Morgenausgabe
Nr. 365
A 184
47.Jahrgang
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Donnerstag
7. August 1930
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Ständiger Ausschuß unzuständig. Dunkle Wolken über England.
Keine Beratungen über die Notverordnungen.
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Der ständige Ausschuß des Reichstags nahm gestern mit 16 gegen 12 Stimmen den folgenden Antrag der Regierungsparteien an:
Der Ausschuß erklärt sich zur Behandlung der eingebrachten Anträge, die Notverordnung des Herrn Reichspräsidenten aufzuheben oder für verfassungswidrig zu erklären, für unzuständig."
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nach dem Wiederzufammentritt des Ausschusses erklärte Abg. Schulz( Bromberg )( Drat.), daß nach der Verfassung dieser Ausschuß unter feinen Umständen berechtigt sei, zu den Berordnungen des Reichspräsidenten Stellung zu nehmen. Die Regierungsparteien brachten folgenden Antrag ein:
,, Der Ausschuß erklärt sich zur Behandlung der eingebrachten Anträge, die Notverordnungen des Herrn Reichspräsidenten aufzuheben oder für verfassungswidrig zu erklären, für unzuständig." Abg. Torgler( Komm.) stellte sich zwar sachlich auf den Boden der sozialdemokratischen Anträge, tonnte es aber natürlich fich nicht verfneifen, eine Wahlrede gegen die Sozialdemokratie zu halten. Bedaue
Der Ständige Ausschuß des Reichstags trat gestern zur Beratung zusammen über Anträge auf Aufhebung der Immunität einiger tommunistischer Abgeordneten, über eine Verordung zur Kennzeichnung von Mischbrot und über eine Stellungnahme zu den Abg. Rosenfeld( Soz.) sprach sein Bedauern darüber aus, Rotverordnungen der Reichsregierung. Bor Eintritt in die Be daß die Regierungsparteien mit diesem Antrag nun tatsächlich einer ratung über die Immunitätsanträge beantragten die Kommunisten fachlichen Beratung ausweichen wollen. Nächt ein einziger Minister die zurückstellung dieses Punktes der Tagesordnung hinter die Be- set erschienen. Sie seien sämtlich für die Verordnungen verantratung über die Rotverordnungen, offenbar weil sie befürchteten, wortlich, auch wenn sie sich jetzt hinter dem Reichspräsidenten daß einige kommunistische Abgeordnete den gegen sie schwebenden decken. Nachdem der Reichstag einmal die Aufhebung der BerordStrafverfahren preisgegeben würden. Nach Ablehnung dieses kom- nungen beschlossen habe, sei der neue Erlaß der Verordnungen munistischen Antrages beantragte Genoffe Dr. Rosenfeld als Bericht offentlich verfassungswidrig. Sonst fönnte eine Regierung jedesmal erstatter die Ablehnung fämtlicher Anträge auf Aufhebung der wenn ein Reichstag die Aufhebung der Verordnung beschlossen Immunität, weil diese Anträge in feiner Weise als dringlich anzu- habe, sie wieder von neuem erlassen. Die Regierung schicke sich an, sehen seien und deshalb die Entscheidung dem kommenden Reichstag eine große Berfassungsfeier zu veranstalten. Die beste Berfaffungs. überlassen werden müsse. Nachdem Abg. Bell( 3.) der Auffassung feier würde es sein, wenn die Regierungsparteien die Berfassung Rosenfelds beigetreten war, beschloß der Ausschuß einstimmig nach schütten! Das Bolt werde ihnen am 14. September für ihre den Anträgen des Berichterstatters. Haltung die gebührende Antwort geben!
Die Verordnung über die Kennzeichnung des Mischbrotes murde gegen den Widerspruch eines deutschnationalen Bäckermeisters ein ftimmig angenommen.
Die Notverordnungen.
