erwachen zu lassen, will ich im Gegentheil darauf hinweisen, da& durch die wichtigen Fragen möglicherweise die alten Assoziationen als Erinnerungen geweckt worden wären. Aber zu solchen Erforschungen wäre ein Psychologe nothwendig ge- wesen und ein solcher war bei den Verhandlungen nicht bei- gezogen. Soll nach den bisherigen Erörterungen die Bedeutung der einander gegenübergestellten Zeugenaussagen ermessen werden, so muß darauf hmgewiesen werden, daß die Entlastungs- zeugen ihre Aussagen entweder als ein Wissen oder als ein Glauben beschworen haben, während die Belastungs- zeugen außer staube waren, ein Wissen von ihrer Aussage zu beschwören und im günstigsten Falle daraus angewiesen waren, zu schwören, daß sie glaubten, die Stöße nicht gesehen zu haben. Haben somit die Entlastungszeugen beschworen, daß sie glauben, die Stöbe gesehen zu haben, so stehe» sie auf ganz gleichem Boden mit den Belastungszeugen, welche beschworen, daß sie glauben, die Stöße nicht gesehen zu haben. Beide Aussagen können wahr sein; bei den Beiden galt der Eid dem Glauben, nicht dem Geglaubten und der eine Glaube wird durch den anderen nicht zur Lüge gestempelt. Haben aber die Entlastungszeugen beschworen, daß sie w i s s e n, die Stöße gesehen zu haben, so können sie doch durch jene Zeugen nicht eines Meineids überführt werden, welche gar nicht wissen, sondern nur glauben können, die Stöße nicht gesehen zu haben. Wenn nichts destoweniger die eidliche Aussage der Be- lastungszeugen als ein Beweis dafür angesehen wurde, daß die Entlastungszeugen einen Meineid geschworen haben, so kann dies nicht ohne die Annahme der Richter geschehen sein, daß alles, was nicht gesehen wird, auch nicht vorhanden ist. Allein diese Annahme entspricht nicht den thatsächlichen Verhältnissen. Damit ein selbstbewußtes Sehen, estt Bewußtsein des Sehens und des Gesehenen, zu stände kommt,— und nur durch ein solches wird die Bürgschaft für die Existenz eines wahrgenommenen Objekts gegeben— genügt es nicht, daß die Lichtstrahlen von irgend einem Gegenstande auf die Netzhaut des Auges fallen, fondern es muß entweder unwillkürlich durch die Intensität des Eindrucks, oder willkürlich die Aufmerksamkeit erregt werden, durch welche dem Auge die nöthigen Richtungen gegeben werden, so daß die Lichtstrahlen von den verschiedenen Punkten des Objekts auf den Punkt des' schärfsten Sehens in der Netz- haut fallen. Dabei ist die willkürliche Erregung der Aufmerk- samkeit noch von besonderen Bedingungen abhängig. In dem nämlichen Augenblicke darf nämlich das Denkorgan mir keiner anderen Thätigkeit beschäftigt, das Auge von keinem anderen Objekte gefesselt und keiner von allen übrigen Sinnen in An- spruch genommen sein. Denn in jedem einzelnen Momente ist der Mensch nur eine einzige geistige Thätigkeit mit Bewußtsein aus- zuführen befähigt, und eine gleichzeitige mehrseitige Thätigkeit ist nur durch die rasche Aufeinanderfolge mehrerer Thäl, gleiten vorgetäuscht. Während in dem Gehirne des Menschen assoztirte Borstellungen erwachen und zu Anschauungen. Schilderungen, Urtheile» oder Schlüssen sich gestalten, können nur jene Sinnes- eindrücke in Wahrnehmungen oder der Wirklichkeit entsprechende Bewußtseinsbilder umgewandelt werden, welche durch ihre Inten- sität die Aufmerksamkeit zu erwecken im stände sind; andere Vor- gänge oder Objekte können unbemerkt bleiben. Vielleicht waren die christlich- sozialen Zeugen in jenem Augenblicke, als die Stöße ausgeführt wurden, svon irgend einem anderen Gesichts-, einem Gehörs- oder Gefühlseindruck erfaßi, und haben deswegen das Stoßen nicht zu einer Wahrnehmung