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Nr. 383 47. Jahrgang

1. Beilage des Vorwärts 17. Auguß 1930

Sonntag,

NEUE POTSDAM

UM

Es herbstelt so langsam auch in Potsdam . Scharf weht der Wind von der Havel her in die Stadt und fegt die Straßen rein von den ersten bunten dürren Blättern, die sich heute schon aufs Pflaster gelegt haben, wo sie doch noch einen ganzen Monat Zeit dazu hätten. Die Prozessionen nach Sanssouci werden schwach und schwächer, denn Regen macht naß, auch im Park von Sanssouci . Selbst die Hakenkreuzler, die sich gegenüber dem Stadtschloß einen Keller gemietet haben und den Wanderer am Eingang zur Stadt mit den Schlagzeilen der Hitlerpresse begrüßen, frösteln. Damit auch jeder in den tieten, dunklen Keller einmal hineinsieht, haben sie auf den Kellerhals eine große rote Fahne gesteckt mit schwarzem Hakenkreuz auf weißem Grunde.

Bon der Militär zur Wohnstadt.

Der Auswärtige, der Botsdam besucht, hat nicht nur den Ein­druck, sondern auch das Bemußtsein, in ein Museum zu gehen. In dos große Museum für den Baustil des Absolutismus . In die Teltomer Borstadt geht fein Fremder, die sieht genau so armselig aus wie die Straße von Lichtenberg nach Friedrichsfelde , zum Ber mechseln ähnlich. Jahrunderte lang haben Könige und Kurfürsten an Botsdam gebaut, der eine dieses Schloß, der andere jenen Garten, und jeder ein paar Kasernen dazu. Alles für die Emigkeit berechnet. Meil nun dieses Museum gleichzeitig eine lebendige Stadt ist, die fich rührt, um zu bestehen, mußte schließlich die Stadt von 1930 den au eng gemordenen Rahmen von 1730 sprengen. Bor ungefähr zehn Sobren begann es. Mit 60 000 Einwohnern fam Potsdam aus dem Strieg. Und mit dem Berlust seines Ranges als erste Residenz- und Militärstadt der Monarchie. Beinahe eine ausgediente Stadt Doch der breite Schienenstrang non Berlin nach Potsdam erwies fich als die blutspendende Rabelschnur: seit zehn Jahren rollen Jahr für Jahr 1500 Menschen von Berlin nach Potsdam , die nicht mehr in die Reichshauptstadt zurüdfehren, sondern Botsdamer werden. So find dus den 60 000 Einwohnern vom Kriegsende heute 73 000 geworden Es mären noch mehr, aber der Wanderungsüberschuß nuß nebenbei noch den Geburtenunterschuß Alt- Potsdams. wettmachen. Das stimmt alles mit einer Einschränkung. Halb Botsdam verdient sich sein Brot in Berlin , jeden Morgen fahren 10 000 Ernährer über die Havel zu dem Millionenachbar und jeden Abend wieder nach Potsdam . In Berlin wird gearbeitet, in Potsdam gewohnt. Aus der überflüffig gewordenen Militärstadt wurde die Wohnstadt. Potsda sollte der elektrischen Schnellbahn ein Denkmal setzen. Man fonnte den Zuftrom, der bei Potsdam übrigens ein ermünschter ist, nicht gut in die Kasernen steden oder in die alten Schlösser. Dazu hätten die Seute ja nicht nach Potsdam tommen brauchen. Man mußte affo bauen. Und da ermies sich das alte Potsdam, die schöne Stadt zwischen Wäldern und Seen, als zu eng. Wo nicht die Havel halt gebot, tat es der Fistus, Wildpart, Sanssouci und Bornstedter Feld find tabu. So zog Potsdam einfach in den Wald.

Der wartende Wald.

