Einzelbild herunterladen
 

Nr. 195

47. Jahrgang

Technik

Sonnabend 26. April 1930

Der Edison der Renaissance

Die großen Erfindungen des größten Technikers aller Zeiten

O Erforscher der beständigen Bewegung wie viele eitle Pläne habt ihr bei dergleichen Suchen geschaffen", schrieb um 1500 ein Ingenieur neben seine Zeichnungen eines Berpetuum mobile. ,, Tölpelhaft, bäuerisch" nannte er die Erfindung jener Maschine, die feit urdentlichen Zeiten das Ziel vieler und sogar bedeutender Techniker war. Der Ingenieur, der vor mehr als vier Jahrhunderten die Sinnlosigkeit der Verwirklichung des Perpetuum mobile   erkannte und mit jenen Worten brandmarkte, war der Ingenieur und

Gelenkketten von Leonardo

-

werpen durch Schillers Beschreibung bekannt wurde. Da man sich über die Natur des Dampfes im ganzen Altertum und Mittelalter bis ins 17. Jahrhundert hinein völlig unflar war, be­sonders nicht scharf zwischen Dampf und Luft unterschied sonders nicht scharf zwischen Dampf und Luft unterschied auch Leonando tat es nicht ist ein Dampfversuch von ihm sehr bemerkenswert, durch den festgestellt werden sollte, in wieviel Dampf sich eine bestimmte Wassermenge auflöst. Allgemein liest man, dieser Dampfversuch sei erstmalig 1601 durchgeführt worden. An anderer Stelle benutzt Leonardo das Feuer unter Alusnugung des Luft­drucks und der Luftverdünnung innerhalb eines erwärmten und dann geschlossenen Kessels zum Emporheben von Brun­nenwasser. Sehr sinnreich sind mehrere mechanische Braten=

wender.

-

Bisher nahm man an, daß der Desterreicher Joseph Ressel  die Wasserschraube Schiffsschraube als Fort­bewegungsmittel im Jahr 1826 erfunden habe. Aber schon Leo­nardo stizziert eine Wasserschraube mit 16 Flügeln. An anderer Stelle ist eine 3entrifugalpumpe ftizziert, die dadurch interessant ist, daß hier zum erstenmal die 3entrifugaltraft im Maschinenbau angewandt wurde, denn erst viel später treten der Ventilator, die Trockenzentrifuge und andere Anwendungen auf. Daß Leonardo die Zentrifugalfraft genau erkannt hatte, geht aus dem Begleittert hervor. Weiter zeichnet Leonardo einen Erdbohrer, auf dem Prinzip beruht, daß man zunächst den Bohrer nach Griffes samt dem herausgebohrten Kern( wie beim modernen Kort­zieher) in die Höhe zieht. Diese Erfindung schrieb man bisher dem Pariser   Mechaniker Balifiy um 1580 zu. Leonardo   ist auch der

Künstler Leonardo da Vinci  , von dessen genialen tech- rechts hineindreht und ihn dann durch Drehung eines zweiten

nischem Schaffen ich hier erzählen will.

So einzigartig Leonardos   Gemälde, befonders das Abend mah!" und die ,, Mona Lisa  ", noch heute in der Kunstgeschichte da stehen, so einzigartig ist auch das, was er an Maschinenzeichnungen und technischen Stizzen hinterlassen hat. Kein Ingenieur irgend­eines Jahrhunderts hat die Technit seinerzeit so vielseitig bereichert, wie der Generalingenieur" des mächtigen Cesare Borgia   und spätere Freund der Franzosenkönige Ludwig XII  . und Franz I. Zu seinen Lebzeiten ließ Leonardo   nichts von seinen vielen Arbeiten im Drud erscheinen. Seine Aufzeichnungen machte er entweder in gang fleine Notizbücher, kladdenförmige Schreibhefte oder auf ein­zeine Blätter verschiedenen Formats. Manche dieser Auszeichnungen hatten anscheinend eine einheitliche Anordnung, denn Leonardo spricht gelegentlich von seinen Büchern", so dem Buch der Bewegung", dem ,, Buch über die Maschinenele. mente" und anderen. Keines dieser Bücher hat sich ganz erhalten. In einem im russischen Besitz befindlichen Manuskript findet sich allerdings ein Kapitel, in dem er sehr oft über den gleichen Gegen­stand spricht. Dies ist als Buch über den Vogelflug" be zeichnet. Wir wissen ja, daß Leonardo   sich sehr eingehend mit dem Problem des menschlichen Fluges und dem Flug der Bögel be­schäftigt hat.

