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Die Notverordnung gegen Kranke

Die verhängnisvollen Auswirkungen der neuen Versicherungsbestimmungen

Bon Helmut Lehmann, Vorsitzender des Hauptverbandes deutscher Kranfenfaffen

Die auf Grund des Artikel 48 der Reichsverfassung erzwungenen Aenderungen in der Krankenversicherung   spielen im Wahlkampf eine erhebliche Rolle. Die Sozialdemokratie hat diese Sparmaß­nahmen bekämpft, nicht weil, sondern wie gespart werden foll. Sie befämpft die unsozialen Folgen dieser Sparmaßnahmen, die sich als Beschränkung der Krantenfürsorge und als Gefährdung der Gesundheitsfürsorge auswirken. Die sozial bedauerlichste Einschränkung liegt in der verschärften Heranziehung der Versicherten zu den Kosten der Krantenpflege.

In den Notzeiten der Jahre 1923/24 war bereits unter dem Reichs­arbeitsminister Dr. Brauns vom Zentrum diese Kostenbeteiligung eingeführt worden. Die Versicherten mußten 10 Proz. der Arznei foften tragen; außerdem waren die Kassen berechtigt, eine Kranten­scheingebühr von 10 Pf. zu erheben. Die Notverordnung bringt jezt die Verpflichtung für die Versicherten, Arznei und Heilmittel selbst zu zahlen, wenn sie nicht mehr als 50 Pf. tosten. Ist der Preis höher, so hat der Versicherte einen Beitrag von 50 Pf. zu zahlen. Werden auf einem Rezept mehrere Mittel verordnet, so hat der Versicherte insgesamt nur 50 Pf. zu zahlen. Außerdem legt aber die Notverordnung dem Bersicherten die Verpflichtung auf, für die Inanspruchnahme ärztlicher( auch zahn ärztlicher) Behandlung einen Krantenschein zu lösen, der mit einer Gebühr von 50 Pf. belastet ist. Es steht also nicht mehr wie bisher im Belieben der Krankenkasse, ob sie diese Gebühr erheben

will.

Die Sagung fann aber die Gebühr für Versicherte mit einem Grundlohn von nicht mehr als 4 M. bis auf die Hälfte ermäßigen. Da die Erhebung der Krankenscheingebühr aber erheb liche Verwaltungsschwierigkeiten macht, wollen die meisten Raffen es zunächst bei einer einheitlichen Gebühr von 50 Pf. belassen. Die Sagung fann ferner bei gleichzeitiger und gleichartiger Erkrankung mehrerer Familienmitglieder die Gebühr für den ein­zelnen Krantenschein auf 25 Pf. ermäßigen. Wichtig ist vor allem, daß die

Krantenicheingebühr nur einmal zu entrichten ift, solange die Notwendigkeit der Heilbehandlung fortbesteht.

Die Behandlungsscheine der Krankenkassen haben aus verwal­tungstechnischen Gründen nur eine beschränkte Gültigkeitsdauer. In Berlin   z. B. beträgt die Gültigkeitsdauer einen Monat. Besteht die Notwendigkeit der Heilbehandlung wegen des gleichen Leidens auch nach Ablauf dieser Zeit, so, erhält der Erkrankte einen neuen Be­handlungsschein gegen eine entsprechende Bescheinigung des behan delnden Arztes, ohne die Gebühr entrichten zu müssen.

Besteht nun die Gefahr, daß durch die Verweigerung eines Krantenjcheines, wenn die Gebühr nicht bezahlt wird, ein Kranter ohne ärztliche Behandlung bleibt?

Die Pflichtleistung gilt bis zur Dauer von 13 Wochen. Die Satzung fann die Dauer bis auf 26 Wochen erweitern und die Leistung auch auf sonstige Angehörige erstrecken( z. B. Eltern, Enfel), die mit dem Versicherten in häuslicher Ge meinschaft leben und von ihm ganz oder überwiegend unter­halten werden. Für Kinder kann außerdem eine Altersgrenze eingeführt werden.

Die Rechtslage ist hier insofern anders, als für Angehörige grundsätzlich der Gesamtbetrag der Arzneikosten an den Apo­theker zu zahlen ist. Das Mitglied fann sich den fagungsmäßigen Anteil von der Kasse wiedergeben lassen. Um diese Vorschrift für die Pragis brauchbar zu machen, ist zwischen den schon er­wähnten Spizenverbänden vereinbart worden. baz die Apotheker den von dem Versicherten zu tragenden Teil der Arzneitosten von diesem erheben.

Der Bersicherte zahlt an den Apotheker die Hälfte der Rezept­foften

oder, wenn die Satzung eine Erstattung von 70 Proz. vorsieht, zahlt er 30 Pro 3. Zahlt er nicht, so ist der Apotheker berech tigt, die Abgabe der Arznei zu verweigern, soweit ihm nicht die | Apotheken- Betriebsordnung das untersagt.