machen können. Vielleicht waren sie durch irgend eine heftige Gemüthsbewegung der Fähigkeit beraubt, die wahrgenommene Borstellung der Stoßbewegungen so fest mit den übrigen Vor- stellungen zu verbinden, daß dieselben mit den anderen wieder als Erinnerungsbilder erwachen könnten. Endlich ist es aber noch möglich, daß, wie schon oben angedeutet wurde, erst nachdem der Vorgang stattgehabt, den christlich-sozialen Zeugen das Bewußt- sein, das Stoße» nicht gesehen zu haben, gleichsam wie eine sogenannte negative Hallucination tief genug eingeprägt wurde, um in Verbindung mit den übrigen Bewußtseinsbildern wieder erwachen zu können. In jedem einzelnen dieser möglichen Fälle konnten die Belastungszeugen eidlich aussagen, daß sie nicht wissen, die Stöße gesehen, oder daß sie glauben, die Stöße nicht gesehen zu haben, ohne hierdurch einen Beweis zu liefern, daß die Stöße nicht wirklich ausgeübt wurden. Wird noch die Frage aufgeworfen, ob vielleicht in dem vor- liegenden Prozesse die Annahme eines begangenen Meineids durch ein anderes Moment, als durch die Aussage der Belastungszeugen zur Ueberzeugung der Richter gebracht wurde, so bietet allerdings die Verhandlung, soweit sie bekannt wurde. einen Anhaltspunkt für ihre Bejahung. Wie wenigstens die Zeitungen berichtet hatten, soll bei der Verhandlung vor dem Schwurgerichte der Umstand betont worden sein, daß durch die sozialdemokratische Presse mit dem Atheismus auch die Zulässigkeit eines wissentlichen Meineids gelehrt werde. Allein die Behauptung, daß durch diesen Um- stand, wenn auch nicht ein Beweis, so doch wenigstens eine moralische Ueberzeugung von dem wissentlich abgelegten Meineide der Angeklagten verschafft werden kann, würde doch nur unter der Bedingung als eine begründete angesehen werden dürfen, daß den Angeklagten ein Bekenntniß zu diesen Lehren der sozialdemokratischen Presse besonders nachgewiesen werden kann. Allein ein solcher Nachweis wurde direkt nicht geliefert und konnte indirekt um so weniger geliefert werden, als eine Uebereinstimmung mit den politisch- sozialen Bestrebungen der Partei von der Zustimmung zu den übrigen Lehren der sozial- demokratischen Presse vollständig unabhängig ist. Wird die Wahrhaftigkeit der Zeitungsberichte vorausgesetzt, so hat sich bei der Verhandlung des in Rede stehenden Meineids- Prozesses eine Thatsache ergeben, die vom psychologischen Stand- punkte aus nicht unberücksichtigt bleiben darf. Es soll nämlich der Staatsanwalt seine Anklage mit der Ermahnung geschlossen haben, daß die Geschworenen ihre Schuldigkeit thun und den wissentlichen Meineid verurtheilen sollen. Ist dies wirklich ge- fchehen, so könnte die Furcht begründet werden, daß vielleicht auf den einen oder andern Geschworenen, der durch die lange angestrengte Aufmerksamkeit ermüdet, in einen der Hypnose ahn- lichen Zustand versetzt war, die Mahnung der ftaatsanwaltlichen Autorität wie der Befehl eines Hypnotisten eingewirkt hat. In diesem Falle wäre die Bejahung der Schuldfrage in dem Be- rathungszimmer der Geschworenen nicht ausschließlich als das Eraebniß unbeeinflußter Ueberlegung, sondern vielleicht unter Mitwirkung einer posthypnotischen Suggestion entstanden. Die Vertrautheit mit der Möglichkeit einer solchen psychischen Ein- Wirkung würde ohne Zweifel die Staatsanwaltschaft von der Aeußerung einer solchen Ermahnung zurückgehalten, oder die Vertheidigung veranlaßt haben, die Geschworenen an die Pflicht der eigenen, freien, unparteiischen Beurtheilung zu er- inner». In den obigen Zeilen sind zwei wesentliche psychologische Erfahrungen besprochen worden, die. wenn sie