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BERLIN  Freitag

28. März 1930

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Der Abend

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Nr. 148

B74 47. Jahrgang

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Hindenburg   beauftragt Brüning

Ein Reichskabinett ohne Koalitionsbindung.- Brüning verhandelt mit Parteiführern.

Amtlich wird mitgeteilt:

Der Herr Reichspräsident empfing heute vor-! mittag Reichstagsabgeordneten Dr. Brüning und er. teilte ihm den Auftrag zur Neubildung der Reichsregierung; hierbei brachte der Herr Reichs­präsident zum Ausdruck, daß es ihm angesichts der Schwierigkeiten der parlamentarischen Lage nicht ¡ wed mäßig erscheine, die künftige Reichsregierung auf einer toalitionsmäßigen Bindung aufzubauen. Dr. Brüning hat den ihm in dieser Form erteilten Auf­trag angenommen.

Außerdem empfing der Herr Reichspräsident heute vormittag den Reichstagspräsidenten 2öbe zu einer Be­sprechung der durch den Gesamtrücktritt der Reichsregie rung entstandenen politischen Lage.

Brünings Absichten.

Der Reichspräsident von Hindenburg   hat heute vormittag den Borsitzenden der Zentrumsfraktion, Dr. Brüning, mit der Bildung eines neuen Kabinetts beauftragt. Dr. Brüning hat diesen Auf­trag angenommen. Seine Absicht geht dahin, ein Sabineff ehne Bindung an die Parteien, also ein sogenanntes Kabinett der Köpfe oder der Persönlichkeiten, zu bilden. Dieses kabinett der Köpfe soll so zustande kommen, daß möglichst nur die durch den Austritt der Sozialdemokraten frei gewordenen Pläge mit anderen Männern besetzt werden. Man nennt in diesem Zusammenhang mit größter Bestimmtheit die Namen Treviranus und Schiele. Der fünftige Reichs­fanzler soll auch bereits vom Reichspräsidenten   die Bollmacht für eine eventuelle Auflösung des Reichstages und die Anwendung.des Artikels 48 erhalten haben. Der Reichstagspräfi­dent Löbe wurde, entgegen dem ursprünglichen Plan, nicht vor Dr. Brüning, sondern erst nach ihm vom Reichspräsidenten  empfangen. Es scheint danach, daß beim Reichspräsidenten   die Absicht, im Falle eines Sturzes des bisherigen kabinetts den Abg.

Brüninig zu berufen, von vornherein bestanden hat.

Dr. Brüning hatte heute Bormittag eine Besprechung mit dem Vorsitzenden der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion, Genoffen Dr. Breitscheid, in der er diesen fragte, ob die sozialdemo­Dr. Breitscheid  , in der er diesen fragte, ab die sozialdemo­fratische Fraktion nicht vieleicht doch noch für das Finanz­Pompromiß einschließlich der Formel über die Arbeitslofen­persicherung zu haben sei Diese Frage wurde von Dr. Breitscheid natürlich glaff verneint

Nach dem Empfang beim Reichspräsidenten   begab sich Dr. Brüning in den Reichstag  , um dort die Berhandlungen über die Neubildung des Kabinetts aufzunehmen.

Im Laufe des Vormittags empfing er nacheinander den Reichs­fanzler Hermann Müller- Franken und Dr. Breit. fcheid, den Reichsmehrminister Groener und darauf die beiden Abgeordneten v.& endell und Treviranus von der Chriftlich nationalen Arbeitsgemeinschaft. Im Anschluß hieran hatten der Reichsernährungsminister Dietrich und der frühere Reichsernäh­rungsminister Schiele( Dnat.) eine Aussprache mit Dr. Brüning.

Das Echo der Krise.

Stimmen der In- und Auslandspreffe.

nicht. Mit einem Wort fann man die gegebene Lösung also als die Bildung eines indenburg- Kabinetts" bezeichnen." " Frankfurter Zeitung  "( demokr.):

Die Ueberraschung des plöglichen Regierungswechsels spiegelt sich| Barlament oder überhaupt einer politischen Partei angehören oder in der gesamten Bresse wider.. Wie auf Verabredung wird jedoch die Schuld an dem Scheitern der Koalition der Sozialdemokratie zugeschoben. Besonders die demokratische Presse weiß von einem Siege Wissells über Müller, des Gewerkschaftlers über den Bolitiker des langen und breiten zu erzählen, während sie die Augen pöllig verschließt vor der Tatsache, daß der Bolksparte: der Angriff auf die Arbeitslosen wichtiger erschien, als die Not des Baterlandes, von der bei Festveranstaltungen so

schön die Rede ist.