So werden in Kalifornien Städte geschaffen: der Expreß rast burch das wartende Land und allein auf weiter Fiur steht die Holz­bude des Grundstüdsmatlers. Erst der Verkehr, die Leute werden jhon fommen. Botsdam macht das ebenso. Zuerst wurde die alte, enge Leipziger Straße entthront und in den Brauhausberg zwischen Reichsarchiv und Observatorium eine breite Furche geschlagen. Daraus ist eine funkelnagelneue Chauffee nach Leipzig entstanden. Und die 90 000 Kubikmeter Sand, die der Brau hausberg hergab, trug man in den Wald und machte daraus einen Bahndamm für die Straßenbahn, die heute bis zum Schüßenhaus fährt, später einmal bis Caputh . Damit mir uns recht verstehen: mer das alte Potsdamer Schüßenhaus vor dem Brauhausberg sucht, wird nur einen Fleden hochgeschossenen Infrauts finden und unter den Kastanien, die hinter dem Zoun stehen, fizen feine Bürger mehr, die zechen und keine Baare mehr, die sich lieben. Nur an einer Kastanie steht noch geschrieben, daß die Bockwurst mit Salat 50 Pfennige gekostet hat. Das neue Schüßenhaus hat man mitleids : los einige Kilometer meiter in den Wald getragen. Die neue Chauffee überspannt gleich hinter den Neubauhäusern, wo dieser Tage die ver. heirateten Interoffiziere der Reichswehr einziehen werden, eine Brüde, damit die Bewohner der linken Hälfte des Brauhausberges fich nicht erst in den Berkehrsstrudel nach Leipzig stürzen müssen, menn sie auf die rechte Hälfte des Berges wollen. An dieser Brüde fteht mit großen blauen Buchstaben geschrieben:

Der Bau dieser Brüde eröffnete im Jahre 1928 die Erschließung des Stadtteils Wald- Potsdam. Das ist das Tor zu Bald- Batsdam. Jn 25 Jahren foll die neue Stadt aufgebaut sein, heute ift fie ein wunderschöner, 700 Morgen großer Mischmald, an deffen Rande der Templiner See pläfichert, Es find Stimmen fout gemorden, daß mit diesem Siedlungsprojekt mieder eine Erholungsstätte für die Großstadtmenschen fällt, das muß und will man vermeiden. Bon der Regierung ist längs des

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| Templiner Sees ein dreihundert Meter tiefer Streifen gezogen worden, wo feiner einen Zaun ziehen und feiner ein Haus bauen darf. Wer das will, der muß sich eine Waldparzelle faufen, zu der er viel Geld braucht. Die Potsdamer Herren geben ihre Meinung über die hohen Bodenpreise etma folgendermaßen wieder: ,, Nehmen Sie die Straßenbauten, die Bahnlinie nach Caputh , Gas, Wasser, Licht, alles, was wir in das Gelände hineingestedt haben, den Ulfer streifen, den mir bezahlen mußten, aber nicht verkaufen dürfen, dann teden 6 Mark für den Quadratmeter immerhin doch vaureifen Ge­ländes unsere Unkosten nicht. Und wenn für eine Parzelle 20 Mark pro Meter gefordert werden, dann handelt es sich hierbei um ein

einziges Grundſtüd." 9d 90s on

Die Siedlung mit dem Stundenplan.

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Ber pon den Neu- Potsdamern teine Beziehungen 31 Groß­banten unterhält, ist an die Nuthemiesen gezogen. Das sind die Straßen nach Saarmund und nach Rehbrüde, vorbei an den Potsdamer Friedhöfen, dem kleinen Exerzierplah, mo demnächst Botsdams Straßenbahnhof hintammen wird, dann taucht rechts der Wald auf und links die Wiesen, ganz drüben liegt Nomames und zwischen Wiese und Wold schiebt sich als erste die Siedlung des camten Wirtschafts- Bereins. Ganz in Grünflächen gebettet, aus denen jetzt die gelben Sonnenblumen mit ihren reifen, schmarzen Kernen herauslugen. Die Häuser alle hody gelegen, damit der Nebel von den Wiesen unten bleiben muß. Dann tommt eine Holztafel mit einer Tobelle. Aus der fein Fremder schlau, wird. Aber für den, der Mitglied des Gemeinnüßigen Klein- Siedlungs­Vereins ,, Eigenheim" ist, für den ist die Tabelle fast sein Gemissen. Das heißt nun da: Parzelle 63= 112 Stunden oder Par zelle 276= 201 Stunden", jeder Genossenschafter von 1 bis 280 öffentlich angeführt. 280 Grundstücke zu je einem halben Morgen hat diese Siedlung des Bodenreformers Damaschte und alles, mas zu machen.ift, das machen fich die Genoffenschafter allein. So hat jeder an Pflichtftunden für Wegearbeiten abzuarbeiten: 1926 42 Stunden, 1927= 68 Stunden, 1928= 70 Stunden und 1929 20 Stunden. Die Tabelle gibt für jeden einzelnen die Aufrechnung,

