Einzelbild herunterladen
 

BERLIN  Dienstag 22. Juli

1930

Der Abend

Erfcheint täglich außer Sonntags. Sugleich Abendausgabe des Vorwärts". Bezugspreis beide Ausgaben 85 Pf. pro Woche, 3,60 M. pro Monat. Redaktion und Expedition; Berlin   SW 68, Lindenstr. 3

Spätausgabe des Vorwärts

10 Pf.

Nr. 338

B 168 47. Jahrgang

Anzeigenpreis: Die einspaltige Nonpareillezeile 80 Pf., Reklamezeile 5 M. Ermäßigungen nach Tarif. Postscheckkonto: Vorwärts- Berlag G. m. b. H., Berlin   Nr. 37536. Fernsprecher: Dönhoff 292 bis 297

Neue Absage an Frick.

Das Reichsinnenministerium will nicht verhandeln".

Das Reichsinnenminifterium hat wie es im Gegensah zu ge­wiffen Preffemeldungen mitteilen läßt- bisher keinerlei Vorschläge oder Anregungen der thüringischen Staatsregierung zu Berhand­lungen über die Polizeifoften erhalten.

Bei der Verhandlung vor dem Staatsgerichtshof in Leipzig   hat der Borfihende solche Verhandlungen zwar an­geregt. Der Vertreter der Reichsregierung aber hat sie mit dem Bemerken abgelehnt, daß solche Verhandlungen nicht möglich feien, folange die gegenwärtigen politischen Verhältnisse in Thüringen  bestehen. Daran hat sich bis jetzt nichts geändert.

Die Polizei oder nichts!

Naziforderung in Sachsen  .

Dresden  , 22. Juli.  ( Eigenbericht.) In der gestrigen Besprechung der sächsischen Rechtspar teien erklärte der Bertreter der Nationalsozialisten, Dr. Fritsch, feine Partei hätte keine Veranlassung, auf das Innenministerium zu verzichten. Die Nationalsozialisten erblickten in ihrer sächsischen Politik einen Vorposten gegen das Reich, dem sie Posi­tionen streitig machen wollten. Die Zustimmung zu, der vorge schlagenen Einteilung der Ministerien, nach der die Nationalsozia­listen nur das Arbeits- und Wohlfahrtsministerium erhalten soll­ten, sei eine Anerkennung des Standpunktes der Reichsregierung, nach dem Nationalsozialisten nicht Bolizeiminister sein können. Seine Partei könne das unter teinen Umständen auf sich nehmen. Die Nationalsozialisten wollten mit dem System der Anpassung Schluß machen. Entweder sie erhielten das Innenmini­sterium oder sie müßten sich an den weiteren Arbeiten zur Regie: rungsbildung als uninteressiert erklären.

Schießende Klebekolonnen.

Anschluß verpaßt!

DIKTATUR BRUNING  

... und dann, Herr Hugenberg, fehlt Ihnen auch das Format!"

find mit Opfern der Hike überfüllt. Hunderttausende flüchteten vor der Hike an den Meeresstrand. Groß war auch die Zahl, die während der Nacht in den Parks und Anlagen, die zum Schlafen freigegeben worden find, eine Schlafgelegenheit juchte. Eine Aus­ficht auf Abkühlung besteht vorläufig nicht. Vielmehr werden auch aus dem Landesinnern ähnlich hohe Temperaturen wie in

Nächtlicher Kampf in Mariendorf.  - Goll so der Wahlkampf New Bort gemeldet. aussehen?

In Mariendorf   gerieten in der vergangenen Nacht national­fozialistische und kommunistische Klebekolonnen in eine Schlägerei, in deren Berlauf von den Hakenkreuzlern zahlreiche Schüsse ab­gefeuert wurden. Ein Kommunist und zwei völlig unbeteiligte wur­den durch Streiffchüffe leicht verletzt.

=

Die Kommunisten hatten in der Schüßenstraße in Mariendorf  an Häuserfronten Wahlplakate geklebt und waren in ihrer Arbeit von einer nationalsozialistischen Klebetolonne beobachtet worden. Als die Hakenkreuzler ihre linksradikalen Gegner außer Sicht glaubten, machten sie sich daran, die kommunistischen   Blafate wieder abzureißen. Die Kommunisten tamen noch einmal zurück und überraschten mehrere Hakenkreuzler, die gerade im Begriff waren, ein Platat zu entfernen. Es tam zu einer blutigen Schläge rei. Die Nationalsozialisten griffen zur Schußwaffe und feuerten blindlings darauf los. Der Kommunist Otto Nensch aus der Ringstraße in Mariendorf   erhielt ein Kopfstreifschuß und zwei Bassanten wurden durch abirrende Kugeln an den Armen verletzt. Das zu Hilfe gerufene Ueberfallkommando machte dem Straßen­fampf schließlich ein Ende und brachte vier Nazis sowie drei Kom­munisten ins Polizeipräsidium.