Die Zeichnungen von Leonardo gehen in die Tausende. Im Lauf der Jahrhunderte wurden sie willkürlich zusammengeheftet, ohne jede Rücksicht auf die Zusammengehörigkeit der einzelnen Dar­ftellungen und Texte. Erst die jüngere Forschung hat sich die Auf­gabe gestellt, Leonardos   na chlaß, von dem leider nur ein ge­ringer Teil erhalten ist, fyftematisch zu erforschen. Die Lösung dieser Aufgabe ist schwierig, weil heute alles bunt durcheinander zusammen geheftet ist und die einzelnen Teile oder Bände in alle Welt zer­streut sind. Auch sind alle Terte Leonardos   in Spiegelschrift geschrieben und meist sehr furz gefaßt. Vergleicht man den Nach­laß Leonardos   auf Grund der Forschungsergebnisse der Geschichte der Technik mit dem Stand der technischen Wissenschaften seiner Zeit und mit den Erfindungen der Jahrhunderte nach Leonardo, dann staunt man, wie piele Erfindungen des 16. bis 19. Jahrhunderts bereits um 1500 von Leonardo angegeben wurden, also oft viel später mur ,, wiedererfunden" wurden. Da Leonardos   Nachlaß in jenen Jahrhunderten taum bekannt war, handelt es sich meist um jene Duplizität der Ereignisse, die in der Erfindungsgeschichte eine oft so tragische Rolle spielt.

+

SOUS CETTE PIERRE REPOSENT DES OSSEMENTS RECUEILLIS DANS LES FOUILLES DE L'ANCIENNE CHAPELLE ROYALE D'AMBOISE PARMI LESQUELS ON SUPPOSE QUE SE TROUVE LA DEPOUILLE MORTELLE DE

LEONARD DE VINCI

NE EN 1452 MORT EN 1519

1874

Die Grabtafel Leonardos  

Ein Empfehlungsschreiben vom Jahr 1480 an Ludovico Sforza  , den Herzog von Mailand  , zeigt nur zu deutlich, daß die Kriegstechnit jener Zeit im Vordergrund stand. Darum finden wir erste, der ein vertitale Bohrmaschine( zum Ausbohren bei Leonardo auch sehr viele friegstechnische Zeichnungen, fo zum langer Stämme, die für die Wasserversorgung wichtig waren) ab­erstenmal Radschloßgewehre, also Schußwaffen mit Feuer bildet und beschreibt. Man soll, sagt er, senkrecht von unten nach steinschlössern, angegeben. Auf einer Stizze mit mehreren Geschüßen oben bohren und die Arbeiter unter einem schrägen Dach stehen find zwei Zeichnungen von hinterlade Geschützen. Hinterlassen, damit das Bohrmehl die Leute nicht behindert. Bohrmaschinen, lade- Beschüße führten sich erst sehr spät in der Kriegstechnik ein, die nach oben hin bohren, wurden erst 1798 durch Beschel in Dresden  weil die Schwierigkeiten, die Verschlüsse gasdicht zu konstruieren, zu bekannt gemacht.

Bohrmaschine mit Zentrierfutter

groß waren. Eines der interessantesten Geschüße von Leonardo ist fein Dampfgeschütz. Leonardo schreibt hierüber: Der dritte Teil des Instrumentes befindet sich innerhalb eines großen Kohlen feuers, und wenn es( das Geschüß) durch dieses gut erhitzt ist, soll man aus dem oberen Behälter in die Kammer des erhitzten Rohr­teiles Waffer laufen lassen, das sich sofort zu Dampf verwandelt und den Abschuß bewirkt." Dieses Dampfgeschüß hat Leonardo selbst ausprobiert. Dann zeichnet Leonardo einen Brander", ein Sprengschiff, wie es uns erst aus den Kämpfen in den Nieder­landen( 1585) bei der Verwendung gegen die Scheldebrücke bei Ant.

