Beilage
Donnerstag, 20. März 1930
Der Abend
Shalausgabe des Vorward
Bahn frei dem Tüchtigen Der Berufsberater spricht
Ist eine Arbeiterftudentenhilfe möglich?
Das Ziel jeder studentischen Wirtschaftsarbeit muß sein, die Hochschule den Kreisen der Bevölkerung zu öffnen, denen sie biş heute aus finanziellen Gründen verschlossen ist. Die Arbeiterschaft ist noch immer vom Besuch der Hochschulen ausgeschlossen.
Mare lernt tischlern/ Baule geht zu einem Rechtsanwalt
Mare und Baule maren mit ihren Müttern beim Becingerufen. Es bedurfte feiner großen Vorrede, um sich zu verständigen, da man sich von den Elternabenden her schon kannte.
und Paule die Hand und macht dazu ein so freundliches Gesicht,
30,42 Proz. der Studenten sind Kinder von höheren Beamten, Offi- rufsberater. Als erster wurde Mare mit seine: Mutter her daß beiden ein Stein vom Herzen fällt. Nein, von einem Bea zieren, Großgrundbesitzern, Fabrikbesitzern, Fabrikdirektoren. 55,74 Proz. stammen aus den Kreisen des mittleren Beamtentums, der freien Berufe, der Privatangestellten in leitender Stellung. 2,52 Broz. sind. Kinder unterer Beamten und nur 2,21 Proz. Arbeiterfinder.
Die Arbeiterschaft, die aktiv im Staate mitarbeitet, muß verlangen, daß ihr die Möglichkeit gegeben wird, den Anteil an den späteren staatlichen Funktionären, die auf den Hochschulen ausgebildet werden, zu stellen, der ihr ihrer Stärke nach zu
tommt.
Der Staat hat seinerseits das größte Interesse, daß sich das un< erfreuliche Bild der Studentenschaft bald ändert. Hochschulframalle aller Art zeigen flar, wie notwendig es ist, andere Kreise auf die Hochschulen zu bringen. Der frühere preußische Kultusminister Dr. Beder hat das vor einiger Zeit in einer amtlichen Kundgebung zum Ausdrud gebracht:
,, Wenn man bedenkt, daß rund ein Drittel des deutschen Bolkes zur Industriearbeiterschaft gehört, daß aber nach der Statistit dieses Jahres nur 2,4 Broz. aller preußischen Universitätsstudenten Söhne von Industriearbeitern find, nur 3.89 Proz. Söhne kleinerer Landwirte sind, so wird einem ohne weiteres einsichtig, daß der Geist unserer Hochschulen nicht den sozialen Geist des ganzen Boltesspiegeln kann. Es wird in Zukunft eine Aufgabe der Unterrichtsverwaltung sein, mit dafür zu sorgen, daß die Studentenschaft in ihrer engeren Zusammenlegung ein treueres Bild des Volkes ist, das mit seinen Steuern überhaupt erst die Möglichkeit schafft, den Riesenbau der Universitäten zu erhalten."
Man darf wohl erwarten, daß der neue Kultusminister dem schönen Wort seines Borgängers die baldige Tat folgen lassen wird. Die Hochschulen auch nach ihrer Zusammenjegung zu einer Institution des Boltes" zu machen, ist die Kulturaufgabe des Staates.
Bis heute gibt es teine Organisation, die den ausgesprochenen 3wed verfolgt, begabten, aber mittellosen jungen Menschen aus den Kreisen der Arbeiterschaft das Studium zu ermöglichen. Die Studienstiftung des deutschen Boltes will Begabten ohne Rüdficht auf ihre soziale Herkunft und ihre wirtschaftliche Lage das Studium finanzieren. 37,8 Proz. der Studienstiftler entstammen sozial beffer gestellten Schichten( höhere Beamte, Großgewerbetreibende und leitende Angestellte), 31,8 Proz. sind Kinder von Lehrern, mittleren Beamten und Kleinbauern, 28,8 Proz. fommen aus den Kreisen der unteren Beamten und der Arbeiterschaft. Die genaue Zahl der Arbeiterfinder in der Studienstiftung ist 15,4 Pro3. Wenn man annimmt, daß jeder Studienstiftler acht Semester Mitglied der Studienstiftung bleibt, so bedeutet das, daß jährlich etwa 12 Arbeiterstudenten, die aus Mitteln der Studienstiftung studiert haben, ihr Studium beenden. Daß der Anteil der Arbeiterstudenten an der Studienstiftung fiebenmal größer ist als ihr Anteil an der Gesamtstudentenschaft, spricht für die wissenschaftliche Befähigung der studierenden jungen Arbeiter. Es hieße den Charakter der Studienstiftung verkennen, wollte man ihr die Aufgabe zuweisen, neue Kreise für die Hochschule zu erfassen. Ein Interesse, neue Menschen auf die Hochschulen zu bringen, hat der Staat. Will er sich nicht selbst aufgeben, muß er dafür sorgen, daß der akademische Nachwuchs nicht ausschließlich aus Kreifen tommt, die ihm ablehnend und feindlich gegenüberstehen. Richt minder start interessiert find die Arbeiterorganisationen.
