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BERLIN  Dienstag 12. Auguft 1930

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186

Der Abend

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66

Spätausgabe des Vorwärts"

47. Jahrgang

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Politiker mit dem Pappschwert

Scholz fordert Revision ,, um jeden Preis"

Pariser Rechtspresse heult: ,, um feinen Preis"

Paris  , 12. Auguft.( Eigenbericht.)

Der Führer der Deutschen Boltspartei, Dr. Scholz, erklärt heute in einem Interview im ,, Excelsior", ganz Deutschland   von rechts bis lints verlange einstimmig die Revision des Friedensvertrages. Auch Stresemann  , den man im Ausland irrtümlicherweise allzu einseitig unter dem Licht der Locarno- Politit betrachte, sei nicht für die An­näherung um jeden Preis gewesen, sondern auch er habe sehr bestimmte Ansichten über die Notwendigkeit der Revision des Versailler Vertrages gehabt. Und er hätte auch nicht gezögert, die Frage der Revision im gegebenen Augenblick aufzuwerfen.

Weil aber die Revisionsforderung von dem Minister Treviranus  in ebenso plumper wie ungeschickter Weise in seiner letzten Rede behandelt worden ist, versucht die Bariser Presse sie als eine Spezial­forderung der Deutschnationalen hinzustellen. Selbst die Ere Nou­velle" gibt der Hoffnung Ausdrud, daß die Wahlrede" Treviranus  feinen Eindruck auf die Wähler machen möge. Dabei behauptet die bürgerliche Breffe auch, daß der gestrige Besuch des deutschen   Bot­schafters bei Briand   ausschließlich dem Zwed gedient habe, die Entschuldigung der deutschen   Regierung für die Ent. gleisung Trepiranus' anzubringen. Im übrigen verlangt die Rechtspresse, die seit, Tagen und Wochen wieder eine heftige Kampagne gegen Briand   eingeleitet hat, daß die französische   Re cierung in offizieller Stellungnahme sich rückhaltios gegen die Revision stampagne ausspreche, um so jede Hoffnung in Deutschland   zu nehmen.

Wie amtlich mitgeteilt wird, hat der deutsche Botschafter in Paris   teine Anweisung von der Reichsregierung erhalten, die Trevi­ranusrede abzuschwächen. Bei der letzten Unterredung ist die An­gelegenheit wohl zur Sprache gefommen, jedoch hat der französische   Außenminister nur in Gesprächsform ohne jede weitere Kritit auf die entsprechenden französischen   Pressestimmen hin­gewiesen.

Die ,, Germania  " und der Geetadett.

Die der Regierung Brüning nahestehende Presse bemüht sich, offenbar einer einheitlich ausgegebenen Parole folgend, die Rede von Reichsminister Treviramus ihrer aggreffiven Nuancen zu ent kleiden. Aus den unverkennbaren Schärfen, dem Säbelgeraffel der Treviranus- Rede wird auf diese Weise eine ganz harmlose politische Rundgebung über die Grenzverhältnisse im Osten. Offen­sichtlich zur Beruhigung des Auslandes schreibt die Germania  ": ., Für Deutschland   galten, unter welcher Regierung auch immer, die feierlichen Verpflichtungen des Böllerbundspattes, und feine verantwortliche deutsche Regierung wird eine Grenzrevision mit anderen als friedlichen Mitteln erstreben. Ebenso wie sich der Instinkt des Volkes gegen eine extreme Außenpolitit nach dem Muster von Hugenberg und Genossen gewandt hat, so wird er sich auch von jeder nationalistischen Demagogie abfehren, welche etwa dem Volke die Vorbereitung eines Revanche frieges ein­flüstern wollte. Mit dem Säbel zu rasseln ist eine unnüze und gefährliche Sache, und man sollte sich in Paris   sagen, daß das noch unnützer ist, wenn die Scheide leer ist. Man hat sich an der Seine und wahrscheinlich auch in Warschau   umsonst aufgeregt. Die Treviranus  - Rede bedeutet lein Ultimatum und feine Kriegserklärung und wird nichts an der loyalen und vertragsgemäßen Haltung der deutschen   Außenpolitik ändern."

Das ist zugleich eine sanfte Belehrung für den Seefadetten Treviranus  !

Das dröhnende Hinüberreden.

