Morgenausgabe Nr. 248
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l f berliner Voltsvlatt
29. Mai 1930 Groß-Äerlin 1© pf. Auswäris 15 Pf.
M«infp altig« Nonpareillezeste lit) Pfennig. Reklame eile 5.— Reichs» mark„Gleina An.-.eigen' das enge» druckte Wort 25 Pfennig(zulässig zwei fettgedruckte Worte). iedes weitere Wort '12 Pfennig. Stellengesuche das erst« Wort 15 Pfennig, jedes weitere Won' 1V Pfennig. Worte über 15 Buchstabe? zählen für zwei Worten Arbeitsmoiki Zeile 60 Pfennig. Famisienanzeigen Ze l« 40 Pfennig. Anzeigenannahme imHaupt» geschält Lindenstraße 3. wochentäglich von 8*/» bis 17 Uht.
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Llliimaium an Frick. Aufhebung der Ernennung von Hakenkreuzlern oder Sperre der Reichszuschüffe.
Amtlich� wird mitgeteilt: Unter dem Vorsitz des Reichsministers des Innern Dr. Wirth beschäftigt« sich die Konferenz der Innenminister, auf der sämtliche Länder vertreten waren, mit den Grundsätzen für die Gewährung von Reichs- zuschüsfen für polizeiliche Zwecke an die Länder. Der Reichsminiftcr wies einleitend auf die grundsätzliche Bedeutung der Frage hin, die von Thüringen durch die Berufung von National- s o z in l i st e n in leitende Stellen der Thüringer Landespolizei auf- gerollt sei: er legte die geschichtliche Entwicklung der erwähnten Grundsätze dar und stellte fest, daß die Einstellung von Nationalsozialisten mit dem unpolitischen Charakter der Schuhpolizei, wie ihn Ab- sah 1 Ziffer 6 der Grundsätze ausdrücklich und un- bedingt fordere, unvereinbar sei. Da nach Absatz 2 Satz 1 der Grundsätze das Reich sich zur Zahlung nur unter, der Boraussetzung der unbedingten Inns- Haltung der erwähnten Grundsätze verpflichtet hat, stellte der Reichs- minister des Innern fest, daß die Gewährung von Reichs- Zuschüssen an Thüringen wegsallen müsse, falls dos thüringische Staatsministerium auf seiner Absicht beharre, die für leitende Stellen der Thüringer Polizei in Aussicht genommenen Nationalsozialisten zu ernennen. In der Aussproche wurde von verschiedenen Seiten der revolutionäre Charakter der Deutschen National- s.o z i a l i st i s ch« n A r b e i t e r p a ft e i hervorgehoben und ent- sprechendes Material vorgebracht. Es herrschte einmütig« Ausfosfupg, daß den verfassuugsfekndlichen Bestrebungen dieser Partei mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln entgegengetreten werden müsse. Abschließend richtete der Reichsminister des Innern an Herrn Staatsminister Baum die eindringliche F o r d e r un g, die beab- sichtigt« Einstellung von Nationalsozialisten in die Thüringer Polizei aufzugeben und erklärte, daß, falls dieses Ersuchen erfolglos hleibe. er sich für verpflichtet halte, die Zahlung weiterer Reichs. zuschüsie einzustellen. v Dies um so mehr, als auch der Verlauf der Aussprache seine grundsätzliche Auffassung bestätigt habe. Staatsminister Baum teilte mit, daß die in Frage stehenden Ernennungen unter der Vor- oussetzung erfolgt seien, daß der Thüringische Landtag, was erst am 24. Juni möglich fei, die entsprechenden Planstellen be- willigen werde. Der Reichsminister des Innern erklärte darauf, daß er sofort ein förmliches Ersuchen an das thüringische Staatsministerium richten werde, seinen Beschluß, soweit Nationalsozialisten in Frage kämen, rückgängig zu mach Der Reichsinnenminister hat ultimativ die Zurück- nähme der Ernennung von Nationalsozialisten zu Polizei- leitern vom thüringischen Kabinett gefordert. Er droht für den Fall, daß die Thüringer Regierung sich nicht fügen will. mit der Sperre der