Staat und Gewerkschaften müssen daher zusammenwirken bei der Schaffung einer neuen Organisation, die man etwa Arbeiter- und Werkstudentenhilfe nennen könnte und deren Tätigkeit ausgerichtet sein muß auf das Ziel, jungen Menschen aus der werktätigen Bevölkerung das Studium zu finanzieren.
" Run", sagte der Berater, was macht das Auto und was der Seifennapf?"
"
Freilich, Mage wäre noch immer am liebsten Chauffeur und wenn das nicht geht, Friseur geworden. Aber da begann der Berater zu warnen: Bon wenigen Großbetrieben abgesehen", meinte er, ist alles überfüllt. In den vielen Meinen Murts betrieben fann man nichts lernen und nichts werden. Einem riesenhaften Angebot stehen mir wenige und meist ganz unge nügende Lehrstellen gegenüber."
Was tun? Auch im Friseurberuf liegt es nicht viel besser. Ein Damenfriseur hat zwar einige Aussicht, aber dazu gehören eine ganz besonders leichte Hand und Umgangsformen, die nicht jeder manns Sache sind. Was also machen? Der Berufsberater weiß
Rat.
,, Wie wäre es mit Eisenton strutteur?" fragt er. Bei den immer häufiger werdenden Eisengerüstbauten gibt es hier noch allerhand Arbeitsmöglichkeiten. Und das Angebot an Arbeitsfräffen ist seltsamerweise sehr gering. Auch der Eisenformer beruf bietet nicht schlechte Aussichten."
So gut der Rat gemeint ist, Mare hat keine Luft. Denn schon
lieber Maurer", meint er.
Aber da rät nun wieder der Berater ab: Maurer ist ja ganz gut und schön, du bist gesund und fräftig und der hohe Wochenlohn sticht manch einem in die Augen. Nur hat die Sache einen Hafen. Es handelt sich hier um einen Saisonberuf, und der Beriiner Maurerlehrling gilt nicht viel, weil man ihm nachfagt, daß seine Ausbildung bei der Schemetisierung und dem Tempo in der Großstadt nicht genügt. Maurerlehrlinge von auswärts. merden vorgezogen."
Mare läßt den Kopf hängen, und seine Mutter beißt sich auf die Lippen. Aber der Berufsberater lächelt. tur nicht den Kopf hängen lassen, es gibt ja noch andere Berufe. Wie wär's zum Beispiel mit der Tischlerei?"
Mares Augen leuchten auf.
,, Ra?" ermuntert der Berater und sieht Frau Erle an. Die wiegt einigemal mit dem Kopf hin und her und„ Wenn's denn sein muß", murmelt fie.
Aber ja doch, Mutta!" fällt Mage ein.
,, Da hab ich ein paar ganz gute Adressen", framt der Berater in seinen Papieren. Ein Großbetrieb und hier eine Meinere Spezialfirma, zu der ich sogar noch eher raten würde, weil man da eine sorgfältigere Ausbildung erhält. Na, Mare, wie ist's?"
amten und von einer Behörde ist hier nichts zu spüren. Ein Blick auf die Besucherfarte, und der Berater fragt:„ Beidh ner oder Deforateur möchtest du werden? Wie steht es denn da mit dem Können?"
Baule wird rot. Die vier, die er im Zeichen hat, tann er nicht verleugnen, und die Probezeichnungen, die er dem Berater in die Hand drückt...
