Dr. Felix
Giluther: Gustav Mahler in Wien
Zu des Meisters 70. Geburtstag, 7. Juli
Es ist etwas Eigenartiges um die Stellung, die Gustav Mahler in unserem heutigen Musifleben einnimmt. Der Komponist Mahler tönnte uns durchaus gegenwärtig sein durch sein Werk. Er ist es nicht; nach einer etwas übertrieben heftigen Mahler- Epoche, in der seine Werte große Mode waren, ist es jetzt sehr still geworden um feine Kompositionen.
Biel stärker als der Komponist Mahler , lebt der Dirigent im musifalischen Bewußtsein unserer Zeit. Wir wissen heute, daß er der erste große Dirigent in unserem Sinne gewesen ist, der erste, der fein Bultvirtuose mar bei aller selbstverständlichen technischen Meister schaft sondern ein restlos bis ins Tiefste schürfender Interpret eines Kunstwerts. Mahler war der erste philosophierende Dirigent. Er fand den Eingang in ein Kunstwerk, indem er dessen Geistigkeit erfaßte, und das Geistige erst setzte sich bei ihm ins Musikalische um. Darum war Mahler ein so unfehlbarer Interpret eines fremden musikalischen Gedankens.
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Das großartige fünstlerische Erlebnis, das der Dirigent Gustav Mahler zu vermitteln vermochte, ist heute noch neunzehn Jahre Jahre nach seinem Tode in der Erinnerung vieler Musiker und Musikfreunde lebendig. Die großen Dirigentenpersönlichkeiten unferer Zeit, wie Walter, Klemperer, Kleiber, Furtwängler , Mengel berg , wären nicht, die sie sind, wenn sie nicht an Mahlers Schule sich gebildet hätten. Denn der Dirigent Gustav Mahler ist der Wegweiser für die Dirigentenfunst unserer Tage geworden.
Wenn man aber vom Dirigenten Gustav Mahler spricht, so meint man zwangsläufig damit die eine einzige Periode von zehn Jahren( 1897 bis 1907), in denen er in Wien wirkte. Borbei waren feine Sturm- und Drangzeiten. In wenigen Etappen war die Laufbahn Mahlers bis in die höchsten Positionen gekommen, die die deutsche Musikwelt damals zu vergeben hatte. Dlmüz, Leipzig , Prag , Budapest , Hamburg waren vorausgegangen. Am 11. Mai 1897 stand als Leiter einer Lohengrinaufführung Gustav Mahler zum ersten Mal am Dirigentenpult der f. u. f. Hofoper in Wien , an der Spize des berühmten Wiener Philharmonischen Orchesters.
Es waren feine sehr erfreulichen Verhältnisse, die Mahler an der Wiener Hofoper vorfand. Gewiß war dieses Theater die erste Musikstätte Desterreichs. Aber seine künstlerischen Ausdrucsmöglichkeiten maren erstickt in Traditionen und in einer gewissen saloppen Arroganz, die es den Künstlern der Hofoper für unwürdig erscheinen ließ, fich mit den Problemen ihrer Aufgaben etwas intenfiver zu befassen. Die Wiener Hofoper war der Hort des Belcanto ; die Inhaber der schönen Stimmen regierten. Die Starwirtschaft bestimmte den Spielplan. Selbst der große Wagnerdirigent Hans Richter fonnte einer geschlossenen Phalang von Publikumsfavoriten gegenüber nicht alle seine Wünsche durchsetzen. Strichlose Wagneraufführungen gehörten ebenso ins Gebiet des Unmöglichen wie etwa eine geschlossene zyklische Aufführung des Rings des Niebelungen." Die Aufführungen selbst maren freilich auf großer Höhe. Aber ihre positiven Werte: her: vorragende Sänger, außerordentliche Chor und Orchesterleistungen
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maren eben immer nur als Einzelleistungen zu schäzen. Die Gesamtkultur der Vorstellungen war höchst fragwürdig; der autoritative Bille eines wahrhaft führenden Geistes war in Wien nicht zu spüren.
