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Beilage

Freitag, 27. Juni 1930

Die ersten ,, Luftschwimmer"

Stuwers Zylinderballon

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Blanchard in Frankfurt   und Wien  Jungius   fliegt über Berlin  

Am 21. November 1783 stiegen Pilâtre de Rozier   und der Marquis d'Arlanda zum ersten Male mit einer Montgolfiere auf, blieben fünfundzwanzig Minuten in der Luft und landeten wohlbehalten. Zehn Tage später, am 1. Dezember, starteten Char. les und Robert mit dem ersten mit Wasserstoffgas gefüllten Ballon in den Tuillerien und waren bald den Blicken der be­geisterten, freudetrunkenen Pariser   entschwunden.

Der Mensch fann fliegen!

Dieser Jubelruf eilte mit Windeseile durch Europa   und brachte alle Gemüter in Aufruhr. Die Zeitungen waren angefüllt mit Berichten über das große Weltereignis.

Die Staats- und gelehrte Zeitung des Hamburgischen un­partheiischen Correspondenten Anno 1783" brachte in ihrer Nr. 143 felgendes Stimmungsbild ihres Pariser Berichterstatters:

,, Der neuliche Versuch mit der Luftmaschine hat hier einen Tolchen allgemeinen Enthusiasmus hervorgerufen, daß seit dieser Zeit Kleine und Große davon sprechen und sich mit Ver­suchen beschäftigen. Man hat die ärostatische Maschine auf hundert. fache Art in Kupfer gestochen; alle unsere Bilderläden sind voll davon. Alle unsere Professoren der Physik lasen jetzt über nichts anderes, als über Gas, über brennbare Luft, über den ärosta­tischen Ball und über die Mittel, solchen in die Luft zu dirigieren. Besonders eröffnete Herr Charles am Dienstag seine Lesestunden, zu welchen über 300 Rutschen mit vornehmen 3- hörern und solche Menge anderer Leute kam, daß der zwanzigste Teil nicht hineinkommen fonnte. Bei der letzten Sigung der 2 ca. demie wurden die Herren Charles und   Pilatre und de Rozier zugelaffen, welches, da sie teine Mitglieder. find, etwas Außerordent­Liches ift."

Die Gebrüder Montgolfiere, Charles, Pilatre, de Rozier und der Marquis d'Arlande wurden in unzähligen, Oden und Baudevilles befungen. Viele Chansons waren auch politischer Natur und rich teten sich gegen das ,, meerbeherrschende England", dem nun das luftbeherrschende   Frankreich" den Rang ab­Taufen müsse. Am 1. August, also turz nach den ersten Versuchen Montgolfiers, ging schon ein luftiger" Schwant über die Bretter. Ihm folgte eine andere Komödie: ,, Le Ballon, ou la Physicomanie", die im Théâtre des Variétés Amusantes" viele Aufführungen erlebte.

In   Deutschland nahm man die Meldungen von den ersten Luft­fahrten mit etwas Zurückhaltung entgegen. Wieland goß die Schale seines Spottes über die Franzosen aus, bedauerte das aller­dings später. Goethe war gleich von Anfang an über die ,, er= Götzliche Physik" begeistert. Er äußerte jogar in einem seiner Briefe an Frau Stein die Absicht, selbst einen kleinen Ballon in seinem Garten steigen zu lassen.

Ich habe nicht genau feststellen fönnen, wer in   Deutschland den ersten unbemannten Ballon steigen ließ. Aus einem Briefe Goethes geht jedenfalls hervor, daß der Anatom von Sömmering be­Teits im Herbst 1783 Versuche mit Barijer Luftbällen" anstellte, die aber mißglückten.

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leber die Experimente, die in   Wien angestellt wurden, sind wir genauer ur'errichtet. Dort erließ der Arzt und Botaniter Ingenhous am 28. Dezember 1783 einen Aufruf, in dem er eine Geldsammlung für eine große Luftmaschine anreg'e. Aber den Wienern faß das Geld nicht so locker in der Tasche wie den Parisern. Der Ballon des Herrn Ingenhous wurde nicht gebaut. Einem anderen Flugsportbegeisterten, Alois von Widman­stetter, Mitglied einer bekannten Grazer Buchdruckerfamilie, ge­Tang es dagegen, am 14. Januar 1784 den ersten größeren Heißluft­ballon in   Wien aufsteigen zu lassen.

