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BERLIN  

Donnerstag 26. Juni

1930

Der Abend

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Nr. 294

B 146 47. Jahrgang

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Notopfer der Notleidenden.

Protest der Krankenkassen gegen die Regierungspläne.

Der Borstand des Hauptverbandes deutscher Krankentassen hatte| fachung in der Organisation durch Beseitigung der 3 werg­

zu heute vormittag ſeine Bertreter aus allen Gauen Deutschlands   taſſen und durch Bildung von Pflichtkassenverbänden Der fahrlässige Stadtfämmerer

nach Berlin   zusammenberufen, um gegen das von der Reichs- bedauerlicherweise vermissen. regierung geplante Attentat auf die Krankenversicherung   Stellung zu nehmen. An der Kundgebung nahmen etwa 500 Bertreter der Krankenversicherung teil.

Der geschäftsführende Borsitzende des Hauptverbandes Deutscher Krantentassen, Helmuth Lehmann, erinnerte einleitend an den Propagandafeldzug der Aerzte im Jahre 1924 für eine 25prozentige Honorarerhöhung, womit schon die Stimmung vor­bereitet wurde für das jetzige Sparprogramm der Reichsregierung. Dieses Sparprogramm geht von der Steigerung der Arzt= honorare aus, die seit 1913 auf das Dreifach e, nämlich auf 500 mill. M. im Jahre 1929 gestiegen sind. Der Reichsrat soul schon heute über den Gesezentwurf beschließen, da die Regierung Wert darauf legt, daß er noch vor der Sommerpause von dem Reichstag verabschiedet wird.

Die Behauptung, daß die Sparmaßnahmen den Zweck der Krankenversicherung und ihre Zukunft nicht gefährde, ist

eine grobe Jrreführung der Deffentlichkeit.

Es muß bezweifelt werden, daß der Entwurf die Grenze zwischen der möglichen Selbsthilfe und der notwendigen Gemeinschaftshilfe richtig zieht. Der Redner ging im einzelnen auf die Sparmaßnahmen ein, die im ,, Borwärts" schon eingehend behandelt worden sind und führte weiter aus: Die Häufung dieser Sparmaßnahmen ist un annehmbar, was besonders für den Arzneifoftenanteil und die Krantenscheingebühr gilt. Gerade diese letzte Belastung der Ber sicherten darf auf feinen Fall in Kraft treten für Arbeitsunfähige, Arbeitslose, Wöchnerinnen, Unfallverlegte und bei anstecenden Krankheiten. Auch die Her abseßung der Höchstgrund­lohngrenze auf 9 Mart ist wegen der finanziellen Auswirkung untragbar. Der Lohnentwicklung entsprechend müßte die Grenze 12 Mart betragen.

Die Begründung des Gejezzentwurses weist richtig darauf hin, daß statt der zugelassenen 35 000 Aerzte nur 21 000 Aerzte notwendig find. Bei 500 Mill. Mark Gesamtaufwand würden für jeden dieser 21 000 Aerzte durchschnittlich 18 300 Mark jährlich an Honoraren der reichsgesetzlichen Krankenkassen zur Verfügung stehen. Die 3u. Iaffungsbeschränkung für Aerzte ist dringend notwendig. Die Reform des faffenärztlichen Dienstes bringt allein 380 Mill. Mart Ersparnis jährlich. Wird die Arzneifostenbeteiligung und die Kran­tenscheingebühr abgelehnt, während die übrigen Einschränkungen der Leistungen bestehen bleiben, so ergibt sich eine

Gesamtersparnis von 546 Mill. Mart,

aljo weit mehr, als die Regierung für notwendig hält. Der Entwurf bringt außerdem starfe Einschränkungen des Selbstvermal­tungsrechtes für Versicherte, namentlich durch die Herabsetzung der Beitragsgrenze und Einrichtung eines Hauptausschusses für Krankenversicherung  . Der Hauptausschuß ist nur annehmbar, wenn darin die Zweidrittelmehrheit der Versicherten gewährleistet ist. Handelsgerichtsrat Uhlich, Dresden  , Arbeitgebervertreter, be­zeichnete den Gesezentwurf als ein Produkt der Kopflosig= feit der Reichsregierung, durch dessen Annahme die Arbeitslojen versicherung nicht gesund, die Krankenversicherung aber frant gemacht werden würde. Nach einer längeren Aussprache wurde ein stimmig folgende Entschließung angenommen:

,, Die am 26. Juni 1930 in Berlin   zu einer kundgebung ver­sammelten Landesverbände des Hauptverbandes deutscher   Kranken­faffen erheben namens der von ihnen vertretenen zwölf Millionen Versicherten schwerste Bedenken gegen den von der Reichs­regierung vorgelegten Entwurf eines Gesetzes über Aenderungen in der Krankenversicherung  .

