Morgenausgabe
Nr. 145
A 73
47.Jahrgang
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Donnerstag
27. März 1930 Groß- Berlin 10 Pf. Auswärts 15 Pf.
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Heute fritischer Tag.
Einigung über die Finanzreform- oder was sonst?
Die Konferenz der Sozialpolitiker, mit der die Verhandlungen gestern abschlossen, erörterte einen
Der Westeuropäer, den ein Zufall in eine Versammlung des österreichischen Bürgertums verschlüge, würde erstaunte nicht bloß eine Versammlung sehr klassenbewußter Feinde der sondern noch dazu die Zusammenballung einer geradezu Arbeiterschaft, wie sie auch in anderen Ländern zu sehen ist, finnlosen Wut in einem folchen Ausmaß, wie sie nicht oft zu finden fein dürfte.
Die Berhandlungen über die Finanzreform wurden| 3udersteuer, die bereits in dem Dezemberprógramm der Augen machen. Was er dort zu sehen bekäme, wäre nämlich gestern den ganzen Tag über fortgesetzt. Fraktionsvorstände, Frat- Reichsregierung vorgesehen war, festgelegt wissen will. tionen, Führer- und Sachverständigentonferenzen der ganze er müdende und auf den Außenstehenden verwirrend wirkende Apparat mar im vollen Gange. Um 4 Uhr nachmittags war eine Führerbesprechung, der um 6 Uhr eine Sitzung des Reichstabinetts folgen sollte. Da eine Einigung bis 6 Uhr nicht zu erzielen war, wurde
neuen Vorschlag. zur Arbeitslosenversicherung. Dieser neue Borschlag erhält die Darlehnspflicht des Reiches aufrecht, jedoch mit der Maßgabe, daß die Reichsregierung alsbald auf dem Wege der Gesetzgebung entweder die Rückzahlung der Darlehen durch Beitragserhöhung ermöglicht oder zur Deckung dem Reiche neue Einnahmen schafft. Der Beitrag soll nur 3½ Proz betragen. Bon sozialdemokratischer Seite wurde das Bedenken geäußert, daß bei der vorgesehenen Regelung die endgültige Sanierung der Arbeitslosenversicherung zur Zeit unterbleibt und etwa im Herbst zur Entscheidung gebracht werden würde. Dann würden also neue Kämpfe um Abbau oder Aufrechterhaltung der Leistungen aus
das Kabinett auf heute, 12 Uhr mittags, vertagt. Man verhandelte weiter und ließ noch um 8 1hr abends einen engeren Kreis sozialpolitischer Sachverständiger zusammentreten, der über die Reform der Arbeitslosenversicherung beriet. Auch hier gab es feine Einigung. Nun sollen heute um 10 Uhr vormittags wieder die Fraktionsvorsitzenden der Regierungsparteien nebst Finanzfachleuten und Sozialpolitikern einen letzten Versuch zur Einigung unternehmen. Danach soll das Kabinett zu fammentreten, um aus dem Ergebnis oder Nichtergebnis der Verbrechen. handlungen das Fazit zu ziehen.
Auf der anderen Seite blieb die Deutsche Boltspartei Ueber den sachlichen Inhalt der Verhandlungen kann gesagt wiederum stur bei dem Standpunkt, der Vorstand der Reichsanstalt werden, daß müsse die Vollmacht erhalten, die Leistungen der Arbeitslosenversicherung abweichend vom Gesez einzuschränken.
die Arbeitslosenversicherung immer noch im Vorder
grund
steht, daß in zweiter Linte auch das Steuerfentungsgesetz für 1931 noch start umstritten ist und daß dagegen alles andere in den Hintergrund tritt. Zwar lehnt die Bayerische Volkspartei die Biersteuer in der Fassung der Regierungsvorlage ab, doch hofft man auch ohne sie auf eine Mehrheit. Die Mineralwasser. steuer hat wenig Freunde, man glaubt, sie durch die innere Benzin und Benzolabgabe leicht erseßen zu können. Für die Sozialdemokratie ist ferner die Bestimmung der Regierungsvor lagen unerträglich, daß ab 1931 die Rüdzahlungen aus der Lohnsteuer sistiert werden sollen. Aber weder die Regierung noch die Parteien scheinen auf die Beibehaltung dieser Bestimmungen Gewicht zu legen. Hier liegen also die großen Schwierigkeiten nicht. Sie liegen, wie schon gesagt, bei der Steuerfenfung und besonders bei der Arbeitslosenversicherung.