Polizeizuschüsse. Es ist notwendig, auf den Unterschied zwischen dem Vorgehen von S e v e r i n g und Wirth hinzuweisen. Dr. Wirth droht dieselbe Maß- nähme an, die S e v e r i n g bereits oerhängt hatte. Bei Severing richtete sie sich gegen die Tatsache, daß Herr F r i ck Polizeiminister war und als Verfassungsfeind über die Po- lizei verfügte, bei Wirth dagegen, daß Herr Frick National- fazialisten zu Polizeileitern ernannt hat. Ist es konsequent, daß ein Nationalsozialist nicht Polizeileiter werden darf, wohl aber Polizeiminister? Politisch gesehen mag der Reichsinnenminister wohl hoffen, durch die Isolierung Thüringens auf der Länder- konferenz und durch das Vorgehen gegen jene Ernennungen, die selbst in der Thüringer Regierungskoalition umstritten waren, die Koalition mit Frick so aufgelockert zu haben, daß sie von selbst bricht. Wenn sie aber nicht bricht? Dann hat e i n Versuch des Herrn Frick fehlgeschlagen— aber der Kurs bleibt. Schließlich kann ein nationalsozialistischer Polizeiminister auch ohne Neuernennung von Nationalsozinlisten ,» Partei- leitern die Polizei zu einem Instrument seiner Bestrebungen umgestalten— sofern er Zeit dazu hat. Hier tritt der ent- scheidende Unterschied heroar. Das Vorgehen Severings ließ Herrn Frick keine Zeit, das Vorgehen W i r t h s jedoch hat ihm Zeit gelasien. Herr Frick kämpft offensichtlich um Zeitgewinn. Verhandlungen mit Kirche und Lehrern über die Schul- gebet«, um die Entscheidung hinauszuschieben, die Absicht des
Herrn Baum, die Polizeifrage bis zum 24. Juni zu ver- schieben— es ist beide Male die Taktik, Zeit zu gewinnen. Herr Frick aber benutzt die Zeit, die ihm bleibt, zu einem Vorstoß gegen die Verfassung wie gegen das Gesetz nach dem andern! Herr Frick ist grundsätzlich Gegner der Reichsverfassung. Was er trotz der Reichsverfassung unternimmt, entspringt nicht abweichender Auslegung, sondern der politischen Ab» ficht, sie für Thüringen auszuhöhlen. Es ist dasselbe Spiel, das unter dem Regime Kahr in Bayern betrieben wurde, wo sich hinter der Maske der Ver- fafsungsauslegung der Hochverrat verbarg, und wo ein Schritt auf diesem Wege den andern nach sich ziehen konnte, weil das Reich schwach war! Er pfeift auf das Gesetz. Gera . 28. Mai.(Eigenbericht.) Die Leitung der Volkshochschule in Tinz beabsichtigte im Einvernehmen mit dem Ortsausschuß der freien Gewerkschaften in Gera eine geschlossene Ausführung des Drama von Crede„Frauen in Not" nur für Mitglieder der Sozialdemokratischen Partei zu veranstalten. Herr Frick hat diese geschlossene Ver- anstolwng verboten und hat den Oberbürgermeister von Gera angewiesen, sie zu verhindern. Der Oberbürgermeister von Gera erhob dagegen rechtliche Bedenken, er wies auf dos Bereinsrecht wie auf die Verfassung hin und erklärte, daß er unter Umständen schaden- ersatzpflichtig gemocht werden kölmte. Herr Frick bestand trotzdem auf dem Verbot und� erklärte dem Oberbürgermeister, daß er in jeder Hinsicht die Verantwortung übernehme und' die Verhinderung dieser Veranstaltung verlange. Schadenersatzklage gegen Thüringen . Das vom Volksbildungsminister Frick angeordnet« Filmverbot dürste gegen Thüringen eine Schadenersatzklage zur Folge haben. Die Lizenzfirma des Rusienfilms„Sonja Petrowna", die Venus- Film in Berlin , hat einen erheblichen Schaden berechnet, der ihr durch die Unterbindung der Leihverträge thüringischer Lichtspiel- theaterbcsitzer entstanden ist. Ein« Schadenersatzklage' gegen das thüringische Staatsministerium als Vertreter des Landes Thü- ringen soll beim Landgericht in