.

Bei einer großen Horizontalbohr= maschine sind zum erstenmal im Maschinenbau   3 entrier futter angewandt, durch die das Werkstück zentral zum Werk­zeu gehalten wird.

-

nennen,

Allgemein heißt es, die Windmühle mit drehbarem Dach, die wir holländische" im Gegensatz zur deutschen  ", bei der die ganze Mühle auf einem Bock steht und sich dreht sei eine flandrische Erfindung des Jahres 1550. Aber Leonardo hat bereits eine solche Mühle gezeichnet, und in einer Teilzeichnung zu dieser Mühle führt er uns in der Dachkonstruktion die erste Bandbremse vor: Um das Mahlwerk zum Stillstand zu bringen, tlemmt er das große Zahnrad, das auf der Windradwelle sigt, in ein halbtreisförmiges Holz. Dann stizziert er den frühesten be­tannten Windmesser, der bisher als eine anonmye englische  Erfindung des Jahres 1667 galt. Ein ganzes Kapitel ließe sich über die Vielseitigkeit der Leonardoschen Werkstatts- Technit schreiben, besonders deshalb, weil er als erster Techniker mehrere wichtige Werkzeugmaschinen angab. Es ist eine bisher gänzlich ungelöste Frage, wann und wo man sich zuerst der Metallschrauben als Befestigungsmittel bediente. Auch Leonardo macht die Her. stellung eines Gewindeschneidezeugs große Schwierig­feiten, aber er löst die Aufgabe. Noch im Jahr 1578 gab der Technifer Besson als einzige Möglichkeit die Methode an, das Gewinde mit einer Dreifantjeile herauszuarbeiten! Eine prächtige Zeichnung ist von einer Schraubenschneidemaschine von Leonardo erhalten. Diese Leonardosche Maschine steht noch für die nächsten Jahrhunderte einzig da. Gleichwertig in fonstruktiver Be­ziehung und in der Darstellung ist eine Feilen haumaschine mit Gewichtsantrieb. Die mechanische Herstellung von Fellen wurde erft 1699, also zwei6 Jahrhunderte später, von dem Franzosen Ber ger der Pariser Akademie der Wissenschaften vorgeschlagen, aber seine Konstruktion ist ungeschickter als die Leonardos  .

Zur Herstellung großer metallener Hohlspiegel benötigte Les­nardo gleichmäßige metallene Bänder, die er zusammensetzen konnte. So entwirft er die erste 3ieh bant für Metallbänder. Ebenso interessant wie die Ziehbant find Leonardos   Walzwerke, von denen hier zwei wiedergegeben sind. Die obere hat zwei Gegen druckwalzen, die das Durchbiegen der langen Walzen verhüten. Die

große Kurbel in der unteren Stizze erklärt sich daraus, daß dies Balzwert für einen Goldarbeiter gedacht war, der es auf dem Werk­tisch stehen hatte. In einer Reihe von Stizzen beschäftigt Leonardo sich mit der Materialprüfung. Leonardo ist auch der erste, der einen Münzprägestempel in verbesserter Form angab. Sein Münzwert hatte er der Münze in Rom   angeboten. Ob es angenommen wurde, wissen wir nicht. Auch hat er mehrere Buch­drud pressen entworfen. Sie gehören zu den ältesten Dar­

Dampfgeschütz von Leonardo

-

stellungen, die wir überhaupt fennen. Dann war Leonardo wohl der erste, der den Naturselbstdruck wir fannten ihn bisher nur nach einer Beschreibung des Jahres 1560- beschreibt, also wohl die ersten Versuche zum Abdruck von Pflanzen auf präpariertem Papier, machte.

