Morgenausgabe
Nr. 355
A 179
47.Jahrgang
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Freitag
1. August 1930
Groß- Berlin 10 Pf. Auswärts 15 Pf.
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Die Sozialdemokratie ruft!
Bettfrieg und Rapitalismus. Für Demokratie und Sozialismus!
Ich hoffe, es wird in Europa feinen allgemeinen Krieg geben. Obwohl er im Endeffekt die soziale, ich meine damit die ökonomische Entwicklung nicht aufhalten könnte, sie vielmehr eher noch intensivieren würde, brächte er doch sicher für eine längere oder kürzere Periode eine nuzlose Erschöpfung der Kräfte mit sich."
So schrieb Karl Marg im September 1880 in einem diese seine Aeußerung zeigt uns, daß der frühere Glauben
Brief an den russischen Nationalökonomen N. Danielson, und an die revolutionäre Wirkung eines eventuellen Krieges bei ihm wenigstens in den letzten Jahren seines
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Lebens gar nicht oder: nicht mehr vorhanden war. Nuzlose Erschöpfung der Kräfte und dann Wiederaufnahme der früheren Entwicklung, wahrscheinlich in einer noch inten
Massenaufmarsch im Lustgarten um 19% Uhr.
Die Sozialdemokratie Groß- Berlins veranstaltet heute, am 1. August, dem Tage des Kriegsausbruchs, eine Kundgebung für die Verständigung der Völker und den Frieden der Welt, gegen Kriegshetzer und Kriegstreiber. Die Kundgebung gilt zugleich der Einleitung des Wahlkampfes.
Arbeitendes Volk von Berlin ! Der Übermut des Berliner fiveren Form: ſo ſtellte sich Marg die Wirkung eines eventu Unternehmertums zeigt, worum der Kampf geht!
bruch des Kapitalismus, teine revolutio- Massenkundgebung gegen die Sozialreaktion!
näre Umwälzung der Gesellschaft! Er hat mit
diefer feiner recht behalten. man
Heraus zur
bings ble Mesherung von Warg im Sabre 1880 auf ben Fort mit der kapitalistischen Bürgerblock- Politik!
Weltfrieg 1914/18 beziehen darf, dessen Umfang sowie Art der Kriegführung 34 Jahre zuvor niemand voraussehen konnte, war die allgemeine Auffassung von Marg über die Bedeutung des Krieges im Rahmen der kapitalistischen EntBedeutung des Krieges im Rahmen der kapitalistischen Entwicklung doch zweifelsohne richtig.
Der Kapitalismus hat den Weltkrieg überstanden. Er ist nur in dem Lande zusammengebrochen, in dem die kapitalistische Entwicklung am wenigsten fortgeschritten war, nicht aber in den kriegführenden Ländern, die als kapitalistisch hoch entwickelt gelten dürfen. Nicht die äußerste Zuspigung der dem Kapitalismus innewohnenden Widersprüche war der Ausgangspunkt der russischen Revolution, sondern die Tat sache, daß Rußland , als überwiegend agrarisches Land mit sehr schwach entwickelten Produktiokräften, den Anforde rungen der hochkapitalistischen Kriegführung nicht gerecht werden konnte. In den kapitalistisch höher entwickelten Ländern fahen wir zwar eine nuglose Erschöpfung der Kräfte", dann aber die Wiederaufnahme der früheren fapitalistischen Entwicklung. pel
Man darf auch sagen, daß die fapitalistische Entwicklung durch den Krieg intensiviert wurde, wenn man z. B. daran dentt, mit welcher Wucht sich die Entwicklung zum organifierten Rapifalismus, zur gigantischen Zusammenballung der fapitalistischen Kräfte in großen Konzernen im Rahmen einer nationalen Wirtschaft sowie international einsetzte, oder daran, welchen stürmischen Berlauf in der Nachkriegszeit die Rationalisierung, an sich eine ständige und notmendige Erscheinung der tapitalistischen Entwicklung, genommen hat. Scheinbar hat der Kapitalismus ale ihm durch den Krieg geschlagenen Wunden geheilt und neue, frische Kräfte und Entwicklungstriebe gefunden. Auf vielen Gebieten der Produktion sind schon längst alle früheren Refordzahlen überfchritten worden. Der Weltmarkt hat sich nach völligem 3usammenbruch wiederhergestellt und hat jetzt einen größeren Umfang als in den letzten Jahren vor dem Kriege troß des Ausfalls des großen Teils des russischen Außenhandels, trotz des nicht endenwollenden chinesischen Bürgerkrieges und troß aller zollpolitischen Hindernisse. Nach den Berechnungen des amerikanischen Wirtschaftsministeriums( Department of commerce ) war der Umfang des Welthandels im Jahre 1928 unter Berücksichtigung der veränderten Preise etwa um zehn Prozent größer als im Durchschnitt der letzten drei Jahre vor dem Krieg. Ja, die gegenwärtige wirtschaftliche Welt trise ist auch ein Zeugnis dafür, daß die kapitalistische Entmidlung ihren normalen Gang durch die Schwankungen der Konjunktur, durch den Wechsel der Aufschwünge und der Krisen wieder aufgenommen hat.
