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BERLIN

Montag 28. April 1930

10 Pf.

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Der Abend

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66.

Spätausgabe des Vorwärts"

B 98 47. Jahrgang

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Abschied von den Demokraten.

Tanken sagt: Es fehlt Kraft und ernster Wille!"

Oldenburg , 28. April.

Reichstagsabgeordneter Tanken hat an den Vor­sitzenden der Deutschen Demokratischen Partei, Reichs. minister a. D. Koch- Weser, ein Schreiben gerichtet, in dem er seinen Austritt aus der Deutschen Demokra­tischen Partei erklärt. In der Begründung heißt es unter anderem:

,, Der DDP. fehlt Kraft und ernsthafter Wille, eine rückschrittliche, volksfeindliche Politik er­folgreich abzuwehren und eigene Wege zu zeigen. Sic hat gegen links und gegen rechts in wichtigsten politischen Fragen auf die Durchsetzung eigener Auffassung soweit verzichtet, daß sie im Reichstag taum noch als mit entscheidender Faktor gewertet wird. Einmal mit der Sozialdemokratie Staatsmonopol und Futter­mittelverteuerung, dann mit dem Landbund eine weitere Erhöhung der Preise für Rohstoffe der bäuerlichen Ver edelungsarbeit weiter geht's nicht. Die DDP. duldete eine an volkswirtschaftlichen Unsinnigkeiten faum mehr zu überbietende Steuer- und Finanzpolitif, die nicht das Ergebnis sächlicher Prüfungen und Ent scheidungen sondern ein parteipolitisches Han delsgeschäft ist. Die DDP. zeigt mit alledem, da sie nicht mehr die Kraft hat, eigene Entscheidungen zur Geltung zu bringen. Das Verhalten der DDP. im Reichstag fann auch nicht als Opfer für Wolf und Vaterland angesehen werden, sondern offenbart unter völligem Verzicht auf eigene Politik die Führer und Ziellosigkeit, welche mir den Glauben an die Zukunft der DDP. genommen hat."

Gleichzeitig mit diesem Abschiedsbrief an die Parteileitung hat Tangen sein Reichstagsmandat niedergelegt. Seine Nachfolgerin auf der demokratischen Liste des Wahlkreises 13( Schles­ wig- Holstein ) ist Frau Dr. phil . Riep Altenloh in Altona­Bahrenfeld.

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Der Abg. Tangen war in der Demokratischen Partei bisher eine hochangesehene Persönlichkeit. Er ist ein oldenburgischer Bauer von eigenem Buchs. Seit 1910 bis heute ist er Mitglied des Olden­burgischen Landtags, von 1919 bis 1923 mar er Ministerpräsident des Freistaats Oldenburg . Auch der Nationalversammlung in Beimar gehörte er als Mitglied an. Zahlreiche Aufsäge politischer und fachwissenschaftlicher Art hat er in der demokratischen Presse veröffentilcht. Sein Abschied von der Demokratischen Partei ist ein weiteres Zeichen des Verfalls, in dem sie sich befindet.

Möbel für Wohnungslose. Der Korruptionsffandal des franzöfifchen Roten Kreuzes" im Katastrophengebiet.

Paris , 28. April. ( Eigenbericht.) Der Standal um die Hilfsaktion für die Opfer der süd­französischen Ueberschwemmungstatastrophe, dessen Ausbruch die Linkspresse seit Wochen ankündigte, ist seit Sonnabend in aller Deffentlichkeit ausgebrochen. Das französische Rote Kreuz, das bisher den durch die nationale Sammlung aufgebrachten 60- mil­lionen- Fonds verwaltet hatte, murde

feines Umtes enthoben

daß eine öffentliche Konkurrenz ausgeschrieben worden wäre, und| demokratie starb am 27. April 1880. Geinen 50. Todestag wählte waren nicht nur schlecht, sondern auch teuer. Die Proteste der waren nicht nur schlecht, sondern auch teuer. Die Proteste der Ueberschwemmten, die das von der Nation ausschließlich für sie be­stimmte Geld vom Roten Kreuz bar ausgezahlt forderten, wurden überhaupt nicht berücksichtigt. Dies schuf eine ungeheure Erregung im Ratastrophengebiet.

Kammerferien bis Anfang Juni.

Paris , 28. April. ( Eigenbericht.)

Das französische Parlament hat in der Nacht zum Sonntag die beiden Gesetzesvorlagen über die Sozialversicherungen und den Steuerabbau erledigt und sich dann auf den 3. Juni vertagt. Die erste Aufgabe der am 3. Juni beginnender neuen Session wird dustrie und Landwirtschaft sein. die Behandlung des Milliardenprojekts zur Hebung von Handel, In­

Bracke Denkmal in Braunschweig . Zum 50. Todestag:" Wilhelm- Brace- Hof".

