Morgenausgabe Nr. 159 �, -�-�-47. Jahrgang
W»che»Mch WW. moeatnd) S/0 JJL tm voraus zahlbar. Poslde�ug<L2 M. einschließlich 60 Vlg.Doftzeitun�». und ?2PIg Postdeslellzedüdeen. Ausland»» ebonnenuni 6.— M. pro Monat.
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Berliner Volksblatt
Freitag 4. April 1930 Groß-Äerlin 10 Pf» Auswärts 15 pf.
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Sieg der Grünen Front. „Gpeckzoll vor Naiionalpoliiik."— Regierung Brüning in Hugenbergs Hand.
Nur für den ersten Augenblick hat die Grotesk-Komik des deutschnationalen Umfalls die politische B e d e u- t u n g des gestrigen Tages überdeckt. Sie ganz klar hervor- zuheben ist um so notwendiger, als die ganze bürgerliche Presse vor ihr den Kopf in den Sand steckt. Gestern hat die Grüne Front ihre Durchbruchs- schlacht geschlagen. Sie hat erft die deutschnationale Partei- leitung mitsamt Hugenberg und dann die Reichsregie- rung mit Dietrich, Curtius und W i r t h als Ge- fangene eingebracht. Wie die deutschnationale Parteileitung überrannt wurde, das hat Hugenberg selbst in seiner großen Hanswurstrede dramatisch genug geschildert. Er hat aufrichtig erzählt, wie es„gestern* noch war und wie es am Tage darauf ge- worden ist. Roch am Mittwoch ging nach der glücklichen Formulie- rung eines fingerfertigen Hugenberg-Ivurnalisten„Ratio- nalpolitik vor Speckzoll*. Aber am Donnerstag schon ging„Speckzoll vor Rattonalpolitik*. Mit anderen Worten: das wirtschaftliche Interesse hat sich gegen die Ideologie, der Landbund gegen die deutschnationale Parteileitung durchgesetzt. Sein Einfluß auf sie ist von heute ob beherrschend und womöglich noch stärker als zum Beispiel der des Arbeitgeberverbandes auf die Deutsche Volkspartei . „Speckzoll vor Nationalpolitik*, so bekämpft man den Materialismus der Marxisten! Mit dieser erfreulichen Parole kam man aber auch an die neue Regierung heran. Und auch hier war der Sieg vollständig. Die Deutschnationale Partei ist in der Hand des Land- bundes. Die Regierung Brüning-Dietrich-Wirth- Curtius ist in der Hand der Deutfchnationalen Partei. Die Deutschnationale Partei ist seit gestern nicht nur durch eines ihrer bisherigen Vorstandsmitglieder in der Re- gierung vertreten, sie ist selber Regierungspartei. Sie hat die Regierung Brüning parlamentarisch gerettet. Sie bildet mit Demokraten. Zentrum und Volksparteilern die Regierungsmehrheit, der das neue Reichskabinett die Möglichkeit seiner parlamentarischen Existenz verdankt. Die Deutschnationale Partei hat das nic�t um Brünings schöner Augen willen getan. Sie hat von Brüning Z a h- l u n g gefordert, und Brüning hat gezahlt. Die Erklärung, die der neue Reichskanzler gestern ab- gab, war in Khrem Kernstück das Ergebnis von VerHand- langen mit den Deutschnationalen. Sein Versprechen, „schon in d e n n ä ch st e n Wochen* die vom Landbunv und vom Reichspräsidenten gewünschten Vorlagen einzu- bringen, war der Preis, mit dem er sich die Unterstützung der Deutschnationalen bei der gestrigen Abstimmung erkaufte. Die Regierung Brüning ist in Hugen- bergs Hand. Wer sagt das? Hugenberg selbst! So stand gestern abend in seinem„Lokal-Anzeiger*: Die densschaaklonale Retchskagsfraklloa hat das Schicksal der Regierung tu der Hand uud tonn sie beseitigen, wann ihr da, beliebt, vi« ist die tag«. Noch viel schöner sagt es für die Provinz die deutsch- nationale Parteikorrespondenz: Am Mittwochabend stimmte die deusschnationole Fraktion m-t Drewiertelmehrheit der Forderung Hilgenbergs zu. den Mißtrauens. antragen gegen die Regierung zuzustimmen. Damit lag da» Schicksal der Regiernag Brüning in hugeubergs Hand. In der Rächt entschließt sich hugenberg. der Regierung eine Dewährungssrist zu geben. Am Donnerstzvormittag stellt sich die Fraktion geschlossen hinter den Ensschlufz des Parteiführers. Er selbst betritt die Tribüne de» Reichstages und gibt seinen Entschluß bekannt, der die Regierung vor dem Sturz bewahrt, sie aber zu» gleich in sein« Hand gibt. Stars vorher hatte der Reichskanzler den Deutsch- nationale» unter dem Druck ihres am Abend ge- faßte« und der Regierung bekanntgegebenen Entschlusses zugestanden, die Gesetzesvorlage« für de« bedrohten tste« nud die Landwirtschast vordringlichnndnoch vrr Oster» einzubringe«. Er gibt daS im Reichstag »fstjftst bekannt. Lieundzwanzig Stunden voll unerhörter Spannungen und
