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Morgenausgabe

Rr. 315

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47.Jahrgang

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Vorwärts

Berliner Volksblatt

Mittwo

9. Juli 1930

Groß- Berlin 10 Pf. Auswärts 15 Df.

Die ein paitige Ronpareillez 80 Pfennig. Reflame eile 5.- Rekis mart., Kleine Anzeigen das ettge brudte Wort 25 Pfennig( zulässig zwet fettgedruckte Borte). jedes weitere Wort 12 Bfennig Stellengesuche das erste Bort 15 Pfennig, jedes mettere Wor 10 Pfennig. Worte über 15 Buchstaber zählen für zwei Borte Arbeitsmartt Beile 60 Pfennig. Familienanzeigen ze.le 40 Pfennig. Anzeigenannahme imhaupi geschäft Lindenstraße 3, wochentäglich von 8 bis 17 Uhr.

Bentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands  

Redaktion und Verlag: Berlin   SW 68, Lindenstraße 3 Vorwärts- Verlag G. m. b. H.

Fernsprecher: Dönboft 292-297 Telegramm- Adr: Sozialdemokrat Berlin  .

Der Handel beginnt.

Regierungsparteien beraten über die Deckungsvorlagen.

Die Führer der hinter der Reichsregierung stehenden Barteien| traten am Dienstagabend um 8 Uhr zu einer Besprechung zu sammen. Von der Regierung waren der Reichskanzler, der Reichs­finanzminister und der Reichsarbeitsminister anwesend.

Vor dieser Besprechung hatte der Reichskanzler Einzelunter­

redungen mit den Führern der Regierungsparteien, in deren Ver­lauf der volksparteiliche Abgeordnete Scholz bestimmte Borschläge in der Richtung einer Aufhebung der unbeschränkten Zuschußpflicht des Reiches zur Arbeitslosenver­ficherung machte. Außerdem schlug er vor, auf den in Aussicht genommenen fünfprozentigen Zuschlag zur Einkommensteuer zu verzichten und den dadurch entstehenden Ausfall durch weitere Ab­

striche am Etat in Höhe von rund 50 Millionen wettzumachen. Schließlich forderte Scholz die Einführung einer Kopfsteuer.

Amtlich wird mitgeteilt: in der gestern unter dem Vorsitz des Reichskanzlers Dr. Brüning stattgehabten Besprechung mit den

Führern der hinter der Regierung stehenden Parteien wurde das Dedungsprogramm auf das eingehendste erörtert, wobei die par­leien als Ergänzung dieses Programms Anregungen vor­brachten.

Ueber diese Anregungen wird das Reichskabinett heute nachmittag feine Entscheidung treffen und alsdann die Frak­tionen darüber zur endgültigen Stellungnahme auffordern.

Wie wir erfahren, soll der Reichskanzler sich in den Besprechungen geneigt gezeigt haben, den Wünschen der Bolkspartei entgegenzukommen.

Auf jeden Fall läßt die amtliche Mitteilung erkennen, daß die neueste Deckungsvorlage heute schon wieder von einer

allerneuesten abgelöst werden wird.

Kabinett

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Parteiführer- wieder Kabinett Frak tionen und was dann, wenn damit immer noch feine Mehrheit zusammen ist?

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Deutschland   und Paneuropa.

Antwort an Briand.- Revisionsmöglichkeit!-Beratung im Reichstagsausschuß.

Der Auswärtige Ausschuß des Reichstags befaßte fich am Dienstag mit der deutschen   Antwort auf das französische   Meino­randum über die Organisation einer europäischen   Bundes­ordnung.

Reichsaußenminister Dr. Curtius gab eine eingehende Dar­ftellung von Entwicklung und Verlauf der Besprechungen und Kon­ferenzen, in denen die Aktion Briands entstanden ist, und der

Stellungnahme Stresemanns dazu. Der Minister erläuterte das französische   Memorandum in seinen Einzelheiten und fenn­zeichnete die deutsche Stellung hierzu; er betonte, daß die deutsche Antwort rechtzeitig bis zum 15. Juli in Paris   überreicht

werden wird.

