10 Pf. Nr. 348 B 173 47. Jahrgang
erscheinttiglich aoßerGoaataz«. Zugleich Abendausgabe de«.Dorwärtt'. BeiugSprei« beide Ausgaben SsPf. pr» Woche, 3,K0M. pro Monat. Redaktion und Expedition; DerIinSW68,!indenstr.S
jMrtwwdb
Snieigenpreit: Die einspaltige Nonpareillezeile 80 Pf., Reklamezeile S M. Ermäßigungen nach Tarif. Postscheckkonto: Vorwärts, Verlag O. m. b. H., Berk«» Nr. 37536. Fernsprecher: Dönhoff 2SS bis 2»?
Das Ende der Demokraten.
Selbstauflösung, aber Wiederkehr als„Deutsche Staatspartei".
Sozusagen über Nacht hat die„Deutsche Demokra» tische Partei", die 1918 als einzige lintsbürgerlich» republikanische Partei inS Leben gerufen wurde, ihren Geist ausgehaucht. Ihr bisheriger Führer. Reichstagsabgeordneter K o ch> W e s e r. erläßt mit au- deren einen Aufruf zur Reugründung einer sogenannte«„D eutschen Staatspartei". Er läßt infolgedessen die bisherige Firma in Nichts ver- sinken. Binnen weniger Tage soll der Reichsausschuß der Demokratischen Partei zusammentreten, um die Auf» 1 ö s u n g der alten Partei zu beschließen. Die neue Firma„Deutsche Staatspartei" ist schon seit einigen Tagen im Organ des Jungdeutschcn Ordens lanciert worden. Sie ist so unbestimmt, so gewollt neutral, daß man den Eindruck nicht los wird, man wolle durch diese nebelhaft« Bezeichnung jene fluktuierenden ideologisch schwärmenden Element- des Bürgertums auffangen, die mit den alten Parteien unzufrieden geworden sind, aber noch keinen politischen Boden unter den Füßen gewonnen haben, Wie wir erfahren, ist die Gründung der neuen Partei durch wochenlange G e h e i m v e r h a n d lu n g c n vorbereitet, an denen sowohl Führer der Demokratischen Partei wie des Jungdeutschen Ordens beteiligt waren und gewisse Kreise der sogenannten I u n g. nolksparteiler als interessierte Zuschauer mitwirkten. Bei einigen von den Beteiligten hat sicher die gute Absicht bestanden, die Jugend des Bürgertums zu gewinnen und sie dem republi- kanischcn Gedanken dienstbar zu machen. Zweifellos sind in der Gefolqscbaft des Jungdeutschen Ordens junge idealistisch gerichtete Kräfte tätig, die von politischen Vorgängen und Zielen zwar noch eine recht verschwommene Vorstellung haben, ober doch von dem Willen beseelt sind, zu ihrem Teile dem Staat, wie sie ihn sehen, nach ihren Kräften zu dienen.
Die neue Partei
Vielleicht war die Absicht der Griinder dieser neuen Partei, das Alte und II eberlebte abzustoßen und junge Menschen in die Politik zu bringen. ein an sich verdienstliches Unternehmen. Aber diese Absicht ist von vornherein dadurch zerstört, daß die junge Partei mit dem schönen Namen das ganze alte Sündenregister der Demokratischen Partei mit sich schleppen muß. Nicht nur Herr K o ch- W e s e r, sondern auch der Rcichsfiiianzminister Dietrich, der Vater der
„Fortschritt" nach rechts. Die Absicht der Achtundvierziger.