Braunschweig , 27. April. ( Eigenbericht.)

Mitwirkung von etwa 10 000 Personen eine Großfiedlung des Reichsbundes der Kriegsbeschädigten, den Wilhelm Brade of, eingeweiht. Den. Ehrenhof des schönen Wohnblocks ziert ein geschaffen Don Professor

Am Sonntag hat die Braunschweiger Sozialdemokratie unter

Wilhelm Brade Denfmal,

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die Braunschweiger Sozialdemokratie, um sein Werk durch den Wilhelm- Brace- Hof und durch das Denkmal zu ehren. Bürger­meister Dr. Jasper hielt am Wohnblock die Weiherede, während am Grabe Braces der frühere Landtagspräsident Genzen ehrende Worte sprach. Die Feier wurde durch die Mitwirkung von fünf ver­einigten Männerchören zu einem machtvollen Bekenntnis des Kampf­willens des braunschweigischen Proletariats. Die Sozialdemokratie und die Gewerkschaften haben außerdem in Braunschweig eine zentrale Arbeiterbibliothet gegründet, die den Namen Wilhelm Brace Bücherei trägt. Die Bücherei wurde nach dem aus öffentlichen Mitteln gebauten aus der geistigen Arbeit" gelegt.

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Flußräuberminen gegen Dampfer. Chinesische Piraten laffen 100 Passagiere ertrinken. Hongkong , 28. April

Auf dem Kanton- Fluß haben Piraten eine Reihe von Ueber­fällen auf vorüberfahrende Schiffe verübt, um die Bezahlung von

Abgaben zu erzwingen. Sie benutzten dabei sogar Minen. Ein großer Passagierdampfer, der sich auf der Fahrt nach

Kanton befand, wurde durch eine Mine zum Sinfen gebracht, wobei über hundert Passagiere ertranten. Die Schiffs eigentümer, fordern ein sofortiges Einschreiten der Kanton- Re­

Bosselt, dem Schöpfer verschiedener Reichsgedenkmünzen. Wilhelm Bracke , einer der ersten Führer der deutschen Sozial- gierung.

Strauchritter find feine Partei..

Brandenburgischer Bezirksparteitag.- Rede von Otto Wels .

Auf dem sozialdemokratischen Bezirtsparteitag für den, jeden Augenblick zu zerreißen droht. Aber selbst der vertrauens. Bezirt Brandenburg- Grenzmart, der am Sonntag im feligste Bewunderer gibt sich nicht der Illusion hin, daß Neuwahlen Landtagsgebäude tagte, hielt der Vorsitzende der Partei, Reichstags- etwa eine weterfestere abgeordneter Wels, einen Vortrag über

die politische Lage.

Obwohl es nach dem für die Sozialdemokratie so günstigen Aus­fall der Reichstagswahlen im Jahre 1928 noch Mitglieder in der fall der Reichstagswahlen im Jahre 1928 noch Mitglieder in der Partei gab, die da meinten, die Sozialdemokratie und ihre parla­mentarische Bertretung müßte noch stärker werden, ehe man sich an der Regierung beteilige, wurde doch das Kabinett Müller gebildet. Den bürgerlichen Parteien zuliebe hat die Partei den Entschluß zur Regierungsteilnahme wirklich nicht gefaßt, sondern nur um die Interessen der Arbeiterschaft besser vertreten zu können. Die Schwie­rigkeiten des Kabinetts Müller, auf die Wels näher einging, wurden von uns nur der größeren Ziele wegen ertragen. Gegenüber den Kritifern sei festzustellen, daß die Sozialdemokratie in der Regierung hervorragende positive Erfolge erzielte, aber auch ganz außer ordentlich viel verhindert habe, was zum Schaden der Ar­beiterschaft ausgeschlagen wäre. Im Kampf gegen den Abbau der Arbeitslosenversicherung stand allerdings die So­zialdemokratie allein, weil es gleichzeitig ein Kampf um die Gestal. tung und Erhaltung des Lohnniveaus der Arbeiterschaft war. Wenn es gelang, dieses Niveau zu halten, so kann man das getroit als ein Ruhmesblatt für die Gewerkschaften buchen. Daß Partei und Gewerkschaften eins