schwerwiegender Entschlüsse. Ein Mann, der allein die Gestaltung der Dinge in Deutschland in seiner Hand hält. Herr Brüning ist mit seiner ganzen Regierung in Hugen- bergs Hand. Darum hat er es sich auch gestern nicht leisten können, seine Ministerkollegen Curtius und W i r t h gegen die Angriffe des deutschnationalen Führers in Schutz zu nehmen. Er hat es hinnehmen müssen, daß Hugenberg der ganzen Regierung, während er sie mit der einen Hand aus dem Wasser zog. mit der andern schallende Schläge verab- reichte. Nach der Reichsverfassung bedarf der Reichskanzler zu seiner Amtsführung des Vertrauens des Reichstags. Aber die Deutschnationale Partei hat gestern durch ihren Führer der Regierung ein schneidendes Mißtrauens- votum ausgestellt, das noch schärfer klang als das antrags- mäßig formulierte Mißtrauensvotum der Opposition. Herr Brüning steckt es ein— und bleibt. Cr ist in Hugeubergs Hand Heute tritt der Steuerausschuß des Reichstags zusammen. Hugenberg hat die Regisrungsvorlagen für unannehm- bar erklärt. Diese Regierungsvorlagen werden u. o. auch das von der Sozialdemokratie � abgelehnte Arbeitslosen- kompromiß enthalten, also auch für sie unannehmbar sein. Abgesehen davon war die Sozialdemokratie bereit, Steuern
zu bewilligen, um die Reichsfinanzen zu sanieren und die sozialen Institutionen aufrechtzuerhalten. Jetzt verlangen die neuen Herren Geld für eine uferlose agrarische Subventionspolitit. Für deren Finanzierung zu sorgen, muß ihnen und den von ihnen abhängigen Parteien überlassen bleiben. Im Hintergrund steht der Artikel 48 und die Auflösung des Reichstags. Die Auflösung des Reichstags— vorgestern haben noch die Deutschnationalen nach ihr geschrien. Heute werden unsere Genossen im Lande aufs tiefste enttäuscht sein, daß sie nicht schon gestern erfolgt ist. Ihnen zum Trost sei gesagt, daß sich mit jedem Tag, um den die Auflösung verschoben wird, die Kampfsituation der Sozialdemokratie verbessert Sämtliche bürgerliche Par- teien scheinen von einer Art Selb st mordmanie gepackt und bemühen stch� noch vor den Wahlen alles zu tun, was sie in den Augen ihrer Wähler kompromittieren mutz. Heber ihnen stehen jedoch als ernst zu nehmende Gegner die Vereinigung der Arbeitgeberverbände und der Reichslandbund. Als reale Mächte thronen sie ober- halb oller parlamentarischen Wirrsale. Ihre Herrschaft zu brechen, darum geht der Kampf! �,
Im„Sozialdemokratischen Pressedienst" schreibt Brett- scheid: Es gab nicht wenig« Im Reichstag , die glaubten, der Reichs- kanzler werde noch der Red« Hug«nbergs erklären, daß er auf eine so geartete Unterstützung verzichte und trotz ihrer das Parlament auslöse. Vielleicht gewährte ihm die Order des Reichspräsidenten diese Freiheit nicht. Aber ander« Möglichkeiten waren vorhanden. Herr Brüning hüte jetzt ein direktes Vertrauensvotum verlangen, oder er hatte unter Unterbrechung der Sitzung zum min- besten sein Kabinett zu neuer Stellungnahme zusammenberufen können. Nichts von alledem geschah, Er ließ die Äbstimmung vor- nehmen, und«s war nichts als eine Farce, wenn in diesem Augen- blick ein eifriger Beamter der Reichskanzlei auf der Regierungs» tribüne die rote Mappe mit der Auflösungsorder schwenkte. Das Resultat war nicht mehr zweifelhaft. Das Kabinett war gerettet— aber es war auch gerichtet. Den historischen Moment, tn dem er sich als Politiker von Format und als Wahrer der Würde seines Kabinetts hätte zeigen müssen, hat Herr Brün'ng verpaßt. Wahrscheinlich dachte er nur an die Blamage der Deutschnationalen und vergaß darüber, daß er selbst«inen staatsmännischcn Ruf zu verlieren hat. Im„Berliner Tageblatt* kommt Ernst F e d e r zu diesem Ergebnis: Di» heutige Abstimmung gibt der Regierung die Möglichkeit, zu arbeiten. SI« möge davon den Gebrauch machen, daß st« sich selbst so schnell wie möglich überflüssig macht und sich durch eine feste parlamentarisch« Mehrheitsregierung ablösen läßt. Die zweitägige Debatte hat jedem unbefangenen Beobachter gezeigt, wie zahlreich und gefährlich die Klippen sind, an denen das zerbrechliche Fahrzeug dieses Kabinetts scheitern kann. Ee trägt Unruhe in die Außenpolitik, deren feste uud unbeirrbare Linie einen langsamen Aufstieg Deutschlands ermöglicht hat. Es trägt Unruhe in die Innenpolitik, die m Der- bindung mit den ruhigen und geordneten Berhälmlsscn in Preußen, zum Aukba» der Wirtschaft, des Handels, der Landwirtschaft notwendig ist. Man sieht die Mängel und Gefahren, die der Re- gierungstausch bedeutet. Man vermißt die Dorteile und die Vorzüge.