Eine gute Wirkimg wird die Notverordnung der Regierung Brüning haben: Niemals ist durch ein einziges Dokument die Aenderung des Kurses so deutlich gemacht worden wie in dieser Notverordnung. Wer bisher noch nicht eingesehen hat, daß durch die Mitwirkung der Sozialdemokratie an der Regierung die Interessen des werktätigen Volkes� geschlitzt winden, der bekommt jetzt einen Begriff davon, wie Bürgerblockpolitik aussieht. Völlig unter sich, nicht gehindert durch den Einfluß der Sozialdemokratie, nicht gehemmt durch die Kritik der Oeffentlichkeit und den Willen des Parlaments, nur gestützt auf den Artikel 48 der Reichsversassung, sind all« Anschläge aus die Interessen des werktätigen Volkes„ver- ordnet" worden. Das ist geschehen v o r der Wahl, bei der die Wähler ihr Urteil über eine solche Politik zu sprechen haben. Man sagt, die Durch- setzung all dieser Maßnahmen, durch die die Interessen großer Schichten auf das«npfindlichst« verletzt werden, verrate Mut und zeige Bereitschaft zur vollen Verantwortung. Wenn es Mut wäre, dann wäre es der Mut der Verzweiflung, den auch der Unbesonnene und der Tragweite seiner Handlungen nicht Bewußte besitzt. In Wirklichkeit ist es nicht Mut, sondern nur Ausfluß des lange durch die Sozialdemokratie zurückgedrängten Willens, Schluß zu machen mit sozialer Fürsorg«, Schluß z» machen mit der Verteilung der Steuerlasten nach der Leistungsfähig- keit. Und wenn das vor der Wahl geschieht, was werden dann die- selben Parteien erst tun, wenn sie n a ch der Wahl noch das Heft m der Hand haben und ohne und gegen die Sozialdemokratie regieren können? Der Reichsarbeitsminister Dr. Stegerwald hat gestern im Rheinland einiges über die künftigen Absichten der Regierung er- kennen lassen. Er hat in Aussicht gestellt, daß die Regierung noch weitere Maßnahmen mit Artikel 48 anordnen werde. Er hat ober auch erklärt, die Regierungsparteien würden ein« Aufhebung der jetzigen Notverordnung nicht dulden. Jede Partei, die an der Regierung beteiligt fein wolle, muffe sich vorher mit dieser Notverordnung abgefunden haben. Das ist als Zeugnis
für die Absichten des Herrn Stegerwald und seiner politischen Freunde sehr nett und wertvoll. Es hängt aber einstweilen noch von dem Urteil der Wähler ab. Denn wenn die Wähler der jetzigen Minderheitsregierung keipe Mehrheit verschaffen, so wird ihr wohl nichts anderes übrig bleiben, als auf die Wünsche anderer Parteien Rücksicht zu nehmen. Oder erivägt Herr Stegerwald bereits jctzt «in« noch weitgehendere Auslegung der Reichsversassung, will er aus der Verletzung der Verfassung etwa fortschreiten zum Bruch der D e rs a sfu ng? Mit den offiziösen Versicherungen, die Notverordnung diene auch dem Zweck, nicht olle Brücken nach links abzubrechen, stehen solche Aeußerungen ledensolls im schroffsten W i d e r fp r u ch. Auch der Inhalt der Verordnungen ist mit solchen Versicherungen nicht in Uebereinstimmung zu bringen. Der Abbau der Leistungen der Krankenversicherung , der Verzicht auf die allgemeine Gemeinde- gstränkesteuer, die Ausrechterlxiltung der Kopfsteuer, das find alles nur Zugeständnisse nach rechts. Noch deutlicher aber wird dos durch die Art, wie die Reichsregierung die Beschlüsse des Reichstags zu den hohen Pensionen ausgeführt hat. Es liegt ein Gesetz- entwurf vor, dem der Haushaltsausschuß des Reichstages in zwei Lesungen zugestimmt hat. Er bringt die Einführung einer Höchst- Pension von 12000 M. jährlich und die Anrechnung von Nebenein- kommen, sofern es die Höhe von 6000 M. jährlich überschreitet. Diesen Beschluß des Reichstags hat die Regierung nicht durch Artikel 48 in Kraft gesetzt. Man komme nicht mit dem Einwand, es handele sich hier um einen Gesetzentwurf der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion und nicht um einen Entwurf der Reichsregierung. Auch die Reichsregierung hat einen solchen Entwurf. Er liegt seit langem fertig da. Warum hat sie ihn nicht durch Artikel 48 ver- wirklicht? Wer auf Antwort wartet, der bedenke vorher, daß es sich bei den Empfängern von hohen Pensionen um Leute handelt, die den besitzen de n Schichten angehören, und nicht etwa um Krank « oder Arbeitslos«, die die paar Pfennige Unter- Stützung zur Fristung ihres Lebens benötigen.