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man

schwarz- grüne Front zustande bringen könnten. Da soll nun eine neue Partei hat sogar schon einen Namen für fie helfen: die Demokraten, die Wirtschaftler und die sogenannten Volkskonservativen sollen fich zujammentun. Was die Demokrta en in diese neue Gemein­schaft einbringen, dürfte nicht sehr viel sein. Die 25 Abgeordneten, die von der 75- Männer- Fraktion der Nationalversammlung noch übrig geblieben sind, haben sich bisher darin erschöpft, der SD­zialdemokratie Belehrungen zuteil werden zu lassen, von einer weitergehenden positiven Tätigkeit ist in letzter Zeit nichts mehr zu merten gewesen. Was die Führer der demokratischen

Hirsch- Dunderschen Gewerkvereine in dem neuen Parteigebilde wollen, erscheint einigermaßen rätselhaft. Die leitenden Männer wollen nicht zur Sozialdemokratie und der meist aus Angestellten bestehende Gewerkschaftsanhang ist in Gefahr, zum Deutschnationalen Handlungsgehilfenverband abzurutschen. Was dann noch übrig Gewerkschaften kommen. Das Ganze kennzeichnet den

bleibt, dürfte, soweit es sich um Arbeiter handelt, zu den freien

Auflösungsprozeß, in dem sich die Demokratische Partei befindet.

Die Sozialdemokratie jedenfalls fann in Ruhe zusehen, wie die neue

Partei das tiefe Wasser überbrüden wird, das sie von Brüning trennt; der aber ist mit Haut und Haaren der Landwirtschaft der­

und die Berteilung des Geldes dem Staat übertragen. Der Be. find, daß sie miteinander arbeiten müssen und aufeinander angeschrieben. Wie er mit dem Sozialreaktionär Hugenberg fertig

schluß, der in der französischen Deffentlichkeit großes Aufsehen er­regt, wurde in einer am Sonnabend stattgefundenen Sigung des von den Spendern eingefeßten Kontrollfomitees gefaßt.

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Es war seit Wochen ein offenes Geheimnis. daß in der vom Roten Kreuz einer in Frankreich rechtspolitisch gefärbten Organi sation geführten Hilfsaktion standalöse Mißbräuche vor­gefommen waren. Das Rote Kreuz brachte zunächst von dem ihm anvertrauten Geld überhaupt nichts zur Verteilung, sondern zwang die Obdachlosen das für sie beſtimmte Geld in Form von miferabel fabrizierten, praflifdh unverwendbaren Möbeln an­zunehmen, ehe sie noch eine Wohnstätte hatten. Eie tonnten mit den Möbeln überhaupt nichts anfangen. Diese Serienmöbel waren überdies ausschließlich bei zwei, dem Roten Strens befrembeten Bariser Firmen bestellt worden, ohne

wiesen sind, ist nie so start in die Erscheinung getreten, wie bei der Arbeitslosenversicherung. Es ging schließlich dabei um die Lastenverteilung aus dem Kriege. Daß dabei die ge­samte bürgerliche Gesellschaft gegen uns stand, ist selbstverständlich. Eine andere als die befolgte Taktik fonnte die Partei und die Reichstagsfraktion im Hinblick auf ihre programmatischen Forde rungen gar nicht befolgen und es hat sich schließlich im Berlaufe der parlamentarischen Kämpfe auch gezeigt, daß die Sozialde mofratie die einzige Interessenvertreterin der arbeitenden Massen ist. Wir waren bereit, den parlamen­tarischen Kampf mit allen Konsequenzen zu führen.

Die letzten Vorgänge im Reichstag sind noch bekannt, die Re­gierung Müller ging, Brüning übernahm die Reichskanzlerschaft und sein Rabinett amtiert mehr aber auch nicht! Es wird gehalten von einem dünne n'Hugenbergfaden, der

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wird, ist seine Sache, aber er steht dabei unter der Kontrolle der Sozialdemokratie, der Deffentlichkeit und-

Zentrumsarbeiter.

Der

Der Redner ging dann auf die ungeheure Steigerung der Sozialausgaben nach dem Kriege ein und hob die dabei ge­leistete Arbeit der Sozialdemokratie hervor. Darin ist aber nicht zulegt die Gegnerschaft der bürgerlichen Parteien gegen die Sozial­demokratie begründet. Wenn es zum Reichstagswahlkampf fommt, werden die Sozialreaktionäre aller Parteischattierungen unter der finanziellen Führung der deutschen Industrie die Macht der Sozial­demokratie zu brechen suchen. Man wird uns unser Interesse am Staat absprechen, wie es die Demokraten in ihren Blättern jetzt schon tun, man wird mit allen erlaubten und unerlaubten Mitteln gegen uns hetzen und fämpfen und man wird dabei geflissentlich über­sehen, daß es sozialistische Grundfäße sind, die die Stel­