Weimar eingereicht werden. Das Verbot selbst ist außerdem durch eine Klage beim Oberverwaltungs- gericht in Jena angefochten worden. Verbot der«.Eifenacher Volkszeitung-. Der nationalsozialistische Innenminister Dr. Frick hat die sozialdemokratische„Eisenacher V o l k s ze i t u ng" auf die Dauer von zwei Wochen oerboten, bis einschließlich 10. Juni, unter Bezugnahme auf die Wiedergabe der Aeußerung des sozialdemokratischen Abgeordneten Dr. Brill im Landtag, daß die Ausführungen Frick:„Der gsnreinfte und schändlichste Volks» oerrat, den«z je in der Weltgeschichte gegeben hat, das ist der von 1318, und der ungeheuerlichste Bolksbctrug ist der Marxismus in Theorie und Praxis" die größte Verlogenheit seien, die in der letzten Zeit im Thüringer Landtag geäußert worden sind. Die Wiedergabe dieser im Thüringischen Landtag gemachten Aus- führungen unter der Uebcrschrift„Große Verlogenheit des Heim» kriegers Frick" seien in ihrer Form und in ihrer Absicht eine Ve- schimpfung eines Mitgliedes der thüringischen Landesregierung. Damit würde gleichzeitig die verfassungsmäßige fest- gestellte republikanische Staatsform des Landes Thüringen herabgewürdigt und die Strafbarkeit nach Z 5 Ziffer 1 des Gesetzes zum Schutze der Republik be- gründet. So erfolgt dos Verbot auf Grund des§ 13 des erwähnten Gesetzes. Die Ltnterfuchung in Neuhöfen. Arbeitsbeginn der deutsch -polnischen Kommission. Die zur Untersuchung des deutsch -polnischen Grenzzwischenfalls in Neuhöfen eingesetzte deutsch -polnische Kommission, bestehend aus dem Oberpräsidenten für Oberschlestsn Dr. L u k a s ch e k und dem Landrot des Kreises Morienwerder Himer, sowie dem Präsidenten beim Warschauer Appellationegericht Dr. Luxemburg und dem Starosten des Kreises Mews, Weiß, ist Mittwoch nachmittag in Neuhofen zusammengetreten. Sie hat den Tatort besichtigt und die Methode für die weitere Verhandlung festgelegt. Die notwendigen Zeugenvernehmungen sollen heute vorgenommen werden. Ueber dos Ergebnis der Untersuchung ist ein gemeinsames Protokoll in Aussicht genommen.
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Brünings Beamtenpolitik Wege zur Radikalisierung der Beamtenschaft. Voa Albert Falkenberg. Das, was di� Regierung Brüning jetzt auf dem Gebiete der Beamtenpolitik zu unternehmen gedenkt, wird voraus- sichtlich einmal ganz andere Auswirkungen zeitigen, wie die Politiker des neuen Kurses annehmen mögen.'Wenn die vom Reichsfinanzminister bei der ersten Lesung des Etats für 1930 angekündigten Beamtensparmaßnahmen durchgeführt wer- den, wird sich ihre radikalisierende Wirkung schon bei den nächsten Wahlen zeigen. Und jene Kreise der Beamtenschaft, die bei jedem Versuch einer Aenderung überlieferter Zustände immer gleich das Berufsbeamtentum für gefährdet erklären, werden vielleicht endlich erkennen, daß auch das beamten- politische Wetterglas von den Auswirkungen der großen Politik in weit höherem Maße beeinflußt wird, als sie bis jetzt wahr haben wollten. Der Reichsfinanzminister hat sich soeben erst bemüht, den Vertretern der Beamtenspitzenorganisationen klarmachen. daß auch die Beamten für das von der Reichsregierung bc- absichtigte Ausgabensenkungsgefetz das nötige Ver- standnis aufzubringen hätten. Diese Äusgabensenkung wird bekanntlich auf 600 Millionen Mark beziffert. Wenn die Be- amten erfahren, daß diese Summe zu einem wesentlichen Teil aus der Kürzung ihrer Bezüge sowie aus einem neuen Personalabbau als zwangsläufige Folge der angekündigten Vereinfachung der Verwaltung. sowie durch den Wegfall der örtlichen