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Morgenausgabe

Nr. 379

A 191

47.Jahrgang

Böchentlich 85 Bẞf., monatlich 3,60 m. im voraus zahlbar, Postbezug 4,32 m. einschließlich 60 Bfg. Postzeitungs- unb 72 Bfg. Bostbestellgebühren. Auslands abonnement 6,- M. pro Monat. *

Der Borwärts" erscheint wochentag lich zweimal, Sonntags und Montags einmal, die Abendausgaben für Berlin  und im Handel mit dem Titel Der Abend", Illustrierte Beilagen Bolt und Zeit" und Kinderfreund". Ferner Frauenstimme". Technik"," Blid in die Büchermelt"," Jugend- Borwärts" und Stadtbeilage".

Vorwärts

Berliner   Boltsblatt

Freitag 15. August 1930

Groß- Berlin 10 Pf. Auswärts 15 Pf.

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Bentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands  

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Kabinettskonflikt um Finnland  .

Schieles Rücktrittsdrohung- neue stürmische Proteste gegen die Kündigung.

Die geftrige Sihung des Reichskabinetts, in der die Kündigung des deutsch  - finnischen Handelsvertrages diskutiert wurde, ist er­gebnislos abgebrochen worden. Die Gegensätze innerhalb der Reichsregierung haben sich so zugespitzt, daß Schiele seine Rüd­frittsdrohung ausgesprochen hat. Heute will das Reichskabinett zu einer klärung und zu einem definitiven Entschluß kommen.

Es sieht fast so aus, als ob Schieles Katastrophenpolitik im Reichskabinett Erfolg haben sollte. Neben Schiele sollen der Reichs­fanzer Brüning und die Minister Groener, Dietrich und Treviranus  , denen sich noch Bredt und Schätzel vielleicht anschließen, für die Kündigung sein. Offen gegen die Kündigung find Stegerwald, Wirth und Staatssekretär Trendelenburg, der den Reichswirtschaftsminister vertritt. Unflar ist noch die Stellung von Curtius und Guérard. Nach dieser Lage scheint das Reichskabinett in seiner Mehrheit die Linie des geringeren innerpolitischen Widerstandes der wirtschafts- und handelspolitischen Vernunft vorzuziehen. Zu der in der gegen wärtigen Lage selbstverständlichen Konsequenz, Schiele und dem Landbund nahe zulegen, daß man sich mit der Butterzollerhöhung um 27,50 auf 50 Mark bescheiden muß, fehlt offenbar der Mut. Man entrüstet sich in Wahlreden über Interessentenhaufen, in der Pragis aber unterwirft man sich ihnen.

Die Petitions   stürme der Industrie an das Reichskabinett haben sich in den letzten Tagen noch verschärft. Der Verein deutscher Maschinenbauanstalten weist darauf hin, daß zur Durchführung der Schieleschen Käseforderung, um derent willen mit Finnland   gebrochen werden soll, auch die Handelsverträge mit Holland  , Frankreich  , Dänemark   und der Schweiz   gefündigt werden müssen. Die dadurch unvermeidliche Erschwerung der deut­ schen   Ausfuhr müsse durch die weiter steigende Arbeitslosigkeit auch eine fatastrophale Entwicklung der deutschen   innerpolitischen Ber­hältnisse zur Folge haben. Auch die Schwerindustrie läßt durch den Zweckverband der Industrie und Handelskammern des Ruhrgebiets bei der Reichsregierung Sturm laufen.

Reichskanzler Brüning   hätte jetzt seine staatsmännischen Eigenschaften zu beweisen. Er hat den jezigen Ausnahmezustand

herbeigeführt und muß sich zur Bewältigung der mit ihm ver­bundenen Schwierigkeiten fähig zeigen. Da die Kündigung des Finnlandvertrages für die von Schiele angeblich verfolgte Käse zollerhöhung ohne die Kündigung von fünf weiteren für Deutsch  lands lebenswichtigen Handelsverträge nichts nügt, handelt es sich bei Schieles Hartnädigteit nur um ein Wahlmanöver. Herr Schiele braucht für seinen Landbund einen sichtbaren handelspolitischen Er­folg, um Hugenbergs Agitation abwehren zu fönnen. Die Frage die wichtigsten deutschen   Wirtschaftsinteressen opfern will. lautet, ob der Reichskanzler Brüning   diesem Wahlmanöver Schieles