Die Deutsche Volkspartei verlangt Festlegung von Steuer. fentungen in Höhe von 700 millionen, obwohl die Reichsregierung nur mit einer Ausgabenersparnis von 600 Millionen rechnet. Von der Sozialdemokratie wird dagegen geltend gemacht, daß auch diese Summe überschäzt ist, und daß es gefährlich ist, schon jetzt Steuersentungen in diesem Ausmaß zu be schließen. Die Deutsche Volkspartei will außerdem nur eine Senfung Don solchen Steuern, die den Besit entlasten, während die Sozialdemokratie auch die Senfung der Lohnsteuer und der
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Db die heutige Vormittagskonferenz unter diesen Umständen Ob die heutige Vormittagskonferenz unter diesen Umständen frotz guten Willens vieler Beteiligter, besonders auch der Sozialdemokraten zu einem abschließenden positiven Ergebnis führen kann, ist zweifelhaft. Sollte ein solches Ergebnis dennoch erzielt werden, so müßte das Kabinett überlegen, wie es sich zu ihm stellen will. Technisch würde ein gemeinsamer Borschlag der Parteien eine Abänderung der Regierungsvorlagen bedeuten, die bekanntlich schon durch den Reichsrat gegangen sind und nun der Er ledigung im Reichstagsausschuß und in zweiter und dritter Lejung im Reichstagsplenum harren. Komint aber teine Einigung zustande, so hat das logischerweise zur Folge, daß das Kabinett es zunächst mur mit seinen eigenen Vorlagen zutun hat, deren schleunigste Erledigung es dann pom Reichstag verlangen muß.
Ein Rücktritt der Regierung
fann ebenso logischerweise mur dann in Frage tommen, wenn der Reichstag die Erledigung der Regierungsvorlagen verweigert, oder wenn er sie ablehnt oder schließlich, wenn er sie so verändert, daß die Regierung die Zustimmung verweigern zu müssen glaubt. Uns scheint es auf alle Fälle die Pflicht der Regie. rungsparteien zu sein, der Regierung die Vertretung ihrer Vorlagen vor dem Reichstag zu ermöglichen und in aller Ceffentlichkeit die Entscheidung über das Schicksal der Finanzreform und damit auch der Regierung herbeizuführen.
Fricks Regierung will den Konflift.
Entsendung eines Reichskommiffars abgelehnt.
Das thüringische Kabinett beschäftigte sich heute nach mittag in einer vierstündigen Sigung mit der Antwort, die Reichsinnenminister Severing auf sein letztes Schreiben, in dem er die Entsendung eines Reichskommissars nach Thüringen zur Untersuchung der Zustände bei der thüringischen Polizei in Aussicht stellt, gegeben werden soll.
Entgegen der Blättermeldung, daß die thüringische Regierung sich mit der Entsendung eines Reichskommisfars einverstanden erklärt habe, wird die Ankündigung des Innenministers auf Entsendung des Ministerial. direktors Menzel in ablehnendem Sinne be
antwortet.
In ziemlich schroffer Form wird gegen die Untersuchung der Verhältnisse bei der thüringischen Polizei Protest erhoben und berlangt, daß das Reichsinnenministerium zuvor die Beweise für die Notwendigkeit einer solchen Mak nahme erbringt.
Außer dieser Angelegenheit wurde die Frage des Beamtenabbaus besprochen, jedoch nicht zu einem
Als Leitmotiv solcher Kundgebungen erflingt die Klage ob des ganz unsagbaren, ganz fürchterlichen und nicht mehr auszuhaltenden Terrors" der Sozialdemokraten. Vergeblich ist das Bemühen, diesen Leuten flarzumachen, daß das, was fie als Terror bezeichnen, nichts anderes ist, als die Anwendung gewertschaftlicher Kampfmittel, die in der ganzen Welt üblich sind. Das Geschrei vom Terror gehört nun einmal zum liebgewordenen Bestand der reaktionären Demagogie, die in Desterreich um so üppiger gedeihen kann, je weiter von Europa entfernt sich das Leben der Kleinbürger in den Kleinstädten der Alpen abspielt.
Weiß schon der Spießer der Großstadt Wien sehr wenig. von den weltbewegenden Auseinanderjeßungen zwischen Arbeit und Kapital, so ist der österreichische Provinzbourgeois erst recht von einer geradezu rührenden Ahnungslosigkeit. Er weiß fo gut wie nichts von dem Werden und Wirken der modernen Gewerkschaften; er hat feine Kenntnis von dem Prinzip der gefchloffenen Werkstätte", für das die Proletarier aller Industrieländer seit Jahrzehnten kämpfen. Fremd und unheimlich empfindet er alles, was mit der modernen Ar beiterbewegung zusammenhängt. Er bekämpft es unter dem Sammelbegriff Marrismus" als das Verruchteste des- Verruchten der ganzen Welt.
