(Heliose Montag, 19. Mai 1930
NprÄbttid ShäLtakgaiZi dn&h0arA
Bis vor kaum 60 Jahren wußte Japan noch nichts von Europa . Dann öffnete es feine Tore der westlichen Zivilisation. Amerikaner kamen, überfluteten dos Land und heute steht Nippons technische Kultur im Zeichen des Amerikanismus. Doch nur die technische. Die Volksseele blieb von dieser Entwicklung fast unberührt. Ost und West, zwei Welten, zwei Zivilisafionen ringen im Land« der aufgehenden Sonne miteinander. Der Kampf des amerikanischen Tempos mit der johrtausendalten Ueberlieferung tobt mit unver- minderte? Heftigkeit. Und wenn auch dieser Kampf gesittete Fonnen angenommen hat, die Gegensätze bestehen weiter. Allerdings, in den großen Städten ist nur wenig von ihnen zu verspüren. Auf dem flachen Lande aber und in den kleinen Städtchen lebt und arbeitet das Volt im Zeichen dieses Kampfes. Japan hat ein Doppclgesicht. Asiatisch, immer zeremoniell, zugleich kindlich naiv und völlig der Ueberlieferung ergeben, das ist dos eine Gesicht, sein ewig lächelndes uraltes Antlitz. Das andere, das moderne, ist durchaus amerikanisch. Nur eben, das eine beherrscht tief innerlich die Menschen, während das andere trotz oller errungenen Erfolg« nur auf der Oberfläche haftet. Nie wurde mir dies klarer, als im Jahre 1923 nach dem großen Tokioer Erdbeben. Ich traf damals in Paris einen alten Be- kannten, einen japanischen Studenten. Er war Techniker. Ein kühler, rechnender Kopf. Wir sprachen über das Erdbeben. Und so beiläufig sagte mir mit lächelnder Miene der Student: „Nächste Woche reise ich heim. Meine Eltern sind bei dem Crd- beben tödlich verunglückt." Ich war tief erschüttert. Ich wußte ja, wie sehr er seine Eltern liebte. Und dabei das konventionell lächelnd« Gesicht. Da fiel es mir ein: das Doppelgesicht. Der Japaner liebt es nicht, einem Fremden in fein« Gefühle Einblick zu gewahren. Ich schwieg also, sprach kein Wort des Beileids und mein„Freund" war einverstanden damit. Das japanische Tempo findet in Japans Zeitungen seinen stärksten Ausdruck. Was in kurzen sechs Jahrzehnten auf diesem Gebiete geschaffen wurde, grenzt an Wunder. Nach einer Statistik von 1923 erschienen damals nicht weniger als 1196 Tages- Zeitungen und 366 Wochenschristen. Zwei machtige Zeitungs- konzerne gibt es dort, und die Auflage zahl ihrer Blätter be- steht siegreich einen Vergleich mit den amerikanischen Auflageziffern. Die„Osaka-Asachi" und die ,�)saka-Mainichi" erscheinen tagtäglich in über 2/� Millionen Exemplaren. Allerdings in der Reklame stehen sie noch nicht auf amerikanischer Höhe. Aber das wird sich auch noch ändern. Trotz allen Fortschrittes'ist ober im Nachrichten- pnsen noch imnier die Brieftaube anzutreffen. Städtebilder Japans Industrialisierung schreitet ununterbrochen fort. Di« Stadt Osaka ist ja schon heute vollständig industrialisiert. Es gibt dort Arbeiterviertel, wie in einer jeden großen ameri- konischen oder europäischen Stadt mit allen Merkmalen, Nachteilen und Leiden der kapitalistischen Wirtschaft. Und dabei:— es ist etwas Gewöhnliches, ganz Alltägliches. Das grcme eintönige Bild der Straße wird plötzlich von einem bunten Farbenfleck unter- brachen. Eine japanische Frau, in alter Tracht gekleidet, kommt heran und bringt Leben, Bewegung und Frohsinn in das schmale, verrauchte Gäschen. Die Technik siegte in Osaka und die jahrtausend alte Ueberlieferung verkroch sich in das Herz der Menschen. Es gibt aber in Japan auch solche Städte, denen der westliche Geist noch nichts anhaben konnte. Diese Städte genießen zwar auch die Segnungen der modernsten