Sänger und Orchester empfingen Gustav Mahler nicht gerade sehr freundlich. Sie witterten in ihm, von dessen unbeirrbarem Arbeitsfanatismus man sich allerlei erzählte, einen Störer ihrer bisherigen Bequemlichkeit. Hans Richter fürchtete instinktiv die Größe des jüngeren Kollegen, und der Direktor der Hofoper, Wilhelm Jahn , dessen baldiger Rücktritt damals schon beschlossene Tatsache war, hatte weder den Willen noch den persönlichen Einfluß, um das Engagement Gustav Mahlers seinen Mitgliedern schmackhaft zu machen. Zweifellos ist Mahler von der Generalintendanz der Wiener Hoftheater nach Wien berufen worden in der Absicht, daß er die Nachfolgerschaft Jahns übernehme. Es war ja den österreichischen Hofkreisen nicht verborgen geblieben, was Mahler in überraschend kurzer Zeit aus der Budapester Hofoper gemacht hatte. Und wenn es in Wien viele gewichtige Stimmen gab, die gerne Felig Mottl als Jahns Nachfolger gesehen hätten Mahlers Debut, das einen unerhörten Erfolg be= deutete, war entscheident. Wenige Wochen später schon wurde Mahler zum Direktor der Hofoper ernannt.
Mahler selbst hat nicht ohne bange Zweifel diese Stellung angetreten. Immer wieder spricht aus seinen Briefen, die er damals schrieb, die Besorgnis, daß ihm seine neue Stellung seinem eigent lichen Beruf der Komposition entfremden würde. Und ein entfremden würde. Und ein wenig bange mag ihm auch gewesen sein vor den vielfachen Anfeindungen, denen er sich gegenüber sah.
Es wäre ungerecht, furzerhand die Künstler der damaligen Wiener Hofoper heute verurteilen zu wollen wegen des Widerstandes, den sie Gustav Mahler von Anbeginn an leisteten. Da waren die großen Stars, denen bislang kein Mensch ein Wort zu sagen sich ge= traut hatte, da waren die verwöhnten Lieblinge der Wiener Gesellschaft, durch unzählige persönliche Fäden mit deren prominentesten Spizen und mit der Wiener Presse verbunden, alles Leute, die sich durchaus arriviert fühlten, und deren vollkommen das Verständnis für den Pflichtkreis des Künstlers verlorengegangen war. Es war Gustav Mahlers erste Tat, daß er sie an diese Pflichten erinnerte. Und so widerstrebend sie sich ihm erst gezeigt hatten, so bitterböse sie über den satanischen Gnom" und den jüdischen Affen" auch waren in erstaunlich furzer Zeit hatte Mahler aus diesen widerstrebenden Gegnern seine Mitarbeiter gemacht. Sie schalten über seinen ,, Sadismus", wenn er sie immer und immer wieder bei den Proben marterte und quälte. Sie fochten förmlich vor But über die Unduldsamkeit, mit der er nach ihrer Meinung ihre Künstlerschaft aber sie mußten sich endlich doch geschlagen bekennen
unterdrückte
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vor der impetuosen Macht des genialen Menschen, der mit allem Recht von ihnen forderte, daß sie in ihm ihren fünstlerischen Führer sähen, und dies nur um des Kunstwertes willen. Die großen Stars freilich, die Renard und der Tenor van Dyd, machten nicht mit. Getränkt nahmen sie ihren Abschied. Auch Hans Richter ging, trotz dem Mahler ihn gerne gehalten hätte. Aber Mahler holte sich neue Leute, holte sich die Mildenburg, die Gutheil- Schoder , die Kurz, die Förstel, holte sich Schmedes, Weidemann, Demuth, Slezat, Richard Mayr , Bruno Walter und den Bühnenmaler Alfred Roller . Von der alten Garde blieben ihm Winkelmann, Reichmann, Hesch, um nur einige Namen zu nennen. Mit diesen Künstlern machte Mahler aus einem überzüchteten Startheater ein wirkliches Opernensemble, und
bamit begann die große Zeit der Wiener Hofoper, eine Sett, die ihresgleichen an feiner deutschen Opernbühne gehabt hat und mohl auch nie mehr haben wird.