Eine weitere wesentliche Einschränkung der Rassenleistungen bringt die Notverordnung für diejenigen Kaffen, die bisher das Krantengeld als Mehrleistung höher als 50 Proz. des Grund­lohnes festgesetzt hatten. Das Krankengeld beträgt jetzt in allen Fällen 50 Proz. des Grundlohnes. Es kann aber durch die Satzung für Angehörige, die der Versicherte bisher ganz oder überwiegend unterhalten hat, und die mit ihm in häuslicher Gemein­schaft leben, durch Zufchläge erhöht werden. Der Zuschlag darf für den Ehegatten 10 Proz. und für jeden sonstigen Angehörigen für den Ehegatten 10 Proz. und für jeden sonstigen Angehörigen 5 Broz. des Grundlohnes, Krankengeld und

Zuschläge zusammen dürfen drei Viertel des Grundlehnes nicht übersteigen.

Es ist dringend zu wünschen, daß die Kaffen, die bisher in der Lage waren, mehr als 50 Proz. des Grundlohnes zu gewähren, von dieser Ermächtigung Gebrauch machen. Zum mindesten aber müßten die Kaffen von der weiteren Borschrift, daß das Krankengeld von der siebenten Woche der Arbeitsunfähigkeit an 60 Pro 3. des Grundlohnes betragen tann, Gebrauch machen.

Wichtig ist auch noch die Vorschrift, daß Krankengeld für einen Sonn- oder Feiertaç nicht gezahlt wird, wenn dieser Tag der lezte Tag der Arbeitsunfähigkeit ist Weiter ist von erheblicher Bedeutung, daß

für die ersten drei Tage der Arbeitsunfähigkeit Krankengeld nicht gezahlt wird.

Hierzu hat der Reichsarbeitsminister bestimmt, daß die Vorschrift zahlreiche Stassen hatten diese Wartetage abgefürzt oder ganz be­seitigt. Das ist jetzt nicht mehr zulässig.

über die Krankenscheingebühr

teine Borausfehung für die Gewährung der Krankenhilfe begründet. Wenn der Kranke die Gebühr aus zwingenden Gründen schuldig bleibt, so ist die Kasse allerdings der= pflichtet, diesen Beitrag nachträglich einzuziehen. In vielen Fällen wird die Kasse wahrscheinlich den Beitrag nicht erlangen fönnen.

Mit dem Gedanken der Borbeugung ist die Krankenschein­gebühr unvereinbar, denn die Inanspruchnahme des ärzt lichen Rates zu diesem Zwecke wird in vielen Fällen nicht erfolgen, um einen Krankheitszustand zu beheben. Sehr wichtig ist dieser Gesichtspunkt z. B. bei der 3 ahnpflege. Es ist zu befürchten, daß sehr viele Versicherte wegen der Krankenscheingebühr diesen Teil der Gesundheitsfürsorge vernachlässigen. Auch auf vielen anderen Gebieten ist die rechtzeitige Inanspruchnahme des Arztes nicht nur eine Pflicht des von Krankheit Betroffenen gegen sich selbst, fondern auch eine Pflicht gegen die Gesamtheit. Deswegen müffen Fonds gebildet werden, aus denen die Krankenschein­gebühr bezahlt wird,

wenn sonst gesundheitliche Gefahren entstehen. Im übrigen aber fönnen die Krankentassen Härten dadurch vermeiden, daß sie den Krankenschein auch ohne Bezahlung der Gebühr verabfolgen, wenn die Zahlung nach gewiffenhafter Prüfung im Augenblid und auch bei furzfristiger Stundung über die Kräfte des Versicherten hinausgeht.

Der Reichsarbeitsminister hat diese Ausnahme bereits für die Durchführung des Arzneikoſtenanteils als zulässig an­

erfannt.

Die Arzneitostenbeteiligung wirft noch härter, da dieser Kostenbeitrag bei jeder Verordnung zu zahlen ist. Der Apothefer wäre an sich berechtigt, die Abgabe der Arznei zu ver weigern, wenn der Kranke nicht zahlt. Die Apotheker haben fich aber mit Recht geweigert, die Verantwortung aus den daraus entstehenden Folgen zu übernehmen. Infolgedessen haben die Spitzenverbände der Apotheker und der Krankenkassen folgendes vereinbart: Ist der Beitrag von dem Versicherten nicht zu erlangen, so wird die Kasse den vollen Kostenbeitrag der Verordnung zahlen, wenn es sich um nachts ausgestellte Verordnungen handelt, oder wenn aus der Berordnung unzweideutig zu erkennen ist, daß die Nichtanwendung des verordneten Mittels das Leben des Kranken ernstlich bedroht, oder

wenn die Zahlung nach gewiffenhafter Prüfung durch den Apo­theter im Augenblid und auch nach furzfristiger Stundung über die Kräfte des Versicherten hinausgeht."

Judentum und Wahl.

Die Sozialdemokratie Schüßerin aller Geknechteten. Eine überfüllte Bersammlung des Reichsbundes jübi scher Frontsoldaten in den Spichernfälen beschäftigte sich mit den tommenden Reichstagswahlen.