Technik, doch ihr Leben spielt sich im althergebrachten Rahmen ab. Ein japanisches Sprichwort lautet:„Sage über nichts, das ist herrlich, bis du nicht Nico gesehen." Und tatsächlich Nico ist«ine wunderbare Stadt. Seine bunt geschnitzten, mit allerlei Gold- zierarten versehenen Kirchen inmitten eines waldigen Hügels bieten eilten bezaubernden Anblick. Dos Ganze wirkt wie eine farbige Vision, zusammengestellt aus lauter prachtvollen Mosaiksteinen. Es hat fast den Anschein, als wäre es gekünstelt, theatralisch. Und dazu die sorgsamst abgegrenzten Reisfelder und die kleinen zier- lichen mit einer verschiebbaren Wand versehenen Häuser. Ein malerischer Anblick. Und plötzlich wird diese idyllische Ruhe gestört. Ein Eisenbahnzug braust heran, der Lärm eines Auto- motors wird hörbar. Da ist Nora. Rikscha-Kulis befördern die Menschen in den berühmten Park der Stadt. Reiher stolzieren an den Ufern der Seen. Ein uralter Wächter bläst in sein Horn und plötzlich ist er von Hunderten von Rehen umgeben. Heilige Rehe, so zahm, daß sie aus der Menschenhand fressen. Ueberall in dem Park sieht man mit Moos bedeckte Steinlampen, Stiftungen verschiedener Familien. An einem gewissen Tage im Jahre werden sie alle angezündet und halten die Erinnerung an die Stifter wach. In dem Park gibt es auch einen mächtigen, großen Baum, genannt„Die Post der Liebenden". Ein Priester gibt auf diesen Baum acht. Cr dient demselben Zwecke, wie bei uns die Einrichtung des„Post- lagernd". Vor der Shintokirche, in der die Gebeine sapanifcher Kaiser ruhen, tanzen zu gewissen Tagesstunden drei weißgekleidete Mädchen religiöse Tänze. Alles wie«nst. Aber dann: der Tanz ist beendet und die Mädchen holen Ansichtskarten hervor und verkaufen sie an das Publikum. Altes Japan Ganz japanisch mutet K i o t o, die olle Kaiserstvdt an. Die Frauen und Mädchen verschmähen europäische Kleidung. Sie trippeln auf den schmalen und lebhosten Gassen in hohen Holz- sandalen umher. Ihre Füße stecken in wollenen Strümpfen. Die Frisur, der Kimono, die Unterkleidung, der kurze Kaorirock, alles wie es in uralten Zeiten war. Diese ihr« Kleidung ist strengen Regeln unterworfen. Ein jedes Alter, ja ein jeder Monat, hat seine eigenen Fachen, sewt ageae«Jona, Es gibt Erinnerungstage.«
welchen man nur ein bestimmtes Kleid anziehen darf. Und dieses Kleid wird dann bis zum nächsten Erinnerungstage sorgsamst auf- bewahrt. Selbst die Unterbringung der Blumen in den Zimmern geschieht nach älteren Gebräuchen und hat ihren tiefen Sinn. In Kioto gibt es auch die vornehmste und älteste Geisha- schule. Sie ist mit einem Theater verbunden, in dem jedes Jahr einmal der Kirschblütentanz aufgeführt wird. Auch die Innen- einrillstung der Häuser entspricht den alten japanischen Sitten. Kommt ein Gast, so sitzt er an einem kleinen niederen Tischchen. In winzigen Täßchen werden fortwährend allerlei rätelhafte Speisen hereingetragen und die zierliche Japanerin füllt in die kleinen Gläschen mit traditionellen Bewegungen den warmen „Sake" ein. Die Männer dieser Märchcnstadt können sich aber von dem amerikanischen Tempo nicht gänzlich befreien. Auch in Kioto gibt es durchaus moderne Betriebe, nur zum Geldverdienen«in- gerichtet, in denen der Japaner acht und zehn Stunden nach amerikanischen Grundsätzen schusten muß, um seiner Gattin und Tochter das Leben nach altjapanischem Stil ermöglichen zu können. Und der westliche Einfluß wird noch nach einer anderen Richtung hin sichtbar. Kommt der Abend, bevölkern sich die Teehäuser, so kann man immer auf der Straße betrunken«, herumtorkelnde Japaner antreffen.