Der Frankfurter Zeitung  " ist das Geraffel des Ministers einer Koalition, an der Herr Dietrich beteiligt ist, sehr unangenehm. Sie

warnt:

"

,, Natürlich schallt es aus dem Wald heraus, wie man hinein­gerufen hat. So muß man denn wieder, ach zum wievielsten Male, dem Temps" jene Litanei herunterbeten hören, die einem deut­ schen   Lebensanspruch nichts anderes entgegenzusehen hat als die Bolitik der Kaiserzeit, als die barbarische Kriegführung, als den Feyzen Papier  " und alle jene Formeln, mit denen man die eigene moralische Position unterbauen will, selbst wenn dadurch die moralische Qualifikation der anderen auf unerhörte Weise ange­zweifelt wird. Diese schreckliche Selbstherrlichkeit, mit der man in Frankreich   die Alleinschuld Deutschlands   glaubt behaupten zu dürfen, diefe Diktion, aus der heraus Bersailles diftiert worden ist, beginnt ( Fortsetzung auf der 2. Seite.)

Lohnt sich die Demokratie?

Rach den amtlichen Berichten über die deutsche   Sozialversicherung wurden für soziale Zwecke aufgebracht in den Jahren:

in Millionen Mart

Bersicherungszweige Krantenversicherung

1913

582,8

1924 1070,1

Unfallversicherung

226,8

144,9

1929 2150,0 400,5

Invalidenversicherung..

290,0

362,5

1092,0

Angestelltenversicherung Knappschaftliche   Pensions­versicherung

138,1

129,4

372,0

75,0

147,3

239,3

Arbeitslosenversicherung

222,4

1538,6

Summe A

.

1312,7

2076,6

5792,4

Zuschußleiffungen des Reiches, der Länder und Gemeinden

in Millionen Mart

Berficherungszweige Krantenversicherung. Invalidenversicherung. Knappschaftsversicherung. Arbeitslosenversicherung.

Summe B

1929

1913

1924

9,4

58,5

109,0

180,9

58,5

299,3 2375,9

27,0 451,0 56,0 1042,1 1576,1

-

Summe A und B zuf. 1371,2

7368,5

Der gesamte Sozialaufwand des Kaiserreichs betrug( 1913) 1371,2 millionen, der Sozial­aufwand der viel ärmeren Republik   aber( 1929) 7368,5 Millionen Mark.

Nicht einbezogen sind in diese Summe die 2,5 Mil liarden, die in der Republik   jährlich für die Kriegsbe.

schädigten und Kriegerhinterbliebenen verausgabt werden müssen. Also sogar abgesehen von dieser Fürsorge für die Kriegsopfer überragt dank des Aufstiegs der Arbeiterschaft in die politische Macht die Sozialpolitik des verarmten republikanischen Deutsch  land diejenige des wohlhabenden Kaiserreichs um ein Mehrfaches.

Fliegerbomben auf Kohlengrube

Geheimnisvolles Flugzeug über amerikanischem Ausbeuters distrikt

New York  , 12. Auguft.( Eigenbericht.) Ueber dem Providence und Webster- Minendiftrift in Ken­tudy, der seit Monaten der Schauplatz erbitterter Arbeitskonflikte ift, warf gestern ein unerkannt gebliebenes Privatflugzeug neun Dynamitbomben ab, von denen vier unter gewaltiger Detonation explodierten. Die Bomben riffen nahe den Gruben­eingängen riesige Löcher in den Erdboden, forderten aber keine Menschenleben und verursachten nur geringen Materialschaden. Die Bevölkerung wurde von ungeheurer Panit erfaßt. Man jah das Flugzeug niedrig über Providence   kreisen und in der Richtung nach Illinois   verschwinden. Einzelne gegen das Flugzeug abgefeuerte Gewehrschüsse blieben erfolglos. Zur Feststellung der Bomben­roerfer ist eine namhafte Belohnung ausgesetzt worden. Die Bundes­behörden haben schärffte Untersuchung des Vorfalles angeordnet. Sie beurteilen jedoch die Möglichkeit der Feststellung des Flugzeuges, das mit falschen Zeichen übermalt war, äußerst skeptisch. Der Kentucky  - Grubendistrikt ist infolge der rücksichtslofen Ausbeu fung der Grubenarbeiter und deren miserablen Entlohnung ein Kampffeld ständiger Unruhen. Erft fürzlich fand hier ein drei­monatiger Grubenarbeiterstreit statt, der nach zahlreichen blutigen Zusammenstößen Anfang Juli erfolglos abgebrochen werden mußte.

Der Platz der Republik im Fackelschein

Nachtaufnahme von der Reichstagsterraffe; in der Mitte die Siegessäule, dahinter die Kroll- Oper, rechis das Standbild Bismarcks, das dem Reichstag   noch immer den Rücken zukehrt