Zu den Rotverordnungen lag ein fommunistischer Antrag vor, diese mit sofortiger Wirkung aufzuheben. Nach der Begründung Dieses Antrages durch den Abg. Torgler widersprach Abg. Bell ( 3.) einer fachlichen, Erörterung, weil der Ausschuß dazu nicht zuständig sei. Genosse Dr. Rosenfeld trat dem Zentrumsredner entgegen. Die Verordnungen seien nicht nur vom Reichs präsidenten unterzeichnet, sondern auch von sämtlichen Reichsministern, die damit die staatsrechtliche und politische Verantwortung für die Verordnungen übernommen hätten. Der zur Wahrung der Rechte der Boffsvertretung gegenüber der Reichsregierung eingesetzte Ausschuß des Reichstags sei berechtigt, gegenüber der Reichsregierung zu dem Erlaß der Verordnungen Stellung zu nehmen. Allerdings habe der Ausschuß nicht dasselbe Recht, wie das Plenum des Reichstags, die Aufhebung der Verordnungen zu erzwingen, er habe aber das Recht, zu den Berordnungen Stellung zu nehmen. Die sozialdemokratische Fraktion habe schon im auf gelösten Reichstag die alten Verordnungen für verfassungswidrig erklärt. Die jetzt erlafenen Verordnungen seien teilweise noch verfassungswidrig.
reaktionärer und erf
Abg. Tora( mm.) begründet einen Eventualantrag, wo nach der Ausschuß die Verordnungen vom 26. Juli für werfassungsmidrig erklären möge.
Eine fozialdemokratische Erklärung. Abg. Keil gibt für die Sozialdemokratische Partei : folgende Erklärung ab:
" Die sozialdemokratische Fraktion des inzwischen aufgelöften Reichstags hat mit aller Deutlichkeit die Berfassungswidrigkeit der Berordnungen vom 16. Juli 1930 nachgewiesen und die Aufhebung dieser Berordnungen gefordert. Nachdem die Mehrheit des Reichstags dem sozialdemokratischen Antrag beigetreten und der Reichstag infolgedeffen aufgelöst war, sind neue, mit den aufgehobenen im wesentlichen übereinstimmende Verordnungen erlaffen worden. Die sozialdemokratischen Mitglieder dieses Ausschusses halten im Einklang mit ihren politischen Freunden die neuen Berordnungen für ebenso verfassungswidrig wie die alten. Die neuen Verordnungen weisen in vielen Punkten einen 1od) fozial und wirtschaftsfeindlicheren Charakter auf als die alten. Da dem Ausschuß nach der Reichsverfassung die Machtbefugnis nicht gegeben ist, die Aufhebung der Berordnungen zu erzwingen, ist es nunmehr Sache der deutschen wählerfchaft, einen neuen Reichstag zu wählen, der dafür sorgt, daß in Zukunft unter Wahrung der Reichsverfassung eine Polifit getrieben wird, die nicht den verschiedenen Interessentenhaufen, sondern den Maffen der Bevölkerung dient."
Keil lädt den Ausschuß ein, der in der sozialdemokraischen Ertlärung niedergelegten Auffassung beizutreten und stellt zu diesem Zwede den folgenden Antrag:
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Der Ausschuß wolle beschließen: Die Verordnungen vom 26. Juli widersprechen der Reichsverfaffung." Abg. Emminger( B. V.) führt aus, daß der Ausschuß mangels Zuständigkeit auch zur Verfassungsmäßigkeit der Verordmungen nicht Stellung nehmen fönne. Abg. Meyer( Staatspartei) beantragt eine Unterbrechung der Verhandlungen, um den Regierungsparteien Gelegenheit zur Stellungnahme gegenüber den fozialdemokratischen und kommunistischen Anträgen zu geben. Es wird eine Pause von zehn Minuten beschlossen,
Abg. Meyer( Staatspartei) findet es natürlich, daß die Reichsminister der Sitzung ferngeblieben sind. Nachdem Bied ( Rommm.) nochmals eine Rede gegen die Sozialdemokratie gehalten bat, wird der Antrag der Regierungsparteien mit 16 gegen 12 Stimmen angenommen und damit eine Erörterung der Berordnungen unterbunden.
Die Kommunisten bringen alsdann noch einen Antrag ein, alle Maßnahmen aufzuheben, die geeignet sind, die Wahlfreiheit zu be schränken. Da das Material der kommunistischen Beschwerden noch nicht vorliegt, behält sich der Ausschuß vor, dazu in einer neuen Sigung Stellung zu nehmen.
