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Beilage

Sonnabend, 9. August 1930

Berliner   Spätsommer

Erlebnisse in Dur und Moll/ Heinrich Hemmer  

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1. Ferienreifenerfas Infolge der schweren wirtschaftlichen Krise fuhr ich statt nach Afrita mit meinen letzten 5 Mark in die Märkische Schweiz, geriet aber wer würde es glauben! ganz unvermutet dennoch in einen Urwald, und fam auch noch zu einer Jagd, sogar zu einer sehr blutrünftigen.

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Ein puziges Kleinbähnchen elektrischer Natur sezte die Sonn­tagspassagiere schon Stunden außerhalb Berlins   in einer direkt thüringisch anmutenden obst und waldreichen Hügellandschaft ab, die mit einem See und einem kleinen, Budow genannten Land städtchen geziert war, in dem mehr ländliche als großstädtische Gäste im wahren Sinne des Wortes auf und ab gingen und einige Kraft­fahrzeuge fräftig und ständig hupten, denn wozu hat man ein Auto, sagt sich der Berliner  , wenn man nicht nach Herzensluft Krach machen und Fußgänger in die Luft springen lassen fann.

Der See ist nicht blau wie der Wannsee  , sondern grün und klar wie die Ostsee   und bot für 20 Pfennig einen wirklich täuschenden Ersatz für dieses Ferienmeer, zumal nach einem Gewitter mir faft haushohe Wellen um die Ohren schlugen. Ich vermeinte fogar einen bitteren Geschmack auf der Zunge zu spüren, aber das wor wohl nur das Salz der fodderigen Zeiten. Bald waren auch aller hand Borurteile von mir abgeschwemmt, so der perfide Vergleichs­maßstab, der einen hindert, eine Landschaft oder einen Menschen als etwas Einmaliges, Absolutes zu nehmen.

Im Forst vor der Stadt stehen biedere, einfache( für hiesige Verhältnisse sogar recht ansehnliche) Tannen und Lärchen, die, wenn man sich mit Stullen und unbefangenem Gemüt darunter hinstreckt, dieselbe Baumweltwirkung auslösen wie irgendein großartiger

Urwald.

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Der Abend

Shalausgabe des Vorwärts

dessen Existenz erst der Prozeß Kenntnis gab. Wohl aber mar Esterhazy jahrelang ein bezahlter Agent der deutschen   Botschaft,

ob mit oder ohne Wissen französischer Generalstäbler wird wohl niemals einwandfrei zu eruieren sein. Weil stellt ferner fest, daß der deutsche   Botschafter Münster   ein Ehrenmann war. Dagegen hat Schwarzfoppen, der damalige deutsche   Militärattaché in Paris  , Münster   in den entscheidenden Situationen falsch informiert, dadurch eine schwere Bloßstellung der deutschen   diplomatischen Ber­tretung in Paris   bewirkt und Dreyfus   objektiv geschädet. Schwarz­

Stellung eingebüßt hatte, aber in einem sauberen Rämmerlein eine toppen hat aber den guten Glauben für sich, daß er im Interesse immerhin menschliche Eriftenz zu führen schien. Ich habe deine Frau gesehen", sagte ich. Er schwieg.

M

,, Ich habe deine Frau gesehen", fuhr ich fort ,,, nicht wie ich fie zu sehen gewohnt war, sanft, gepflegt und häuslich, fondern... Es dauerte lange, bis ich meinen Freund zum Sprechen bringen konnte. Dann erzählte er folgendes:

Der Brautstand hatte 12 Jahre gedauert: So lange hatte das berufstätige, zurückgezogen bei seiner Mutter lebende Mädchen ge­martet. Hatte gewartet, bis der Krieg vorbei, das Geld beisammen und eine Wohnung da war. Dann, als sie schon Profuristin und er Abteilungsvorstand war, wurde geheiratet. Erst starb die Mutter... ,, Und ich... ich war wohl nicht der ideale Ehemann, den diese Frau voller Ideale erwartet hatte. Nun gut. Ich hatte das Gefühl, daß ich doch noch so werden konnte, wie sie mich wünschte. Denn ich habe sie sehr geliebt. Aber dann... Ich wurde abgebaut, und feine Stelle findend feine Stelle findend- mißmutig. Ein Jahr darauf wurde auch fie abgebaut. Ich versuchte, die Ersparnisse gut anzulegen und geriet in das Netz eines jener Großfinanziers, die ihr Glück machen, indem fie andere unglücklich machen. Das letzte Geld zerrann..." Er schwieg. Dann stand er auf und durchmaß ruhelos den fleinen Raum.