An diese Ausführungen schloß sich eine umfangreiche Aussprache, an der sich Mitglieder aller Fraktionen beteiligten. Der Vorsitzende stellte dann fest, daß die Mehrzahl der Parteien sich unter bestimm­ten Borbehalten für positive Arbeit im Verfolg des franzö­ sischen   Memorandums ausgesprochen hätten.

Inhalt der deutschen   Antwort.

Die Antwort der Reichsregierung, die in den nächsten Tagen in Paris   überreicht werden wird, dürfte im wesentlichen auf die Er. flärung der Bereitwilligkeit zur Teilnahme an den Verhandlungen im September zu Genf   hinauslaufen. Indem man die Initiative Briands grundsätzlich begrüßt, wird man doch zunächst vermeiden, dem Gedanken eines Battes der europäischen   Staaten näher zutreten eine Reihe von Fragen und Bedenken formulieren, die in der Konferenz der Regierungsvertreter zu dis.

und

futieren wären.

Die deutsche Regierung lehnt eine Union   ab, die darauf hinausläuft, den durch die Friedensverträge geschaffenen Zustand zu stabilisieren. Sie wünscht vielmehr die

Schaffung von Garantien für die Ermöglichung einer Revision der Friedensverträge,

und zwar von Garantien, die über die Bestimmungen des Art. 19 des Bölkerbundpaktes hinausgehen. Die Antwort meist auf die Notwendigkeit einer stärkeren Betonung der wirtschaft lichen Ziele hin, deren Berwirklichung nicht, wie Briand   will, von der vorherigen Lösung der politisch- militärischen Probleme abhängig gemacht werden darf. Schließlich wird auf die Ge fahren hingewiesen, die durch einen neuen organisatorischen Auf­au( besonders europäisches Setrefariat ufn.) dem Organismus und der Bedeutung des Bölferbundes erwachsen fönnen. Es wird Damit gerechnet, daß am Ende der Genfer   Besprechung im Sep­tember die Einfegung einer Studienfommission stehen, wird, die alle Details des Planes einer genauen Prüfung unter­ziehen soll.

Parifer Echo der Revisionsparole. Paris  , 8. Juli.  ( Eigenbericht.)

Die europäische Rundfrage Briands scheint auf die politische Stellung der europäischen   Staaten wie Scheidewasser wirken zu wollen. Schon jetzt haben sich, obmohl erft drei offizielle Antworten eingegangen find, deutlich zwei Parteien gebildet: unter Füh rung Frankreichs   und der Kleinen Entente   die Partei für die stritte Aufrechterhaltung des augenblicklichen Bertragszustandes, unter

Führung Italiens   die Partei für die Revision der Verträge. Obwohl die Revisionisten  " unter sich selbst gespalten sind, weil jeder unter Revision etwas anderes versteht, hat

die von Italien   lancierte Parole doch in Paris   wie ein Donner­schlag gewirkt.