Hitlers Edelnazis.
Räuber, Diebe, Zuhälter und Landstreicher.
Das Große Schöffengericht Mannheim hat neun Mitglieder der Nationalsozialistischen Partei wegen des Ueberfalls auf das Mann heimer Reichsbanner zu Gefängnisstrafen verurteilt. Unter den Verurteilten, die von dem nationalsozialistischen Parteirechtsanwalt Dr. Frabf verteidigt wurden, befinden sich die folgenden Zierden der
Johann Schmidt, 27 Jahre alt, a cht Vorstrafen für Diebstahl, schweren Diebstahl im Rückfall ufw. Die letzte im Jahre 1924 verhängte Strafe wegen schweren Raubs lautet auf je ch Jahre Gefängnis und zehn Jahre Ehrverlust. Schmidt ist erst im Januar d. J. mieder, aus dem Gefängnis gefommen. Schiffer Albert Klingler, 27 mal vorbestraft wegen Betteins, Betrug, Landstreicherei usw.
Die Wirtschaftskrise und ihre Ursachen.
London , 6. August.( Eigenbericht.) Die Zahl der in England registrierten Ar beitslosen ist auf 2011 467 gestiegen. Seit Juni 1921 ist eine derartige Ziffer nicht mehr erreicht worden.
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J. A. Condon, 4. August .( Eigenbericht.) Eine Million neunmalhunderttausend Arbeitslose im Monat Juli; feine andere Ziffer und feine Handelsstatistik könnte deutlicher die Wucht der eng lischen Wirtschaftskrise ausdrücken. Im September werden wir zwei Millionen Arbeitslose haben", erklärte J. L. Garvin dieser Tage verzweifelt im ,, Observer" ,,, und wie wird es Weihnachten aussehen?"
Es ist diese bange Frage nach der Zukunft, die heute das gesamte englische Leben überschattet und ihren Widerhall findet in der politischen Lage des Landes. Wäre die englische Wirtschaftsnot und wäre diese Arbeitslosigkeit in England nur ein Teil und die naturgegebene Folge der Weltwirtschaftskrise, hervorgerufen durch Ueberproduktion und Absatzstockung, England und seine Barteien hätten sich nicht übermäßig zu sorgen und zu mühen als andere Staaten und ihre parlamentarischen Vertretungen. Für Großbritannien fommt jedoch das seit dem Krieg sich von Jahr zu Jahr umschichtende Verhältnis zwischen dem Mutterland und seinem überseeischen Anhang hinzu. Das Wort Indien " sagt alles, und wenn es eines weite= ren Beweises bedürfte, jo genügt ein fleines Zitat aus der Zeitschrift Economist . Darin heißt es: Im Vergleich zur Vorkriegszeit ist der Wert der englischen Lebensmittelversorgung jährlich von 314,4 auf rund 639 Millionen Pfund Sterling gestiegen. Der Anteil des Mutterlandes an dieser Versorgung jant von 43,3 auf 39,3 Broz. Unvers ändert blieb die ausländische Einfuhr. Hingegen stieg der Anteil der englischen Ueberseeländer von 17,7 auf 61,6 Proz. Von 1913 bis 1927 ist der gesamte englische Außenhandel dem Werte nach von 1184 auf 1799 Millionen Pfund Sterling gestiegen. In derselben Zeit vermehrte sich der Außenhandel aller britischen Reichsländer von 959 auf 2053 Millionen Pfund Sterling. Außerdem verringern sich Import und Export zwischen Mutterland und Anhang, und die Handelsziffern zwischen den überseeischen Reichsländern und dem Auslande steigen langsam aber stetig. Mit anderen Worten: die britischen Reichsländer entfernen sich mirtschaftlich von dem Mutterland, werden wirtschaftlich immer selbständiger und damit auch politisch. Hier liegt in Wahrheit die Ursache der Ereignisse in Indien und dessen Drang nach politischer und nationaler Freiheit.