Das Wiener Publikum hat immer als eines der musitverstän digsten in der Welt gegolten. Es ist darum nicht verwunderlich, daß es mit einer Begeisterung ohnegleichen millige Gefolgschaft lieh für die wahrhaft revolutionären Taten, die Mahler nun in rascher Folge auf der Wiener Opernbühne darbot. Es mag uns heute selbstverständlich erscheinen, was damals als revolutionär galt: daß alles, was Mahler gab, lediglich aus dem einzigen Gesichtspunkt des unbedingten Respekts vor dem Kunstwert heraus geboren war. Diesem fünstlerischen Grundsatz ordnete er alles unter. So wurde er sein eigener Dramaturg und, im höchsten Sinne, sein eigener Regiffeur. Die Opernbühne, bis dahin auf eine traditionelle Form von pathetischen und ungeistigen Gesten beschränkt, wurde zum lebenden Theater. Aus dem Opernsänger wurde ein Operndarsteller. Der Chor, der vordem eine unbewegliche, starre Masse gewesen war, wurde aktiver Mitspieler. Das Orchester hatte nicht mehr nur lediglich gesangsbegleitende Funktion, sondern wurde wesentlichster Faktor zur Vermittlung der intelleftuellen Momente der Opernmusit. Und dies nicht etwa nur in der Wiedergabe der dramatischen Meisterwerfe einer neuen Zeit. Nein, gerade in der Durchpulsung der alten Oper, in ihrer Vermenschlichung, in der Art, wie Mahler einer in sich unlogischen Kunstgattung logische Bedeutung gab darin zeigte sich die großartige Wirksamkeit seiner Künstlerschaft.
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Neben dieser Theatertätigkeit ging seine Arbeit als Leiter der philharmonischen Konzerte, in denen er sich durch seine inbrünstige Beethoven- Interpretation vielleicht den stärksten reinen Dirigentenerfolg holte, den er je erlebte. Und das will doppelt viel heißen, meil Hans Richter, sein Vorgänger in der Leitung dieser Konzerte, dem Konzertpublikum viel näher war wie dem Opernpublikum. Aber auch hier bezwang Mahlers Eitelkeit zur Kunst die Widerstrebenden. Und auch hier merkten sie bald, daß Mahler ihnen Neues bot, nicht, weil er ihnen originell scheinen wollte, sondern weil er ihnen Neues sagen mußte, da er der erste Musiker war. dessen Mufifertum nicht reines Mufitantentum war, sondern tiefſtes Wissen um die letzten Geheimnisse der Dinge. So fonnte Mahler auch für Bruckner werben, konnte er die Widerstände gegen Richard Strauß besiegen, und konnte es offen wagen, für eine Musik der Zukunft, wie die Arnold Schönbergs, einzutreten.
Der rückschauenden Erinnerung aber will es scheinen, daß der größte Tag in Mahlers Wiener Musikerdasein jener Tag war, an dem er vor einer fassungslos jubelnden Menge seine Dritte Symphonie zum ersten Male erklingen ließ.
Zehn Jahre hat diese glorreiche Zeit gedauert. Zehn Jahre lang war durch Gustav Wahler Wien die erste Musikstadt der Welt. Und dennoch schwieg in all den Jahren die Kamarilla nicht, die sich von Anbeginn gegen ihn verschworen hatte. Ueber einer nichtssagenden Prestigeangelegenheit, über einem alternden Sänger zweiter Güte fiel Gustav Mahler . An Nebensächlichkeiten ging eine der großartigsten Epochen in der Geschichte der Opern- und Konzertmusik zugrunde. In einem von tiefsten Menschentum getragenen Dantbrief verabschiedete sich Gustav Mahler von den Künstlern der Wiener Hofoper und ging nach Amerita, schwer getroffen und wohl zu Tode verlegt. Bu spät erkannten die Wiener , daß der Schlag, der Gustav Mahler gefällt hatte, nicht allein einem Menschen gegolten hatte. In der Stunde, da Mahler die Führung der musikalischen Dinge in Wien aufgab, hatte Wien aufgehört, die Musikstadt zu sein. Eine der glänzendsten Episoden der Musikgeschichte hatte ein unrühmliches Ende gefunden.
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