7tr. 264• 47. Iahrgaug
"1. Beilage des Vorwärts
Sonntag, 8. Juni ilSSO
>Fir haften uns eine Reise um Berlin so einfaeh oorgesieUf. nidtl einmal naeh der Zahl der Kilometer, die Berlin * Grenze umfaßt, haften mir uns er kundig f; hemath haben, mir es dann erfahren müssen., daß diese Grenze unserer Stadt zwei hu ndcriundDierund dreißig Kilometer und nodi sedishundcrt einfache Meier dazu lang ist. Aus der S pazierfahrt, an die mir gedacht hatten, war eine ganze Reise geworden, und auch dabei hatten mir uns geirrt. Solange mir mit einem, winzigen Kajak die Grenze abfuhren, da, wo sie durch Flüsse und Seen gebildet wird, ging es, denn mir sahen etwas. Aber in Grünau stiegen mir aus, setzten um auf ein Motorrad und knatterten los, vierzig, fünfzig, sechzig Kilometer spielte der Zeiger am Tachorueter; nur als mir am Abend an. der Eaoel standen, waren die Hände leer: mir erinnerten uns, an mogenden Kornfeldern und blühenden Kartoffclädcem vorbeigekommen zu sein, Telegraphenstangen, Wegiociser und Meilensteine waren an uns vorüber- gehuscht, aber die Grenze, mo mar die Grenze geblieben? Deshalb mußten mir noch einmal von vorn anfangen, und alles erro andern. Ohne Uhr und Kalender, ,roir mollien nicht immer missen, mic spät es ist und welcher Tag". Eines Morgens saßen mir in einem Forsthaus an Irgendeinem versandeten Spreearm und tranken Milch, als der Mittag zur Neige ging, standen mir in Teltow vor der alten Kirdic und sahen, zu, mie die Leute Hochzeit madien und abends pilgerten wir zwisdien Rieselfeldern herum und hatten etwas Heimweh nach Berlin . Obwohl wir doch noch in Berlin waren. Aber Berlin ist groß geworden, aus den 61 Quadratkilometern der alten Gemeinde wurden 8?0, demente prediend mußten die Grenzsteine weiter nach draußen getragen werden, so weit hat man die neue Grenze gezogen, daß die laute dort längst nicht mehr den Berliner Dialekt sprechen, sondern den härteren, brandenburgiseken; die Dächer auf den Bauernhäusern sind mit Stroh gedeckt, den. ganzen Tag schreit der Kuckuck und noch ein paar Tage, dann holen die Fischer ihre Wasserstiefel hervor und gehen Enteneier suchen.
Die Grenze aas Schilf Di/s(Enitneier liegen im SchUf. Das in ferner ntctlMunetten Länge, von Muggelhei« herunter bis nach Ämichfnngsmcröcr, mic ein seichter, grüner Schleier um Berlin gelegt ist. Dieses Schilf mirb bas Kampfabjett von morgen sein, wie die Ufermege das van gestern avnsMt. Wegen der Mücken. Ist das Lchilf meg. sind die Niucken«cg. sagen die Lenke. Mit den Mücke » ob« auch die Enten. die Feöslhe und die Rohrdrofleln. Und um dies« drei wäre es schade. Denn dann wäre es aus mit dem allmorzendlichsn Frühronzert!m Schilf. Tb« Bioline spielen die Rok)r0rossew:„fem, tarn, karo. tiet. fiet fiel; kora. kam. terd, tiüt, tief; fict* singt der«eine Bogel und schaukelt sich dabei est eurem Rohr, die Dräsche blasen die Trompeten und antworten:„fDafs, faots, foats" und die Krickenten locken: „krrlück, frrlück, ftrlürf", gan� hell das ü. Im Wald schlägt ein Grünspecht dazu die Tronunel. Und feine Straßeiilxchn lärmt und fern Motorrod. Deshalb loht das Schilf in Ruhe. Sonst fommt noch jemmtd daher, pachtet das ganze Schilf, sperrt den See ab und macht ein Plakat wie dieses hier an: Pchtung. Jagdrevier! Do» Bsfahven de» Wernsdorf« Sees ist mit größter Lebensgefahr verbunden! Zuwiderhandelnde werden wegen Hausfriedensbruch belangt! Ab« da nicht olle Tage Entenjagd ist, sind wir doch aus diesen See gefahren, am Ufer stand«in Storch und staunte, was wir hier zwischen den Enten suchen, nur die Mädchen, die im Boot saßen. staunten nicht, sondern sagten:..Ausgerechnet, der!" und spukten dreimal aus: toi. toi. toi! Dann lachten wir olle und sahen, wie die Fisch- silbern und glitzernd im Schilf zappelten und Kringel in den See malten. Ganz dicht fuhren zwei Fischer heran und hoben ein Fischlein noch dem anderen mit einem Netz heraus. Ganz drüben, nach Gosen zu. steigt eine feine Rauchsäule auf. em Back- ölen. Irgend jemand fragt:„Weißt du, daß wir in Berlin sind?' Heute beschäftigt diese Grenze aus Schilf feinen Reichstag mehr wie rmr vierhundert Iahren. heute liegt h!