Zugleich", begann er wieder. ,, es fiel mir auf, daß meine Frau mehr und mehr verfiel. Nicht daß sie eigentlich frant war. Die Wirtschaftssorgen und das Elend dieses Lebens zweier Abgebauter in der Vollkraft ihrer Jahre, dachte ich... Und doch: Einige Ab­fonderlichkeiten erschreckten mich. Ich rief den Arzt. Der zog mich beiseite: Haben Sie denn nie etwas bemerkt? Ihre Frau Auch ein Boetenfteig ist da, und wer diesen Wald befingt, tut trin ft. Jetzt gingen mir die Augen auf. Meine Frau, die wahr. es in Superlativen, die sich beim Anbück der kanadischen Riesen- heitsliebend bis zur Selbstentäußerung war, log mit Raffinement. Douglastannen nicht mehr steigern lassen, ja eher verstummen. Sie hatte alle ihre Ideale verloren und sich in jeder Hinsicht in ihr Man singt am Rhein  , man schweigt am Amazonas  . Gegenteil verwandelt. Es ist ein Fall von Umftülpung des Eine kleine Schlucht tat sich auf, in der ein Bächlein diefelbe Wesens infolge Verzweiflung am Leben", erklärte mir später der zähe Höhlarbeit vollbracht hat, wie sie die Welt im Grand Canyon   Arzt. Das ist ein moderner medizinisch- psychologischer Begriff ge­von Kolorado anstaunt. worden: alles ist an derselben Stelle geblieben, nur fommt das verfehrte Ende zum Vorschein. Die Frau ist in jeder Hinsicht, auch in den Schwächen tonfequenter als mir. Mag fie unbeständig mann. Namentlich wenn es sich um eine Sucht, eine Leidenschaft fcheinen, im Urgrund ihres Wesens handelt fie fonfequenter als der handelt. Meine Frau schläft in Hauseingängen und auf Bartbänken, am Tage treibt sie sich in obszönen Kneipen und Weddinger  Rummelplätzen herum, die Polizei sucht sie vergeblich..."

Ich bestieg den 130.00 Zentimeter hohen Drachenberg: schließlich den Chimborasso hab ich nur von unten besehen.

Dann kam ich an eine alte Mühle, einst durch Waffer, aber jetzt durch Bier in Betrieb gehalten. Ein einsamer Wiesenweg führte bahnhofwärts auf ein idyllisches Flüßchen zu, aber so harmlos die Gegend aussieht, dort lauert auf den Richtsahnenden die Gefahr. In derselben hinterrückfigen Weise, wie es Dschungel- und Urwald­pfade zu tun pflegen, war der Weg, den ein Förster, ein Häslein, ein Wildschwein oder ein Liebespaar gebahnt haben mochte, bald da und bald nicht da. Das Gras wuchs und fämpfte mit mir; es dauerte nicht lange, da befand ich mich in zwei Meter hoher Schilf rohr, über das ich mich, einsintend, sowie ich mich auf die Behen fiellte, vergeblich bemühte, orientierungshalber hinwegzusehen, wäh­rend afrikanisch blutdürftige Stechfliegen mich in Schwärmen an­fielen und nach allen Regeln der Kunst zerstachen. Am Flußufer fant ich in einen Krofodilsumpf, und meine weiße Hose färbte sich bis übers Knie schwarz. Ein Versuch, den angeschwollenen Steppen­fluß zu durchwaten, endete mit dem Verlust der Stullen und eines Stiefels fluchend folgte ich meiner eigenen Spur zurüd.

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Mit Ohren so dick, daß ich wie ein Hund watscheln konnte, und einem sich zwischen zwei Stichen schiefziehenden Mund langte ich vor dem ersten Buckominer an, der mir einen soliden" Gasthof empfahl, wo ich für den Rest meiner Barschaft nächtigen fonnte. Kaum hatte mir aber das Ende des Lautsprecherprogramms Belegen. heit gegeben, ins Land der Träume hinüberzugleiten, da wurde ich roy den Tieren der Wildnis überfallen. Die ganze Nacht währte mit wechselndem Glück ein erbitterter Kampf.

lassen kann, mur

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Alles hatte der Wirt erneuern lassen, teilte er mir am nächsten Morgen mit, den der Lautsprecher mit Winken für Landwirte er­füllte, aber das Haus tann man nicht abreißen lassen. Ich weiß es. Ich weiß, daß man Wien   nicht ganz abreißen und wieder aufbauen wegen der blutsaugenden Zwergschildkröten, die in den Mauern nisten. Jedenfalls kam ich mehr als urwaldhaft abenteuerlich nach der Stadt zurück, und die mich anstarrenden Berliner   famen mir wie ein noch unentdeckter, besonders wilder Volksstamm vor, dessen näherem Studium ich mich in diesem un heilschwangeren Spätsommer zu widmen versprach.

