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Mr. 37. 47. Jahrgang

1. Beilage des Vorwärts Dienstag 22. Juli 1930

Von der Kaserne zur Garage

Eins der schönsten, historisch wie künstlerisch gleich wertvollen Baumonumente Berlins ist dem Ab­bruch verfallen. Die alte Ziethenkaserne in der Alexandrinenstraße soll einem Ga­ragenhaus weichen. In dem engen Häuser­gewirr um die' Alexan­

drinenstraße liegt der alte Bau meit aus­ladend mit seinen mäch­tigen Flügeln, mit seinem reizvoll verwilderten Gar­ten als Erinnerung an eine Zeit, in der mit Platz und Baumaterial noch nicht gespart zu werden brauchte. Ganz schlicht, ohne Prunk, allein durch seine klassische bauliche Gliederung in Verbindung mit wenigen originellen Skulpturen wirkend, ist die Kaserne ein Sinnbild der Zeit. Friedrich Wil­ helm der Zweite, der Vater

Das Portal in der Alexandrinenstraße

Friedrich II. , erbaute sie, um die ersten Husaren auf-| Finanzamt dies baukünstlerisch so interessante Haus, zunehmen. Ziethen erhielt die Kaserne zum Geschenk, das mit seinen 80 cm dicken Mauern noch Jahr­die Familie gab sie jedoch später dem preußi­schen Staat zurück unter der Bedingung, daß an der Fassade nichts geändert werde. Warum, fragt man sich, verkauft eigentlich das

Wer ist der Unhold von Hermsdorf?

Eine wichtige Zeugin meldet sich.

Zu dem schweren Sittlichkeitsverbrechen an dem Jahre alten Mädchen erfahren wir, daß sich bei der Kriminalpolizei eine ältere Frau gemeldet hat, die bisher die ein­zige Zengin ift und deren Bekundung von außerordent­ficher Wichtigkeit iff.

Die Frau, die auch in der Gegend des Weddings wohnt, fannte die kleine Gerda genau. Am vergangenen Freitag vormittag hatte fie Einkäufe besorgt und sprach, ehe sie ihr Haus betrat, noch mit einer Bekannten auf der Straße. Sie sah einen Radfahrer in der Richtung nach der Müllerstraße davonfahren. Auf der Lenk stange seiner Maschine saß die ihr bekannte fleine Gerda, die Treubig lachte umb in Die Hände flatschte. Das Geficht des Mannes konnte die Zeugin nicht erkennen, wohl aber fann sie einiges über sein Aussehen sagen. Er mochte etwa Ende der dreißiger Jahre sein und war von schlanker Gestalt. Da er ohne Kopfbedeckung mar, erkannte die Zeugin, daß er rötlich blondes Haar hatte, das am Hinterkopf etwas gelichtet mar. Er trug ein hellbraunes Jackett. Diese Beschreibung der Kleidung würde mit dem zusammenpassen, was das achtjährige Mädchen be­fundet, die am Montag vor acht Tagen fast das Opfer eines Un­

SINCLAIR LEWIS

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DER ERWERB

ROMAN

Doch der Fluß, die dunklen Bäume und der schmeichelnde Wind über ihr schienen zu flüstern; die ganze Nacht war er­füllt von leisem, betörenden Flüstern. Una erschauerte, als fie fich das Unvorstellbare vorstellte die steifen, staubigen Bürokleider abzuwerfen und an Walters Seite zu schwimmen, schwelgend in dem berauschenden Gefühl, sich in vollkommener Freiheit dem fühlen Wasser hinzugeben, das ihre nadten Glieder umspülen würde.

Während sie mit sich kämpfte, stand Walter neben ihr, den Arm fest um ihre Schulter gelegt, und ließ das inhalts­volle Schweigen für sich sprechen; mieder drängte er: ,, Warum jollten wir nicht schwimmen gehen?" Und dann mit all der grausamen Gier des Liebhabers, der nach Schönheit hungert: Wir werden unsere Jugend vorbeigehen lassen, ohne je ge­wagt zu haben, auch einmal toll und wild zu sein. Die Zeit mird uns unterkriegen mir merden alt werden es wird zu spät sein, um sich an tollen Dingen zu freuen." Und seine dichterische Sehnsucht starb zu einer Kleinjungenausrede hin: Und außerdem, es mir nichts geschehen... Komm, fomm. Dent' nur, wie schön, da hineinzutauchen!"