Die Kölnische Zeitung  " bemerkt zur Kündigung: Man stelle sich einmal vor, daß um des Käses halber der andelsvertrag mit Frankreich  , zweifelsohne das beste Stück der nachkriegs­zeitlichen Handelspolitik, gekündigt werden soll", und sie bemerkt zum Konflikt: ,, Ueber die wahlpolitische Einmütigkeit der das zum Konflikt: Ueber die wahlpolitische Einmütigkeit der das Kabinett Brüning tragenden politischen Parteien geht die Erhaltung des europäischen   Handelsfriedens und der deutschen   Bolkswohlfahrt, die durch den ersten Umstand sehr stark bedingt ist."

Der neueste Dreh.

Zu den Kabinettsbesprechungen über den finnischen   Handels­vertrag erfährt die Telegraphen- Union ergänzend: Da die Meinungs­verschiedenheiten zwischen Ernährungsministerium und Wirtschafts­ministerium über die Kündigung des Vertrages fiar zutage getreten sind, werden die neuen Beratungen am Freitag durch den Wirtschaftsausschuß der Reichsregierung be= fonders Dorbereitet werden. In dem Wirtschaftsausschuß find das Ernährungsministerium, das. Wirtschaftsministerium, das Arbeitsministerium, das Finanzministerium ung das Außen­ministerium durch ihre Sachreferenten vertreten. Man hofft in. Kreisen der Regierung, die kernfrage des Finnlandvertrages, die Bollautonomie auf dem Gebiet der Molkereierzeugnisse, durch einen 3ufagvertrag zum geltenden Handelsvertrag lösen zu können, ohne daß deshalb zur Kündigung des Gesamt vertrages geschritten werden müßte.

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Schluß mit dem Raufboldtum!

Sollen die Prügelhelden in Deutschland   herrschen? In Deutschland   tommt an einem einzigen Tage folgendes vor:

Dolgesheim  ( Rheinhessen  ): Sechs Heuschober eines Repu­blikaners von Nationalsozialisten in Brand gestedt. Nachdem 3wei Täter verhaftet sind: Anwesen des Reichsbannermitgliedes Frant um 3 Uhr nachts aus Rache" von den Nationalsozialisten gestürmt und geplündert. Frank muß unter polizeilichem Schuh sein eigenes Heim verlaffen und nach Worms   übersiedeln.

3wischen Mainz   und Wiesbaden  : Nationalsozialisten, die von mißglückter Versammlungssprengung im Lastauto heim­tehren ,,, verhaften" auf der Landstraße ein paar gänzlich unbeteiligte Mufitanten, schlagen sie halbtot, verschleppen fie auf den Castautos in ihr Wiesbadener   Parteilokal, wo die Berhafteten" Spießruten laufen müssen, und bringen sie schließlich unter erlogenen Anschuldi­gungen in polizeilichen Gewahrsam.( Bergleiche gestrigen Abend".) Nürnberg  : Versammlungsschlacht zwischen Nationalsozia­listen und Kommunisten in fommunistischer Bersammlung. 70 Ber­lehte, darunter 3 Schwerverletzte.

Lüneburg  :

Bersammlungsschlacht zwischen

National­

sozialisten und kommunisten in nationalsozialistischer Versammlung.

Zahlreiche Verletzte.

Hamburg  : Zwei Reichsbannerleute von nationalsozialistischer Uebermacht angefallen, einer mit dem Meffer gestochen.

50 National­

Langwoltersdorf, Kreis Landeshut  : fozialisten verfolgen einen einzelnen politischen Gegner, stürmen das Haus, in das dieser flüchtet, schlagen ihn nieder, demolieren das Treppengeländer, mißhandeln die Hausbewohner.

Das ist stichwortartig- ohne jede Gewähr der Voll­ständigkeit- eine Tagesliste nationalsoziali. it is cher Ausschreitungen. So handelt alle Tage die Partei, deren Führer Hitler   in Schweidnig als Zeuge aus sagte: den Nationalsozialisten seien, Angriffe auf Gegner streng verboten, alle ihre Bluttaten hätten sie nur in Ab Eidlich be mehr gegnerischer Angriffe begangen. schworene Aussage des Herrn Hitler  . Abwehr gegen Heuschober! Abwehr gegen eine schlafende Familie! Abwehr der fünfzig gegen einen!