Der Entwurf läßt die seit Jahren von den in der Kranken­versicherung lätigen Arbeitgebern und Versicherten auf­gestellten Reformvorschläge großenteils unberücksichtigt.

Statt deffen bringt er eine Einschränkung der Leistun­gen, insbesondere durch die Arzneitoftenbeteiligung und die Krantenscheingebühr, die schon durch ihre Häufung untragbar ist. Die vornehmste Aufgabe der Krankenversicherung  , den kranten schnelle und stets bereite Hilfe zu bringen, wird gerade da, wo sie am nötigsten ist, vereitelt.

Die in dem Entwurf vorgeschlageae Reform des faffen­ärztlichen Dienstes und die beabsichtigten Verwaltungsver­einfachungen sichern völlig die von der Reichsregierung als notwendig bezeichneten Ersparnisse.

Die geplante weitere Beschränkung des Selbstverwaltungsrechts ist ungerechtfertigt, und nur geeignet, eine gesunde Weiler­entwidlung der Krankenkaffen zu stören.

Dagegen läßt der Entwurf die dringend notwendige Berein­

An den Reichsfag richten die Bersammelten die dringende Bitte, ihre auf Grund jahrzehntelanger tätiger Marbeit fundgegebenen Wünsche nicht unberüdsichtigt zu laffen. Sie fordern eine gründ­liche Umgestaltung dieses Gefehentwurfs zu einer den sozialen Bedürfnissen der Versicherten gerecht werdenden Reform der Krankenversicherung  ."

Keine Ermächtigung.

Reichskabinett will die Gesetze im Reichstag durchdrücken.

Reichskanzler Brüning   ist heute nach Neudeck zum Reichspräsidenten gefahren, um ihm die Ernennung Dietrichs zum Reichsfinanzminister vorzuschlagen.

Der Reichskanzler wird jedoch nicht um besondere Vollmachten ersuchen. Die Deckungsgesetze werden dem

Daran liegt's!

Reichs

Etat

Brunting

Preuss. Etat

SW.

Braun

Brüning: Wie schön muß das fein, Kollege Braun, wenn man nicht auf die Mitarbeit der Deutschen Bolts: partei angewiesen ist!".

lamentarischem Wege einzeln behandelt werden. Reichsrat zugehen und werden auf normalem þar. Eine Ermächtigung für das Kabinett Brüning wird jetzt nicht nachgesucht werden der Reichskanzler will sich das Verlangen nach einer Ermächtigung für den Herbst vorbehalten.

Morgen will das Kabinett endgültig die Deckungs­geseke verabschieden, am Sonnabend sollen die Gesetze dem Reichsrat vorgelegt werden.

D- Bug überraft Laftauto.

Schreckensszene in der Nacht.- Zwei Zote. Mainz  , 26. Juni. Der D- Jug Dortmund- München überfuhr in der vergangenen Nacht an dem gesicherten Bahnübergang bei Brüde 25, zwischen Gau Algesheim   und 3ngelheim, ein mit Mehl beladenes aft auto aus Münster   im Taunus  . 3 wei Jnjassen des Caftautos wurden mit lebensgefährlichen Verletzungen nach dem Krankenhaus Ludwigsstift in Niederingelheim gebracht, wo sie beide heute früh gestorben sind. Ein dritter Mitfahrer wurde leicht verletzt. Der Benzinbehälter des überfahrenen Wagens geriet in Brand, so daß das Auto vollkommen zerstört wurde. Die Lokomotive des D- 3uges wurde ebenfalls beschädigt und mußte ausgewechselt werden, wodurch 69 Minuten Berspätung entstanden. Das Gleis Koblenz  - Mainz   mußte für drei Stunden gesperrt werden. Der Schrantenwärter ist vorläufig in Haft ge. nommen worden.

Heute Bernehmung vor dem Bezirksausschuß.

Heute vormittag begann die Disziplinarverhandlung gegen den Stadtfämmerer Cange im Berliner   Bezirksausschuß. Gegen Affäre Vorwürfe in der Richtung erhoben worden, daß er als Cange find bekanntlich im Zusammenhang mit der Stlaret­Borsitzender des Verwaltungsausschusses der Stadtbank und als Leiter des Berliner   Städtischen Finanz­wejens un genügende kontrolle über die Finanzgebarung der Berliner   Stadtbant geübt und so nicht verhindert habe, daß den Gebrüdern Sklaret die Millionen tredite gegeben wurden. Stadtfämmerer Dr. Lange hatte gegen sich selbst ein Disziplinarver­fahren beantragt, dem auch bekanntlich das Oberpräsidium stattgab und das seine Beurlaubung vom Dienste bis zur Entscheidung des Berfahrens verfügte.

