Einzelbild herunterladen
 

BERLIN Dienstag 24. Juni 1930

Der Abend

Erscheinttäglich außer Sonntags.

18

Sugleich Abendausgabe des Vorwärts". Bezugspreis beide Ausgaben 85 Pf. pro Woche, 3,60 M. pro Monat. Redaktion und Expedition; Berlin SW68, Lindenstr. 3

Spalausgabe des Vorwärts

" Anzeigenpreis:

10 Pf.

Nr. 290

B 144 47. Jahrgang

Anzeigenpreis: Die einspaltige Nonpareillezeile 80 Pf., Reklamezeile 5 M. Ermäßigungen nach Tarif. Bosscheckkonto: Vorwärts- Verlag G. m. b. H., Berlin Nr. 37536. Fernsprecher: Dönhoff 292 bis 297

Die schleichende Krisis.

Reichskabinett ohne Programm.- Phantastische Gerüchte.

Das Reichsfabinett ist heute vormittag 10 Uhr zusammengetreten. Da Reichsminister Curtius in den Auswärtigen Ausschuß des Reichstages und Reichsminister Schiele zur Beratung seines Etats in den Reichstag mußte, ist man im Kabinett mit der Beratung nichtfertig geworden. Sie soll jedoch, wie offiziös erklärt wird, auf alle Fälle heute noch zu Ende geführt und es sollen die Beschlüsse auch noch heute veröffentlicht werden. Das Regierungspro­gramm wird einstweilen im Reichsrat nicht weiter beraten, mie die Regierung gewünscht hat.

Die Reichsgeschäfte werden zur Zeit auf Grund eines Rotetats geführt, den der Reichstag seinerzeit bewilligt hat. Da man jedoch innerhalb der Geltung dieses Notetats den ordentlichen Etat und das Finanzprogramm nicht fertig machen tann, wird eine Berlängerung des Not: etats beim Reichstag beantragt werden.

Ob' der jezige Reichswirtschaftsminister Dietrich sich zur Uebernahme des Reichsfinanzministeriums bereitfinden wird, ist noch nicht bekannt. In Ermangelung positiver Nach­richten über die weitere Entwicklung der politischen Lage werden von Vertretern der bürgerlichen Bresse allerhand Gerüchte über Verhandlungen zwischen dem Reichskanzler Dr. Brüning und Vertretern der Sozialdemokratischen Partei folportiert. Man nennt bereits einige Namen führender So zialdemokraten, die bei einer Umbildung der Regie­rung in das Kabinett eintreten sollen. Diese Ge rüchte entbehren jeder tatsächlichen Grund I age. Bisher sind keinerlei Verhandlungen zwischen dem Reichskanzler und der Sozialdemokratie geführt worden.

*

=

=

Verschärfte Arbeitskrise.

Die Arbeitslosigkeit steigt in der Hochsaison.

Die Entlastung des Arbeitsmarktes im Bereich des Landesarbeits­amtes Brandenburg( Berlin , Brandenburg , Grenzmark) in der zweiten Hälfte des Mai ist nur vorübergehend gewesen. Nach dem neuesten Bericht des Landesarbeitsamtes Brandenburg ist in den ersten beiden Juniwochen die Zahl der Arbeitsuchenden wieder um 7848 auf 420 833 Personen gestiegen. Auf Groß­Berlin entfallen hiervon 324 151, auf die Provinz Brandenburg 90 807 und auf die Grenzmark 5875 Arbeitsuchende. Auch die Zah! der Hauptunterstüßungsempfänger ift um 2387 auf 238 471 Personen gestiegen. Einschließlich der Krisenunterstützten erreichte die Zahl der Unterstützungsempfänger aus der Arbeitslosenversicherung 296 574 Personen.

Der anhaltend schwere Drud auf den Arbeitsmarkt hat sich also trotz der gegenwärtigen Hochsaison im Baugewerbe und fämtlichen mefentlich verschärft. Die fatastrophale Lage auf dem Außenberufen nicht nur nicht gemildert, sondern sogar noch Arbeitsmarkt wird durch die Tatsache gekennzeichnet, daß die Zahl der Arbeitsuchenden allein in Berlin und Brandenburg zurzeit um 80 Proz höher ist als Mitte Juni vorigen Jahres. Während im vergangenen Jahr trotz des langsamen Einfeßens der Frühjahrs­faison infolge des fibirischen Winters die Zahl der Arbeitsuchenden von Ende Februar bis Mitte Juni von 398 500 auf 233 300 Arbeit­suchende, also um rund 41,5 Pro 3. zurüdging, hat die Eat lastung des Arbeitsmarktes in diesem Jahr mit einem Rückgang der Arbeitsuchenden von 501 457 Ende Februar bis auf 420 833 Mitte Juni in Berlin und Brandenburg nur 16,6 Proz. betragen.