Die Experimente wurde am 17, 18. und 19. Januar wiederholt, fanden den vollen Beifall der Schaulustigen, wurden dann aber eingestellt. Immerhin wirkten die Versuche Widmanstetters außer ordentlich befruchtend auf die Schriftsteller. Es erschienen uto­pische Romane: Der Gebrüder Mont inciel Reise auf dem Luftballon", Robinsons Luftreise nach dem Monde". Genau wie in   Paris lagen in den Schaufenstern der Buchhändler Zeich nungen aus, die alle Entwicklungsmöglichkeiten der jungen Luft­schwimmkunst" erschöpften, und auch das Theater nutzte die Gelegen­heit aus.

Ein Versuch in einem Zirtus mißglückte. Im Juni jedoch ver­kündete der werte   Wiener Pyrotechniker Stuwer, daß auch er ein Luftschiff konstruiert habe, das die Form eines liegenden Bylinders habe. Dieser Zylinder, welcher die Tragwolfe formiert, ist ungefähr aus 2500 Ellen Kanafas- Leinwand und Zwilch zu= sammengesetzt, wiegt benläufig 800 Wiener Pfund und erreicht in seiner vollen Größe die Höhe eines Hauses von vier Stod werten. Statt des beweglichen Korbes, den bisher alle Unternehmer aeronautischer Versuche ihren Tragwolfen mit Striden angehängt haben, ließ ich meinem Zylinder ein großes hölzernes Schiff nagelfeft anheften, welches in der Mitte ein geraumes 3immer hat."

Am 6. Juli bestiegen als erste   Deutsche

Stuwer und sechs   Wiener Mitbürger

die Gondel des Feffelballons. Nachdem sie ihr Feuer vermehrt hatten, jah man die Maschine bald nachher sich erheben und ihren Standort verlassen: sie wurde durch Seile in die Mitte des Plazes gebracht, und von hier aus erhob sie sich vollkommen fenfrecht, sant und stieg zu wiederholten Malen, je nachdem die Luftschiffer ihr Feuer vergrößerten oder verminderten. Sie erreichte jedesmal eine ansehnliche Höhe, soweit nämlich die daran befestigten Stride fie fteigen ließen."

feine Grenzen. Der Jubel schwoll zum Orfan an, als Blanchard fcinen Hund an einem Fallschirm herunterließ. Zum ersten Male sah man in   Deutschland, daß es auch einen Rettungsring der Luft gab. Dem Luftschiffer wurden nach seiner Landung die Pferde aus­gespannt, Tausende von brüllenden, tanzenden Menschen trugen Blanchard zum Schauspielhaus, wo ihm zu Ehren eine Fest vor stellung gegeben wurde.

Ein   deutscher Luftschiffer, der viel von sich reden machte, mar dem Ballon aufsteigen zu wollen, im Jahre 1786 ganz   Augsburg der Baron von   Lütgendorf, der durch die Ankündigung, mit und einen erflecklichen Heerbann Fremder tagelang in Atem hielt, bis die Sache an der Unfähigkeit des Barons und seiner Mannschaft, auf die dann eine Eintflut von Schmähschriften niederging, scheiterte. Schlimmer als   Lütgendorf erging es einige Jahre später dem Luftschiffer Blanchard in   Wien. Die Bevölkerung war über die hohen Eintrittspreise empört und stürzte sih, als beim Füllen die Hülle riß, auf das Luftschiff und riß es in tausend Fezen. Die Polizei mußte Blanchard in Schußhaft nehmen, weil die Menge Miene machte, ihn zu verprügeln. Der Franzose stellte in den Der Franzose stellte in den nächsten Monaten einen neuen Ballon her, aber auch damit gelang der Aufstieg nicht, weil ein mit Vitriol gefülltes Faß zerplazte. Wieder Krawall. Drohende Fäuste. Und wieder mußte sich die Polizei des bedrohten Luftschiffers annehmen. Diesmal behielt man

Der Abend

Spalausgabe des Vorwärts

ihn längere Zeit in Haft. Raum entlassen, machte sich Blanchard wieder an die Arbeit. Ein neuer Ballon entstand. Und am 6. Juli durchschnitt Erzherzog   Franz die Seile, die das Luftfahrzeug noch mit der Erde verbanden, und der Franzose hatte einen guten Abflug. Er landete in der Nähe von Groß-   Enzersdorf und erhielt das Ehrenbürgerdiplom verliehen. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts

tamen die Ballonfahrer auch nach   Berlin.

