechniker wird durch das Menschenschicksal, das an ihn vorüberzieht, gepackt und ergriffen sein. Der Techniker aber, der die Werke von Heinrich Herk bewundert, ohne den großen Forscher näher zu kennen, findet hier eine wundervolle Ergänzung, eine tiefe, menschliche Bereicherung.