2. Die Abgebauten.

Kaum hatte ich mich ein wenig im Wedding   umgetan, wo es eine eigene harte Sorte von Elend gibt, das teine Uniform trägt und feinerlei Jammertöne anstimmt, da glitt mie eine Vision des Elends eine schlampig gekleidete Frau mit trunkenen, nach Leben iechzenden Augen an mir vorbei, und tauchte unte:, ehe ich mich darauf befinnen fonnte, daß ich sie fannte: daß es die Frau eines Freundes war.

Ein paar Telephongespräche, ein paar Fahrten und ich faß neben meinem einmal wohlhabenden Lagerkameraden, der eine gute

Felix Stößinger  :

Deutschland   im Dreyfuß- Prozeß

12 Jahre hat der Prozeß um Alfred Dreyfus   Frankreich   ge­fpalten und bis an den Abgrund des Bürgerkrieges getrieben. Die Generation, die um die Unschuld von Dreyfus   gefämpft hat, ist zum großen Teil ins Grab gesunken. Aber doch wirkt die Kraft, die sie für das Recht eingesetzt hat, heute noch fort, und eine neue Gene ration verfolgt die Geschichte des Prozesses in Büchern mit derselben Spannung, mit der einst die ganze Welt an diesem Kampfe attiven Anteil nahm. So ist es nur verständlich, daß von der Wirkung, die bas roh gezimmerte Bühnenstück ,, Affaire Dreyfus  " auf die Theater­besucher ausgeübt hat, eine Literatur ihren Ausgang nimmt, die endlich auch den deutschen   Anteil an diesem Prozeß aufsucht. Das Berdienst dieses Unternehmens gebührt dem Buch Der Prozeß des Hauptmann Dreyfus". das der Berliner  Rechtsanwalt Dr. Bruno Weil auf Grund der deutschen   Akten Beschrieben und das der für die deutsch  - französische Berständigung perdienstvolle Verlag Dr. Walther Rothschild herausgebracht hat.

,, Aber was bedeutet dieser seltsame lebenshungrige Blid in ihren Augen?"

,, Sie, die keinen Lebenshunger und kein Unrecht tannte, solange ihre Eristenz gesichert war, lebt jezt, da das, was man die Ratio= nalisierung der Wirtschaft nennt, ihr die Lebensbafis genommen hat, in der Unterwelt, die ihre ideale Natur gar nicht flar fieht, noch begreift, den Spätsommer ihres Lebens. So un­rationell iſt..." Er blieb stehen und sah mich an. das Leben oder die Wirtschaft?"

3. Tränen durchs Telephon.

Es ist mir ganz fonderbar zumute", sagte ich tags darauf, mich zu den Stammtischfreunden bei Schnorchen" setzend. ,, man hat bei mir angerufen, ich antwortete einer weiblichen Stimme, die nach meinem abwesenden Zimmernachbarn fragte, der ein armes Ding nach 5 Stunden Warten und einem Sommer der Liebe wohl für immer hatte sien laffen. Die Stimme tlang so seltsam fichernd abgerissen, schien mir erft, dann hörte ich, daß unsichtbare Tränen niederfielen... Das junge Mädchen war gerade abgebaut worden, und nun geschah ihr auch noch dieses. Kann man sich etwas Me­lancholischeres vorstellen...?"

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,, Sie wissen, daß vor kurzem der frühere Besitzer dieses Lokals, als er sah, daß er sich nicht mehr halten fonnte, plötzlich gestorben ist", segte ein sympathischer weißhaariger Deutschrusse. Tags darauf wollte ich seinen Freund von seinem Ableben verständigen und rief telephonisch an. Drei viermal ließ ich antlingeln, dann hörte ich Schritte durch den Korridor, jemand nahm den Hörer ab, eine meib­liche Stimme wisperte. Sallo", rief ich ,,, ich möchte Herrn Merk sprechen." Herrn Merf?" flang eine Stimme wie aus dem Grabe. Was wollen Sie von Herrn Mert?" Ich habe ihm die traurige Mitteilung zu machen, daß sich sein Freund F. gestern erhängt hat. Wollen Sie es für mich besorgen?" Das tann ich nicht..." Warum nicht, bitte?" Ich hörte ein Stöhnen und fühlte, daß jemand am anderen Ende der Leitung Seelenqualen litt.. ,, Weil-weil- mein Mann ist vor 8 Tagen gestorben... aus Gram über seine wirtschaftliche Lage..."