*

Kommunistische Schmierfinfen haben im Laufe der Nacht die Christus- und Melanchthonkirche mit weißer Delfarbe beschmutzt. Als Signum feßten sie unter ihren Bubenstreich die Zeichen P. F. J. ( Proletarische Freidenker- Jugend). Als die Polizei, die von Passanten alarmiert worden war, einschritt, flüchteten die Täter und entkamen

unerkannt.

New Horf schmachtet. Keine Aussicht auf Abfühlung.- Man schläft in den Parts.

New York  , 22. Juli.  ( Eigenbericht.) New York   wurde am Montag von einer Hihewelle heimgesucht, die alle seit 1898 dagewefenen Temperaturen überbot. Um 2 Uhr nachmittags wurden in New Yort im Schatten 37 Grad Celsius und im Central Park   in der Sonne 57 Grad Celsius gemessen. Die Hizewelle hat bisher in New York   28 Todesopfer gefordert. Nach hier vorliegenden Meldungen find im ganzen Lande bisher über 100 Todesfälle infolge Higschlags zu verzeichnen. Die Hospitäler

Streit gegen Sozialversicherung. Die Metallarbeiterschaft in Lille   im Aussland.

Paris  , 22. Juli.  ( Eigenbericht.) Die Streitbewegung in Nordfrankreich gegen die Lohnab­züge für die Sozialversicherung hat an Ausdehnung beträchtlich zugenommen. Nach der Aussperrung von etwa 20 000 Textilarbeitern hat am Montag die Metallarbeiterschaft von Lille   den Generalstreit beschlossen. Verhandlungen um eine Cohnerhöhung zur Deckung der Sozialabgaben blieben erfolglos. Der Streif dürfte etwa 50 000 Arbeiter treffen. Zahlreiche Polizei­Streif dürfte etwa 50 000 Arbeiter treffen. Zahlreiche Polizei­verstärkungen sind nach Lille   abgeschickt worden, um die Ordnung aufrechtzuerhalten.

In der Pariser   Automobilfabrik Cetroen tam es am Montag zu einem wilden Streit. Etwa 4000 Arbeiter legten die Arbeit plötzlich nieder. Man befürchtet, daß die Zahl der Streifenden heute auf etwa 10 000 Mann steigen tönnte.

18 Tote in Kairo  .

Der König vor dem Rücktritt?

London  , 22. Juli.  ( Eigenbericht.)

Die Zahl der Opfer bei den gestrigen Zusammenstößen in Kairo  beziffert sich bisher auf 18 Tote und 119 Berletzte. Von den Hafen­städten des Suezkanals tamen an die hauptstädtische Polizei SOS- Rufe, da auch dort Unruhen ausgebrochen find. In Port Said   wurden 79 Personen verlegt.

London  , 22. Juli.

Der Korrespondent des Daily Herald" meldet aus Kairo  , in dortigen einflußreichen Wafdkreisen herrsche die Ansicht vor, König Fuad werde als Folge der gegenwärtigen politischen Lage in Aegypten   zurüdtreten. Ministerpräsident Sidky Bascha solle gleichfalls beabsichtigen, sein Amt niederzuiegen. Der Bizepräsident der ägyptischen Kammer, Abd- el- Ben, habe dem König ein von 145 Abgeordneten unterzeichnetes Gesuch überreicht, in dem er um Ein­berufung einer Sonderfißung des Parlaments gebeten werde. Als Hauptgrund für dieses Verlangen werde angegeben, man be­fürchte, daß die Beziehungen zu England durch die gegenwärtigen Ereignisse gefährdet werden tönnten.

|

Einsturz beim U- Bahnbau.

Ein Arbeiter getötet, ein weiterer lebensgefährlich verletzt.

Auf der im Bau befindlichen U- Bahnftrede Alexan­derplatz- Lichtenberg trug sich heute mittag ein schwerer Unfall zu, bei der ein Arbeiter getötet, ein anderer lebensgefährlich verletzt wurde.