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Nun ist es eben diese jetzt wütende Wirtschaftskrise, die uns nicht nur an die seit vielen Jahrzehnten bekannte Gesez mäßigkeit der fapitalistischen Entwicklung, sondern auch an die verheerenden Wirkungen des Welt frieges erinnern soll. Gewiß haben wir gegenwärtig eine typische tapitalistische Krise mit allen ihren furchtbaren Be
gleiterscheinungen: eine Gelegenheit für die junge Generation, duktionsapparats der Erweiterung der Aufnahmefähigkeit die den Kapitalismus in seiner gesunden" Form nicht aus des Marktes voraneilt, hat während des Krieges enorme eigenen Erfahrungen fennen gelernt hat, jetzt ihre mangeln- Dimensionen angenommen. Einem großen Teil der Industrie den Erfahrungen nachzuholen. Wir sehen den alten Widerstand eine unerhört erweiterte Nachfrage gegenüber. Es spruch einer tapitalistischen Krise: auf der einen Seite wurde unerhört viel konsumiert. Dieser Konsum diente aber e berproduktion, d. h. Waren, die nicht verkauft nicht der Erhaltung der menschlichen Kraft, auch nicht der werden können, und Produktionsmöglichkeiten, die unaus- Steigerung des gesellschaftlichen Wohlstandes, sondern der genugt bleiben, und auf der anderen Seite furchtbare Vernichtung und Verarmung. Es wurden ProNot und Arbeitslosigkeit, d. h. Bedarf nach den duktionsmittel für die Erzeugung des Kriegsmaterials ge= Waren, die nicht gekauft werden können, und vergebliches schaffen, und die mit diesen Produktionsmitteln erzeugten Suchen nach Arbeit. Einzelne Bestandteile des Wirtschafts- Waren wurden als Werkzeuge des Todes und der Vernichprozesses, angebotene Waren und Nachfrage nach diesen tung verbraucht. Dem riesenhaften Ausbau des ProduktionsBaren, Produktionsmittel und produzierende Menschen apparates stand nicht die entsprechende Steigerung der Kauffallen auseinander. kraft für den normalen menschlichen Bedarf, sondern ihre Erschöpfung gegenüber.
Diese typische tapitalistische Krise trägt aber zugleich ihre besonderen Züge. Sie ist viel breiter und allgemeiner, als es der ihr voraufgegangene Aufschwung war. Sie ist in manchen Ländern nicht als plötzlicher Umschwung von der hohen Kon junftur, sondern durch die Verschärfung einer schon vorhande nen Depression entstanden. Ihr ist jene periode voran gegangen, in der das Heer der Arbeitslosen in vielen Ländern ständig und bedrohlich anschwoll. Sie hat als weltfrise ihren Ausdruck zuerst in einer geradezu unwahrscheinlichen Preissenkung, also Abjaktrise der wichtigsten Rohstoffe, gefunden. Sie zeugt von den tiefen Störungen der Weltwirtschaft, die in ihrer Tragweite weit über das Ausmaß einer tapitalistischen Krise hinausgehen. Man spürt in dieser Krise den Fluch einer tatastrophalen wirtschaftlichen Erschütterung. Das ist der Fluch des Weltfrieges!