Man ist hier natürlich bewußt, daß Mussolini   mit seiner Revisions. parole feineswegs an Versailles  , geschweige denn an eine Rückgabe Südtirols   denkt, aber man scheint zu befürchten, daß Mussolinis Lockungen in Deutschland   auf fruchtbaren Boden fallen könnten. So erklärte der Matin" dieser Tage, daß Deutsch­ land   in der Verständigung mit Frankreich   finanzielle Unterstützung, bessere Reparationsregelung, freieres Militärstatut und unbedingte Sicherung seiner Verbindung mit Ostpreußen   finden könne! Heute wirft der Baris Midi", der sonst nicht sehr deutschlandfreund lich ist, die Frage der Gewissensforschung auf: at Frankreich  gegenüber Deutschland   immer alles getan, was es hätte tun können? Und dann erklärt das Blatt: Wenn Deutschland   und Frankreich   einig sind, regeln sich alle Streitfragen von selbst. Deutschland   und Frankreich   geeint, tönnen Europa  nicht beherrschen, aber befrieden. Es ist klar, daß Deutschland  nach dem Young- Blan und nach der Räumung des Rheinlands von uns nicht noch den Verzicht auf das Saargebiet, die Rückgabe der Kolonien, die Aufhebung des polnischen Korridors und den Anschluß Desterreichs gegen ein Lächeln erhalten kann. Aber wenn die Reichsregierung sich mit uns in diretter Aussprache ohne Hinter­gedanken und Ausflüchte alle Streitpunkte, die uns trennen, aus der Welt schaffen will, dann ist Frankreich   bereit dazu."

Der Lappo Aufmarsch.

Es gibt noch bürgerliche Kritif.

Helsingfors  , 8. Juli. Die Morgenblätter beschäftigen sich ausführlich mit der gestrigen Lappo- Rundgebung." Uusi Suomi  " sieht in dem Verlauf dieses Tages eine Erhöhung des finnischen   Ansehens im Aus. lande(!). Die Ergebnisse der Kundgebung müßten schnell aus. gebaut werden. Hufvudstadsbladet"( schwedisch  - bürgerlich) erkennt die mustergültige Organisation an, findet aber die Lage noch reichlich ungeflärt. Helsingin Sanomat  " betont, daß viele Teilnehmer glaubten, gegen die Kommunisten aufzutreten und nicht wußten, daß die Führung auch andere 3 mede verfolgte. Das Blatt verlangt Arbeitsfrieden für den Reichstag  .

Abrüftung wider willen.

Ein japanisches Kriegsschiff von einem anderen torpediert.

Tokio  , 8. Juli.

Bei Manövern in der Bai von Tokio wurde ein Torpedoboots­zerstörer durch ein von einem anderen Torpedoboot in falscher Richtung abgeschoffenes scharfes Torpedo so schwer havariert, daß er in fin tendem Zustand zur Marinewerft von Votojuta abgeschleppt werden mußte. Tote find nicht zu verzeichnen.

Bostichedkonto: Berlin   37536.- Banffonto: Bank der Arbeiter Angestellten und Beamten. Wallstr 65 Dt Bu Disc-Gef Depofitenfasse Lindenstr 3.

Deutsche   Schmach am Rhein  .

3ft Plündern nationale Tat?

Wir haben anscheinend einmal wieder große Zeit". Jedenfalls erinnern die Plünderungen, die unter der Maske eines Rachefeldzuges gegen Separatisten am Rhein   vor sich gehen, lebhaft an gewisse Vorkommnisse aus dem August 1914. Auch damals tauchten unmittelbar nach der Kriegs­erklärung jene ,, wohlorganisierten Banden" auf, die ihren deutschen   Heldenmut im Plündern von Geschäften mit aus­ländischen Firmenschildern erprobten. Auch damals geschah diese Plünderei unter der Maske des Patriotismus, auch des Volkszorns" nur Wohlwollen, obwohl es gar nicht damals hatte die nationale Bresse für diese Aeußerungen selten war, daß österreichische Tschechen   oder Ungarn  , die sich auf der Straße ihrer Muttersprache bedienten, also doch Berbündete" als angebliche Feinde" oder gar Spione" niedergeschlagen wurden. Auch an ,, Berrätern" im eigenen ager fehlte es nicht. Als einer der ersten mußte jener Gastwirt in Cochem   daran glauben, der zusammen mit

seinem Sohn als französischer Agent den Eisenbahntunnel von Cochem   in die Luft gesprengt haben sollte, jenen Tunne!, der wunderbarerweise noch heute unversehrt steht. Die Militärzenfur verbot eine Richtigstellung der Lügenmeldung; es blieb daher vier Jahre lang beim Verräter!