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Lettow- Vorbeck Lettow Vorbecf gegen Geecft. preffe ist darüber erregt. Go schreibt die Kreuzzeitung  ": vor Moabiter Gerichten zwei Brozesse

Adlige Generale als Bolfs"-Kandidaten.

Reichslandbund vollständig mißlungen ist. Die Landbund­So Die Befürchtungen, daß das rote Preußen und die Preußenfasse einen sehr starken Einfluß auf die Regelung der Osthilfe gewinnen würde, haben sich leider erfüllt. Bei den Unterkommissaren sind neben einem Demokraten vier Sozialisten vertreten. Jener Demokrat ist überdies noch, wie bedauerlicherweise vorauszusehen war, Herr Rönne burg, dessen Tätigkeit als Ostpreußenkommissar genügend bekannt ist und der sich mit den andern sozialdemokratischen Beauftragten nicht scheuen wird, seine gegen den Groß grundbesitz gerichtete Einstellung sich auswirken zu laffen."

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gegen

Währenddessen spielen sich auch an diesem Tage Nationalsozialisten ab. In einem Saal geht der Röntgentalprozeß zu Ende. Ein Mann getötet, drei verwundet, vier von Schüssen gestreift Magdeburg, 14. Auguſt. alle von Schüssen verwundet, vier von Schüssen gestreift Betroffene sind Gegner der Nationalsozialisten oder Un­beteiligte. Aber gleichwohl waren die armen Nazis die Angegriffenen! Sie haben sich zwar Verstärkung von Berlin  geholt und sind mit dieser vor das Reichsbannerlofal gezogen. Aber sie sind dort nur stehengeblieben weil sie den Weg nicht weiter wußten! Und dann sind die Reichsbannerleute herausgestürmt, haben Pistolen gezogen und haben sich selber erschossen! Aus lauter Gemeinheit. Dies die

Die Spitzenkandidatur der Konservativen Bolts partei im Wahlkreis Magdeburg- Anhalt hat der General Don Lettom Borbed übernommen. An zweiter Stelle fandi diert der bisherige Reichstagsabgeordnete Dr. Joseph Reichert

Berlin  .

Für die Volkspartei kandidiert in dem gleichen Wahlkreis der

General von Seedt. Es tann also recht amüsant werden, wenn die beiden Generale als Vertreter von zwei ,, Bolksparteien" im Wahlkampf aufeinanderstoßen.

Reichslandbund in Mengsten.

Die Ositommiffare' mißfallen ihm sehr. Zwischen dem Reiche und Preußen sind folgende Bestimmungen über Zusammensetzung und 3uständigkeit der Ost stelle

vereinbart worden:

Der Reichstanzler überträgt seine Kompetenz für die Durchführung der Osthilfe auf den Reichskommissar Trevi­ ranus  . Als dessen Vertreter fungieren der Ministerialdirektor Wachsmann vom Reichsernährungsministerium und der bis: herige Staatskommissar für die Ostpreußenhilfe, Rönneburg  , der als Ministerialdirigent in das Reich übernommen wird.

Von der preußischen Seite fungiert Wohlfahrtsminister Dr. Hirtsiefer   als Reichstommissar; seine Bertreter sind Staatssekretär im preußischen Landwirtschaftsministerium, Dr. Krüger und Dr. Laufer von der Preußenkasse. Kommt es zwischen Reich und Preußen zu Streitigkeiten, so entscheidet der Reichskanzler im Benehmen mit dem preußischen Ministerpräsidenten. Zur Durchführung der Osthilfe, ins­besondere auch des Bollstreckungsschutzes, wird für jede Provinz eine Sandstelle gebildet. Als Leiter der Landstellen sind vor­geschlagen: für Ostpreußen   Ministerialrat Musseh1; für Pommern  der frühere Reichstagsabgeordnete v. Dewig; für Grenzmart und Brandenburg Ministerialrat Frankenbach; für Niederschlesien  Regierungsvizepräsident Schwendy; für Oberschlesien   Ober­präsident Lukaschet bzw. Dr. Tiedtmann.