1803 startete der Franzose   Garnerin, neben Blanchard der erfolgreichste und kühnfte Luftschiffer der damaligen Zeit. Die Ver­suche, die Bourgouet und Deis anstellten, mißlangen, und daher stieß der Professor   Jungius, der am 16. September 1805 feinen ersten Aufstieg unternahm, auf feine allzu große Teilnahme bei den Ber­linern.   Jungius aber, der sich aus seinen Fahrten eine wissenschafts liche Ausbeute versprach, stieg beim ersten Male gleich so hoch, daß er bewußtlos murde. Die Ballonhülle erhielt schließlich einen Riß, der das sofortige Sinten des Gasballes bewirkte. Der Ge­berg und empfing vom König 500 Taler für seine Leiſtung. Im lehrte landete nach einem anderthalbstündigen Fluge bei   Münche Jahre 1806 nahm   Jungius den fünfzehnjährigen Kölz, Sohn eines  Berliner Bädermeisters, als Passagier mit, den er zwischen Groß­  Beeren und   Heinersdorf absetzte. Er selbst flog dann noch bis  

Trebbin weiter.

Wie alles, was neu ist und eine große Anziehungskraft auf die Massen ausübt, wurde auch die Ballonfahrerei von Leuten dis kreditiert, die den Mund mächtig vollnahmen und denen es in Wirk. lichkeit nur auf Geldschneiderei antam. Unzählig viel Berichte geben Runde von Spettafelstüden, von fliegerischen Mißerfolgen. Und als alle Versuche, den Ballon zu lenken, mißlangen, erlosch das Interesse der breiten Massen allmählich. Die ernsthaften Aeronauten aber arbeiteten unentwegt an dem Problem weiter, das erst durch die Erfindung des Motors gelöst wurde. Hardy   Worm.

Einer Kämpferin

Zu Helen Kellers 50. Geburtstag Helen  

Keller ist heute 50 Jahre alt geworden. Henny Schumacher wies bereits in der Frauenstimme" vom 19. Juni auf ihr Leben und ihre Lebensarbeit hin. Wir lassen eine weitere Betrachtung folgen.

In ganz   Amerika gibt es eine Unzahl Kleiner Kinder, welche den größten Teil des Tages in muffigen, überfüllten Räumen ver bringen müssen, wo sie von alten Leuten oder Kindern, welche taum älter sind als sie selbst, beaufsichtigt werden, während die Eltern in Fabriken oder im Haushalt fremder Leute arbeiten. Dies scheint mir die beklagenswerteste Tragödie unseres modernen Lebens. Die erste und legte Pflicht einer Nation ist, für das Wohl ihrer Kinder zu sorgen. Kein Volk kann gedeihen, deſſen derben, dessen Kinder gesund und fröhlich heranwachsen. Diese Kinder im Kampf mit dem Siechtum liegen. Kein Volk fann ver Kinder, welche weder Gesundheit noch Freude tennen, in übel. riechenden, sonnenlosen Wohnungen aufwachsen und vom Hunger vorzeitig in Bonbonfabriken, Spinnereien und Minen getrieben werden diese Kinder, welche an Leib und Seele verfümmert

und verkrüppelt sind, find feine richtigen Bürger für eine   Republik. Sie find eine Gefahr und ein Vorwurf zugleich.

Wir schließen unsere Tore für die Kinder aus   Europas Gaffen. Unser Einwanderungsgesetz läßt niemand hinein, der frank und elend ist; aber eine merkwürdige Aenderung der Gesinnung voll zieht sich, wenn Mütter sich mehren wollen gegen eine andere, viel verhängnisvollere Einwanderung. Jeder, der die Kinder auf eine Zahl beschränken will, welche die Eltern gesund und richtig erziehen könnten, wird als Gesezes übertreter gebrandmarkt. Es ist nicht verboten, franke Kinder in die Welt zu setzen, die in seelenmordendem Elend aufwachsen müssen, aber es ist verbrecherisch von einem Arzt, eine Mutter über die Ge= burtentontrolle aufzutlären. Es ist ein sonderbares, un­logisches Gesetz, das ein Verbrechen daraus macht, Empfängnis zu verhüten und doch unfähig ist, anständige Lebensbedingungen für die Massen kleiner Kinder zu schaffen, welche in die Welt hinein­purzeln."