Einige der wichtigeren Aeußerungen der Presse laffen wir hier Germania  "( 3tr.):

folgen:

stand des Streites mit seiner Kleinheit in einem so grotesten Ein schwarzer Tag! Doppelt unheilvoll, weil der Gegen­stand des Streites mit seiner Kleinheit in einem so grotesten Mißverhältnis zu den verhängnisvollen Folgen steht, die daraus erwachsen tönnen. Ein Biertelprozent Erhöhung des Beitrages zur Arbeitslosenversicherung, ein Betrag von 70 mii­lionen Mart je zur Hälfte von Arbei gebern und Arbeitnehmerit zu tragen das ist das ganze Objeft! Un begreiflich, daß die Bolkspartei darum das Unheil einer Krise ristiert, die der Wirtschaft eine Schädigung in vielfacher Höhe dieser 70 Millionen zu bringen droht. Unbegreiflich aber erst recht, daß angesichts der nun emmal eingetretenen Zuspigung die Sozial­demokra.ie nicht den Boden eines Kompromisses betrat, das immer­hin nicht verbaute. Hat sie bedacht, was für unsere ganze inner­politische Entwicklung, was für die Zukunft der Demokratie int Deutschland   daraus erwachsen tann?

Jetzt ist alles dunkel und ins Ungewisse gerückt. Finanzordnung durch Artikel 48? Beamtenfabinett mit unflarer Meh: het? Re­gierung der Rechten? Wir stehen vor folgenschweren Entwidiungen. Kölnische Zeitung  "( D. Bp.):

Das Blatt ist nach wie vor der Meinung, daß es am besten ge= Blanes aufzulösen. Nachdem das nicht geschehen ist, mag nun auch wesen wäre, den Reichstag   sofort nach der Annahme des neuen noch der letzte Bersuch gewagt werden. Nur wenige Tage bleiben noch, um die Kaffenlage des Reiches rechtzeitig in Ordnung das jetzt schon kaum mehr gehen. Es geht jetzt ums Ganze. zu bringen. Ohne außerordentliche Maßnahmen wird

Die Krise, die gestern zum Ausbruch gekommen ist, bedeutet mehr als nur ote Strife einer Regierung. Sie ist der bisher stärkste und folgenschwerste Ausbruch einer Krise des Barlaments, die zu beobachten wir auch in Deutschland   schon feit langem Gelegenheit haben. Der Deu sche Reichstag hat perfagt und gewissermaßen abgebantt in einem Augenblick, in dem es im Hinblick auf die gesamtpolitische Lage des deutschen  Voltes ein Versagen einfach nicht geben tonnte und durfte. In dieser Tatsache sehen wir den besonderen Sinn der jeßigen Krise und von diefer Tatsache aus müssen auch die Lösungen gesucht werden, wenn nüßliche und heilsame Birkungen von ihr aus­gehen sollen. Es geht nicht an, etwa nur das eine Stabinett durch ein anderes zu ersehen, es müssen auch altgewohnte Methoden der deutschen   parlamentarischen Politik durch beffere erfekt werden. Das ganze Bolt ist wach geworden und verlangt gebieterisch, daß auf der ganzen Linie eine fraftvolle Staatspolitit geführt wird, sowohl im Kabinett als auch im Parlament und wenn es sein muß auch einmal gegen das Parlament, falls dessen Versagen die allerdringlichsten Aufgaben einer deutschen   Sanierungspolitik gefährdet. Die Stunde, in der wir stehen, verlangt schnelle und flare Entscheidungen; das deutsche Bolf fann gegenwärtig feine Regierungsfrise vertragen, nach dem Muffer derer, die in der Bergangenheit zu wochen- und sogar monatelangen Berwicklungen und Auseinandersetzungen geführt haben. Das neue Kabinett muß in fürzester Zeit im Amte und in der Verantwortung sein, menn nicht das deutsche Bolf ernſten Schaden nehmen soll. Wir haben die Gewißheit, daß diese Entstellung lostommen, daß wir beiseite stehen, was das Leben jeder fcheidungen in der Tat mit größter Beschleunigung gefällt werden. Deutsche Zeitung"( alldeutsch):

,, Die Forderung der Stunde lautet: Neuwahlen! Jeder Versuch, eine Minderheitsregierung der Mitte unter wohl flingender Bezeichnung zu bilden, die mit Hilfe des Artikels 48 die gescheiterten Steuergefeße verfündet und die Politik des gegen. wärtigen Stabinetts mit anderen Mitteln fortsegt, wird auf die schärffte und entschlossenfte Opposition der Rechten stoßen."