Dabei weisen die Berichte der einzelnen Landesarbeitsämter, darunter auch der vorliegende Bericht des Landesarbeitsamtes Brandenburg, darauf hin, daß in den wichtigsten Industriezweigen eine Befferung in nächster Zeit noch nicht zu erwarten sei. Das Krisenzentrum in Berlin stellt die Metallindustrie

Mehr Realität als solchen haltlosen Kombinationen dürfte wohl dem zukommen, was im Reichstag über die Berdar, bei der sich der Arbeitsmarkt immer fritischer gestaltet. Be­handlung gen Dietrichs im Kabinett erzählt wird. Danach soll Dietrich ein weitsichtiges Programm der Finanz­und Wirtschaftsreform vorgelegt haben, das sowohl eine Senfung der Beamtengehälter wie eine zwangsweise Sentung der Preise für die Pro­dukte der kartellierten Industrie enthält. Herr Dietrich soll verlangen, daß sein Programm, falls es im Reichstag nicht durchzubringen ist, auf dem Wege des Artikels 48 verwirklicht wird.

Die demokratische Reichstagsfraktion ist bekanntlich sehr entschieden gegen eine Uebernahme des Finanzministeriums durch Dietrich, vielleicht vor allem auch deshalb, weil sie seine phantastischen Pläne fennt. Sie fürchtet einen Fall Dietrich, der sich für die Zukunft der kleinen Partei noch verhängnisvoller auswirken könnte als der Fall Geßler.

Landtagsauflösung?

Ein unbegründetes Gerücht.

In einer Anzahl Berliner Blätter war gestern und heute das Gerücht verbreitet, die preußische Staatsregierung bereite die Auf­lösung des Landtags vor, falls infolge der Obstruktion der Rechten und der Kommunisten die Annahme des Etats in der Schlußabstimmung am Mittwoch verhindert werde.

Dies Gerücht ist nicht richtig. Die Regierungsparteien find start genug, um bei einer entscheidenden Abstimmung alle Obstruktionsversuche zunichte zu machen.

England- Amerika .

Neuer Ozeanflug eines auftralischen Hauptmanns.

Dublin , 24. Juni. Der australische Fliegerhauptmann Kingsford Smith hat heute früh 4.35 Uhr mit seinen Begleitern von Port Marnock aus in seinem Flugzeug ,, Southern Cros" den seit langem geplanten Flug zur Ueberquerung des Atlantischen Ozeans in westlicher Richtung an. getreten. Er beabsichtigt, in Old Orchard bei New­ york zu landen.

fonders schwer sind die Fachkräfte von der Beschäftigungslosigkeit betroffen. Auch im Bekleidungsgewerbe war ein sprung­haftes Anwachsen der Arbeitslosigkeit in den letzten Wochen feffzu­stellen. 3m Baugewerbe haben sich die Schwierigkeiten noch nicht gehoben. Nur im Braunkohlenbergbau hat sich die Befferung, die im Mai einsetzte, fortgesetzt. Auch auf dem Stellenmarkt für fauf­männische Angestellte hat sich besonders für männliche Arbeitskräfte die Beschäftigungsmöglichkeit erheblich verschlechtert.

Die Verschärfung der Arbeitskrise ist ein Alarmsignal, das von der Regierung nicht überhört werden darf. Kostbare Zeit ist verstrichen, ohne daß von dem kabinett Brüning etwas zur An­furbelung der Konjunktur getan wurde. Soll die Maffenarbeitslofig.

TOD DEN

Sachsenwahlen

MARXISTEN

$

57

DEUTSCHE .

