Christlicher Schwindel. Ein Produkt der Angst vor der Abrechnung. Der Vorstand des GefaiNtverbandes der Christlichen Gewerkschaften Deutschlands , dessen Generalsekretär bis vor kurzem der jetzige Reichskanzler Brüning und dessen Vorsitzender der heutige Arbeitsminister S t e g e r- w a l d war, erläßt einen Wahlaufruf, der mit einem handgreiflichen Schwindel beginnt und auf ihm aufgebaut ist. Es heißt dort u. a.: „Die Auflösung erfolgte, weil eine Mehrheit der Volksver- tretung den Erfordernissen der Stunde versagte. Die Schuld trifft vor allem die Sozialdemokratie, die sich wit volks- und staatszersetzenden, den sozialen Volksstaat bewußt be- kämpfenden Elementen im Widerstand gegen die Regierung zu- sammenfand.... Di« Mehrheit des Reichstags hat ihre Pflicht gegenüber Volk und Demokratie nicht erfüllt. Das gilt vor allem von der Sozialdemokratie als der stärksten Gruppe dieser Mehrheit. Die Sozialdemokratie stellte sich im Reiche mit antidemokratischen Grupen gegen die Ordnung." Die christlichen Gewerkschaften hadert doch wohl auch, wenigstens nach ihren Satzungen, die Aufgabt, das Wohl der Arbeiter nicht gefährden zu lassen. In diesem Aufruf aber setzen sie die sozialreaktionäre Politik der Negierung Brüning der staatlichen Ordnung gleich! Während die Sozialdemokratie alles tat, um die V e r- schlechterUrtg der Arbeitslosenversicherung und der Krankenversicherung zu verhindern, stellten sich die Mitglieder der christlichen Gewerkschaften, soweit sie dem Reichstage angehören, in Reih und Glied mit den Scharfmachern um Scholz und Treviranus. Mußte doch sogar einer der ihren, der ZentrumsabgeordnetS Schlack, vor dem Reichstag bekennen, daß die Regie- rung Brüning die reaktionärste sei, die man seit der Revolution in Deutschland erlebt hat! Wenn angesichts solcher Tatsachen der Vorstand des Christlichen Gesamtverbandes von einer„Schuld der Sozial- demokratie" spricht, so ist das eine so offenbar bewußte Unwahrheit, daß sie nur aus dem Gefühl der Angst vor der endgültigen Abrechnung zu erklären ist. Die Verfasser des Aufrufs dürfen aber überzeugt fein, daß diese Abrechnung etfolgt. Auch den christlichen Arbeitern wird begreiflich gemacht werden, wo in Wirklichkeit die Schuld an dem„Versagen" des Reichstages lag und welche Arbeitervsrtreter die Interessen der sozialen Versicherungen preisgaben zugunsten sozialreak- tionärer Scharfmacher. Darauf können sie sich verlassen.
Kommunistischer Cliquenkampf. Lim die Spihenkandidaturen. Draunschweig, 28. Juli. (Eigenbericht.) Bei den Brnunschweiger Kommunisten tobt gegenwärtig«in er. bitterlcr Cliquentampf um die SpitzeNkandidntur im Wahlkreis Hannooer-Braunschweig. Der Abgeordnete M i l l S r, den Thälmaiins Leute Und Linien- treue schon längst als„Abweichler" und Rschtsöppotiunlst hassen, soll abtreten, um dem non der Acniräle eingesetzten Sekretär S c z i h i a aus Altona Plötz zu«lachen. Sczihift hat dte Anwartschaft für die Spitzenkandidatur dadurch erworben, daß er in d�n K o r ru p ti öp s s um p, s Thal ma n n- W> t t i g. verstriikt ist und als Günstling Teddys die hannoversche und braunschweigische Stolin-Filiale verwaltet. Reben Sczihia bemüht sich auch noch die aus der Sozialdemokratischen Partei ausgetretene Mari« Reese um ein kommunistisches Mandat. Ihre Hoffnung, in Hannover an die Spitze zu kommen, ist nicht in Erfüllung gegangen. Die komm«- nisiische Pärteibürokrati« tonnte die abtrünnige sozialistische Abgeordnete zwar brauchen, als sie m i t einem Mandat dcser- t i c r t e und ins kommunistische Loger kam, aber heute, wo ihre mangelnde Anziehungskraft sich erwiesen hat, gilt sie Unter den Parteibcamtcn nur als lästige Konturrentin.