Sonder- zuschlüge und durch ein Besoldungssperrgesetz sowie durch Urlaubs- und Pensionskürzung ge- mannen werden soll, dann wird auch der weitab vom Schuß in der Provinz lebende Beamte politisch hell- hörig werden. Und man kann nicht annehmen, daß er diese Regierung allzu heftig lieben wird, wenn er am eigenen Leibe spüren muß, daß. die an ihm ersparten Summen nicht der steuerlichen Entlastung der Verbrauchermassen, sondern in der Hauptsache des Besitzes dienen sollen. Er sieht nur das Plus der anderen Seite, sich selber fühlt er als Paria. Die Vertreter jedes Radikalismus aber werden diese Entwicklung begrüßen, weil sie für ihre Be- wegung Gewinn bedeutet. Mit dieser Methode— darüber kann nirgendwo ein Zweifel bestehen— wird eine neue Periode der Radikalisierung des Denkens in der Beamtenschaft heraufbeschworen, von der man zwar weiß, wo und wie sie beginnt, nicht aber wo sie endet. Und es nützt auch nichts, wenn der Minister in dem vor kurzem mit Vertretern der Spitzenorganisationen gepflogenen Gedankenaustausch, gewissermaßen mit drohend erhobenem Finger, an die von ihm gegenüber den Versuchen einer Kürzung der Beamtengehälter unternommene und nach seiner Meinung bereits geglückte Abwehr erinnert. In gutem Glauben, daß so etwas überhaupt noch möglich sei, spielt er ein bißchen„Vater Staat" mit den Beamten. Nur vergißt er dabei ganz und gar, daß auch Beamtenpolitik durch die Entwicklung des letzten Jahrzehnts in die Linie der neuen Wirtschaftspolitik hineingedrängt worden ist und daß die Beamten, ob sie wollen oder nicht, sich dieser Tendenz an- passen müssen, wenn sie existenzfähig bleiben wollen. Eigent- lich können die Regierungsstellen, die glauben, mit den alten Mitteln und in ausgefahrenen Gleisen moderne Beamten- Politik machen zu können, von Glück sagen, daß das Be- harrungsvermögen die überwiegende Mehrheit der Beamtxn bisher daran gehindert hat. sich aus den allzu tief wurzelnden gedanklichen Bindungen der alten Zeit zu befreien. Aber auch hier steht die Entwicklung nicht still, und es ist ein Zeichen politischen Ilnorientiertseins, zu glauben, daß die Beamten sich auf die Dauer mit der Vertröstung auf kommende bessere Zeiten bei Laune erhalten ließen. Im Empfangssaal des Reichsfinanzministeriums grüßen die Bilder der Chefs dieser Verwaltung von den Wänden. Sie erzählen von dem in verhältnismäßig kurzer Zeit sich vollziehenden Wechsel von Personen und Persönlichkeiten. Und dennoch— die Methoden sind geblieben. Die fortschritt- liche Wirkung weit ausgreifender Ministerahtionen wurde noch immer wieder ausgelöscht durch d'e oft bis zur Voll- endung entwickelte Kunst der Ministerialbürokratie, Minister- wollen durch Ausführungsbestimmungen ins Gegenteil zu ver- kehren. Die Bürokratie hält meistens solange zur Fahne, wie sie unbedingt muß. Hinterher, wenn der freiheitlich eingestellte Chef gegangen ist, drängt ihr Erinnern an die Vergangenheit sie wieder in die immer noch blühenden Gärten der alten Ideo- logien. Bis dann wieder einmal das alte Regime durch einen Mann der neuen Zeit o�elöst wird und die Bürokraten meinen, dem Ganzen zu dpinen, indem sie, als Männer vom guten Ton, in den Former» republikanischer Höflichkeit ihren Dichlst tun. Da ist England über uns. In England wird bei einem Regierungswechsel niemand fortgeschickt, weil alle gelernt haben, in die neue Richtung einzuschwenken, auch wenn ihre politische Einstellung anders ist als die der Rc- gierungsspitze. Hier sprudelt eine der stärksten Ouellen eng- lischer Verwaltungskunst. Hermann Kantorowicz glossiert