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also Nr. 276 mor fleißig, aber Nr. 63 hat auf der Bärenhaut gelegen und Allotria getrieben. Nur hat der Fleiß der anderen nicht viel genutzt, megen jeenartiger Ermeiterung war von einem Zeil der Straßen nichts mehr zu sehen. Wir fragten noch einen Pfahlbauern, ob denn das Siedeln nun billiger wäre als die Mietknechtschaft heim Hauspascha, nein, auch nicht, meinte er. Allerdings hat er die Aus­sicht, mehrere Zentner Kürbis zu ernten.

Gegenüber von der Damaschke- Siedlung steht ein gelb getünchter, leise mit jungem Efeu bewachsener Häuserblock zwischen Tannen und Eichen. Ohne Hinterhaus und ohne Hof, der Hof, das sind die filo­meterweiten Muthewiesen, wo ganz hinten eine Windmühle ihre Flügel dreht. Wenn die Frauen Wäsche aufhängen wollen, dam ziehen sie die Leine zwischen zwei Tannen. Schade, daß dieser Blod nur 112 Wohnungen hat, anderthalb bis drei Zimmer groß, aus der Hauszinssteuer und mit Mitverbilligungsgeldern gebaut, mollen mir uns erst hinsehen und festhalten: 28 bis 42 Mart beträgt die Monats. miete. Allerdings muß der Arzt den Zuspruch für eine solche Woh­rung befürworten, nur Krante, vornehmlich Lungenfrante wohner in diesem Block.

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So mußte fich Botsdam helfen, indem es seine südöstliche Grenzein den Kreis 3auch Belzig hineinsprengte. Denn der fistalische Gürtel rings um Potsdam , der Wildpark, Sons: souci und Bornstedt sitzt eisern. Bis an die Stadtgrenzen ist jeder Siedlungsraum ausgenußt, die Siedlungen Sonnenthal und Stein­haus stoßen schon an die staatlichen Barts, bleibt immer das Born­stedter Feld, jener große historische Exerzierplatz, auf dem, mie man uns erzählte, überdies gar feine größeren llehungen mehr abge= halten werden. Aber die Militärbehörde hält schützend ihre Hand über Bornstedt , und die Stadtverwaltung auf der anderen Seite wird alles unterlassen, um die Reichsmehr zu vergraufen. Als wir ar­tippten megen Bornstedt, mo auf dem ganzen Riesenfeld nur die paar Bulverschuppen stehen, meiter nichts, jagte man: ,, Na ja, aber mer foll denn da rausziehen, da ist doch tein Verkehr." Nun, die Berliner wären froh, wenn sie jeden Morgen nur den Kazensprung vom Bornstedter Feld zum Bahnhof zu laufen hätten.

Die Wetterkatastrophe

Auch in Berlin teilweise Sturm- und Regenschäden

fortgeschwemmt, die Gemüseernte vollständig vernichtet. 3p die Ofte wurden gewaltige Waffermengen durch den Sturm hineinge­drängt. Bei Gräpel, nördlich Bremervörde , flaute fich das Wasser mit dem aus dem Moore abfließenden Regenwasser und überflutete die Deiche. Ueber 1000 morgen Wiesen und Weide. land murden überflutet nur mit großer Mühe gelang es, das Vieh auf den Weiden vor dem ganz plötzlich auftretenden Wasser zu retten. Das Bich der Ofteweide mußte eingestallt merden.