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Nein, nein, nein!" rief fie und lief von der Sandbant zum Pfad zurüd... Sie fürchtete sich nicht vor ihm, denn fie fürchtete sich noch meit mehr vor sich selbst.

Er folgte ihr mürrisch, mährend der Pfad sie immer weiter und weiter von der Stelle fortführte. Auf einer fleinn Anhöhe machte sie halt und es gelang ihr, ruhig zu bemerken: ,, Glaubst du nicht, daß wir jetzt lieber zurückgehen

sollten?"

,, Bielleicht sollten mir. Aber set' dich hier nieder." Er 30g feine Knie empor, stützte die Ellbogen darauf und fagte zerstreut, als redete er mehr zu sich selbst als zu ihr: ,, Daß ich auf dem Weg hierher so mürrisch mar, tut mir Leid. Aber ich fann mich nicht dafür entschuldigen, daß ich wit bir ichmimmen mollte. Die Zivilisation, diefer Büroghef

hunderten trotzen und vielen eine Wohnstätte bieten könnte? In dem dicht bevölkerten Wohnviertel mit seinen Hunderten von Kindern muß der schöne Garten nun dem Lärm und Benzindunst reichen.

holdes geworden märe. Danach scheint es beinahe, als ob derselbe Lüftling nach dem vergeblichen Versuch am Montag einige Tage darauf wieder ein Kind an sich gelockt hat. Es ist nicht aus ge­schlossen, daß der Unhold sogar in jener Gegend wohnt. Die Aussagen von weiteren erwachsenen Zeugen wären für die Ermittlung dieses Berbrechers von größter Bedeutung. Alle, die über ihn irgend etwas wissen, werden dringend gebeten, sich an Kriminalfommissar Geisler im Polizeipräsidium zu

wenden.

Neues Verbrechen an einem Kind.

Im Hause Hohenzollernplatz 13 in Neukölln wurde am Montag mittag ein Drehorgelspieler im Flur überrascht, wie er sich an einem 8 Jahre alten Mädchen verging. Das Kind war dem Musikanten schon auf mehrere Höse gefolgt, um sich sein Spiel anzuhören. Im Flur des letzten Hauses sprach der Mann das Mädchen an und es tam zu dem Verbrechen. Ein Bäckerlehrling, der den Ascheneimer auf dem Hof ausschütten wollte, sah den Vorgang und schlug sofort Lärm. Der Mann versuchte, mit seinem Leierkasten schnell zu flüchten, wurde aber bald ein­geholt und der Kriminalpolizei übergeben. Es ist ein 32 Jahre alter Mar J. aus der Zietenstraße. Er gibt die Tat zu und wird dem Polizeipräfidium eingeliefert werden.

der Welt, verlangt von uns, daß wir den ganzen Tag über wie Teufel arbeiten und am Abend einsam und anständig find, ja, nicht einmal heiraten dürfen wir, bevor wir dreißig sind, weil mir das Geld nicht aufbringen! Das ist ganz gut für jene, die schön polierte Schreibtische werden wollen, aber nicht für mich! Ich werde hungern und dürften und meine Gelüfte stillen selbst wenn ich dabei ein egoistischer Teufel werden sollte. Aber du bist natürlich eine Puritanerin und wirst immer eine sein, was immer du auch tust. Du bist ein guter Kerlich würde dir blindlings vertrauen du bist unbedingt chrlich und willst es zu etwas bringen. Aber ich- meine Wanderjahre sind noch nicht vorüber. Vielleicht wer den wir eines Tages noch... ich bemundere dich, aber... menn ich nicht ein wenig verrückt wäre, würde ich buchstäb­lich verrückt werden... verrückt- ja, verrückt!"

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Plötzlich öffnete er den ersten Knopf ihrer Bluse und füßte sie auf als und Nacken, während sie ihm mie im Taumel zujah. Dann- unvermittelt knöpfte er die Bluse wieder zu, sprang auf, starrte über den Fluß hin in die geisterhafte Finsternis und seine Stimme flang eintönig und leidenschaftslos, als spräche eine dritte Berson:

Ich glaub', es gibt in New York jährlich eine Million Fälle von verrüdten jungen Kerlen, die sich in der tollsten Beise in anständige Mädels verlieben und sich doch wieder zurückziehen, meil sie noch einen Rest von Anständigkeit in fich haben. Ich schäme mich, weil ich einer von ihnen bin- auch ich beuge mich vor den Konventionen. Ich weiß nicht, was ich vom Leben will, und menn ich es müßte, jo müßt ich mieder nicht, wie es erreichen. Ich bin ein Bauernsohn aus dem Westen und halte mich meistens für einen Studier­ten aus Orford, der einen Teil seiner Erfahrungen in Baris gejammelt hat. Du bist eigentlich glücklich. Dein Streben hat ein bestimmtes Ziel: entweder zu heiraten und Kinder zu haben, oder ein Geschäft zu führen. Was immer ich täte, würde ich dich verderben zumindest so lange, bis ich mich felbst gefunden hätte. Mein Gott! Ich hoffe bestimmt, mich eines Tages noch selbst zu finden!"

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Armer Junge!" unterbrach sie ihn plöglich; ,, es ist schon gut. Komm, wir wollen jetzt nach Hause gehen und ver­suchen, vernünftig zu sein." ,, Wunderbar! Jezt spricht die Amerikanerin, wie sie im Buche steht. Du verstehst nicht, daß ich es in meinem ganzen Leben noch nie so verzweifelt ernst gemeint habe. Schön, gehen mir zu den Tatsachen über, Buntt A: 3 fann sich nichts

Einer, der fein Glück im Leben hatte.

Prozeß gegen einen Eisenbahnräuber.

Ein höflicher Räuber, dieser Willi B., der sich vor dem Schöffengericht Spandau megen Raubüberfall auf den Adventistenprediger Kienast zu verantworten hatte. Unweit Nauen hielt er dem Prediger im Eisenbahnabteil einen Revolver vor, sagte zu ihm: ,, Es tut mir leid, ich brauche Geld. Keinen Laut!" Als der Bedrohte sich erhob, um Alarm zu schlagen, gab er einen Schuß ab und sprang aus dent Zuge. Die Kugel durchbohrte den linfen Unterarm des Predigers, durchschlug das Notizbuch in der linfen Brusttasche, prallte an der Brieftasche ab, durchlöcherte Wefte und Hemd, verletzte leicht die Haut und fiel zu Boden. Das Geld, auf das es der Räuber abgesehen hatte, wurde des Ueberfallenen und gleichzeitig auch B.'s Rettung. Das Gericht verurteilte B. nur zu acht Monaten Gefängnis.

Dem Angeklagten ist in seinem Leben nichts erspart geblieben. Seine Eltern hat er nie gekannt. Aus der Fürsorgeanstalt in Strausberg und der Brandenburger Provinzialanstalt für Schwach fimmige und Epileptische in Potsdam tam er zu verschiedenen Bauern in Arbeit; lief davon und trieb sich in Hamburg umher. Nach seiner Bolljährigkeit aus der Fürsorge entlassen, begann er ein unstetes Leben in homosexuellen Lokalen, im Gefängnis und auf der Walze. Das letztemal verließ er das Gefängnis im Februar v. J., führte dann Notstandsarbeiten aus, erhielt hinterher Arbeitslosen­unterstützung, verliebte sich in ein Mädchen und trug sich mit Heirats­absichten. Anfang Februar d. J. war er aber wieder ohne Geid. Mit der Unterstützung haperte es. Seiner Wirtin schuldete er die Miete. Am 16. Februar, nach zwei Hungertagen, sah er sich um 1 Uhr nachts vor dem Bahnhof Alexanderplatz , dachte daran, sich zu erschießen, und überlegte mieder, ob er nicht durch einen Schaufenstereinbruch seine Lage verbessern fönne. Ohne Ueberlegung löfte er eine Fahrkarte und fuhr nach Spandau , war im Begriff zurückzufahren, als er einen Herrn sah, der, wie es ihm schien, sein dränge den Herrn aus den Augen, stieg ein und fand nach langem Geld nachzählte. Der Zug nach Nauen lief ein, B. verlor im Ge­Suchen auf den Zwischenstationen sein Opfer in einem Abteil ſizen. Er setzte sich ihm gegenüber, fragte ihn, ob es noch weit bis Nauen ei... Einige Minuten später fiel der Schußz