"
Aus diesem Geist ist jener Gesezentwurf geboren, den die Regierung Schober unter dem Namen ,, Antiterrorgefeß" dem österreichischen Nationalrat vorgelegt hat. Er will, um es auf eine einzige Formel zu bringen, die Macht der freien
emerffchaften brechen. Zu diesem Zweck sollen von nun an die Kollektivverträge feine Vereinbarungen mehr enthalten dürfen, die Nichtorganisierte von der Arbeit ausschließen. Vereinbarungen zwischen Gewerkschaften und Unternehmern, die dahin zielen. nur Mitglieder einer bestimmten Organisation in einen Betrieb aufzunehmen, werden untersagt. Auf diese Weise soll die Freiheit" des Arbeiters wiederhergestellt werden.
Jeder Kundige weiß allerdings, daß mit solchen gesetzlichen Bestimmungen nichts anderes erreicht wird und auch nichts anderes erreicht werden soll, als die geschlossene Front der Arbeiter zugunsten der Unternehmer zu durchbrechen. Demt. Unternehmer soll erleichtert werden, Unorganisierte und Gelbe in die Betriebe zu bringen, um auf diese Weise die Löhne und sonstigen Arbeitsbedingungen senten zu können.
In einem Vermittlungsversuch haben die Arbeiter tammern vorgeschlagen, daß fünftighin die Kollektivverträge lediglich Unorganisierte ausschließen könnten, daß aber die Mitglieder aller wirklichen Gewerkschaften unbedingt zur Arbeit zugelassen werden müßten. Auf diese Weise würden neben den Mitgliedern der freien Gewerkschaften die der christlichen und nationalen Vereinigungen unangefochten in den Betrieben sein. Ueberdies sollte nach diesem Borschlag die Arbeitsvermittlung von nun an obligatorisch durch paritätische Arbeitsnachweise erfolgen, so daß die Freiheit der Arbeiter wirklich gewährleistet wäre.
Aber die bürgerlichen Parteien haben sich bisher zu allen Vermittlungsvorschlägen ablehnend verhalten und damit
Abschluß gebracht. Am Freitag wird das Kabinett die zu erkennen gegeben, wie wenig es ihnen in Wirklichkeit Beratungen über diese Frage fortsetzen.
Die Reichsverfassung ermächtigt die Reichsregierung, zur lleberwachung der Ausführung der Reichsgesetze zu den Landeszentralbehörden Beauftragte zu entsenden. Ein Ab lehnungsrecht der Landeszentralbehörden gegen die Ueberwachung durch den Reichsbeauftragten besteht nicht.
Gegen Fricks Ermächtigungsgesetz.
Stellungnahme der demokratischen Beamten.
In einer Tagung der demokratischen Beamten Thüringens erflärte der demokratische Landtagsabgeordnete Kallenbach, daß fein Zweifel daran sein fönne daß es ver fassungsändernden Charatter trage. Nach Entgegennahme eines zweiten Referats beschäftigte sich der Beamtenausschuß in eingehender Weise mit dem Ermächtigungsgefeß und fam etwa 34 folgender Stellungnahme:
,, Das Ermächtigungsgesetz ist verfassungsändernd. Die Be. amtenorganisationen werden die erste fich bietende Gelegenheit benügen müssen, um das im Prozeßwege feft stellen zu lassen."
( Weitere Meldungen siehe auch zweite Seite.)
barum zu tun ist, daß in unparteiischer Weise den Arbeitern Arbeit zugewiesen wird. Sie wollen vielmehr die Macht der Unternehmer über die Arbeiter mehren. Die Arbeiter sollen von den Unternehmern nach völlig freiem Ermessen ausgesucht merden können. Jede Einschränkung dieser großen Machtfülle der Kapitalisten durch die Gewerkschaften soll durch das neue Gesetz unter Strafe gestellt werden. Bekämen die Unternehmer dieses Antiterrorgesetz. dann könnten sie die organisierten Arbeiter nach Herzenslust terrorisieren; denn das, was da geschaffen werden soll, ist nichts anderes, als ein Ausnahmegeiß gegen die freien Gewerkschaften.
Absicht der bürgerlichen Politiker. Sie glauben, die Zeit der Ein solches zu schaffen ist in der Tat die ausgesprochene Wirtschaftsnot benügen zu fönnen, um den freien Gemertfchaften einen entscheidenden Schlag zu versehen. Die Tatsache, daß 300000 Arbeitslose vor den Fabriken harren, gibt ihnen den Mut, den Streich zu wagen.
Die Kleinbürger, die eigentlich vor dem Gesetz gegen die Arbeiterorganisationen wirtschaftlich gar nicht soviel profitieren, schauen den Stapitalisten und ihren Klopffechtern fchmunzelnd zu. Ihnen hat man eingeredet, daß das Antiterrorgesetz nun endlich und endgültig den Marrismus ver nichten werde. Ob solcher Aussicht verlieren ja die Spießer