Morgenausgabe
Tr. 375
A 189
47.Jahrgang
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Mittwochy 13. August 1930
Groß- Berlin 10 M.
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Der wieder eingefangene Seekadett Treviranus dementiert sich.
Zwiegespräch mit Treviranus im Rundfunt.
Im Programm der Aktuellen Abteilung des Berliner Rundfunks wurde gestern abend Reichsminister Trepiranus von Chef redakteur Dr. Bondy über die Auslegungen interviewt, die seine Sonntagsrede vor den Grenzlanddeutschen im In- und Auslande gegefunden hat.
Schon in seinen einleitenden Worten wies Herr Bondy darauf hin, daß der Minister ohne Zweifel die Rede nicht in offiziellem Auftrag gehalten habe. Als sehr temperamentvoller Mensch, der aus seinem Herzen keine Mördergrube mache, habe er in farbigster Tonart frei von der Leber weg gesprochen.
Minister Treviranus gab zu, daß er weber einen amtlichen
Auftrag gehabt, noch daß eine Reffortpflicht vorgelegen habe. Er sei ein Feind der Dunkelkammer und spräche so zu dem Wolfe, wie es ihm aus diesem entgegenspränge. Sinn und Zweck seiner Rede fei gewesen, dem Katastrophengerede raditaler Boli titer entgegenzutreten. Er sei etwas erstaunt gewesen, als er in einer Montagszeitung die Ueberschrift las: Will Treviranus den Krieg?
Herr Bondy meinte, daß es sich hier um eine ungerechte AusTegung der Rede handeln könne. Er selbst habe als aufmerksamer Journalist und Politiker manchen Husarenritt des Ministers erlebt brauchen, über einen Torpedoschuß nicht. Das habe ja auch dem
und wundere fich deshalb, um ein Wort aus der Marine zu ge
Minister den Scherznamen Seefadett eingetragen.
Treviranus ging auf die ,, fleine Sottife" ein und bezeichnete diese Periode seines Lebens als seine Lehrzeit. Er sei in feinem Leben nicht frei von Dummheiten gewesen, glaube fich aber jezt doch gegen grobe Dummheiten gefeit. Der Minister erinnerte dann etwas aus dem Zusammenhang beraus an die Wahl des Reichspräsidenten von Hindenburg , bei der auch, namentlich im Ausland, schmere Bedenken gegen die Person Hinden burgs erhoben wurden. Im Laufe der Jahre seien diese Bedenken verstummt, weil man sah, wie ernst der Reichspräsident sein Amt
auffaßte. Er hoffe, daß es ihm ebenso gehen würde. Herr Bondy stellte hierauf die Frage, was Treviranus unter dem viel zitierten Frontgeist verstände und ob er in ihm die Uebernahme der Verantwortung für einen neuen Krieg fäbe. D
Demokraten haben in der Staatspartei nichts zu sagen.
Nach mehr als sechsstündiger Sihung beschloß gestern nacht der Attionsausschuß der Staatspartei für den Wahlkreis Potsdam I mit 20 Stimmen, den bisherigen demokratischen Abgeord neten Georg Bernhard von der Liste zu streichen und durch den kürzlich aus der Deutschnationalen Boltspartei ausgetretenen bisherigen christlichen Gewerkschaftler und jetzigen Komba - Angestellten Arthur Adolf zu ersetzen.
Die Mehrheit gegen Bernhard setzte sich zusammen aus den Volksnationalen( Mahraun- Gruppe), der Front 1929, einem Bertreter der jungen Bolfsparteiler und drei Bertretern der Reichspartei für Handwerk, Handel und Gewerbe. Der Beschluß wurde gefaßt, obwohl die Kandidatenrede, die Adolf vor dem Ausschuß hielt, außerordent lich mißfiel, während umgekehrt Bernhard außerordentlichen Eindruck Die Volksnationalen gingen über die Wünsche der Demotraten glatt zur Tagesordnung
machte.
über.
Bei den Maimahlen vom Jahre 1928 hatten die Demokraten im Wahlkreis Potsdam I rund 55 000 Stimmen aufgebracht. Durch die Listenverbindung mit Frankfurt a. d. D., wo fie 35 000 Stimmen erhalten hatten, fiel das Mandat an Georg Bernhard .
Die Gammelfomödie.
Behauptungen und Abfireitungen.
Duntein munteln.