gezogen und seine Hausschlüffel verloren. Der letzte Umstand und die B. hatte sich bei dem Sprung aus dem Zug Verlegungen zu­Bekanntgabe des Raubüberfalls durch den Rundfunk führte zu seiner Berhaftung. Vor Gericht erklärte er, die Pistole nur zur Bedrohung vorgehalten zu haben. Der Schuß sei versehentlich losgegangen. Die Aussagen des Adventistenpredigers schienen dies zu bestätigen. Der Sachverständige Dr. Ebert schilderte B. gleichfalls als äußerst schredhaften Menschen; durch das Aufspringen des K. habe der Schuß tatsächlich rein automatisch abgegeben worden sein können. Das Gericht folgte den Ausführungen des Ver­teidigers, Rechtsanwalt Dr. S. Feblowig, glaubte dem An­geklagten, daß er sich zur fraglichen Zeit tatsächlich in einer gewissen feelischen Bedrängnis befunden habe und brachte zum Ausdruck, daß es ihm doch noch die Hand reichen wolle, damit er zu einem ge­ordneten Leben zurückfinden fann.

Er hat fein Glück im Leben gehabt. Aber in seiner unglücklichsten Stunde hatte er doch noch so viel Glück, daß er vor dem Schlimmsten bewahrt blieb.

Lampel unter Mordanklage.

Nach dem Scheitern des Amnestieantrages hat nunmehr das Preußische Justizministerium den Oberstaatsanwalt in Neiße beauf­tragt, gegen Peter Martin Lampel und seine ehemaligen Frei­forpsfameraden Schwenninger und v. Bollwig Anklage wegen der Erschießung eines der Spionage für Polen verdäch­tigten Angehörigen des Freikorps Oberland zu erheben, und zwar soll die Anklage auf Mord lauten. Die Verhandlung dürfte das Schwurgericht Neiße faum vor Oktober d., I. beschäftigen.

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heiraten, weil feines von uns Geld hat abgesehen davon, daß ich mich selbst noch nicht gefunden habe. Punft B: Wir fönnen nicht miteinander spielen, weil du eben eine Puri­tanerin bist und ich ein typischer intellektueller Streber. Punkt C: Mir ist tatsächlich eine anständige Stelle im Re­flamebüro einer Automobilgesellschaft in Omaha angeboten morden, und ich glaube jezt, ich werde sie annehmen."

Und das war eigentlich alles, was er wirklich zu sagen hatte, eben dieser eine letzte Saz; obwohl sie noch mehr als eine Stunde lang über sich und ihre noch ungewisse Zukunft meiterredeten und Walter sich zwar bemühte, aufrichtig zu sein, ihr aber, wenn möglich, doch eine bessere Meinung von sich zu hinterlassen; und Una sich bemühte, Walter bei sich zu behalten. Es fiel ihr schwer zu begreifen, daß er all das, was er sagte wirklich und ernsthaft meinte.

Aber sie war freimütig, gleich ihm.

In jeder schwierigen Lebensgeschichte gibt es Augen­blicke, da die Liebenden darin schwelgen, alle die Probleme, Wünsche und Klagen hervorzuzerren, die sie bis dahin sorg­fältigst verborgen haben. In solchen Augenblicken gegen­seitiger Geständnisse wofern die Liebenden anständig und zartfühlend find ist nichts von der verwundeten Feind­seligkeit eines ordinären Streites. Doch der freundschaftliche Charafter einer solchen Abrechnung verbürgt noch nicht, daß sie zu einem Ziele führt; vielmehr endet sie oft, wie sie be­gonnen hat, mit der Klage: ,, Was fönnen wir tun?"

Sie hatten sich vollkommen müde geredet, und als er endlich seufzte: Jch getraue mich gar nicht, auf die Uhr zu sehen. Komm, wir müssen gehen."

Schüchtern schwangen sie die ineinandergelegten Hände beim Gehen hin und her, mährend sie stolpernd auf dem Pfade, den sie gelommen, heimmanderten. Sie fonnte es nicht glauben, daß er wirklich nach dem Westen gehen würde, den sie gar nicht fannte. Aber sie hatte das Gefühl, als taumele sie in eine immer blindere Finsternis.

Als sie nach Hause fam, fand sie ihre Mutter noch mach und sehr ungehalten über ihr Ausbleiben bis nach Mitter­ nacht , und sehr beredt über die Tatsache, daß dieser nette, ordentliche junge Monn", Herr I. I. Todd aus Chatham und aus der Handelsschule heute abend hier zu Besuch ge­wesen mar. Una gab fast feine Antwort. In ihrer stillen, heimlichen Qual hörte fie das verdrießliche Gejammer der Mutter faum.

( Fortsetzung folgt.)