« eingebettet zwischen Kiefern- mäldern der Oder-Spree -Konal; gegenüber von Schmück- mch ist die Einfahrt Sein kleinerer Vorläufer verdankt seine Entstehung einem Schildbürgerstreich der Stettiner Pfefsersäcke. Die sperrten eines Tages Anno 1497 furzer Hand die Oder, ivofür sich die Breslauer Kaufleute revanchierten und ihre Ware nicht mehr nach Stettin , sondern nach Hamburg brachten. Das war mühselig g«mg. bis Frankfurt ging es p« Schiff, von dort per Achse nach Fürsten - waloe. hier nochmals umladen und dann erst über Spree . Havel und Elbe nach Homburg . Darum beantragt« aus dem Deutschen Reichstag von 1548 Ferdinand v. Böhmen , Oder und Spree durch einen Kanal zu verbuchen. Ab« Moritz o. Sachsen als em« der Beteiligten lehnte ab. weil ihm die Leipzig « Pfeffersäcke emgeblasen hotten, dies« Kanal wind einmal Berlin groß und reich machen. Joachim II. v. BranSenburg sagte weder nein noch ja, die Berliner rieben sich wohl schon die Fäuste, aber die Franfsurter Fuhrleute bangten um ihre Pfründe, denn sie allein hatten das Privileg für den Gütertransport noch Fürstenwald«. Der märkische Adel mischte sich noch mit Gutachten ei», wonach der Kanal ihren Wiesen und Aeckern da» Wasser wegnehmen wird, und als schließlich 1ZK4 Ferdinand n. Böhmen starb, krähte kein Hahn mehr nach dem Kanal. Friedrich Wilhelm , Kurfürst von Brandenburg , ließ hundert Jahr« später dann den Kanal allein bauen; am 27. Februar 16KS «drfich konnten fünf große Oderkähne der Breslauer Kaufleute Schlettau «ach Hamburg abfahren, am 8. März fuhren sie durch die alte Spree, vertäuten am 12. in Berlin , am nächsten Tage gings schon weiter nach Hamburg . Die Leipzig « hatten recht behalten: B«ri« wurde groß und«ich und Stettin saß mit sein« Sperr« da und hatte das Nachsehen. Raapen wollen naeh Berlin Bis auf die Hügel kurz vor Bohnsdorf , von denen sich di« Segelflieg« den größten gepachtet hoben, um dort ihren reichlich balsl'reckerischen Sport auszuüben, und bis on den stillen, laub. überoackNen, verträumten Dnrfke-ch von Bohnsdorf , wo ein klein« Junge Gänie hütet, sind>« R o u p e n noch nicht gekommen. Rechter di« alte Brotemchie haben ß- auch m Ruhe gefastet w-«
Marschroute ist die Chaufsse Bohnsdorf— SchSnefeld— Waßmannsdorf, zur Srunde liegt ihre Millianenarmee an der Grenze Berlins . Jeder Raupensoldat hat einen dicken, hasclnußbrannen Pelz mit langen.Haaren, die Morinschaften haben auf dem Rücken einen teuer, roten und die wenigen Offiziere an der gleichen Stelle einen kobalt- blauen Streifen. Zlus dem Kops sitzen zwei tieffchwarze Punkte als Augen. Dazwischen einig« ohne Pelz und von giftgrün« Farbe. ganz kalt fühlten sie sich an. als wir mit dem Zeigefinger behutsam nach ihnen tippten, mich sie mit diesen schwarzen Glotzaugen. Die E hausiee. dieser schone, schattige Weg. sa, von d« ist nur noch der FahrdamiN übrrg. D« flimmert einem vor den Augen, weil ständig mehrere Kanpenreglwenter Stellungswechsel habe», die einen kommen von de» Linden und gehen zu den Eichen, die anderen kommen von den Eichen und gehen zu den Linden. Aber dos sind gar feine Bäume mehr, Holzstämm« sind übriggeblieben, wie dos nur aussieht, grün, grün Ist alles, soweit die Augen sehen fnnuen,
Parzellen handel auf Oedtand.