Der Weltkrieg? Das war doch ein glänzendes kapitalistisches Geschäft! Wenigstens für die Länder, die nicht oder nur wenig durch die Zerstörungen des Krieges betroffen wurden und in den Kriegslieferungen einen gewaltigen neuen Markt für sich fanden. Wieso darf man z. B. in den Vereinigten Staaten , für die doch der Krieg wahrhaftig ein gang grandioses Geschäft war, jest in ihren 5 oder 6 Millionen Arbeitslosen den Fluch des Weltkrieges, also den Fluch dieses fabelhaften Geschäfts entdecken? Es ist aber so in der tapitalistischen Wirtschaft, daß auch das lukrativste Geschäft zum Berhängnis wird, wenn dadurch die Verhältnisse zwischen den einzelnen Gliedern der Wirtschaft zu start verschoben, wenn die Proportionen zu sehr gestört werden. Und dies war während des Weltkrieges allgemein der Fall. Es trat aber in europäischen, durch den Krieg unmittelbar betroffenen Ländern mehr die Erschöpfung der Kauftraft der breiten Massen in Erscheinung, während in Amerika die 3er störung der Proportionen durch den Glanz des Geschäftes perdeckt wurde.
Der übliche tapitalistische Vorgang, nämlich daß die Anhäufung des Kapitals in der Form des Ausbaus des Pro
Es fehlt uns die Statistit, aus welcher wir ein Bild über den Ausbau des Produktionsapparates in den verschiedenen Ländern und verschiedenen Industrien gewinnen fönnten. Die Statistik der Produktion, soweit sie vorhanden ist, reicht für diesen 3wed nicht, da die Erweiterung der Produktion nicht nur durch den Ausbau des Produktionsapparates, sondern auch durch die intensivere Ausnutzung der vorhandenen Ausrüstung der Industrie ermöglicht wird. Wir haben aber einige Angaben für das Land, für welches der Krieg das größte Geschäft war, für die U. G. A. Wir gewinnen z. B. eine ungefähre Vorstellung von der stattgefundenen Enturidlung aus der Statistik der industriellen( also nur für den Neubau und Ausbau der Räume in der Industrie) Bautätigkeit in Amerika .
1918 murde in der amerikanischen Industrie dreimal jo viel gebaut mie 1915; zehn Jahre später hat die industrielle Bautätigkeit, die mit der Erneuerung und Erweiterung des Produktionsapparates zusammenhängt, trotz des wirtschaftlichen Aufschmungs, trotz der so berühmt gewordenen ameritanischen Prosperität nur etwa 40 Broz. der industriellen Bautätigkeit von 1918 erreicht! So folossal ist in der amerika nischen Industrie während des Krieges gebaut worden. Man kümmerte sich dabei in Amerita sowie in anderen Ländern nicht um die technische Vollkommenheit, um die wirtschaftliche Zweckmäßigkeit, sondern vor allem um die Schnelligkeit des Tempos der Erweiterung. Keine Produktionsfost en waren zu hoch, da praktisch jeder Preis zu erzielen war. Die Möglichkeit, schwindelhafte Geminne jofort zu erzielen, nimmt dem Kapital jede Bernunft, jede Sorge um die Zukunft. Die Produktivität der Arbeit ist in der amerikanischen Industrie in der Zeit von 1914 bis 1919 nicht gestiegen, vielmehr in mehreren Branchen empfindlich gesunken. Manche Anlagen( z. B. für den Schiffsbau) haben fich alsbald als völlig unbrauchbar erwiesen. Um dann weiter rentabel arbeiten zu können, mußte die Industrie sich nach der ersten großen Krise( 1921) umorganisieren, be