VOLKSPARTEL

5

DEUTSCHNATIONALE

Die Kanone ist nach hinten losgegangen!

feif nicht verewigt werden, so ist es allerhöchste Zeif, daß durch Ber­gebung von Großaufträgen der führenden öffentlichen Unter­nehmungen durch erleichterte Zuführung von ausländischem Kapitol und durch Aufloderung des Kapitalmarktes noch in letzter Stunde etwas zur Belebung der Inlandskonjunktur in diesem Jahr geschieht.

Schon wieder eine Königsrückkehr? Stimmungsmache für Ferdinand von Bulgarien .

Sofia , 24. Juni. ( Eigenbericht.)

In den letzten Tagen verdichten sich die Gerüchte, daß der ehe­malige König der Bulgaren , Ferdinand, in kürze nach Warra zurückkehren werde. Die Montagblätter melden dazu aus der bulga rifchen Hafenstadt, daß in dem Warnaer Balais bereits große Vor­bereitungen zum Empfang des alten Roburgers getroffent würden. Die Regierung dementiert diese Nachricht und tut jo, als ob sie von nichts wisse. Auffällig bleiben jedoch u. a. die Bemühungen öffentlich Stimmung zu machen. Sie betonen, daß diese Rüd­eines Teils der bürgerlichen Preffe, für die Rückkehr Ferdinands tehr nur familiären Charakter tragen werde. Ferdinand habe Bul garien freiwillig verlassen und der Friedensvertrag verwehre ihm feineswegs einen Besuch oder gar den dauernden Aufenthalt im Lande.

"

Der sozialistische Narod" schreibt zu der Angelegenheit, Ferdi­nand möge bleiben wo er zurzeit ist. Das Volk liebe ihn nicht und wünsche ihn nicht. Es wolle mit seinen Nachbarn in Frieden leben und wer das wolle, müsse gegen die Rückkehr des Koburgers sein.

Ein Generalstreif in Sevilla .

Die Streifleitung mußte flüchten.

Madrid , 24. Juni.

Am Montag traten 40 000 Arbeiter in den Generalstreik. In den ersten Morgenstunden sammelten sich Trupps von Streifenden vor den Toren der Fabriken und Werkstätten, um zu verhindern, daß die Arbeit aufgenommen wird. In den Straßen des Zentrums wurden Nägel gestreut, um den Automobilverkehr zu behindern. Der Straßenbahnverkehr mußte eingestellt werden. Mehrere Wagen, die auszufahren suchten, wurden mit einem Steinbagel empfangen und mußten umfehren. Die Guardia Civil ging wiederholt mit blanker Waffe vor. Verschiedene Arbeiter wurden dabei verletzt. Zahlreiche Berhaftungen wurden vorgenommen. Sämtliche Läden und Ge­fchäftshäuser blieben geschloffen. Die Polizeistreitkräfte wurden, als fie eine Ansammlung zerstreuen wollten, angegriffen. Es kam zu einem lebhaften Kugelwedyjel, wobei zwei Kinder verwundet wurden. Die Bäcker aus der Umgebung von Sevilla , die Brot in die Stadt brachten, wurden von den Streifenden daran gehindert. Der Zivilgouverneur hat den Straßenbahnverkehr wieder aufnehmen laffen. Den Wagen werden polizeiliche Schutzwachen beigegeben. Die Zahl der Verhafteten übersteigt 20. Die meisten Streifführer jollen geflüchtet sein.

Ueber die Ursache des Generalstreifs, dem offenbar ein Landarbeiterstreit voraufging, wird berichtet, bei einem Zusammenstoß zwischen Streifenden und Polizei am Freitag sei eine Landarbeiterin verlegt worden und dann im Krankenhaus gestorben.

Das Recht der Gammelschulen. Deutschnationaler Frontangriff auf die weltlichen Schulen. Leipzig , 24. Juni.

Der Staatsgerichtshof für das Deutsche Reich ist am Dienstagvormittag in die Verhandlung der Streitsache der deutschnationalen Fraktion im Preußischen Landtag gegen das Land Preußen betreffend Bildung religionsloser Sammel. klassen und Sammelschulen eingetreten. Die klagende Fraktion ist vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Seelmann- Eggeberg und durch Oberstudienrat Celze, Mitglied des Preußischen Landtages . Für das Land Preußen ist erschienen Ministerialrat 2ande aus dem Ministerium für Volksbildung.

Im wesentlichen handelt es sich um folgendes: Seit 1920 find in Preußen in zahlreichen Volksschulen Sammelklassen für solche Schüler eingerichtet