Wer all dieses noch im Gedächtnis hat, der wird mit großer Stepsis die Meldungen über Ausbrüche des Volks­zorns in der geräumten dritten Zone betrachten. Es muß allein auffallen, daß bei der Räumung der ersten und zweiten Zone solche Ausbrüche nicht zu verzeichnen waren, obwohl es auch dort Separatisten gegeben hat und obwohl

Diese Gebiete faum weniger als die zuletzt geräumte Zone

unter der Besatzung gelitten haben. Nicht um spontane Auf­wallungen handelt es sich, sondern um politisch wohl­eingefädelte Aktionen, die Wasser auf die Mühle der Nationalisten treiben und durch Blut und Brandstiftung vergessen machen sollen, daß nach dem Willen dieser Nationalisten das Rheinland   noch beute befeßt wäre. Schließlich wird aus dem Ganzen noch die Legende entstehen, daß die Leute, die nach Abzug der Besagung gefahrlos und in riesiger Uebermacht Läden demoliert und einzelne Personen niedergeschlagen haben, die wahren Helden und Befreier des Rheinlandes gewesen seien.

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Selbst wenn es sich bei den Ausschreitungen so sehr zorns gehandelt hätte, wie es in Wirklichkeit wohlvorbereitete um elementare Aeußerungen eines explodierenden Volks­30rns gehandelt hätte, wie es in Wirklichkeit wohlvorbereitete selbst dann vermöchten politische 3medattionen waren wir sie nicht zu billigen. Der Zorn ist bekanntermaßen ein schlechter Berater. Er vergreift sich ebenso leicht an Un­schuldigen wie an Schuldigen. Ist erst der Volkszorn im Fluß, dann genügt die niederträchtigste Beschuldigung eines verfeindeten Nachbarn, um einem gänzlich Unbeteiligten den Richter Lynch auf den Hals zu hetzen; tatsächlich hatte ein Teil der Geplünderten und Mißhandelten mit der Separa­tiftenbewegung nicht das mindeste zu tun.

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Sodann aber ist es eine feststehende Erfahrung, daß bei solchen Erzeffen ein wirklich Erregter neun Subjekte an seine Fersen heftet, denen es lediglich um Betätigung instinktiver 3 erstörungslust oder um ganz ge= meines Beutemachen zu tun ist. Es muß auffallen, daß der Volkszorn" in den Städten der dritten Zone fich fast ausschließlich gegen Laden- und Geschäfts= inhaber gerichtet hat. Daraus müßte man- vielleicht interessiert das die Wirtschaftspartei ja nun folgern, daß die Laden und Geschäftsinhaber einen er= schreckend hohen Prozentsaz an Baterlands­schreckend hohen Prozentsaz an Vaterlands­Derrätern aufweisen, wenn nicht der entgegengesetzte Schluß näher läge, daß der nationalistische Voltszorn" am leichtesten gegen Leute zu richten ist, bei denen es etwas zu holen gibt. Sogar die Hugenberg- Blätter, die alle Ausschreitungen mit wohlgefälligem Schmunzeln begleitet haben, sollten einen Augenblick darüber nachdenken, daß die bisher gelynchten Verräter" ausschließlich Ange= hörige des besigenden Bürgertums sind. An besiglosen Berrätern" hat der patriotische Mob offenbar fein Interesse.

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Friedrich Wilhem IV., der Meineidigste der Hohen­ zollern  , hat einmal die Grausamkeiten der Konterrevolution gegen die Männer von 1848 mit dem zynischen Wort ver­teibigt: Patriotismus ist auch in seiner Entartung schön." So ähnlich denkt die den Plünderern wohlgefinnte Rechts­preffe. Aber die Ausschreitungen eines angeblichen Patrio­tismus find genau so efelhaft, wie sie 1849 waren oder 1914,

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