-
Man will im
Treviranus erwiderte, daß die Aufzüge im fleinen oder großen Stahlhelm, die man bei Zusammenfünften alter Frontsoldaten erlebe, feineswegs das sehnliche Verlangen nach einem neuen Kriege darstellten. Im Gegenteil bedeute der Frontgeist, daß man sich über Grenzen und Gräben hinweg ausspräche und eine Brücke schlüge. Man solle nicht voneinander meg, sondern zueinander tommen. Wo sollen mir um alles in der Welt die Waffen herbekommen, um einen Krieg zu führen? Wie fönne er als Soldat mit nüchterner Be trachtungsweise auf einen derartigen Gedanken tommen? Er sei ein Feind jedes nebelhaften und flirrenden Wortes. Das betone er auch Herrn Löbe gegenüber, der ihn in einer gestrigen Rede vor dem Reichstag apostrophiert habe. Wie er die Auslegungen seinar Rede gelesen hätte, sei er aus dem Erstaunen nicht herausgekommen. Bölkerrechtlich gültige Verträge müßten eingehalten werden, und die friedliche Verständigung sei der einzige mögliche Weg, weiterzukommen. Der Kern der Verständigung aber sei die Gleichberechtigung. Das habe auch Stresemann nach Locarno im November 1925 betont, aber auch die Möglichkeit zu Revisionen hervorgehoben, und das Recht, Revisionen des Berjailler Bertrages anzustreben, und die Wege hierzu feien schon in der Mantelnote zum Friedensvertrag vom 16. Juni 1919 und im Artikel 19 des Bertrages festgelegt worden. Er habe eine Friedensrede und teine Kriegsrede gehalten, denn der Frieden sei die Voraussetzung für die Lebensmöglichkeit Deutschlands und Europas . Freilich müsse dieser Frieden rein, flar und ehrlich sein. Deutschlands europäische Sendung sei es, das Recht zu finden, um ein gedeihliches Zusammenleben der Völker zu sichern. Man fönne fich über die Berechtigung des evolutionären und des tonjer. vativen Bazifismus ftreiten. Soviel fei ficher: Leere Drohungen find für Bolt und Baterland schädlich und rufen im Auslande den Eindruck hervor: Den Brüdern ist nicht zu trauen. Sein Wort: Fort mit dem Katastrophengerede! sei nicht außenpolitisch aufzufaffen. Er habe im Gegenteil einen innenpolitischen Appell an seine Freunde zur Rechten und zu Linken richten wollen, die sich zum Teil im Wahl fampf, in Uebertreibungen gefallen und die er zu gemeinsamem zu
fammenstehen aufrufen wollte.
Treviranus schloß: Ich will den Frieden, aber einen Frieden, der diesen Namen verdient. Aus Unrecht muß Recht werden, damit Europa und Deutschland frei und glücklich seien!
wir hören, ist weder an die Deutsche Volkspartei noch an die Wirt. schaftspartei eine Einladung zu einer solchen Besprechung ergangen.
Die Telegraphen- Union aber teilt dazu mit:
Entgegen anderslautenden Darstellungen wird der Telegraphen Union von gut unterrichteter Seite bestätigt, daß für Dienstag nachmittag persönliche Besprechungen zwischen Trevi ranus, Scholz und Sachsenberg über die Frage einer engeren Verbindung zwischen der Konservativen Volkspartei , der Deutschen Volkspartei und der Wirtschaftspartei vereinbart worden waren. Die Absicht dieser Besprechungen ist jetzt sowohl von volts von wirtschaftsparteilicher Seite ab parteificher Seite wie geftritten worden. Richtig ist, daß am Dienstag Berhandlungen nicht stattgefunden haben. Das führt man jedoch von unterrichteter Seite lediglich darauf zurück, daß Minister Treviranus durch eine Chef- Besprechung, die in der Reichskanzlei über Personalfragen der Dithilfe stattfand, verhindert war. Fest steht jedenfalls, daß sowohl Scholz als auch Sachsenberg sich auf Anregung von konservativer Seite für derartige persönliche Fühlungnahmen zur Verfügung
gestellt haben.
Was ist nun Wahrheit?
München , 12. Auguft.( Eigenbericht.) Der Kampf um die bayerische Schlachtsteuern ofUnter der Ueberschrift: Keine neuen Sammlungsvers verordnung trift jetzt in fein entscheidendes Stadium ein. Der handlungen" meldet das Nachrichtenbüro des Vereins Deut- elleftentat des Landtags beschloß am Dienstag, die Bollfihung scher Zeitungsverleger:
Die durch die Presse gehenden Mitteilungen, wonach am Dienstag auf Einladung des Ministers Treviranus zwischen der Ronservativen Volkspartei, der Deutschen Volks. partei und der Wirtschaftspartei neue Besprechun gen über die Festlegung eines gemeinsamen Aktionprogramms stattfinden sollten, entsprechen night den Tatsachen. Wie
Er wollte eine Friedensrede halten.
Herr Treviranus hat sich gestern abend im Auftrag der Reichsregierung von dem Chefredakteur des Berliner Börsen- Courier", Herrn Dr. Bondy, interviewen lassen, und der Rundfunk hat dieses Gespräch dem Inland wie dem Ausland zur Kenntnis gebracht. Zweck der Veranstaltung war, den schweren Schaden einigermaßen gutzumachen, den die Sonntagsrede des Ministers der deutschen Außenpolitik zugefügt hat.