Aber er
Nein, der Berater muß dringend abraten. tut es wieder in einer so freundlichen Weise, daß den beiden, die zunächst etwas bedrückt dasigen, ganz warm ums Herz wird.
Und die Mutter fängt ganz pon selbst an zu erzählen: Stunden. lang figt Baule abends bei der Lampe und strichelt und strichelt; fo gerne hätte er sich der Kunst gewidmet; ach ja, wenn's noch ja da träumte sie davon, daß Baule gewesen wäre wie früher studieren und einmal als gebildeter Herr die Universität verlassen werde.. Der Mutter stehen die Tränen in den Augen, als sie daran denkt,
Aber der Berater tröstet sie. Berufsnot, eine geradezu tatastrophale Berufsnot herrscht auch unter den 2biturienten. Und das Studium? Nein, das ist nicht mehr so wie früher. Auch da gibt es einen harten Lebenstampf, und nur die Tüchtigsten und Kräftigsten fommen vorwärts. Besser schon, einen tauj männischen Beruf zu ergreifen.
5
,, Wie ist es denn", wendet sich der Berater an Paule ,,, mit einer Lehrstelle bei einer Bersicherung oder bei einent Rechtsanwalt? Im faufmännischen Beruf sind die Auss fichten nicht ganz so schlecht wie in so manchem anderen. Und wenn du die Lehrzeit beim Rechtsanwalt durchmachst, erhältst du später bei den Behörden den Borrang, weil du juristisch vorgebildet bist."
Boule ist etwas enttäuscht. Die Kunstbegeisterung hat so sehr von ihm Besiz ergriffen, als daß er sich nicht so schnell mit den Tatsachen des praktischen Lebens abfinden kann. Und auch der Mutter will es nicht so recht in den Kopf, daß ihr Junge wie jeder andere Lehrling werden, soll.
Der Berater sieht diese Nöte, er inistert mit einigen Adressen und sagt:„ Sehen Sie, da ist diese und jene Stelle frei. Wer weiß, wie es morgen sein wird. Unterbringen müssen Sie den Jungen. Da ist es vielleicht besser, wenn Sie sich schnell entscheiden. Was jagt denn Ihr Mann dazu?"
,, Der ist schon lange tot."
,, Sehen Sie, liebe Frau, in Zweifelsfällen ist es immer sehr gut, wenn der Bater ein Wort mitspricht. Leider fümmern fich die Bäter viel zu wenig bei der Berufswahl um die Kinder. Aber Mare greift zu und auch die Mutter ist einverstanden. wie es nun einmal hier ist, vertrauen sie vielleicht dem Berufs- 0 ,, Benn's flappt", ruft er den beiden nach ,,, soll dir der Meisterberater, der ja auch besser wie der Vater die Aussichten übers hinten auf die Karte den Stempel drücken und du gibst mir Be- sehen kann, weil er mit den Arbeitsvermittlungsämtern in Ber bindung steht und sich, da er täglich soundsoviel junge Leute berät, fcheid." besser auskennt als irgendeiner.
*
Mit einigem Herzklopfen trat mun Baule in das Zimmer des Berufsberaters, und auch seiner Mutter war nicht ganz wohl zu mute. Immer, wenn sie etwas mit einer Behörde zu tun hatte, geriet sic in Verlegenheit. Auch jest sieht sie ängstlich dem Mann mit der Brille entgegen. Aber der ist aufgestanden und reicht ihr
,, Sie glauben also", fragt Paules Mutter( und schon ist sie schwankend) ,,, daß sich faum etwas Besseres bietet?"
Als der Berufsberater ihr noch einmal die ganze Lage auss einanderseßt, willigt sie ein, und Paule wird morgen zu einenz Rechtsanwalt gehen, dessen Adresse ihm der Berater gegeben hat.
Korporationsstudenten noch immer den Studenten schlechthin. Die| fremden, ungewohnten Räumen stattfinden, in denen das Kind sich neu zu schaffenden Arbeiterstudentenhäuser könnten die Keimzellen eines neuen studentischen Lebens werden. Die Durch schlagskraft und die propagandistische Stärke der neuen Organisation wäre zweifellos stärfer, wenn ihre Mitglieder nicht an allen deutschen Universitäten verstreut, sondern an drei oder vier Hochschulen fonzentriert wären.