berücksichtigt worden wären, auf den Ausgang des Meineidsprozesses eine» Einfluß auszuüben im stände gewesen wären. Diese beiden Thatsachen sind: 1. Die psychischen Vorgänge, auf welchen das Wissen, und jene. auf welchen das Glauben beruht, sind von einander verschieden und daher muß auch das Ergebniß der Wissens- thätigkeit von dem der Glaubwürdigkeit in Beziehung auf seinen Werth verschieden sein. Die Folge dieser Erfahrung ist es, daß in dem vorliegenden Falle die entlastenden Aussagen, wenn sie aus einer Wissensthätigkeit entsprungen sind, nicht von den belastenden Aussagen widerlegt werden, die nur aus einer Glaubensthätigkeit hervorgegangen sein können, wenn sie aber aus einer Glaubensthätigkeit deruhte», den nämlichen Werth, wie die der Belastungszeugen besaßen. 2. Unter Umständen wird die Wahrnehmung eines vor- handenen Objektes verhindert. Infolge dieser Erfahrung kann aus der Aussage der Belastungszeugen, in dem vorliegenden Falle die Stoßbewegungen des Gendarmen nicht gesehen zu haben, die Schlußfolgerung nicht gezogen werden, daß die Stöße nicht ausgeführt wurden. Meine Absicht ist es, die Resultate, zu denen ich durch meine psychologischen Studien gelangt bin, zum Gemeingut der Rechts- Wissenschaft zu machen und maßgebende Kreise zu einer noch- maligen Prüfung des fraglichen Prozesses zu veranlassen. Un- schuldig verurtheilt werden erscheint mir im allgemeinen als ein fo schweres, bemitleidenswerthes Unglück des Betroffenen, daß ich es für besser halte, eine übertriebene Aengstlichkeit vor einem etwa verübten Unrechte unnöthigerweise zu erwecken, als den Zweifel an einer geübten Gerechiigkeil allmälig in eine Gleich- giltigkeit sich verwandeln zu lassen. poUkische Veberfichk. Berlin , 18. April. Die Kannegieher haben jetzt fürchterlich viel zu thun, um die Begegnung des italienischen und deutschen Monarchenpaares in Venedig , an der mehrere Prinzen, Minister und Botschafter theilnehmen, zu kommentiren. Uns erscheinen diese der freien Phantasie entstammenden Betrachtungen nicht der Erörterung werth. Wir wissen, daß Politik und Geschichte nicht auf Monarchcnznsammen- künften gemacht werden.— Ten Mangel an christlichem Geist beklagen unsere Mundsrommen und stellen uns sündigen Deutschen dabei die frommen Engländer als' Muster hin. Gewiß, in der englischen Geschichte hat der„christliche Geist" ein? größere Rolle gespielt als in der deutschen. Die Engländer be- trachteten nämlich die Religion als etwas für den Haus- gebrauch und bedienten sich in ihren politischen Frei- heitskämpfen der Bibel als Waffe. Wie die Bibel sich in C r o m w e l l bethätigte, das werden unsere Frommen doch wohl wissen. Und heute finden wir in einem christlichen englischen Blatt den Satz, welcher in der englischen Revo- lution eine große Rolle gespielt hat: Rssistanco to tyranny is obedience to God— Widerstand gegen die Tyrannei ist Gehorsam gegen Gott . Also das Recht auf die Revolution. Wie gefällt unseren Frommen dieser„christliche Geist"?- Das Opfer der letzten Orgie des Privatmord- Kultus, die sich bei Potsdam abspielte, ist gestorben. Wir wissen nicht, ob Herr v. Schräder, Hofzerenwnienmeister, in seinem Leben etwas der Menschheit Nützliches gethan hat,— durch seinen Tod hat er dem menschlichen Fort- schritt jedenfalls genützt.