1930
Der Abend
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10 Pt.
Nr. 251
B 125
47. Jahrgang
66 Anzeigenpreis: Die einfaltige Nonpareillezcile
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Paris , 31. Mai. ( Eigenbericht.)
Unter der Bauernschaft der franzöfifchen Kolonie Cochinchina , die als das ruhigste und friedlichste Element der eingeborenen Bevölferung galf, ist eine Bewegung ausgebrochen, die eine verzweifelte Aehnlichkeit mit dem Ungehorsamsfeldzug Gandhis aufweist. Der französische Gouverneur der Kolonie wurde auf einer Infpektionsreise auf offener Straße von einigen tausend unbewaffneten Bauern angehalten und umlagert. Die Demonstranten verlangten
Abschaffung der drüdenden Bodenfteuern und eine beträchtliche Herabsetzung der Reispreise.
Alles gütliche Jureden des Gouverneurs half nichts. Auch fruchtete es nicht, daß der Gouverneur seiner Begleitmannschaft den Befehl zum Fertig machen der Gewehre gab. Schließlich eröffneten die Bolizisten nach wiederholten Warnungen das Feuer. 3wei Bauern wurden getötet, drei schwer verlegt; die übrigen ergriffen die Flucht.
Am Tage darauf wurde der französische Verwalter von Cantho unter ähnlichen Umständen auf der Straße von Bauern angehalten. Hier genügten einige Salven in die Luft, um die Demonftranten zu zerstreuin. Alle Berichte der Pariser Breffe ftimmen darin überein, daß es fich um Ausbrüche einer tiefgreifenden, ganz Indochina umfassenden Bewegung handle.
Eine andere Darstellung lautet: In dem 200 Kilometer nordwestlich von Saigon gelegenen Ort Schonoi versuchten 20 franzö fische Polizisten einen Demonstrationszug von über 1000 Annamiten aufzulösen. Die Eingeborenen griffen die Bolizei an, worauf diese schoß. Drei Annamiten wurden getötet, zwei
schwer verlegt und 15 verhafiet.
Condon, 31. Mai.
Die Zahl der Taten in Rangoba wird in den letzten Berichten mit 174, die der Verletzten mit mehr als 1500 angegeben. Bon den in den Krankenhäusern befindlichen Verwundeten, bei denen die Zahl der Beinamputierten sehr hoch ist, dürften etwa 80 nicht am Leben erhalten werden können.
Scharfe Maßnahmen in Britisch- Indien.
Der Vizekönig von Indien , Lord Irwin , hat sich durch die machsende Propaganda für Boyfott und Steuerverweigerung. veranlaßt gesehen, neue Berfügungen zu erlassen. Darin wird betont, daß die Regierung eine Nichtzahlung von Steuern unter teinen Um ständen zulassen könnte und daß die Lokalbehörden bei einer der artigen Herausforderung unumschränkt ihre Macht ausüben würden. Die Bontottierung von Regierungsbeamten wird als unzulässiger Angriff auf die persönliche Freiheit erklärt.
Warschau , 31. Mai. Wie ,, Robotnik" meldet, kam es in der tongres polnischen Stadt Lowicz gelegentlich der Durchfahrt des Staatspräsidenten zu Demonstrationen. Aus der Menge fielen Rufe wie„ Es lebe der Sejm ! Weg mit der Diktatur!" Die Polizei verhaftete vier Sozialisten.
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Die Verfolgung der Trokkiften. Gelbstmord des Gefretärs Gwosdioff.
Auf die Insel Solowfi im Weißen Meer verschickt Moskau die Menschen, die nichts weiter verbrochen hatten, als ihre eigene Ueberzeugung zu haben. Klima und Lebensweise auf dieser Insel sind jo, daß auch nur kurze Verbannung dem Todesurteil gleichkommt. Nicht nur Sozialdemokraten und Sozialrevolutionäre erleiden dieses Berbannungsschidfal, sondern auch die Trohfisten, wie man erfährt, werden die Gefangenen nach alter zaristischer Uebung wegen der kleinsten Beschwerde grausam geprügelt. Die Behandlung ift fo furchtbar, daß viele es vorziehen, Selbstmord zu verüben. So hat vor kurzem Trohkis früherer Sekretär, Gwosdioff wegen der jurchtbarer Behandlung sich umgebracht.
PLETE
WILLIGUNG
Defizit
CITSLOSIGKEIT
STEUGRRUCKGANG
STAATSHAUSHALT
Eine Fehlspekulation.
Wie schade! Wenn jetzt die Sonne schiene, fönnten wir fagen, wir hätten das schöne Better gemacht und am Regen feien nur die Sozis Schuld. Statt dessen regnet es mehr denn zuvor!"
Lakehurst, 31. Mai.
Das Luftschiff Graf Zeppelin " ist um 12.28 Uhr MEZ. unter brausendem Jubel der Menge in Lakehurst gelandet; es hat damit die zweite Etappe seiner großen Amerikafahrt glücklich beendet.
Die Vertreter der an der International Zeppelin Transport Co. beteiligten Banken und Industrieunter nehmungen sind mit einem Extrazug in Lakehurst ein getroffen.
Berzögerter Neuhöfen Bericht.
Spionageaffäre festgestellt.
Es
Der Bericht über das Ergebnis der deutsch - polnischer Untersuchung des blutigen Zwischenfalls in Neuhöfen wird. nicht schon heute, wie gemeldet worden war, sondern erst in einigen Tagen fertiggestellt und veröffentlicht werden. steht jedoch bereits fest, daß der verhaftete Pole der Leiter des polnischen Spionagedienstes in Dirschau und früherer Sefretär des polnischen Konsulats in Danzig ist. Durch diese Tatsache wird offenbar die Darstellung bestätigt, die der ,, Bormärts" als erste Zeitung veröffentlichen konnte, daß nämlich dem ganzen Zwischenfall ein polnischer Spionageversuchy zugrunde liegt.