Die Regelung der Personalfragen läßt erkennen, daß die Absicht der Ausschaltung der preußischen Verwaltung dem

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Notwehr bei Versammlungstumulten. glaubwürdige Darstellung der Angeklagten und ihrer

Die Auffassung des Reichsgerichts.

Leipzig  , 14. Auguſt.

Auf einer Parteiversammlung der Deutschnationalen   in Grün fließ war es zu Zusammenstößen gekommen. Als in der Aussprache der deutschnationale Redner Hoppe das Wort ergriff, machten nationalsozialistische Versammuungsteilnehmer erregte 3wischenrufe. Der Fleischermeister Konrad Eggert, der der Ber­sammlung beiwohnte, mahnte zur Ruhe und geriet dadurch in einen Wortwechsel mit Nationalsozialisten. Als schließlich der Gea meindevorsteher Daniel Gunia und sein Sohn Otto auf Eggert eindrangen, Daniel sogar mit einem Stock, zog Eggert ein Messer hervor und brachte den beiden Gunias Stiche bei.

Eggert wurde vom Schwurgericht wegen gefährlicher Körper. verlegung zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. Die Strafe wurde von der großen Straffammer des Landgerichts Allen flein   auf fünf Monate herabgefeßt. Die Straftammer gab dabei zu, daß sich Eggert von den nationalsozialistischen Angreifern bedroht gefühlt habe. Eggert habe aber die Notwehr überschritten und er habe zudem die Möglichkeit gehabt, sich vor den Angreifern zurückzuziehen, jedoch von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht.

Gegen das Urteil der Strafkammer legte Eggert Revision ein. In der Verhandlung, die am 13. August vor dem Ferienjenat des Reichsgerichts stattfand, beantragte der Reichsanwalt Aufhebung des vorinstanzlichen Urteils und Zurüdverweisung. Die Borinstanz habe den Begriff der Notwehr verkannt. Das Maß der Verteidigung gegen einen Angriff bestimme sich nach der Hart. nädigkeit des Angriffs. Grundfäßlich brauche der Angegriffene nicht durch Rückzug einem Angriff auszuweichen. Der Senat schloß sich in Ergebnis und Begründung der Auffassung des Reichsanwalts an.

Verteidigung.

Plötzlich Sensation: Im Saal erscheint Herr Goeb bels, gegen den nicht weit davon verhandelt wird, und seine Anhänger bereiten ihm eine stürmische Ovation Herr Goebbels   hat zwar im Röntgentalprozeß nichts zit suchen, aber er benutzt eine Pause seines eigenen Prozesses zu einem kleinen Demonstrationsspaziergang im Gerichtss gebäude. Im Gerichtsverfassungsgesetz gibt es einen gewissen Paragraphen 177:

Die Aufrechterhaltung der Ordnung in der Sigung liegt den Vorsitzenden ob.

Es scheint, daß dieser Paragraph sowie der folgende, der dem Vorsitzenden eine weitgehende Strafbefugnis zur Aufrechterhaltung der Ordnung gibt, bei Verhandlungen gegen Nationalsozialisten außer Kraft gesetzt sind.

Vom Spaziergang Goebbels   zum Prozeß Goeba bels: Der im Weltkrieg dienstuntaugliche Held ist zum zweiten Male in zwei Tagen mit Gloria freigesprochen worden. Mit Gloria? Viel Heldenruhm schaut trotz der lärmenden Kundgebungen seiner Anhänger dabei nicht her­aus. Herr Goebbels   hat die Methode seiner ,, fleinen Leute" im Röntgentalprozeß sich zu eigen gemacht: Er hat vom Rechte des Angeklagten, die Tat zu leugnen, ausgiebigen Gebrauch gemacht.

In Hannover   haben ihn vier nationalsozialistische Parteiangehörige herausgeschworen; klassische" Zeugen, Stück für Stüd ebenso einwandfrei und glaubwürdig wie- sagen wir die 3eißer Schwurzeugen gegen Cuvelier. 3u Wilhelms Zeiten schwur ein Schuhmann 20. Zivilisten

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