Die Gicherheiisphrase. Macdonald fordert Abrüstung ohne Phrasen. London . 28. Juli(Eigenbericht). In einer Arbeiterbersommlung erklärte Macdonald über lie Innen- und Außenpolitik:„Manches haben wir in harter, schwerst Arbeit erreicht. Es ist letcht, in Versammlungen Frieden»« und Abrüstungsresolutionen zu ver- fertigen. Aber wenn man in einer Konferenz sitzt, zusammen mit Vertretern unabhängiger Nationen, die Traditionen haben, dann kann man nicht so leicht solche Traditionen wegwischen, Mit diesem Problem mußten wir uns 12 Monate herumschlagen. Nichtsdestoweniger fragen wir Freund und Feind, wenn wir die Abrüstung betrachten: l>abcn wir nicht in dieser Frage einen ge> wältigen Schritt vorwärts getan? Wir haben dem Wettrüsten zur See Einhalt geboten und das ist eiwos. Wir haben bewiesen, daß alle großen Zerstörungsmittel. Kononenschisse und Giftgase niemals die Sicherheit cin«s l?andcs ge- w ä h r l e i st e n können. Was uns Übrig� bleibt, das ist, zu erreichen, daß dl« heutige materielle und tötende Art der Landes- sichcrung abgeschafst und ersetzt wird'durch die geistigen und mora« lischen Mittel der Gerechtigkeil Gasalarm in Lyon . Pari«. 28. Juli. (Eigenbericht.) Die militärischen und zivilen Behörden der Stadt Lyon erteilen in einem Ausruf sür die geplanlen großen Gasmanöver om 2a. Juli eingehende Informationen. Die Manöver haben den Zweck, als erster Probealarm die Luftverteidigung einer Großstadt gegen einen Gas- angriff zu erproben. Als Zweck dieser Uebung wird erklärt:„1. Die Hebung soll ergeben, wie der Fliegeralarm rechtzeitig durch den Auf- klärungsdienst gemeldet wird. 2. Sie soll ergeben, wie die Bevölke- rung möglichst schnell in bereits vorhet angelegte gassichere Unterstände gebracht und wie die Lustverteidigung van der Erde aus in Gang gesetzt wird. 3. Wie die Luftstreitkröste in mög- lichst kurzer Zeit zum Gegenangriff gegen die feindlichen Flieger organisiert werden." Der Stadtkommandant von Lyon hat zur Durchführung der Uebung den Oberbefehl über die Polizei, die Post und Tele- grapben-Verwaltung, den Straßendienst, die Feuerwehr und tämi- liche Hospitäler. Die Hebungen, nachmittags 3 Uhr und 7 ühr, sollen einen durchaus harmlosen Charakter hoben und mir eine Nach- nhmung dessen darstellen, was die Engländer und die Italiener in den letzten Jahren bereits iN Londön und Rom veranstaltet habsu
Die Auflösung der bürgerlichen Parteien
Schmelzen sie oder verschmelzen sie?