Strafantrag 9 Monate Gefängnis.- Hafenfreuzlärm im Gericht.
Heute morgen fand vor dem Großen Schöffengericht Charlotten burg unter Borsiz des Landgerichtsrats Schmidt die Hauptverhandlung gegen den Nationalsozialisten Goebbels wegen Beleidigung des Reichspräsidenten statt. Auf Strafantrag des Reichspräsidenten hat die Staatsanwaltschaft öffentliche Anklage erhoben.
Der Anklage liegt folgender Tatbestand zugrunde: In der von Goebbels herausgegebenen Zeitung„ Der Angriff" war Ende Dezember 1929 unter großer lleberschrift die Frage gestellt worden: Lebt Hindenburg noch?" Weiter war von völliger Apathie des Reichspräsidenten in der Young- Frage gesprochen worden. Er tue, was seine jüdisch- marxistischen Ratgeber ihm einblasen. Unter dem Artikel befand sich ein Bild, auf dem Hindenburg als germanischer Gott, mit den jüdischen Emblemen geschmückt, das deutsche Bolt unter das Joch ziehen läßt.
Die Berhandlung begann mit dem bekannten nationalsozialistischen Theaterstückchen, die Rasse der Richter festzu stellen und jüdische Staatsbürger abzulehnen. Das Gericht lehnte die dahingehenden Anträge ab.
Dann begann Goebbels mit einer Berteidigungsrede, die über eine Stunde währte. Sie enthielt folgende interessanten Säge: Er tenne feine Autorität, die unantastbar wäre und fänne also auch in Hindenburg eine solche nicht sehen. Das Recht der Kritik sei unmittelbar und souverän. Er jei zum Mitglied des Reichstags gemählt, um seine leberzeugung auch gegen Hindenburg zu verfechten. 3u seiner Berteidigung führte Goebbels u. a. eine Zeichnung an, die vor dem Amtsantritt Hindenburgs im Borwärts" erschienen ist und gegen die Kommunisten gerichtet ist. Sie stellt Thälmann als Wahlhelfer Hindenburgs dar und enthält teinerlei Spige gegen den Reichspräsidenten.
Hindenburg laffe fich von Margisten und Juden beraten, wenn ein Marrist an seine Stelle träte, so würde er sich niemals von Bürgerlichen und Nationalen beraten lassen. Hinden burg habe das, was feine Wähler von ihm erhofften, nicht ge= halten, er jei ganz unter den Einfluß der Linken gekommen, halten, er fei ganz unter den Einfluß der Linken gelommen, während die Rechte erwartet habe, daß er für das Boltsbegehren gegen den Doung- Blan eintreten würde, habe er sich erst gemeldet, als der Young- Plan unterzeichnet war und er sich mit einem Manifest an das deutsche Volk wandte.
Der Retter, den die nationalen Kreise 1925 auf den Thron hoben, habe eben verjagt. Er habe in der Entscheidungsfrage des deutsche Boltes apathisch zugesehen. Zum mindesten hätte er selbst die YoungGejeze noch einmal zum Boltsentscheid stellen müssen, bevor er seine
Unterschrift gab. Das habe er nicht getan und deshalb könnten die national- attiven Kreije nicht schweigen, sondern müßten ihn befämpfen. Nicht der Mensch, nicht der Sieger von Tannenberg, sondern der Politiker von Hindenburg sei das Ziel der sachlichen und vornehmen(!) Angriffe der Baterlandsfreunde. Er sei unschuldig.
Strafantrag: 9 Monate Gefängnis.
Es
Nachdem der Berteidiger des Goebbels, der von den Fememord prozessen bekannte Rechtsanwalt Graf von der Goly- Stettin, dem Gericht einige Aeußerungen der Linispreffe vorgelegt hatte, die in der Hauptsache vor der Wahl Hindenburgs zum Reichspräsident n geschehen sind, nahm Oberstaatsanwalt Gethe das Wort zu seinem Plädoyer. Er führte aus, teine parteipolitischen Erwägungen haben, wie die Verteidigung es behauptet, den Herrn Reichspräsidenten zur Klagestellung in diesem Falle veranlaßt, sondern der Umstand, daß er sich als Mensch, als Persönlichkeit, als Staatsbürger aufs schwerste getränkt und beleidigt fühle. schweben 24 Strafanträge wegen Beleidigung des Reichspräsidenten . Dieser Fall aber liegt besonders schroff. Es sei eine persönliche perfide Beleidigung, einen Menschen, wie Hindenburg , als völlig apathisch und stumpf zu be= zeichnen. Das sei eine persönliche Herabjegung, noch mehr trete diefer perfide Charakter der Beleidigung zum Vorschein in der 3eichnung, die den Reichspräsidenten als einen Menschen darstelle, der gleichgültig und gefühllos ein Bolf unter das Joch schreiten laffe. Ein Mann, der mit seinem ganzen Herzen nach seinen besten Kräften immer dem Vaterlande gedient habe, tönne nicht schwerer getroffen werden als durch solche Unterstellungen und Beleidigungen. Boneiner Wahrung berechtigter Interessen tönne bei dem Angetlagten absolut nicht die Rede sein. Es liege als einziger Entschuldigungsgrund vor, daß der Angellagte aus politischer lleberzeugung gehandelt habe. Belastend aber sei die schmere Berlegung des nationalen Anstan= des( Murren im Zuschauerraum), die darin liege, daß der Angeklagte