und mitten durch, tief ins Teltower Land hinein, diese düstere Zeile nackt«, entblätterter Aeste. Man hat den Bäumen zu helfen ver- sucht und ihnen eine Bauchbinde gegeben, einen breiten Streifen Papier , mit Fliegenleim bestrichen. Aber an dem Leim fleben ans der ganzen Chaussee vielleicht zwanzig Raupen, w« in die Baum- krönen wollt«, ist zwischen den Spalten der Borte unter die Bauch- binde drunterweg geschlüpft Alles ist kahlgefresie» und noch immer warten unterhalb der Leimringe Millionen ungesättigt« Raupen, eine über der anderen winmrelt und zittert da herum, als ob die Baumrinde lebendig wäre, sieht es von weitem aus. Don d» ab- geschorenen Chaussee zweigen bisweilen Wege ab.„Libellenweg' heißt einer,„Froschsteg' ein anderer. Wegweiser oder best« Straßenschild« mitten im Kornfeld. Dan Bohnsdorf im weiten Bogen über Dahlewitz bis Babelsberg : überoll„wartendes Land' nach kalisornischem Muster. Eine„tract olfice', bei uns Parzellie. rungsbüro geherßen, einsam zwischen Feld und Acker, dann diese Straßenschilder mit den schönen Rainen und«in Plakat: Grundstitckskauf ist vertrauemssache! Kommen Sie zu uns und suchen Sie sich eine Parzelle aus! Kleine Anzahlung, kleinste Raten? Unser Auto erwartet Sie am Bahnhof und steht Ihnen ohne Kaufzwang zur Verfügung! Einige Wochen spät« ist der Grundstock d« sogenannt« Sied- lung gelogt: ein StacheLirähtzaun, ein Abessi»i«drunn« und das Klosett des ersten Siedl«?. Die Zukunft des Rieselfelds Hinter Waßmannsdorf nach Lichterfelde zu wird die Grenze bunt und bunt«. Reben eingezäunten Hühnerfarm« weiden schwarz-w«ß gescheckte Kühe, hellgrün» Rübenlelder wechseln ab mit dunkelgrünen Kohlfeldern, Obstplantogen rücken dicht an den Weg, kleine Gräben münden in tiefere Gräben, dos ganze Land ist in Würfel aufgeteilt, es riecht, es duftet recht stark, wonach denn, aha, das sind die Rieselfeld«. Hl« endet also alter Unrat der achtzig EukwäflcnwgsMbtete Verlws mit seinem 4200 KAometer tatg«
StraßenleitUi�sneg, das von SO 000 Grundstücken die Abwässer auf- nimmt, die durch 63 Pumpwerte nach den Klärbecken d« Rieselgüter gedrückt werden, wo die Abwässer von den gröbsten Sinkstoff« vor- gereinigt werden. Daun geht es auf die kleinen zwanzig Ar großen Feldstücke, Tafeln genannt, von denen zwölf bis zwanzig immer ein« Schlag bilden. Leichter, durchlässiger Sandbaden ist für die Aufnahme der 170 000 000 Kubikmeter Abmäss«, die Berlin in jedem Jahre hat. nötig, und nachdem die Abwässer ihre Ausgabe erfüllt haben, den Boden zu düng«, fließen sie gefiltert durch die Vorfluter zurück in Spree und Havel , von dann« sie als feines/ reines Leitungswasser kam«. Ein grandioser Kreislauf der Natur, korrigiert durch sie Technik. Hier ist die Rechnung über die iIu- fünft des Rieselfeldes: die Stadt Berlin besitzt 49 000 Margen R i e s e l l a n d. Alles mit Gemüse bebaut, bei einem Ertragsdurch schnitt von 250 Zentnern pro Morgen und zweimaliger Ernte im Jahr, ergibt das eine Gemüsemenge von 12500 000 Zentnern. Pro Kopf und Jahr