„Blut ist ein ganz besonderer Saft" und das Menschenleben ist ein ganz besonderes Ding, selbst wenn es das Leben eines Höflings ist— und dieses vergossene Blut und dieses vernichtete Leben erheben das jüngste Verbrechen der„Standesehre" über das Niveau der gleichgiltigen Alltäglichkeit. So werthlos das Leben ge- wesen sein mag und fo kleinlich, widerlich, ekelhaft die Ursache der Katastrophe auch war, das vergossene Blut und das vernichtete Leben schreit zum Himmel und wird ein furcht- barer Ankläger jener barbarisdien, wenn auch dicke Schminke tragenden Gesellschaft, von der einzelne Mitglieder sich anmaßen, dem Volk Religion, Ordnung und Sitte predigen und lehren zu wollen. Das„Mittel", aus dem das Duell Kotze- Schräder hervorgegangen ist, gleicht aus das Haar dem, welches in dem Prozeß H i n tz e enthüllt worden' ist. Dieselbe Fäulniß, derselbe Klatsch, dieselbe Niedrigkeit der Gesinnung— nur aus der Kellerwohnung der gemeinsten Halbwelt in die Beletage der vornehmsten Ganzwelt übertragen. Blos ein Unterschied ist: dort eine größere Achtung vor dem Gesetz als hie r. Diese Ganzwelt dünkt sich über dem Gesetz erhaben. Sie.sucht nicht scheu die Einsamkeit, das Dunkel der Nacht— sie frevelt am hellen Tage, sie kündigt, der Obrigkeit spottend, den Frevel vorher öffentlich an, sie zieht familien- weise, clanweise zum Verbrechen, wie die wilden Anhänger der Blutrache in Corsika—— und sie ist stolz darauf, das Gesetz zu verletzen und rühmt sich noch ihrer barbarischen Wildheit. Wir finden ähnliches schon einmal in!der Geschichte verzeichnet. Es war vor etwas mehr als einem Jahrhundert. Die Edelsten und das Hosgesinde in Frankreich wähnten sich erhaben über Gesetz und Recht, pochten aus ihre Standes- ehre, die das bürgerliche Pack nicht begriff, und verhöhnten in Wort und That die plebejischen Ehr- und Rechts- begriffe. Was kam, das erzählt die Geschichte unter der Ueber- schrift: Französische Revolution. Der fromme„Reichsbote", dem es unheimlich geworden ist, hat Ahnungen; er denkt auch an jene Zeiten. In seiner Sonntagsnummer schreibt er über das Duell: Die ganze Affäre ist eben ein Rattenkönig von Irrungen und Wirrungen, welcher das gesammle Leben und Treiben der belheiligten Kreise in eine in ebenso nichtssagenden wie unerfreulichen Lichte zeigt. Wir hätten gewünscht, daß längst von einer starken Hand mit einem (Juos ego! in dasselbe luftreinigend und alle Bethciligte» ohne Ausnahme fassend h i n e i n g e g.ri f f.e n w d r d e n wäre. Dann iväre uns vielleicht das tragische Schauspiel auf dem Ravensberge erspart geblieben. Es erledigt, da der Verfasser oder die Verfasserin der Schmutzbriefe noch immer ver- borgen ist, die Affäre in ihrem Kernpunkte nirgends, st e i g e r t aber ihre abstoßende Entwickelung um vieles. Uns fällt bei ihr immer wieder die Halsband- geschichte ein. Nun— das guos ego! ist ebenso wenig ertönt, wie nach der Halsbandgeschichte. Und Herr v. Kotze, sowie die übrigen Duellkumpane und Mitschuldigen, die den Privat- mord— beschönigend Zweikamps genannt— erzwangen, sind noch auf freiem Fuß. Die„Halsbandgeschichte", auch ein Werk des Hof- gesindes, war aber bekanntlich eine der Ursachen der französischen Revolution.— In der Zcugnißzivangs- Angelegenheit gegen den anti- semitischen Verlagsbuchhändler Gustav Äd. Dewald ist der Be- troffene, wie die„Slaatsbürger-Zeilung" mittheilt, heute, Montag Nachmittag 2 Uhr, aus der Haft, in der er sich 17>/s Tage be- ünden hat, entlassen worden. Hoffentlich erfährt mau bald nähere Umstände über das Verfahren und die Entlaffungsursache. Es ist ein gemeinsames Interesse der ganzen Presse, daß dieses Material vollständig der Oeffentlichkeit unterbreitet und im Interesse der Preßfreiheit aus- genützt wird.