An den Handelsziffern des„, Economist " gemessen, ergibt fich, daß die Schwere der englischen Wirtschaftskrise und die Höhe der englischen Arbeitslosigkeit nicht ausschließlich die deckten und immer wiederkehrenden kapitalistischen KonFolge jenes von Marr und Engels zum erstenmal aufge sjunkturgesetzes sind, sondern mitbedungen durch die Umlage rung und Umschichtung innerhalb des britischen Weltreiches. Deshalb hat die englische Arbeitslosigkeit ein pöllig anderes Gesicht als etwa die deutsche oder amerikanische. Die Arbeitslosigkeit Schuhmacher Paulus, dreimal vorbestraft. in Deutschland zieht durch das gesamte Wirtschaftsleben. Die Emil Schüd, 21 Jahre alt, mit einigen Monaten Gefängnis Arbeitslosigkeit in England lastet größtenteils in einzelnen megen Widerstand gegen die Staatsgewalt und versuchter Gefangenen. Diftriften und auf einzelnen Manufakturen, wie Baum Gefangenen - wolle und Kohle. England hat Absa ymärkte ver befreiung vorbestraft. loren, die nicht wiederzugewinnen sind. Dazu wächst die Zimmermann Erwin Ludwig, wegen Zuhälterei vorwirtschaftliche Unabhängigkeit der Reichsländer.
bestraft.
Kaufmann Harnischfeger, mit einer längeren Gefängnis strafe wegen Sittlichkeitsverbrechens porbestraft.
Man sieht aus dieser Liste, daß die Nationalsozialisten für ihre Slägerkolonnen den Abhub des Lumpenproletariats zufammen fragen.
,, Dieser Herbst wird der schwerste sein in der Geschichte unseres Landes, schwerer als irgendeine Phase des letzten Krieges," prophezeit düster der Observer". Was wunder, wenn das Rätselraten und das Durcheinander in der Politit und innerhalb der bürgerlichen Parteien groß ift! Sie sind zwar einig in ihrem aß gegen Snowden, der die reichen Vermögen belastet und die Einkommensteuer erhöht,
Politische Schießerei in Gladbeck . Ginig darin, die Arbeiterregierung zu beschuldigen, fie allein
Polizei greift ein.
Gladbed, 6. August.
In der Kaiserstraße fan es in den frühen Morgenstunden zwischen etwa 40 Kommunisten und 15 Nationalsozialisten zu einer schweren Schlägerei, bei der auch Schüsse gewechselt wurden. Ein Nationalsozialist wurde durch einen Schuß schwer verlegt und mußte in ein Krankenhaus gebracht werden.
habe versagt und sie trage die Hauptschuld an allen Nöfen und Fährden. Aber die gleichen Leute und die gleichen bürgerlichen Parteien wagen es nicht, ihre parlamentarische Mehrheit anzuwenden und das Kabinett Macdonald zu stürzen. Es wäre so einfach und es geschieht Dennoch nicht, weil dieses fonservative und liberale Bürgertum sehr gut weiß, daß eine andere Regierung ebenfalls vor den gleichen, zur Zeit fa um lösbaren Schmie rigkeiten stünde. Ja, diese Bürgerlichen sind sich innerhalb ihrer eigenen Reihen nicht einmal einig, was geschehen müßte, um die wirtschaftliche Krise Englands und um die politische Malchin , 6. August.( Eigenbericht.) Krise des Reiches zu beenden. Und es geschieht, wie wir es Anläßlich eines Mecklenburger Treffens früherer Baltikum - auch auf dem Kontinent in den vergangenen Jahren vers lämpfer fam es hier zu einer großen Schlägerei mit Romnommen und immer wieder gehört haben: der Ruf nach munisten. Die Streitenden schlugen mit Zaunlatten, Steinen, dem Führer und den starken Männern ertönt. Zunächst Gummifnüppeln usw. aufeinander ein. Mehrere Personen erlitten nur innerhalb der Parteien. Das Vertrauen zu Baldwin und zum Teil schwere Kopfmunden. Lloyd George ist längst dahin, und wenn sie heute noch
Baltifumerteilerei mit Kommunisten.