Eine Gruppe von Arbeitern der Baufirma Hagemann u. Gudes war im Tunnel in nächster Nähe des Georgenkirchplages mit Ver­schalungsarbeiten beschäftigt. Aus noch nicht geflärter Ursache gab ein schwerer Eisenträger plöglich nach und ein Teil der Berschalung stürzte krachend zusammen. Der 27jährige Arbeiter Josef Bloch   aus der Geibelstraße 38 und der 28jährige Arbeiter Blochowiz, der in einer Laubensiedlung in Reinickendorf   wohnt, wurden unter den Trümmern begraben. Wloch hate so schwere Schädelverlegungen erlitten, daß er nur noch als Leiche geborgen werden konnte. Blochowiß erlitt eine schwere Wirbel­fäulenperlegung. Er wurde nach der Klinik in der Ziegel­straße gebracht, wo er bedenklich daniederliegt.

Bon der Polizei ist fofort eine Untersuchung über die Ursache und Schuldfrage eingeleitet worden.

Nazis möchten aus der Haft.

Erregte Zusammenstöße im Röntgentaler Prozeß.

Nachdem nun die Angeklagten im Röntgentaler Prozeß einer nach dem anderen in jo glanzvoller Weise ihre Aussagen in der Voruntersuchung bestritten haben, glaubte heute morgen ein Teil der Verteidiger den Augenblick für einen aftentlassungs­antrag gegeben. Den Reigen eröffnete Rechtsanwalt Dr. Becker für den Sturmführer Pantrath. Gem Antrag, erklärte er, jei durchaus teine Demonstration, sondern entspreche der Prozeßlage. Kein einziger Moment spreche dafür, daß sein Klient an den Gejdeh­nissen vor dem Lokal Meisel teilgenommen habe. Es bestehe keine Berdunklungsgefahr und wohin sollte etwa Pankrath fliehen. ,, Nach Ungarn  ", ruft der Staatsanwalt dazwischen. Die An­fläger widersprechen dem Antrag auf Haftentlassung. Durch jeinen Kollegen angeregt, stellt nun auch Rechtsanwalt Dr. Buchholz einen Haftentlassungsantrag für den Angeklagten Schwa b. Rechtsanwalt Dr. Hildebrand erklärt dagegen, seine Haftentlassungs­anträge in bezug auf Röppner und Wuttte zurückstellen zur wollen. Das Gericht lehnt alle Haftentlassungsanträge der Verteidigung ab.

Nun sollte eigentlich die Vernehmung der zu heute geladenen 15 3eugen beginnen. Da erhebt sich Rechtsanwalt Dr. Blauth, der Verteidiger des Schülers Schlenter und erklärt, daß die von ihm am 5. März bei sich geführte Schreckschußpistole bei dem Zeugen Obst von der Polizei beschlagnahmt worden sei und sich bei den Akten befindet. Die Pistole wird vorgezeigt, der An­geklagte Schlenter bestreitet, daß es die seinige sei; er habe seine Schreckschußpistole am 6. März im Lokal Franz dem Brake gegeben, der sie in seine Attentasche gesteckt habe. Brake   befindet sich im Zuhörerraum und wird vor den Zeugentisch gerufen. Er kann sich nicht dessen entsinnen, Schlenters Pistole an sich genommen zu haben, wisse aber, daß der Stahlhelmmann Brinkmann einen Kriminal­beamten zu einem Kameraden geführt habe, bei dem auch Schlen­ters Pistole gefunden worden sei. Schlenter bleibt aber dabei, die Pistole dem Zeugen Brinkmann gegeben zu haben. Brinkmann soil am Donnerstag zur Gerichtsstelle erscheinen.

Peinliche Fragen wollen sie nicht beantworten.

Die nächste halbe Stunde ist von erregten Zusammen it ö ß en zwischen Verteidigung einerseits und Staatsanwalt und Nebenkläger andererseits ausgefüllt. Der Zeuge Brate, aktives Mit­glied des Sturmes Weißensee, soll einige peinliche Fragen beantworten. Rechtsanwalt Dr. Becker und von ihm angesteckt auch die anderen Berteidiger beanstanden die Fragen. Der Vertreter des Nebenflägers, Rechtsanwalt Dr. Joachim, will z. B. wissen, ob in Gegenwart des Zeugen im Lotal Franz nach dem 5. März Ber­abredungen getroffen worden sei, in welcher Weise man sich der Polizei gegenüber wegen des Vorfalls in Röntgental zu verhalten. habe. Rechtsanwalt Dr. Becker verlangt Gerichtsbeschluß. Das Gericht läßt die Frage nach längerer Beratung zu. Der Zeuge beantwortet die Frage des Nebenflägers mit einem Nein. Ein neuer Konflikt entsteht, als Staatsanwalt Stehnig vom Zeugen er­fahren will, ob die SA.- Leute trotz des von ihrer Zentralleitung er­