— König Stumm hat nochmals seine warnende Stimme erschallen lassen. Er hält am Sonntag in Neunkirchen eine große Versammlung ab, in der er einem der„Volks-Zeitung" zugegangenen Telegramm zufolge erklärte, die jetzige christ- lich-soziale Bewegung sei gefährlicher.als die Sozialdemo- kratie. Wenn es dem Kirchenregiment nicht gelinge, dieser antimonarchischen, antichristlichen Bewegung Herr zu werden, gehe die Landeskirche zu gründe. Ueber die komische Ueber- schätzung der Christlich-Sozialen, in die sich Herr v. Stumm in feiner Wuth hineinphantasirt hat, braucht man kein Wort zn verlieren. Interessant für die weitere Oeffentlichkeit ist nur, daß der Freiherr v. Stumm auch jetzt noch glaubt, sich mit dem besonderen Vertrauen des Kaisers und dessen Sinnes- gemeinschast mit ihm selbst brüsten zu dürfen. Ein interessantes Seitenstück zu dieser Stumm'schen Prahlerei ist der neueste Erguß des schwülstigen Schwärm- geistes, der in der„Norddeutschen Allgemeinen Zeitung" seit einiger Zeit sein Wesen treibt. Ter Schwarmgeist wettert nämlich gegen die C h r i st l i ch- S o z i a l e n, die seiner Ansicht nach eigentlich sich christlich- sozialdemo- k r a t i s ch nennen müßten, folgendermaßen los: „Sollte es denn wirklich schon so weit gekommen sein in der evangelischen Kirche, daß Geistliche, also sludirte Leute, nicht mehr unterscheiden könnten zwischen dem Geist, der nach Apostelgeschichte Kapitel 2 in feurigen Zungen sich niederließ, und dem profanen Geist des Karl Marx ? Die Kritik ist ja allerdings nicht jeder- manns Sache. Aber so viel sollte man schließlich von jedem Christenmenschen erwarten dürfen,daß er die Sprache des„Vorwärts" nicht mit der des Evangeliums verwechselt. Und das„Volk" ist doch nichts anderes als ein fortgesetztes Plagiat aus dem „Vorwärts" mit leicht aufgestreuter Würze-Zuthat von christ- lichen Redensarten." Gut gebrüllt! Nicht wahr?— Tie Erklärung des Fürsten Löwenstein über die politische Haltung der Zentrumspartei hat die„Demo- traten" der Partei arg verschnupft. So druckt die„Köln . Volks-Ztg." jetzt einen Kommentar der„Verl . Korrespondenz für Zentrumsblätter" ab, in dem es heißt: „Die Unrichtigkeit der Thatsachen. welche die phantasiereiche Zuschrift der„D. Reichsztg." auftischt, enthebt uns der Pflicht, bei den Versuchen der Aufhetzung der landwirthschaftlichen Be- völkerung gegen das Zentrum zu prüfen, ob diese Agitationen nicht nebe» den vorgeschobenen wirthschaftlichen Zwecken auch politischen Sonderbe st reb un gen dienen, insbesondere mit den Gegensätzen, die ISS3 zu tage traten, oder mit„konser- valiven" Quertreibereien im Zusammenhang stehen." Diese Wendungen, denen das rheinische Zentrumsblatt zustimmt, lassen sich doch nur so verstehen, daß den Freunden des Hrn. v. Loö„konservative Sonderbestrebungen" zugetraut werden. Die praktische Politik im Reichstage muß diese nur schwach verhüllten Gegensätze innerhalb der Zentrums- Partei immer stärker zum Ausdruck bringen.— Das Ministerium Bourgeois ist in seiner aus- wärtigen Politik schwankender als in der inneren. Es er- klärt sich dies aus der unglücklichen Abhängigkeit, in welche Frankreich von Rußland gerathen ist. Der Demokrat Bourgeois möchte aus dieser Abhängigkeit heraus, allein er hat noch nicht die Kraft dazu und ist auf dem besten Wege, sich zwischen zwei Stühle zu setzen. Den Russen kann das nicht gefallen und Herr Bourgeois mag noch so laut be- theuern, die Freundschaft mit Rußland sei nie wärmer ge- wesen; die Chauvinisten, welche aus der russischen Gesandt- schaft ihre Losung erhalten, bekämpfen ihn mit wachsender Heftigkeit und oenunziren ihn als— ein Werkzeug der deutschen Politik!