„Der Vesuv ist wieder in Tätigkeit," Flipp hielt uns die Zeitung mit der fetten Schlagzeile hin,„die Bewohner der bedrohten Ort« räumen bereits die Häuser." „Ach wie schrecklich," unsere klein« Wecken dfremndin bekam ganz kummervolle Augen,„die armen Menschen!" Karl der Gemütsothlet spuckte einen Apfeksinenkern aus:„Wes- halb ziehen sie auch immer wieder in den Hexenkessel!" Ohne von seinem Buch aufzublicken, antwortete Leo trocken: „Aus demselben Grunde, der dich zwingt, von Montag bis Sonn- abend an der Fräsmaschine zu stehen." „Richtig, Leo war ja dort unten. Hör auf zu büffeln," Flipp setzte ihm die Faust in die Rippen,„und erzähle." Als auch Mary—.Komm, sei nicht langweilig"— den Bücherwurm anstieß, richette sich Leo halb auf und begann: „Wir waren damals zu viert. Es ist schon eine ganz« Weile her. Mit neunzehn Iahren ist man ja ganz verrückt nach der Ferne, und so waren wir in wenigen Wochen weiter gekommen als wir zu hoffen gewagt hatten. Eines Tages stand uns Rom , dieses größte Kunstantiquariat der Welt, bis an den obersten Hemdenknopf, und wir tippelten über Terracina und Gaeta nach N e a p el. Ihr kennt doch olle das Bild vom Besuv? Vorn ist eine schrägstehende Pinie, unten liegt die Stadt am blauen Halbkreis der Bucht, und darüber thront das Drei- eck eines Berges, aus dessen gespitztem Gipfelmund eine zierllch ge» wundene Rauchsäule aufsteigt, die sich oben im blasier werdenden Blau des Himmels verliert. Ich bin schon oft in Erstaunen oersetzt worden, weil die Wirklichkeit anders ist als das Bild, das wir uns machen, aber ich war wie vom Donner gerührt, als ich am.Hafen stand und hinter dem Gestrüpp der Schiffsmasten den Vesuv sah: einen breit aufsteigenden Kegel, den aufgeschütleten Berg einer Erz- grübe im Riesenformat, oben abgeplattet, und statt der Spitze nut Zigarettenrauch einen aufgerissenen Schlund, aus dem brett und dunkel die Gewitterwolke der Dämpfe quoll. Na, es war klar, daß wir uns den Berg aus der Näh« ansehen mußten. Ein Beamter vom deutschen Konsulat sagte uns:„Gefähr- lich ist er jetzt, gefährlicher als zuvor. Aber wenn ich Zeit hätte, ich ginge mit." So, mehr wollten wir ja nicht wissen. In der Nacht, gegen zwei Uhr, brächest wir auf. Wir hatten sine jcheuhkchc Penne, das ganze Haus roch nach geteerter Retirade. So früh machten wir uns auf die Beine, weil wir nicht in die Hände der ausdringlichen Fremdenführer geraten wollten. Es soll vorgekommen sein, daß die Kerle die Leute am Weitergehen hinderten, bis sie zahlten. Beim Morgengrauen stiegen wir bergan. Fast bis zur halben Höhe des Berges haben sich kleine Häuser und Weinplantagcn vor- gewogt. Alles sieht vollbusig und fruchtbar aus. Di« Natur ist gern verschwenderisch, wenn sie im nächsten Augenblick mörderisch sein kann. Hart über den Weinpflanzungen hört die Vegetation auf, die
Neues Japan Ganz anders Kode, Tokio und N o k o h a m a. Diese Städte haben fast gar keine Tradttion. Und eben darum. Die Menschen, die in ihnen wohnen, nahmen am schnellsten das amerikanische Gesicht an. Wie sich dos auswirkt, darüber hier eine kleine Gc- schichte. In der Tokioer Kwanninkirche wird eine Vuddhafigur aufbewahrt, die angeblich aus reinem Gold hergestellt sein soll. Die Figur ist mehrfach umhüllt. Jahrhundertelang glaubte das Volk daran, daß sie tatsächlich aus Gold sei. Kürzlich kamen aber den Gläubigen berechtigte Zweifel. Schließlich blieb den Behörden und den Priestern der Kirche nichts anderes übrig, als Mittel und Wege zu suchen, um den Zweifelnden zu beweisen, daß ihre An- nähme nicht richtig sei. Sie verfügten daher, daß an einem be- stimmten Tage alle Hüllen von der Buddhafigur abgenommen werden sollten. Und so geschah es auch. Als aber auch die letzte Hülle fallen sollte, forderte der Oberpriester die Menge auf, die Kirche zu verlasien. Und dann nach einer Weile verkündete er. daß er gesehen habe, daß der Buddha aus Gold ist. Mit einem ungläubigen Kopfschlltteln nahm dies dos zweite, das amerikanische Gesicht zur Kenntnis, während das erste Gesicht seinem Priester zujubette und ,hm alles aufs Wort glaubte.„ Paul Diner-Dcnes.