Straße.

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Wir wurden unterbrochen: Lärm und Musik von der

Denen scheint es wirtschaftlich nicht schlecht zu gehen", sagte jemand, auf Leute mit Hakenkreuzfahnen weisend, die, alle, alle, auf Motorrädern vorüber famen.

Bruno Beil stellt im ersten Teil zunächst den Prozeß in einer Folge glänzender juristischer Analysen dar. Wieder ist die Wirkung des Falles, selbst wenn man seine Einzelheiten noch so genau zu kennen glaubt, groß, so wie auch in Theaterstücken dramatisch wirkungs­volle Szenen den Hörer immer wieder paden, auch wenn er das Stüd schon tennt. Und wieder geht die Wirkung davon aus, daß auf der einen Seite eine scheinbar unerschütterliche Macht, der ge famte Staatsapparat, einen Unschuldigen festhielt, und auf der Gegenfeite machtlose Bersönlichkeiten, die teine andere Waffe cls ihr Rechtsgefühl besaßen, zuerst isoliert, dann in immer größerer An­zahl den Kampf gegen den soviel stärkeren Staat aufnahmen.

Der zweite Teil führt uns nach Deutschland  , und wir müssen nun erleben, daß im Gegensatz zu großen Teilen des deutschen  Boltes, die leidenschaftlich für Dreyfus   Partei ergriffen, die deutsche Bürokratie nicht imstande war, den Fall anders als unter dem Gesichtspunkt einer ganz mittelmäßigen Staats­raison" zu begreifen. Weil hat die Sammlung der diplomatischen Aften nach allen Dreyfus betreffenden Stellen durchforscht und aus ihnen die Bestätigung empfangen, daß niemals deutsche Stellen auch nur die geringste Verbindung mit Dreyfus   gehabt haben, von

des deutschen   militärischen Dienstes auch seinem vorgefeßten Bot­schafter seine Beziehungen zu französischen   Agenten verheimlichen mußte. Für ihn war es unfaßbar, daß auch ein Offizier, wie auf französischer Seite Picquart  , das Recht unter allen Umständen höher stellen muß als den Befehl. Dieses Versagen hat den gewiß forretten Mann bis in seine Todesstunde verfolgt. Trotzdem bleibt, wie Weil zeigt, die von Münster   geleitete deutsche   Botschaft mit dem Vor­wurf belastet, daß in ihr eine schauerliche Wirtschaft geherrscht hat, wodurch das Hin- und Herschleppen von Indiskretionen möglich war. Wirklich schlecht benahm sich in der Affäre aber Bülow. Er war es, der den Prozeß nur vom Standpunkt einer wünschens­werten Schwächung der französischen   Republit betrachtete. Ja, in einer Erklärung von ihm findet sich sogar der Sag: Es wäre am besten, wenn die Affäre weiter schwärt." Man muß schon sagen, daß diese Auffassung Bülows um jo häßlicher ist, als ja Deutschland  offiziell um Frankreichs   Versöhnung warb. Dagegen muß man, ohne in den Verdacht der Bewunderung zu geraten, Wilhelm II.  mehr Verständnis für den Wert einer schönen Geste in dieser Affäre zuerkennen. Die einzige wirkungsvolle Aktion der deutschen   Re­gierung ist, wie der Republikaner Bruno Weil zeigt, auf den Er­faijer zurückzuführen. Das Bersagen des diplomatischen Deutschlands   war ein Produkt derselben militärischen Men­talität, deren Opfer in Frankreich   Dreyfus   war. Mögen in beiden Ländern Verhältnisse, die solche Ereignisse ermöglicht haben, nie wiederkehren.

Alexander von Sacher- Masoch;

Das Haus

Etwas an diesem Haus hat mich ergriffen. Denn obwohl erft die Grundmauern stehen und es ohne Dach und offen dem Himmel feinen Körper offenbart, ist doch ein Geheimnis in seiner Nähe. Das Geheimnis erbitterter, zähnefnirschender Arbeit und großer, schweigender Geduld. Das Geheimnis vielleicht: des Menschen­Lebens.

,, leber sich hinaus schaffe der Mensch", das hörte ich oft und las es wohl auch in den Büchern. Aber so recht erfaßt habe ich Mann zusah, der sich dieses Haus baut. Er baut es hier, auf dem es erst jetzt in diesen Wochen, während ich dem kleinen, dürren Grundstüd, das mir gegenüberliegt, und anfangs lachte ich über ihn. Und wenn ich morgens oder abends vorbeifam. sah ich wohl ver­stohlen hinüber, ob die Grube, die er mit seinen Händen gegraben hatte, nicht wieder eingefallen war, über Nacht. Denn es ist hier Sandboden und der Wind weht oft start und es hatte im Früh­jahr heftige Regengüsse gegeben.