Das Disziplinarverfahren gegen Stadttämmerer Dr. Lange hat verhältnismäßig eine rasche Erledigung gefunden, da er auf eine schriftliche Erwiderung auf die Anschuldigungsschrift verzichtet hatte. In der Anschuldigungsschrift werden dem Stadtfämmerer feine moralischen, sondern lediglich fachliche Vorwürfe gemacht, daß er seiner Kontrollpflicht nicht in vollem Umfange ge= nügt und so fahrlässig für den Schaden verantwortlich sei, den die Stadt durch die Betrügereien der Gebrüder Sflaret erlitten habe. Die Anschuldigungsschrift führt eine Reihe von Spezialpunk­ten auf es sind etwa sechs, in denen auf Grund der Städte­ordnung und der Kommunalgesetzgebung die Vorwürfe gegen den Stadttämmerer begründet werden. Das Disziplinargericht gegen den Stadtkämmerer hat genau die gleiche Zusammensetzung wie dasjenige Gremium, das in der Disziplinarsache gegen Böẞ ent­schieden hat.

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Stadtkämmerer Dr. Lange erschien turz vor 10 Uhr im Auto vor dem Gebäude des Bezirksausschusses, wo bereits Photographen seiner harrten. Er wurde mit seinem Verteidiger sodann in ein besonderes Zimmer geführt. Der Beginn der Verhandlung ver­zögerte sich jedoch bis 11 Uhr, da einige Mitglieder des Bezirks­ausschusses sich verspätet hatten. In der Verhandlung, die bekannt­lich unter Ausschluß der Deffentlich feit geführt wird, dürften lediglich verwaltungsrechtliche Gesichtspunkte erört: rt wer den. Das Urteil ist erst am Nachmittag zu erwarten.

Großfeuer in Köpenick  .

Fünf Löschzüge und Feuerlöschboot in Tätigkeit. Bon einem schweren Schadenfeuer wurden heute früh die zum Mewa- Konzern gehörenden Bereinigten Puhtuchwerte in Köpenid, Freiheit 12, heimgesucht. Die Feuerwehr nahm die

Bekämpfung des Großfeuers unter Leitung des Branddirektors Pozdziech mit fünf Löschzügen und dem ständig in Köpenick   ftatio­nierten Feuerlöschboot 6 auf. Nach zweistündigem Wassergeben war die Gewalt des Feuers gebrochen.

Das von dem Feuer betroffene Fabrikgebäude, ein langge 30gener Bau, zählt drei Stockwerte. In der dritten Etage erstreckt sich über eine etwa 500 Quadratmeter große Fläche die Buzlappenfortierung und anschließend ein Trockenraum. Bald nach Arbeitsbeginn gegen 48 Uhr entstand im Trockenraum vec­mutlich infolge Ueberhigung Feuer, das an den leicht brennbar n Materialien überaus reiche Nahrung fand und wie rasend um sich griff. Dem Flammenmeer entquollen dichte und stickige Rauch­massen, die im Augenblick den oberen Teil des ganzen Gebäudes einhüllten. Auf den Alarmruf Feuer", der den Betrieb durcheilte, verließ die Belegschaft in voller Ruhe das brennende Gebäude.

Mittlerweile trafen nacheinander fünf Löschzüge an der Brand stelle ein. Gleichzeitig wurde das Feuerlösch boot mobilisit, das bereits nach wenigen Minuten erschien und von der Wasser­feite her zur Bekämpfung des Großfeuers erfolgreich eingriff. Große Schwierigkeiten bereitete den über mehrere mechanische Leitern und die Treppenhäuser gegen den Brandherd vordringenden Löschmann­schaften ein dicker Qualm, der jede Orientierungsmöglichkeit nahm. Erst nach und nach fonnte den Rauchmassen Abzug verschafft und eine erfolgreiche Löscharbeit aufgenommen werden. Das Oberge­schoß und das Dach find den Flammen zum großen Teil zum Opfer gefallen. Dagegen gelang es, ein großes Lager fertiger Waren vor der Bernichtung zu schützen.

Die Aufräumungsarbeiten dauerten bis in die Mittagsstunden hinein an.