Deutsche Tageszeitung"( agrarisch deutschntl.):

,, Kölnische Volkszeitung"( 3.):

Im tiefsten Grunde war es der neue Plan, der die Festen dieser Koalition angriff. Aus dieser unterirdi­schen Kraft tamen alle die Auseinandersetzungen, welche zuletzt fo heftige Bellen schlugen und das Schiff verschlangen. Wie nun die fünftige Regierung auch zustande kommen mag, sie wird nur die Bahn der Mitte begehen können. Die Haltung der Sozialdemo tratie ist gewiß nicht gleichgültig, aber wir müffen von der Vor­

Regierung dauernd bedrohen würde. Man müßte freilich wünschen, daß auch nach der Seite der Volksstimmung eine Klärung erfolgt und daß infolgedessen erkennbar wird, sb sich die Kräfte entscheidend verlagert haben.

Der Eindruck im Ausland. Pariser   Frage: Warum nicht in offener Redeschlacht? Paris  , 28. März.( Eigenbericht.)

Die Demission des Kabinetts Müller hat trotz der voran­ Es muß. zweifelhaft erscheinen, ob ein parlamenta. gegangenen monatelangen latenten Krise in Paris   doch peinliche Es verlautet, daß die Hugenberg- Fraktion bereits die Genehmi- res Kabinett mit Einschluß der Rechten im jezigen Augenblickleberraschung hervorgerufen. Alle Blätter bedauern im Inter­gung zur Teilnahme Schieles an der Regierung gegeben habe.

Die Börse bleibt ruhig.

der gegebene Weg war. Es braucht gar nicht näher ausgeführt zu merden, daß diese Lösung zur 3eit auf politische Schwie zigfeiten stoßen würde. Wichtiger ist, daß die Bildung der neuen Regierung mit größter Beschleunigung erfolgen muß, meil ihre Aufgaben so überaus dringlich sind und noch wichtiger, daß die Methode der Regierungsbildung mit Hilfe der parlamentarischen Gie diskutiert natürlich auch über das neue Kabinett. Arithmetit nachgerade so bistreditiert ist, daß nicht nur die Arbeits­Der Rüdtritt der Reichsregierung hat, entgegen manchen Erfähigkeit, sondern auch die Autorität der neuen Regierung wartungen, die Börse nicht beunruhigt. Von einer Baisse war in den ersten Stunden nicht die Rede, und wenn die Börse [ päter auch etwas schwächer wurde, so beschränkte fich die Abschwächung doch nur auf kleine Teile des Attienmarties und blieb in engen Grenzen. Auf dem Markt der festverzinslichen Papiere ist die Situation wesentlich ruhiger geworden, aber nicht aus politischen Gründen, sondern deshalb, weil die Banken jest mit den Borbereitungen für das Quartalsende start beschäftigt find.

größer sein wird, wenn sie auf eine neue Art berufer und zusammen­gelegt wird. Politisch wie sachlich spricht gleichviel dafür, daß der Reichspräsident nicht durch mühselige Verhandlungen mit Fraktionen zur Regierungsbildung zu fomen sucht, sondern endlich Don feinem verfaffungsmäßigen Recht Gebrauch macht und ohne vorherige Befragung des Barlaments eine Regie rung aus den Männern bildet, die er als besonders geeignet zur Lösung der großen Aufgaben erkennt, deren schleunige Bewälti gung die Not der Zeit forbert, gleichpiel, ob diese Männer dem

effe der Inkraftseßung und der Durchführung des Young- Planes, daß eine größere politische Stabilität in Deutschland   nicht zu erreichen ist. Der Petit Parisien" betont jedoch, daß die Demission teiner. lei außenpolitische Folgen haben werde; ihre Gründe feien rein innerpolitischer Natur. Sie zeigten noch deutlicher als bisher die Schwierigkeiten der Finanz- und Steuer­lage des Reiches mit ihrem chronischen Budgetdefizit, ihrem fintenden Steuerauffommen und ihrer steigenden Kapital­flucht ins Ausland. Daß die Haltung Deutschlands   gegenüber dem Young- Blan fich nicht ändern werde, dafür feien allein die Proflamationen des Reichspräsidenten hinden burg eine genügende Garantie. Schließlich bemängelt die franzö fische Rechtspresse, daß das Reichskabinett nicht größeren Attivitätswillen an den Tag gelegt und vor allem seine Existenz nicht vor dem Reichstag   in offener Debatte ver­teidigt habe.

Der Matin" schreibt, daß nur die zweite Haager Konferenz