Gerade heraus gesagt: es war ein Rückzug in aller Form. Wir kennen die internen Vorgänge nicht, die Herrit Treviranus zu diesem Rückzug veranlaßt haben. Vielleicht war nicht einmal ein besonderer Druck notwendig und hat ihm die Aussicht genügt, noch einmal im Mittelpunkt der Weltgeschichte stehen und seine wohlflingende Stimme ertönen lassen zu dürfen. Denn an Selbstgefälligkeit wird Herr Treviranus nicht leicht von einem anderen übertroffen.
Wenn nun etwas geeignet ist, diese Selbstgefälligkeit weniger unsympatisch zu machen, als sie sonst wäre, so ist es die Naivität, mit der sie sich verbindet. Herr Treviranus versichert, er wäre über das Echo, das seine Rede gefunden habe ,,, aus dem Erstaunen nicht herausgekommen". Nun, hätte er das Konzept seiner feineswegs improvisierten, sondern sorgfältig vorbereiteten Sonntagsrede dem jüngsten Beamten des Auswärtigen Amtes gezeigt, so hätte dieser bestimmt die Wirkung vorausgefagt und Herrn Treviranus gewarnt. Uebrigens ist es Wilhelm II. mit seinen berühmten An- und Aussprachen genau so gegangen; auch er war stets- ganz bes fonders nach dem ,, Daily Telegraph "-Interviem- über die Wirkung seiner Worte höchst erstaunt, und auch er hat sich damit als ein ewiges Schreckenstind der Politik erwiesen.
Schon am Montag ist hier gesagt worden: Wenn aus märtige Regierungen anfragen sollten, was die Rede des Herrn Treviramus zu bedeuten hat, werde man darauf antmorten müffen, daß sie gar nichts bedeutet. Allerbings war nicht vorausgesehen, daß der Herr Minister diese Erklärung selber abgeben würde. Er hat sie nun abgegeben, und wir nehmen davon Aft. Die Rede sollte und wollte nichts anderes sein als eine Friedensrede, wie sie Herr Curtius eben auch hätte halten fönnen, und wenn sie etmas anders ausgefallen ist, so liegt das nicht am schlechten Willen. sondern nur an der mangelnden Uebung.
Wir hatten es für unsere Pflicht gehalten, gegen die Sonntagsrede aufs schärfste zu protestieren. Um so lieber erkennen wir heute an, daß an der Dienstagerklärung so gut wie nichts auszusehen ist. Im großen Ganzen ist Herr Trevis ranus mit dieser Erklärung in die Linie jener auswärtigen Politik eingerückt, die der offiziellen Politit entspricht und die, ungeachtet aller innerpolitischen Gegensäge, von der Sozialdemokratie stets mitgeſtügt worden ist. Ganz besonders stimmen wir Herrn Treviranus zu, wenn er am Dienstag vor einer„ Politik der leeren Drohungen" marnte, meil sie dem Vaterlande schädlich sei und int Auslande das Gefühl hervorrufe diesen Brüdern sei nicht zu trauen".
Ob nun diese beinahe reumütige Erklärung die gewünschte Wirkung im Auslande haben wird, müssen wir dahingestellt sein lassen. Wir möchten es hoffen. Allerdings wäre es besser gewesen, wenn Herr Treviranus nicht erst so hingeredet hätte, denn dann hätte er es nicht notwendig gehabt, wieder zurüdzureden, und damit wäre der Würde und dem Ansehen Deutschlands in der Welt besser gedient gewesen. Nach dem Berlauf aber, den die Dinge nun genommen haben, wird man im Ausland zugeben müssen, daß alles Mögliche geschehen. ist, um einen begangenen Fehler zu reparieren. Schneller und gründlicher ist noch nie aus einer Fanfare eine Chamade. gemacht worden! Das Ausland möge daran erkennen, wie start im deutschen Volke der Wille ist, alle Mißverständnisse zu bereinigen und zu beseitigen, denen die Friedenspolitik der benen die Friedenspolitik der Deutschen Republik ausgesetzt sein fann.
Herr Treviranus hat u. a. auch daran erinnert, mit welchem Mißtrauen die Welt vor fünf Jahren Herrn von Hindenburg als Reichspräsidenten aufnahm und wie angenehm sie von ihm enttäuscht wurde. Herr Treviranus auf kommenden Dienstag, den 19. Auguft, einzuberufen. Die Tages- nimmt sich, nach seiner eigenen Versicherung, vor, die Welt ordnung enthält als einzigen Punkt den fozialdemotta- ebenso angenehm zu enttäuschen. Dieser gute Vorsatz ist nur fischen Jnitiatiogefehentwurf auf Außerkraft zu billigen, aber wer weiß, ob die Welt an der weiteren Eine politischen Entwicklung unserer deutschen Ministerbabys ein fehung der Schlachtsteuernofverordnung Forderung der sozialdemokratischen Mitglieder des Aeltestenrates, so großes Interesse nehmen wird wie an der Hindenburgs? den Landtag schon für Donnerstag, den 14. August, also noch einen Vielleicht wird sie und wird Deutschland sogar auch ganz Tag vor Infrafftreten der Schlachtsteuer einzuberufen, wurde mit ohne Treviranus fertig! Stimmengleichheit abgelehnt.