Kopfsteuer und stärkster Exponent der Verord. nungspolitik, der frühere Finanzminister Reinhold und vor allem das vielfach« Aufsichtsratsmitglied Hermann Fischer� Köln wechseln in die neue Partei hinüber und belasten sie mit ihrer Vergangenheit. Man wird nicht nur auf die Programme der neuen Parter achten, sondern wird fragen: wie steht ihr zur Regierung, die durch die Sleuernotverordnungen Dietrichs charakterisiert ist? Da werden weder Gefühl« noch Schwärmereien helfen, da wird diä nackte Frage des„P l u t o k r a t i s m u s", wie der Jungdeutsche Orden sie nennt, aufgeworfen und Antwort heischen. Man erinnert sich der bissigen Bemerkung, die vor kurzem der demokratische Ab- geordnete Erkelenz über die Parteiführer machte, die keinerlei Parteikonferenzen mehr brauchten, sondern ihre politischen Ab» machungen bei einer der vielen A u f s i ch t s r a t s- sitzungcn treffen könnten, an denen sie gleichmäßig beteiligt find! Zweifellos bedeutet die plötzliche Umbenennung der Demo- kratifchen Partei eine Flucht vor der Verantwortung, die sie durch Unterstützung des Bürgerblocks übernommen hatte. Kein noch so schönes Parteiprogramm kann über diese Tatsache hinweg- täuschen. Erinnerungen wevden wach an die vielfachen S p a l- tungen und Wiedervereinigungen, die die Lorläuse- rinnen der Demokraten, die alte Freisinnige Partei erlebte. Diese Geschichte des Zerfalls und des Wiedcraneinanderklcbcns schien Ende 1918 vergessen zu sein. Damals fand der Aufruf zur Begrün» dung einer republikanischen demokratischen Partei innerhalb de« Bürgertums wirklichen Anklang. Mit rund 7Z Abgeordneten kam sie in die Nationalversammlung. Aber bimien kurzem stellte sich immer mehr heraus, daß Führung und Charakter der alten Freisinnigen Partei auch unter dem neuen Namen weiter wirksam waren. Nicht anders wird es mit der„Deutschen Staotspartei" gehen, in der die Parlamentsroutiniers der Demo» traten nach wie vor die entscheidende Rolle spielen. Der Zufluß einiger jüngeren Kräfte wird an diesem wichtigen Faktum nichts ändern. Zu den Unterzeichnern des Sammelrufes gehören neben den! schon erwähnten Politikern auch einige namhafte Wissen- scha stier, die bisher nicht politisch in die Oeffentlichkeit getreten sind, so u. a. Geheimrat Dr. Acreboe, Dr. Friedrich V e r g i u z- Heidelberg und der bekannt« Chemiker Professor FritzHober- Berlin. Außerdem sind vor allem Hirsch-Dunckersche und einige christliche Gewertschaftssekretäre bei den Unter- Zeichnern. Der bekannteste von ihnen dürste Friedrich B a l t r u s ch sein, der auch noch dem Vorläufigen Reichswirtschafts- rat angehört. Weder warm noch kalt. Oder: Synthese zwischen Alt und Neu. Die Gründer der neuen Staatspartei legten heute vormistag vor der Presse die Gründe für ihr Vorgehen dar. Der jungdeutschc Ordensmeifter M a r a u n berief sich auf das tiesgesllhlte Verantwortungsgefühl, das alle Deutschen gegen den negativen Ak- t i v i s m u s der Radikalen rechts und links einen müsse. D!e neue Partei stelle die Synthese der schwarzrotgoldenen und der schworzweißrolen Deutschen dar. Sie wende sich„gegen sozialistische Experimente" und gegen „politische Geldherrschaft". Die neue Bewegung wolle den Streit darum entfesseln, wie die deutsche Republik weiter entwickelt werden soll. Der(bisherige?) Parteioorsitzende der Demokraten, Koch- Weser, erklärte, er habe ohne seine Partei den Sprung gewogt. Gerade dadurch bleibe er deren Ideen treu. Versuche zur Fu- sionierung von Parteien seien immer gescheitert, daher haben ein- zelne Persönlichkeiten die neue Gruppe gegründet. Die Wahlliften werden die Jugend in Front zeigen. Das Tor der neuen Partei stünde allen offen, die nicht Gefangene von Gewerkschaften oder Trust» seien. Der Führer der jungen Bolksparteiler, W in s ch u h, erklärte, daß die Partei aus der positiven Opposition gegen oerkalkte 3|<}rtycg