der 4 000 000 Berliner — 3 Zentner Gemüse. Das Problem liegt in der Anzucht des Frühgemüses und der Anpassung der Fruchtwahl an die Vielseitigkeit des Bedarfs. Lokalbericht aus Teltow Bon L i cht« r s« lde bis nach Teltow sind es ein paar Kilometer, von Zehlendorf nach Teltow ein Katzensprung über die Kanalbrücke. Bis zur Berlin « Grenze ist die Chaussee asphaltiert, auf der Teltower Seite beginnt das Kopfpflaster. Dafür häng« die Teltower ober überall ihr Wappen an die Grenze: ob« eine Mauer mit drei Türmen und umrankt von grünem Eich«- laub ein roter Adler auf weißem Felde. Darunter„Stadt Teltow ". Direkt annselig nimmt sich das schwarz-gelbe Grenz- schiß» der drittgrößten Stadt der Welt dagegen aus. Ab« sagt nichts gegen Teltow . 1914 noch eine Stadt von 4600 Einwohnern, hat es heut« 7000. Aus den Ratmännern des Mogistrats wurden Stoldi- röte, das Vermögen der Stadt stieg von anderthalb Million« auf üb« zwei Million«, mährend die Schuld« von 828 000 auf 372000 Mark sanken, glückliches Teltow ! Und ruhige Bürg« müssen die 7000 Teltower sein, für die drei Polizeihauptwachtmeister, ein Polizeioberwachtmeister und«in Nachtwächter genügen. Nur mit der Arbeit hapert es jetzt hier wie anderswo auch, in den beiden letzten Maiwochen sind beim Arbeitsamt Teltow 256 neue Erwerbs- los« hinzugekommen, nur 42 könnt« vermittelt werden, so daß heute zu Pfingsten 749 Mann« und Frauen auf dem Nachweis in Teltow sitzen. Im vorig« Jahr waren es knapp hundert Vis in die Kieinstadt züngelt die Krise. An dem weinb«antten Rathaus der Stadt werden die Obdachlosen darauf aufmerksam gemacht in» Winter um 18 Uhr und im Sommer um 22 Uhr da zu sein. Mr hatten uns gevade auf die Bank an der Kirche gesetzt, da kam d« H«r Sedlatschek mit seiner Braut und dem Hochzeitsgesolge. Die Glock« läuteten üb« der stillen Stadt, an jedem Fenster reckte eine Frau den Hals, der Küster jagte den Kutschern Bescheid, jetzt müßt« sie wenden und nicht nachher, sonst hätte das junge Paar kein Glück im'Leben, dann spielte die Orgel, von der wir nichts mehr hören konnten, als eine Motorrodabteilung der Potsdamer Reichswehr üb« den stillen Kirchplatz knatterte. Zwei, drei Schritte, einmal um die Ecke, bis zur Brücke, dann war« mir wieder in Berlin . Wir wären so gern in Teltow geblieben... » Als die Nacht kam, standen wir an der Havel auf der Glienicker Brücke . Orangefarben»«glühte hinter dem Iimg. ferusee dos Abendrot, lief über in ein zartes Grün, das sich langsam in«in Uchtes Blau auflöste. Ueber den See strich eine leichte Bö und färbte einen schmalen Strich Wass« eine Nüance dunkler. Link»! lagen in Rech und Glied Segelboote, rechts, dicht aneinander� gekauert, Zill« neb« Zille. Hoch ob« stand Reich die gelbe Mondsichel, eine Handbreit tiefer der Abendstern. Auf d« ander« Seite lugt das Babelsberger Schloß aus einer Parklichtung heraus, in de» hohen Fenstern spiegelt sich zum letzten Male der sterbend« Tag. Auch wir sind müde geworden._
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