Fassen wir also noch einmal kurz zusammen: der Staat und Bei der Auswahl der Mitglieder der neuen Organisation haben die die Gewerkschaften aller Richtungen haben ein Interesse Gemertschaften entscheidend mitzumirfen. Die Bildungs daran, daß sich die Zusammensehung der auf den Hochschulen aussekretäre der Gewerkschaften, die die Fähigkeiten und Begabungen gebildeten staatlichen Funktionäre ändert. Staat und Gewerkschaften junger Arbeiter fennen, müssen diejenigen sein, die über die Mit- müssen daher die Gründer und Träger einer neuen Organisation gliedschaft in der neuen Organisation mit zu entscheiden haben. sein, die Jungarbeiter über das Kultureramen oder die Arbeiter3weifellos find unter den Jungarbeitern genügend, die mindestens Abiturientenfurse zum Studium bringt und ihnen die finanziellen ebenso befähigt, ja in Hunderten von Fällen befähigter zum Studium Mittel zur Durchführung des Studiums sichert. Als zweite Mit find als der Durchschnittsstudent. Leider ist die Zulassung zum gliedsgruppe der neuen Organisation tommen die großstädtischen Studium heute noch immer gebunden an das Abitur bzw. an Aufbauschüler, die aus materiellen Gründen nicht studieren können, das Kultureramen. Gefordert muß hier werden, daß die Alters in Frage. Um in die heutige unlebendige und jeniic Studentenschaft grenze für die Zulassung zum Kulturegamen fällt. Ist das endlich einen Keil zu treiben und um die Stärke der neuen Organigeschehen und sichert dem begabten Jungarbeiter die neue Organisation zu erhöhen, sind ihre Mitglieder, die ja zunächst nur einen fation die finanziellen Grundlagen des Studiums, so werden sich Bruchteil der Gesamtstudentenschaft ausmachen werden, in Arbeiterzweifellos zahlreiche Arbeiter, die heute die Volkshochschulen, die studentenhäusern zusammenzufassen. Bei der Auswahl der Mitstudentenhäusern zusammenzufassen. Bei der Auswahl der Mit Hochschule für Politik ujm. besuchen, auf ein Studium vorbereiten. glieder haben neben Pädagogen Gewerkschaftler, und zwar gerade Es ist also klar, daß die neue Arbeiter- und Werkstudentenhilfe die Leiter der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit entscheidend miteine doppelte Aufgabe hat: 1. Jungarbeiter zur Zulassung zum zuwirken. Studium zu bringen( der einzige Weg ist heute das Kulturegamen und die Neuköllner Arbeiter- Abiturientenfurje, wenn man vom Extraneerabitur abjehen will), 2. das Studium selbst zu finanzieren. Neben den Jungarbeitern kommen die Kinder von Arbeitern, die, wenn auch erst in geringerer Zahl, die höheren Schulen besuchen, als Mitglieder für die neue Organisation in Frage, Hierbei ist hauptsächlich an die Besucher der großstädtischen Auf bauschulen zu denken. Rund 40 Proz. der Abiturienten dieser Schulen studieren aus finanziellen Gründen nicht. Wenn auch die Zahl derer, die aus diesen Schulen nicht studieren, nicht viel größer ist als in anderen Anstalten, so ist doch gerade ein Studium der großstädtischen Aufbauschüler in jeder Hinsicht erwünscht und notmendig. Denn wenn schon einmal Arbeiterfinder mit finanzieller Unterstüßung der Kommunen die Aufbauschulen besuchen, so sollen fie nach Möglichkeit als Beamte des Staates oder der Ge. meinden und nicht als Angestellte im Privatdienst die Verpflichtungen, die fie gegenüber der Allgemeinheit haben, einlösen.
zu erwägen ist ferner. ob man nicht diese neuen Studenten an einigen Universitätsstädten in Heimen zusammenfassen soll.
Es gibt heute Hunderte von Korporationshäusern und in ganz Deutschland noch nicht ein heim für Arbeiter. tudenten. Nicht ganz zu unrecht sieht die Deffentlichkeit im
Man geht sicher nicht fehl in der Annahme, daß sowohl bei den in Frage kommenden staatlichen Stellen wie auch bei allen Gemertschaften und sonstigen intereffierten Arbeiterorganisationen prin zipielle Uebereinstimmung über die Notwendigkeit der neuen Organi. fation besteht. Die Mittel fönnten unschwer aufgebracht werden, wenn Reich und Gewerkschaften einen Teil der Gelder, die sie heute dem Deutschen Studentenwert geben, der neuen Organisation zur Verfügung stellen würden.