Ebenjo tönnte man Leonardo als den Schöpfer rationeller Be­triebsführung bezeichnen, denn unter Dutzenden von Zeichnungen, die die damals in Oberitalien   als einträglichen Erwerb betriebene Tuchfabrikation bis in alle Einzelheiten wiedergeben findet sich eine Tuchschermaschine, auf der vier Tuche zugleich bearbeitet werden sollen. Bei einer Spinnmaschine gibt Leonardo den ersten Garnverteiler an, der verhindert, daß der Faden auf der gleichen Stelle der Spule aufläuft. Dieser Garnverteiler wurde aber erst 1794 in England ,, erfunden" und eingeführt. Dann macht Leonardo Kreiselbersuche, um die Reibungswider= stände festzustellen, und zwar einmal bei einem Kreisel, dessen Achse fenfrecht steht, das zweitemal, wenn sie unter 45 Grad geneigt ift und das drittemal, wenn sie waagerecht liegt. Jahrhundertelang fümmerte man sich nicht um die Reibungswiderstände, die, mie wir wissen, im gesamten Maschinenbau von so großer Bedeutung find! Noch eine zweite Bersuchsreihe von Leonardo sei erwähnt, die er als erster unternahm: Obwohl die Pendel gefeze feiner Zeit noch unbekannt waren, verwendet er mehrfach das Pendel bei seinen Maschinen, die er stizzierte, als Gangregler, auch im Zu­fammenhang mit einem Zahnrad. Er will sogar solche Bendel bis zu 30 Ellen Länge und 20 000 Pfund Gewicht machen. Ohne die Bendelgesetze zu tennen, hat Leonardo ihre Eigenschaften auszunußen verstanden.

-

Wie alt doch manches scheinbar Moderne ist, läßt sich auch an Hand der Zeichnungen von Leonardo beweisen: Wir alle tennen die hier abgebildete Gelentette, die zu jedem Fahrrad gehört und ein wichtiges. Glied im Kraftwagenbau ist. ,, Gallsche Rette" heißt sie heute fälschlicherweise. Der Pariser   Medailleur Galle   führte sie zwar 1832 ein, aber Leonardo hat sie bereits in mehrfacher Ausführung erdacht. In einer Lampe verwendet Leonardo den gläsernen Lampenzylinder, der ihr eine besondere Helligkeit und eine gleichmäßige Lichtverteilung gibt. Der Glaszylinder für Lampen wurde aber erst 1756 in Paris   der Deffent­lichkeit als neu gezeigt. Ferner beschreibt Leonardo als erster das fogenannte Geigen Clavicy mb el oder Nürnbergische Geigen­mert, auch Nürnberger Hadebrett genannt Die Erfindung dieses Musikinstrumentes gilt allgemein als ein Werk des Nürn­berger daher der Name- Instrumentenbauers Hans Haydn um etwa 1570.

-

Auch die Zeichnungen, die sich mit dem Flugsystem befassen, sind liche Wissen dieses Mannes staunen muß. Wie sehr Leonardo recht so interessant, daß man nur immer wieder über das tiefe und gründ­hatte, welch gewaltige Berwirklichung unserer heutigen Zeit er prophetengleich vorausgesehen hat, das hat er selbst in den Innen­dedel feines Buches über den Bogelflug" geschrieben: Es wird feinen ersten Flug nehmen der große Vogel vom Rücken des riesigen

Walzwerke von Leonardo

Schwanenhügels( bei Florenz  , wo Leonardo seine Flugmaschinen ausprobieren wollte) aus, das Universum mit Verblüffung, alle Schriften mit seinem Ruhme füllend, und ewige Glorie wird sein dem Neste, wo er geboren wird." Diese Worte fielen mir ein, als ich das Grabmal des größten Techniters aller Zeiten im Winter 1927/28 in Amboise   in Frankreich   photographierte, und ich zog den Vergleich: Ist nicht Leonardos   Geist selbst der große Bogel, sein Können und Schaffen der Hügel, von dem aus fein Name das Universum mit Berblüffung und alle Welt mit unvergeßlichem Ruhm erfüllte...

Gilbert Feldhaus, Berlin  .