Verriet ich es schon? Dieser fleine Mann baut sein großes Haus ganz allein. Mit einem Spaten begann er und einer Latte. Er hob das Fundament aus und es war so, daß er, dieser Arbeit sicher ungewohnt, langsam vom Fled fam. Ich dachte mir: Er wird Jahre brauchen, ehe er fertig wird. Das ganze Frühjahr lang wühlte er in der Erde.

Wind und Wetter schreckten ihn nicht. Er war immer auf dem Bosten. Nun sah ich immer zu ihm hinüber, wenn ich vorbeikam, und so gewahrte ich eines Tages, daß er fehlte. Das fiel mir auf. Also doch, dachte ich. Das Geld ging ihm aus, oder er ist frant geworden, er schafft es eben nicht allein. Es war ja auch lächerlich, daran ernsthaft zu glauben. So ein fleiner, dürrer Mann will mit seinen zwei Händen ein Haus bauen! Aber ich wurde nicht froh dabei, denn so find wir, daß wir in einem Zipfel unseres Herzens die Sehnsucht nach Helden tragen, die wir be wundern dürfen, und dieser Mann unternahm Großes. Ich fragte nach dem Manne und die Leute am benachbarten Grundstück sagten, er hätte die Hauszinssteuer noch nicht bezahlt und da sei ihm das Bauen untersagt worden. Nun verstehe ich wenig von diesen Dingen, aber es ist doch tomisch, nicht wahr, wenn einer mit einer Schaufel daran geht, den Grund für sein Haus auszu­stechen und weit und breit von dem Hause noch gar nichts zu sehen ist, von ihm Hauszinssteuer zu fordern.

Zu meiner Freude sah ich ihn eines Morgens wieder bei der Arbeit. Dieser kleine Teufelskerl hatte auch dieses Hinder­nis, auch den Staat überwunden. Bon irgendwo hatte er ein Fuhr­wert aufgetrieben und jetzt rasselte er den ganzen Tag lang zum Bahnhof und wieder zurück und führte Ziegelsteine. Ein Berg um den anderen erhob sich, gleichmäßig geordnet, so daß nach wenigen Tagen das Grundstück an den zwei Straßenfronten von mächtigen Siegelwällen umfäumt war.

Tage vergingen. Er hatte eine Kaltgrube angelegt, rührte Mörtel, unermüdlich wie immer, und seine dünnen, sehnigen Arme strafften sich beim Heben unglaublicher Lasten. Und aus der Grube, die mir anfangs so lächerlich vortam, begannen Mauern emporzu­steigen, höher und höher, unmerklich, aber stetig wachsend und heute wir sind erst im Auguft ist alles soweit fertig, nur der Dachstuhl fehlt. Heute sah ich zum ersten Male, daß er Hilfe herangezogen hatte. Den Dachstuhl schafft er nicht allein. Aber vielleicht sind es Verwandte, Freunde. Ein Schwager, der Zimmer­mann ist und in den Feierstunden mithilft am Bau des Hauses, in das die neue Generation einkehren wird in diesem Herbst.

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Man bedenke: Es wird hier ein Kind geboren werden und nicht wissen, was sein Großvater Großes vollbracht hat, und daß er gleichzustellen ist allen anderen Helden, von denen es in Büchern lesen und in der Schule hören wird. Denn er schuf mit seinen dünnen Armen, an denen wie ich oft sah die Adern hervorsprangen vor Anstrengung, weit über sich hinaus. Hier, an der Grenze der großen Stadt, in einem Vorort, der viel­leicht in zehn Jahren schon aufgenommen wird in das Gefüge Berlins  . Autobuffe und Straßenbahnen werden hier fahren und ein Berkehrsschußmann wird von der Ede herübersehen zu dem Haus, das der kleine, dürre Mann gebaut hat.

Und das Kind wird glauben, das Haus sei immer gewesen. Und wenn man ihm sagen wird: dein Bater hat es gebaut, hin­gehen und im Sande fleine Häuser bauen, um es seinem Bater gleichzutun. Die Sandhäuser zerweht der Wind, aber das Haus aus Ziegeln, Mörtel  , Schweiß, Liebe und Geduld wird länger be­stehen. Wenn es fertig ist, wird es ein Haus sein wie andere Häuser und seine Mauern werden wie treue Wächter das Geheimnis des Lebens behüten, das in ihnen blüht. Niemand wird wissen, wie es wurde. Ich aber habe es erlebt. Ist das nicht wunderbar?