Der Unfug der Prüfung
Liebe Frau Mener!
In Ihrem Brief im ,, Abend" vom 6. März haben Sie mir aus der Seele gesprochen. Ich sehe auch wirklich nicht ein, warum ein Kind überhaupt erst geprüft werden muß, wenn seine Lehrer es doch vier Jahre lang täglich beobachten und tennen lernen fonnten. Wenn ihre Hausangestellte, die jahrelang zur vollsten Zufriedenheit Ihre Wirtschaft geführt hat, zum Stellungswechsel ein Zeugnis von Ihnen haben möchte, muß sie doch auch nicht erst ein Gramen machen!
Aber wenn schon ein Examen sein soll, warum macht man es dann für das Kind extra schwer? Muß die Prüfung durchaus in
noch nicht zurecht findet und unnötig abgelenkt wird? Müssen es durchaus nur wild fremde Lehrer sein, die die Prüfung abs nehmen und die noch dazu während der schriftlichen Arbeiten alle Stunden wechseln? Und wie kann die Behörde ein flares Bild von der wirklichen Leistungsfähigkeit des Kindes bekommen, wenn es durch diese fremde Umgebung und durch die fremden Menschen ( und nicht zuletzt auch durch das Schreckenswort Examen") ein. geschüchtert und verängstigt wird?
Ich finde es durchaus unangebracht, daß man im Zeitalter des Kindes" neun bis zehnjährige Kinder fünf Stunden lang ( mif zwei turzen Bausen) schriftliche Arbeiten machen läßt, denen dann am nächsten Tage noch eine zmeistündige pausenlose münd liche Prüfung folgt. hat man denn so wenig Vertrauen in die Urteilskraft unserer Volksschullehrer, daß man zwar von ihnen Bee richte über ihre Schüler einfordert, diesen Berichten aber bei der Büfung keinen maßgebenden Einfluß einräumt? Vielmehr entscheiden andere Lehrer, die das Kind in der Prüfung zum ersten male gesehen haben, nach diesen beiden Tagen über die weitere Schullaufbahn des Prüflings.
Bei diesem Examensbetrieb wäre es überhaupt nur möglich, einigermaßen objektive Urteile zu finden, wenn die Kinder, die doh noch gar fein Berständnis für das Wesen der Prüfung haben, volltommen unbefangen und unvorbereitet, gleichsam im Spiel, vor ihre Aufgabe gestellt würden. Statt dessen wird acht Tage(!) vorher den Kindern in der Schule mit großer Wichtigkeit der Schreckenstag mitgeteilt, so daß sie in der folgenden Woche vor Aufregung weder nachts schlafen noch am Tage spielen fönnen. Diese ängstliche Spannung wird leider in den meisten Fällen noch durch den U11- verstand der Eltern verstärkt, die in falschem Ehrgeiz ihr Kind noch mehr anspornen wollen. Indem sie dem Kinde die Folgen eines Durchfalls schwarz in schwarz malen, verängstigen sie das Kind doppelt; denn nun kommt am Prüfungstage zur Angst vor den fremden Leuten noch die Angst vor dem Zorn der eigenen Eltern dazu. Anstatt dem Kind durch Zuspruch und Ablenkung die Ruhe zu geben, die es für diese Tortur braucht, greift man, mie mir von mehreren Fällen her bekannt ist, zu künstlichen Beruhigungsmitteln und füttert das Kind z. B. abends mit Baldriantropfen!
Ich persönlich wußte mir, als mein Töchterchen acht Tage vor der Prüfung aufgeregt nach Hause fam, feinen anderen Rat, als die ganze Angelegenheit zu„ bagatellisieren" und dem Kinde den Respekt vor den gestrengen Herren", die da kommen sollten, gründ lich zu zerschlagen. Ich sagte ihm, daß es ja doch ganz gleich sei, auf welche Schule es in Zukunft gehen würde; wenn es tüchtig sei und seine Pflicht tue, fönne es in jedem Falle( auch ohne Berechti gung") ein nüglicher Mitbürger werden.
Hochachtungsvoll
Frau Schulze.