Vergbauvorlage endqüliig verabschiedet letzter konservativer Vor'' oh abgewehrt. London . 3. April. Das Unterhaus lehnte mit 277 gegen 234 Stimmen (also bei Stimmenthaltung der Liberalen. Red. d. einen Antrag der Konservative« auf Ablehnung des Gesetzentwurfes über die Kohlenbergwerke ab und nahm darauf den Gesetzentwurf tu dritter Lesung an.
Die„Germania *, die die nächste dazu ist, schreibt: Das Sellsamste an der Rede Hugenbergs ist es aber, daß er für sein« Fraktion zwar erklärte, einmütig den sozlaldemo- kratischen Mißtrauengantrag ablehnen zu wollen, aber zugleich dem neuen Kabinett mtt jedem Satz und in schärfster Form ein Mißtrauen aussprach, das in Form und Bekundung weit über das hinausgeht, was die Urheber des von den Deutsch - nationalen abgelehnten Mißtrouensontrages zum Ausdruck gebracht hatten. Man kann sich unschwer vorstellen, wie dies« d o p p e l- seitige Haltung des deutschnationalen Partei- f ü h r e r s im Reichstage wirkt«, und wenn er etwa noch ein poli- tische? Ansehen als Führer«wer großen Partei zu verspielen hatic, dann dürft« dies heute geschehen sein, als er selbst die schwere Nieder- lag«, die er mtt seiner Führung erlitten hatte, und den seit gesterii vollzogenen Stellungswechsel vor dem gesamten Parlament«ingc- stehen mußte. Diese Red« Hugenbergs hat jedenfalls das eine bewirkt: Zwischen ihm und seiner engeren Gefolgschaft einerseits und dem Kabinett und den hinter ihm stehenden Parteien andererseits ist eine klar«, weithin sichtbor« Scheidung ersolgt. Wenn Hugenberg dem Kabinett taktisch zu einem ersten Erfolg verholfen hat dann ist das alles, was chn mtt dem Kabinett haute und in Zukunft verbindet. Hugenberg geht in Opposttion, und zwar in f ch ä r fst e O p po- f i t i p n— wie«s ja auch gar nicht ander? sein kann und darf(!)— und sein« Hallung wird die Deutschnationale Dolkspartei und ihre Reichstagsfraktion auch weiterhin noch vor ernst« und folgenschwere Entscheidungen stellen. Hat man so etwas schon erlebt?! Dag Blatt der führen- den Regierungspartei fleht Hugenberg förmlich an, fchärsste Opposttion zu machen, aber die Stimmen seiner Partei wer- den gern angenommen. Hai Brüning nicht verhandelt? Ein formell korrekte« Dementi. Offiziell wird verlautbart: „In Berliner Blättern ist von nächtlichen Berhand- t n n g e n die Rede die angeblich der Reichskanzler In der vergange- nen Nacht mtt Führern der Deutschnationalen über die DeHandlung der Agrarfragen gehabt haben soll. Demgegenüber wird von zuständiger Seit« festgestellt, daß derartig« Derhandfungen nicht stattgefunden haben.* Dieses Dementi ist formell korrekt Herr S ch i e l e ist ja, seit er in der Regierung sitzt, kein„Führer der Deutschnatio- nalen* mehr. Der Reichskanzler hat nur mit dem zuständigen Ressortminister verhandelt, und der wieder hat mit deutsch - nationalen Führern gesprochen. Diese aber bestätigen in der Presse, daß f'e nur für die Zusage einer Erledigung der Agrarinaßnahmen vor Ostern ihre Stimmen an die Regie- rung verkauft haben.