Noch schlimmer lauten die Nachrichten aus dem Alten Lande, das vor einem Notjahr steht. Die Stürme haben das Obst von den Bäumen geschlagen. Zentnermeile liegen die frühen Apfelsorten am Boden. Pflaumen und 3metschen sind infolge des Regens bis auf den Kern aufgesprungen. Da der Hamburger Markt bereits in den letzten Tagen sehr träge lag, ist er für die großen Mengen ichnell verderblicher Ware nicht aufnahmefähig.

Das für den Sommermonat Auguft fo ungewöhnlich schlechte Wetter, das zur Zeit den ganzen Kontinent beherrscht und überall zu schweren Schäden geführt hat, dauert mit unverändertem Cha­rafter weiter an. Es sind bisher auch kaum Anzeichen dafür vor­handen, daß in den nächsten Tagen mit einer mefentlichen Beffe­rung zu rechnen ist. Zu dem ffarten Regen gefellte sich am Sonn­abendnachmittag noch ein orfanartiger Sturm, der in Berlin und den Bororten stellenweise erheblichen Schaden angerichtet hat. In Spandau und in Lichterfelde wurden mehrere starte Bäume durch den Sturm entwurzelt. Besonders die Partanlagen zeugten von der Gewalt des Sturmes, der Erdboden war mit ab­gebrochenen Zweigen und Westen dicht übersät. In einigen Fällen wurden Radioantennen und Reklamejchilder ein Opfer des Sturmes. Auch der anhaltend heftige Regen, der sich wiederholt zum Wolfenbruch steigerte, hat wieder in mehreren fiefgelegenen Stadt. teilen zu leberschwemmungen geführt. Sehr schlimme Folgen hat dieser Dauerregen abermals für die große Wohn­laubenkolonie in der Teichstraße am Schäferfee in Reiniden­dorf gehabt. Die ganze Kolonie stand, wie an dieser Stelle mehrfach berichtet, mochenlang unter Wasser, und die Bewohner haben erheb- hose angerichtet, die 2 Kilometer südlich von Apenrade an der liche wirtschaftliche Verluste erlitten.

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Das Unwetter über der Unterelbe.

Stade , 16. August In den Kreisen Altes Land , Stade und ehdingen ist 48 Stunden lang fast ununterbrochen Regen nieder. gegangen. Die Wetterbeobachtungsffation in Stade hat in den letzten zwei Tagen 138,1 millimeter Niederschläge gemessen, eine Menge, die felbft dem besten Wasserabzugssystem spoltet. Dazu tommt der gemaltige Sturm, der am Freitagabend aus Süd weft und in der letzten Nacht aus Nordwesten toble. Das Baffer der Elbe ging bei Brunshausen über die Sommerdeiche hinweg. Alles Korn, das in Hoden auf dem Felde stand, wurde

Die Nebenflüsse der Elbe , die Schwinge, Lühe und Este find start angeschwollen und man ermartet in der fommenden Woche noch größeres Hochwasser aus den Hinterlande.

Bindhose über der Umgebung von Apenrade . Großer Schaden wurde gestern nachmittag durch eine Mind­Chauffee nach Flensburg entstand und dann nach Südosten zog. Der Wirbelmind tnidte starte Bäume, andere murden entwurzelt, viele völlig entlaubt. Die auf den Feldern stehenden Kornhocken murden über die Koppeln getrieben, zahlreiche Fenster eingedrückt. Schneefall im Riesengebirge .

Im Riefengebirge ift feit einigen Tagen ein sehr ffarter Tempe. raturfturz eingetreten. In der Nacht zum Sonnabend jant das Thermometer auf der Schneetoppe auf 0 Grad Die Niederschläge vermandelfen fich zeifmeise in Schnee und Graupeln. Dabei herrscht im Gebirge noch ein ffarter Sturm, so daß das Wetter im ganzen sehr unfreundlich ist. Ein großer Teil der Fremden hat das Gebirge megen der ungünstigen Witterung ver­laffen.

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