— Nepal und Tibet . Krieg zeugt Krieg. Diese alte Erfahrung, die man in Europa oft genug gemacht hat, be- wahrheitet sich auch in Asien wieder einmal. Der ostasiatische Krieg droht einen mittelasiatischen zu erzeugen. Das chinesische Reich hat gegen Japan seine Schwäche bewiesen, so daß jetzt ein alter Gegner die Stunde zur Abrechnung gekommen glaubt. Zwischen Nepal , dem indischen Himalaya -Reid; und dem chinesischen Vasallenstaat Tibet herrschte ein alter Zwist, der bei dem letzten Zusammenstoß zwischen beiden zu Ungunsten der Nepalesen oder Gurkha, wie die Bewohner Nepals genannt werde», durch das Eingreifen eines chinesischen Heeres beendet wurde. Seitdem hat nur die Furcht vor China die Gurkha vom erneuten Angriff auf den Staat der Lamapriester abgehalten. Jetzt ist durch die Triumphe der Japaner die Ohnmacht Chinas erwiesen und da suchen denn die Repa- lesen die Situation für sich auszunutzen. Nack, englischen Quellen wird über die Sachlage berichtet, während der letzten 40 Jahre hätten die Tibetaner eine lange Reihe von Räubereien und Mordthaten gegen die Gurkha verübt. Im letzten September haben sie den Gurkha-Bazar in Lhassa (der Hauptstadt von Tibet ) niedergebrannt und mehrere Gurrha-Kaufleute und deren Diener ermordet. Wegen dieser Vorgänge fordert der Durbar in Khatmandu(der Hauptstadt von Nepal ) Genugthuung. Es sei schon ein Ultimatum nach Lhassa abgeschickt worden. Von der Antwort der Tibetaner werde es abhängen, ob die Gurkha-Armee im Frühling gegen Lhassa vorrücken werde. Dieser innerasiatische Krieg könnte aber leicht größere Folgen haben. Denn hinter Tibet steht China , hinter China Rußland. Den Engländern würde eS aber höchst unbequem sein, wenn eine tibetanisch- chinesische Niederlage den Russen einen Vorwand böte, in Tibet die nämliche Beschützerrolle zu spielen, wie jetzt in Korea . So wird denn wohl die englische Diplomatie alles aufbieten, um Nepal von dem tibetanischen Abenteuer zurückzuhalten.— Der Matabili-Aufstand gewinnt beständig an Ausdehnung: „Die Lage wird täglich ernster", wird aus B u l u iv a y o tele« graphirl. Den Beweis für die Richtigkeit dieser Auffassung liefert folgende gleichzeitige Meldung aus dem Mittelpunkt Rhodesias: „Eine Abtheilung von 130 Mann unter dem Befehl der Kapitäns Brand wurde 28 Meilen von hier entfernt von eines großen Menge Malabili eingeschlossen und heftig angegriffen. Obwohl sich die Abtheilung verschossen hatte, gelang es ihr trotz- dem, sich den Weg durch die Feinde zu erkämpfen. Bald dar» auf traf sie dann auf eine starke Unterstützungstruppe. Kapitän Brand verlor 5 Todte und 16 Verwundete; der Verlust der Matabilis»vird auf 1S0 Todte und 400 Verwundete geschätzt. Die Aufständischen in den Matoppobergen haben hin- reichend Vieh und Getreide; allein das Vieh fällt zahlreich in- folge der Rinderpeft. Zwei große Matabili-Abtheiluugen schlachten Ochsen und veranstalten Kriegslänze 12 englische Meilen von Buluwayo entfernt. Ein Angriff auf die Hauptstadl wird er- wartet. Die Südafrikanische Gesellschaft meldet, daß von Salisbury Verstärkungen nach Gwelo abgegangen sind, denen sich 200 Sudanesen und 200 eingeborene Truppen anschlössen. Es sind dies jene Streitkräfte, die Sir Cecil Rhades in Aegypten anwarb und in Portugiesisch -Ostafrika (Beira ) landete.— Chronik der Majestätöbeleidigungen. Aus Chemnitz wird uns geschrieben: Am 10. d.M. hatte Genosse Albin Langer eine Vernehmung beim Chemnitzer Landgericht wegen Majestäls- beleidigung. Dieselbe soll begangen sein durch Verbreitung der Märznummer. Der„Königsberger Hartung'schen Zeitung" wird aus Barten- stein gemeldet, daß ein Musiker aus Schippenbeil wegen Majestäts» beleidigung zu ö Monaten Gefängniß verurtheilt wurde.
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