Jtaliengrenze, im Juli.(Eigenbericht.) Der Polizribirektor von Mailand ist versetzt worden. Das ist die erste offizielle Folge des antifaschistischen Fluges Uber Mailand. Es scheint festzustehen, daß die Polizeidirektion sofort, nachdem man sich Uber die ab- geworfenen Flugblätter klar geworden war, den Befehl an den Flughafen gegeben hat, das Flugzeug ab« zuschießen. Als aber die Armecflieger aufsteigen wollten, bemerkte man, daß die Maschinengewehre ans« einandergrnommen waren. Bis sie den Himmel Mailands vor den gefährlichen Manifesten verteidigen konnten, war das Flugzeug Bassanesis verschwunden. Ueber alle« Arbeitervierteln hatte es Zehntaufende von Flugblättern abgeworfen.' Das Lerfogen der. Abwehr' setzt niemand in Verwunderung, denn man kennt die Desorganisation in allen saschistlschen AeMtern. Mussolini selbst kennt sie, unft eben deshalb glauben die meisten, daß es ihm bei seinen Kriegsdrohungen nicht errtst sein kann. Was aber in Mailand in Verwunderung setzte, war die völlige Perstörlheik der Tstiliz, die sich so ängstlich und kops- los benahm, daß nian im Publikum zunächst aus einen Flieger- angriff mit Giftgasen schloß. Bei dem nachher beginnenden Raufen um die Flugblätter hät die Polizei sehr wenige erbeutet, denn die Leute wußten sie gut zu verstecken. Arn Slbenb konnte man schon im Zentrum von Mailand sür 50 Lire solche Flugblätter zum Andenken kaufen. Selbst- verständlich hat man sich auch den Spaß gemacht, die Zettel über Nacht an den Häusern der bekanntesten Faschisten und an den ösfent- liehen Gebäuden anzukleben. Zum größten Aerger der Polizei fand man die Flugblätter aw nächsten Tage auch in anderen Orten, so in Ostens bei Eomo und in Trigölo, wo sie zu tiner D c m o rt- st ratio« der Arbeitslosen Anlaß gaben. Da viele Zentner der kleinen Blätter abgeworsen wurden, ist anzunehmen, daß der„moralische Sprcngstösf" seinen Weg durch ganz Italien genommen hat. Für den Faschismus hat dieser Flug über Mailand Bedeutung als polizeitechnisches und politisches Problem. Man sagt sich, daß der Flieger, der Flugschriften abwarf, auch Bomben hätte abwerfen können. Wenn Mailand mii seinem riesigen Flughasen sich nicht schützen konnte, wie dänn erst die kleinsten Ort«? vorläusig haben die Fliegerableilungen von Mailand Beseht erhalten, in beständiger vereitschasl zu sein, wie im Kriege. Auf der Grenze zwischen dem polizeitechnischen und dem politischen Problem liegt die Internationale Seite der Frage. Welche Ver» aittwortlichkeit trifft die Schweiz ? Kann man ihr etwa zumuten, ebenfalls in ständiger Kriegsbereitschaft an der italienischen Grenze Wacht zu halten? Natürlich bemüht sich ki« Fafchistenpresse. eine Mitschuld der Schweizer Behörden nachzuweisen. Wenn sich aber Italien in FricHensZeiken durch seine eigenen Bükger bedroht fühlt, so kann das unmöglich die Nachbarstaaten zu besonderen Polizei- und Militärmahnahinen nötigen. Je mehr sich die Dinge in Italien zuspitzen. sr mehr au« dem latenten Bürgerkrieg gegen den Faschismus ein offener wird, um so schwieriger wird die Lage der Schweiz und um so mehr werden die anormalen Rechtsverhältnisic in Italien zu einem europäischen Problem. Ein Staat mit Preßfreiheit. Dersommlungsrecht Und Stimmrecht wird sich nie und nimmer durch Flugblätter bedroht fühlen. Die Nachbarschaft des faschistischen Italien soll nun aus einmal die freie Schweiz zu einer ganz befoirderen Grenzwächt verpflichten, wie si: unter Kulturländern kein Staat dem anderen schuldet! Am schwersten wiegt aber sür den Faschismus die politische Seite der Angelegenheit. Es ist dieselbe GeheiniorganisaliöN „G i u st i z I a e L i b c r t a"(Gerechtigkeit und Freiheit), die seit Monaten die Regierung in Sorge versetzt. Bergebens hat man gerade in II n i v e r s it ä t s kreisen Verhaftungen vorgenommen. Nirgend? ist man bis zu den Knotenpunkten der Organiiation ge- langt. Dutzende Professoren sitzen im Gefängnis. E'nige Tage nach dem Flug über INailand sind dort sogar zwei Autos erschienen, dig evensall» Flugblätter hinterließen, ohne daß mau ihrer hätte habhaft werde« können.