Wanderung über Schlackenpartien beginnt. Der Loden ist wie Eisenschlacke im Hofe einer Gießerei. Wir verstiegen uns in den Schluchten etliche Male, standen dann vor einer Mulde, aus der ein großer Aschenkegel aufwuchs. Also hinunter und wieder�hinaM Das war ein Stück Arbeit. Die Asche gab nach, ein Schritt auf« wärts, drei hinunter. Nur im schnellen Schräglaus war die Sache zu machen. Große Blöcke, an denen man sich festhalten wollte, um zu verschnaufen, gaben sofort nach und rasten in die Tiefe, an den fluchenden Kameraden vorbei. Und dann lagen wir oben, den Kopf über dem Kraterrand, und die Brust keuchte. Aus dem vernebelten Schlund stieg röchelnd der Rauch. Ein unter der Last meines Körpers abbröckelndes Randstück siel geräusch- los in die unberechenbare Tiefe. Gelbgrüne Absonderungen zeich- neten groteske Ornamente an die Kraterwände. Dunst und Nebek ringsum. Plötzlich entlud sich ein Gewitter, konzentriert auf fünf Minuten, mit Schlag aus Schlag, und das vielfache Echo rollte wie schweres Geschützfeuer. Aber dann öffnete sich die Fernsicht wie ein Lächeln. Zartblau und vom Licht der Sonne erfüllt, flössen Himmel und Meer leuchtend zusammen. Schiffe schwebten zierlich in der hin- gehauchten Bläue, mit herrlicher Gebärde warf die Küste ihre Linie in das Aquarell, Städte und Dörfer drängten sich zu einer fröhlichen Berfammluirg, aus dem Schoß der Erde stieg es auf wie schweres Atmen, und hinter uns, drüben am Rand der Schlucht, gestikuliierts ein Dutzend Leute, Nein und lächerlich, und manchmal kam etwas wie ein Rufen zu uns herüber. Wir hatten uns nämlich zu weit vorgewagt. Das erfuhren wir erst später. Von drüben sah es wohl auch gefährlicher aus. Nach einer Weile brachte uns der Berg selbst in Galopp. Der Rauch stoppte und flog dann jtih wieder hoch, und der Schlund spie kleine Brocken hoch. Kinder, da fausten wir aber ab. Die nachgiebige Asche des Abhangs beförderte uns mit Tempo Null-Konuna-Nifcht in die Mulde. Wir lachten uns ein wenig verlegen zu, denn der Berg rauchte ruhig wie zuvor, und zogen über ein seltsames Gemengsel von Kruste und Schlacke. Hohl klang es. und als ich meinen Stock in den Boden stieß, geriet er ins Leere. und ein Dampfftrahl fauchte beim Herausziehen mich an. Als wfr dann unten am Fuß des Berges hockten, die Augen dem Gipfel zu, verspürten wir alle die magnettsche Kraft, die jeder Derz hat und besonders einer mit einer feurigen Seele. Am liebsten wären wir noch einmal hinauf, aber einer von uns, der gehören« Küchenmeister, sprach so heftig gegen die übertriebene Romantik und für Makkaroni mit geriebenem Käse, bis uns einfiel, daß wir den ganzen Tag noch nichts gefuttert hotten. Es war später Nachmittag geworden. In den Orten am Fuß des Berges war viel Geschrei und Ge- lächter, das bloßgelegte Skelett eines früher oerschütteten Stadtteils stört« das laute Lachen nicht, und nackt« Kinder jagten sich durch Wolken von Staub. Zwei grinsende Kerle hatten einen großen Fisch an Maul und Schwanz gepackt und trugen ihn vom Fang direkt in die Schenk«, und wir aßen nach einer Stunde mit und tranken roten schweren Wein dazu. An den Berg dachte niemand.. „Urtd wo sind die anderen drei, dein« Walzbrüder, heute'" fragt« Flipp. Leo blieb eine Weil« still. „Der eine liegt in der Champagne, der andere— bei Bapaum«, der dritte— irgendwo in Serbien .. Karl erinnerte sich an seine Frage von vorhin, er schaute nach- denklich vor sich hin. Mary suchte mit der Hand Leos Wang«. Er verstarb di« zärttiche Bewegung, und die Trauer um das Vergangene verneigt« sich wchmüttg lächelnd vor der güttgen Gegenwart. Abendwolken flammten auf und drängten zum Aufbruch. Lried Knaul.