Diese Worte, die eine leidenschaftliche Kampfnatur verraten, schrieb eine jetzt fünfzigjährige Frau, die im achtzehnten Monat ihres Lebens, als sie eben die ersten Worte zu sprechen begann, infolge einer Krankheit unheilbar taub und blind wurde. stehen in dem jetzt erschienenen Fortsetzungsband*) der Selbst­biographie von Helen   Keller. Um ihren Namen, den einst die Vereinigten Staaten nicht ungern zur Reklame für die un­begrenzten Möglichkeiten   Amerikas verwendeten, ist es heute stiller geworden. Sportchampions und Wolkenkrazer sind bequemere Objekte für solchen Ruhm. Helen   Keller, die sich öffentlich über Saccos und Vanzettis Hinrichtung empört, die aus ihrer Sympathie für die revolutionären Weltumwälzungen der Nachkriegszeit fein Geheimnis machte, Helen   Keller, die mit Säßen wie diesen vor die Deffentlichkeit tritt:

Wir wollen nicht um Aufgaben bitten, die unseren Kräften entsprechen, sondern um Kräfte, die unseren Aufgaben gewachsen sind. Denn der Mensch ist unbesiegbar, wenn er um Menschen­rechte fämpft"

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diese Helen   Keller wird totgeschwiegen von ihrer Heimat und darüber hinaus von vielen Kreisen, die an ihrem völlig unpolitischen Wirken für die Taubstummen- und Blindenfürsorge der ganzen Belt Anteil nehmen sollten. Helen  

Keller hat die Kerkertüren geöffnet, hinter denen ein

furchtbares Schicksal Unschuldige zu lebenslänglicher, lautloser Dunkelhaft verbannte. Fünf Jahre ihrer Kindheit hat sie selber mit einer starten, frohen, aufnahmefähigen Seele, der, blind und dahinter verbracht; dann trat fie ins Leben und wurde ein Mensch taub, flarer sehen lernte als mancher Sehende, schärfer hören

als mancher Hörende.

Dr. Samuel Gridley Fowe hatte die taubblinde Laura   Bridgman erzogen; zum ersten Male mar damit solchem unglücklichen Wesen, das bis dahin nach allgemeiner Auffassung als Idiot galt, der Weg in die Freiheit gebahnt worden. Aber Dr. Howe starb bereits vier Jahre vor Helen Kellers Geburt. Helen   Keller lernte, als sie acht Jahre alt war, Laura   Bridgman

Bis zum Jahre 1785 fanden in   Deutschland feine nennenswerten Aufstiege mehr statt. Erst der   französische Aeronaut Blanchard, der übrigens der erste war, der sich mit dem Problem der Lenkbar­feit des Ballons befaßte und auch schon einen Fallschirm mitführte, veranstaltete eine Tournee durch   Deutschland und erniete überall den größten Beifall. Der Luftschiffer, der zusammen mit dem Eng­länder Jefferies den Kanal überflogen hatte, tauchte zuerst in  Frankfurt a. M. auf. Als er am. 5. Oftober 1785 ruhig und sicher auf der Bornheimer Heide aufstieg, fannte die Begeisterung Keller,

*) Mitten im Lebensstrom." Neue Erinnerungen von Helen Berlag Robert Luz Nachf.,   Stuttgart,

fennen: eine freundliche Dame, die in einer Blindenanstalt lebte, Helen Puppenkleider nähte, aber vor ihren schmutzigen Kinder­händen zurückwich und ihr nachdrücklich in die Hand buchstabierte: ,, Du mußt nicht auf dem Boden sizen, wenn du ein frisches Meid anhast, du beschmutzt es sonst. Du mußt noch viel lernen."