Das sind immerhin A n z e i 6z e n einer fortschreitenden anti» faschistischen Organisation. Auf die antifaschistische Propaganda antwortet der Faschismus mit verschärfter Reaktion, vor allem mit verschärfter Uebcrwachung der Grenzen. Auch hier zeigt sich, daß alle Repressalien ver- sagen, denn die Grenzüberschreitungen sind so zahlreich, wie nie zuvor. Gleichzeitig autorisiert der Faschismus höut« die Aus- Wanderung solcher Arbeiter, die er sür faschistisch hält, weil das Land durch Not und Arbeitslosigkeit gezwungen ist, Leute herauszulassen. Auf dem Pariser Einigungsparteitag der italie- Nischen Sozialisten hat man beschlossen, an diese„Auswanderung im Schwarzhemd" propagandistisch heranzutreten, da es sickz um junge Leute handelt, die noch kein Wort sozialistischer Propaganda gehört haben und die die faschistische Syndikatskarte nur haben, weil man sie ihnen aufgezivungen hat. Wir wSllen es nicht dem■FäschtSMus wzchmachen, der von jeder Rede Mufsokmis, von jeder neu eingeweihten Brücke eine neue AerZ datiert. Immerhin wird nmn sagen können, daß der Flugblätter- regen über Mailand in dieser Zeit schworer Wittschaftskrise und verschärster Reaktion etwas Neues bedeutet: dos Sichzusammenballen der Unzufriedenheit und de» Abscheus zur Tal. Seit der Fluckst Lusfus, Rofsellis und N i t t i s aus Lipari hat der Faschismus keine ähnliche Schlappe erlitten. Ilnd heute wie damals hat er trotz aller Wut nicht Hand auf irgendeinen„Schul- digen" legen können! Flucht aus Italien . Paris . 28. Juli. Die Fälle, daß Italiener auf der Flucht die französische Grenze überschreiten, sind an der Südostgrenze Frankreichs bereits all- täglich. An der Küste von Korsika haben in der vergangenen Nacht nickst weniger als neun italienische politische Flüchtlinge, davon eine Frau, Schutz gesucht. Sie kamen auf zwei Motorbooten. Wer ins Land des Duce reist... Oer kann dort etwas erleben. Amsterdam , 28. Juli. (Eigenbericht.) Der niederländische Kunstmaler Johannes Schmidt, po- litisch ein absolut unbeschriebenes Blatt, unternahm vor einigen Wochen mit seiner Frau eine Stichienreise nach Italien . Am l. Juli traf das Ehepaar in Livonio «in, wo Schmidt und seine Frau sofort verhastet und ohne weiteres ins Gefängnis gebracht wurden. Schmidt mutzte sich völlig entkleiden. Später gab man ihm nur die notdürftigste» Kleidungsstücke zurück»nd sperrte ihn dann mit drei Burschen, die allerlei auf dem Kerbholz hatten, in eine Zelle, die von Läuse n und anderem Ungezieser wimmelte. Frau Schmidt saß in einer anderen Zelle gemeinschast- lich mit drei bereits abgeurteilten Mörderinnen. Bei feinem Verhör mußt« Schmidt vernehmen, daß er des Antifafchis«. mus verdächtig sei und auf der schwarzen L i st c stehe. So- wohl das niederländische Konsulat in Livorno , wo der Konsul nicht einmal Nisdcrländisch versteht, als auch das niederländische Kon- sulat in Rom ließen trotz erfolgter Benachrichtigung nichts von sich hören. Schmidt erwirkte jür seine Frau und sich, daß sie sich Essen au» einem benachbarten Restaurant kommen lassen durften. Am fünften Tage wurde das Ehepaar z wangsphoto- g r a p h i e r t, zugleich Nahm man F i n g« r a b d r ii ck«, um be! der politischen Polizei der europäischen Länder nachzusragen.(?•* wurde beiden nicht einmal erlaubt, ihren Kindern in Holland Nachricht zukommen zu lassen. Frau Schmidt wurde am siebenten Tage in Freiheit gesetzt, war aber in dem Hotel, das ihr angewiesen war, ständiger Beob- achtung ausgesetzt. Am zehnten Tag« gab man auch dem Manne die Freiheit zurück, da man in Rom wohl dahintergekommen war, daß man hier«inen ungeheuerlichen Mißgriff begangen hatte. Das Ehepaar durste indessen die Reise nicht aus dem bei Cook bezahlten Wege fortsetzen, sondern mußt« nach Tentimiglia(französisch« Grenze) jähren, bis wohin ihnen auf Kost eil des Malers Schmidt ein Kriminalbeamter beigegeben war. Die ganze niederländische Presse verlangt scharfen Regierung?- Protest in Rom .
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