Welch Unterschied zwischen ihr und Helen   Keller, die reiter, Rad fährt, sich mit Mark   Twain in unwegsamer Landschaft verirrt, die auch förperlich immer, wie sie von sich behauptet, mitten m Lebensstrom" zu stehen scheint. Dabei war sie nach ihren eige= nen Aussagen wie nach denen ihrer Lehrerin nur ein gut normal begabtes Kind, das infolge seines Leidens bis zu seinem siebenten Jahre ein hilfloses, ungebärdiges Geschöpf blieb, das schrie und mand Liebe oder Zuneigung empfand. tobte, wenn man ihm nicht den Willen tat, und zu nichts und nie­

cine

Da vermittelte Dr. Graham Bell meist nur bekannt als der Erfinder des Telephons, obgleich er für sein von Erfolg gefröntes Streben, den Tauben die Verständigung mit den übrigen Menschen zu lehren, mindestens ebensoviel Ruhm verdient Lehrerin für die kleine Helen, die 20jährige Anne M. Sulli. van, die selber von Kindheit an blind gewesen war und erst furz zuvor teilweise das Augenlicht wiedergewonnen hatte. Sie brachte alles mit, was für ihr schwieriges Amt notwendig war: Verständ­nis, Liebe, und, wie es sich bald zeigte, pädagogische Hellsichtigkeit. Ihre Erziehungsmethoden, die sie seit dem Jahre 1887 bei Helen  Keller ganz instinktiv zur Anwendung brachte, wirken heute noch modern. Sie unterrichtete das, wofür das Kind gerade Intereise zeigte, und ließ sich immer von dem Grundsatz leiten: Wenn ein Kind nach irgend etwas vernünftig fragen tann, so ist es auch reif für die Antwort auf diese Frage. Und so bekommt die siebenjährige Helen eine richtige Auskunft, als sie wissen will, wo die neugeborenen Geschöpfe her­tommen. Mit Zeichensprache muß ihr alles in die Hand buch: stabiert werden, natürlich auch heute noch, wenn sie bei deutlichem Sprechen auch imstande ist, mit auf die Lippen gelegten Fingern eine Rede zu verfolgen.

Die Erziehung Helen Kellers ist im mörtlichen Sinn das Lebenswert Anne Sullivans, die, vierzehn Jahre älter als. Helen und heute wieder fast erblindet, noch immer mit ihrer cinftigen Schülerin zusammenlebt. Sie hätte ihr eigenes Leben leben können und hatte mehr Aussicht, glücklich zu werden, als die meisten Frauen. Aber sie hat sich alle Wege selbst verbaut und alles zurückgewiesen, was sie von mir getrennt hätte", schreibt eien Keller. Es ist unmöglich, Anne M.   Sullivan zu vergeffen, wenn man Helen Kellers gedenkt. Daß sie studieren konnte, gemeinsam mit sehenden und hörenden Kameradinnen, daß sie befähigt wurde, teilzuhaben an der Welt, einzutreten in den Kampf gegen das Un recht, ist Anne Sullivans oder, wie sie nach ihrer Berheiratung hieß, Frau John Macys Wert.

Aber es ist Helen Kellers menschliche Größe, die aus diesem Wert so reiche Früchte brachte. Sie weiß, daß ihre Lebensumstände es ihr besonders leicht machten, trotz ihrer schweren Gebrechen in dieser Welt zu stehen, die von Sehenden und Hörenden für Sehende und Hörende erbaut wurde. Sie weiß, daß fie persönlich alle Menschen von ihrer besten Seite kennenlernte und sie ist mit vielen Menschen zusammengekommen, auch mit vielen Berühm:- heiten aus den Gebieten der Kunst, Wissenschaft, Wirtschaft. Das Leben tat alles, um Helen   Keller ein Dasein zu ermöglichen, in dem sie sich selbstgenügsam als Wunder hätte bestaunen laffen

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fönnen. Aber sie wollte die Ruhe dieser Scheinwelt nicht. Sie begriff, daß sie eine Aufgabe an der Menschheit zu ers füllen hatte, gerade, weil sie durch ihr Leiden an einen Platz ge­stellt ist, der ihr von vornherein einige Beachtung sicherte. Sie

nahm den Kampf auf, mit den persönlichen Uebeln, die sie mit heiterer Selbstverspottung und gelassener Ergebenheit ertragen lernte, mit den großen liebeln der Welt, gegen die sie leidenschaft­lich zu Felde zog, nicht mit allen ihr zur Verfügung stehenden Fähigkeiten, sondern mit allen Fähigkeiten, die diese große Aufgabe

in ihr entwickelte.

Man hätte sie gern für alle möglichen wohltätigen" Institu tionen als dekorative Airappe verwendet. Helen   Keller aber wurde eine fämpfende Sozialistin, ein starter, lebendiger Mensch. Sie verdient, daß die Menschheit sie an ihrem 50. Geburtstage dankbar und bewundernd grüßt. Trude E. Schulz.