Major Hauf als Sprecher der Staatspartei erklärte, daß feine Partei bereit sei, die Berfaffung gegen nationalsozialistische und diktatorische Einbrüche zu schüßen. Gerade durch die Verschmelzung der Demokraten mit der Jungdo- Jugend sei die Gewähr dafür gegeben. Der Redner stieß jedoch in seinen weiteren Ausführungen auf starten Widerspruch der Bersammlung. Rektor Kellermann versuchte, die Einstellung des Zentrums als Gegner des Antife­mitismus geschichtlich zu begründen. Seine Partei wäre durchaus nicht profatholisch, sie erhielte auch von Juden Stimmen(?). Beweis für die Toleranz des Zentrums sei, daß man Direktor Rareffi in Berlin   an 10. Stelle aufgestellt habe.

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Gegenüber diesen schwach wirksamen Argumenten umriß der Der Versicherte schuldet den Kostenbeitrag dann der Kaffe, die ihn sozialdemokratische Landtagsabgeordnete Ruttner mit lang­von dem Bersicherten ebenso einzieht wie die Krankenscheingebühr. anhaltendem Beifall begrüßt, die klare und eindeutige Stellung Etmas anders liegt die Sache bei den Arznelen, die für Fader Sozialdemokratie zu Kultur- und Raffenfragen. Die milienangehörige vom Raffenarzt verordnet werden Die Sozialdemokratie jei teine Judenschuttruppe, fondern ärztliche Behandlung ist für nicht selbstversicherte Ehegatten und fenne nur das eine Ziel, die Menschwerdung aller Getnechteten. Kinder Pflichtleistung geworden, doch ist auch hier die Die Person eines einfachen Arbeiters, der feine Pflicht tue, fei ihm Krantenscheingebühr zu entrichten. Von den Kosten lieber als ein jüdischer Unternehmer, der seinen sozialen Pflichten für Arznei und fleinere Seilmittel erstattet die Kaffe die nicht nachtomme. Hälfte. Die Sagung tann diese Erstattung bis auf 70 Broz Der Kosten erhöhen und die Gewährung von Kranten hauspflege, Don Hilfsmitteln( Krankenpflege- Artikel), Stär. Lungs und größeren Heilmitteln oder einen 3 ufchuß hierfür zu billigen.

Wenn die früheren Koalitionsparteien sich bereit finden, mit den Sozialdemokraten eine Regierungsbildung nach rechts zu verhindern, fo wären damit auch alle Attentate und Pläne eines Hugenberg und Hitler abgewehrt.

Es war durchaus überflüffig, daß seitens der Bundesleitung noch

Eine weitere Einschränkung der Leistungen besteht in der Bor schrift, daß der Anspruch auf Kranten- und Hausgeld ruht, wenn und soweit der Versicherte während der Krankheit Arbeitsent­gelt erhält. Zuschüsse des Arbeitgebers zum Krankengeld gelten jedoch nicht als Zahlung von Arbeitsentgelt Daher werden die Gewerkschaften in ihren Tarifverträgen die Vereinbarung über die Weiterzahlung von Lohn oder Lohnteilen dahin ändern müssen, daß

Zuschüsse zum Krankengeld"

zu gewähren sind. Wenn einem Versicherten Krankenhaus. behandlung gewährt wird, so ist für die Familie ein Haus. geld in Höhe des halben Krankengeldes zu zahlen; die Möglichkeit, das Hausgeld bis zum Betrage von 50 Broz. des Grund­Lohnes zu erhöhen, ist weggefallen. Die Sagung fann aber 3uschläge in Höhe von je 50 Broz. des Grundlohnes für Ver ficherte mit mehr als einem Angehörigen vorsehen. Für die Ehefrau darf also ein Zuschlag nicht gezahlt werden. Außer­dem darf der Gesamtbetrag das sagungsmäßige Krantengeld nicht übersteigen.

Die Verordnung bringt auch einige Verbesserungen der Leistungen Wir haben schon die Einführung der ärztlichen Behand lung für Angehörige als Pflichtleistung erwähnt. Witwe eines Versicherten kann sich bei der Kasse ihres Mannes weiterversichern. Die Weiterversicherten treten zu der Kasse Wer z. B. von Stuttgart   nach Berlin   ver­ihres Wohnortes über. zogen ist, und bisher Mitglied der Stuttgarter   Ortsfranfenfaffe war, wird jezt automatisch freiwilliges Mitglied der Berliner   Allgemeinen Ortsfrankenkasse.

Für die nichtversicherten und ausgesteuerten Kriegsbeschädigten gelten die gleichen Leistungen wie für die Kaffenmit­glieder. Arzneikostenbeteiligung und Krankenscheingebühr soll auch von ihnen erhoben werden. Das will der Reichsarbeitsminister noch anordnen.

Verschiedentlich sind die Vertreter der Versicherten in den Kassen­vorständen aufgefordert worden, zum Protest die Notverordnung, weil sie ungesetzlich sei, nicht durchzuführen. Eine solche Haltung würde nicht im Interesse der Versicherten liegen. Die Aufsichts­behörde kann den Vorstand durch 3 wangsstrafen in Geld an­halten, das Gefeß zu befolgen. Weigert er sich, so kann die Auf­sichtsbehörde an Stelle des Vorstandes für Rechnung der Kasse das Gesetz so durchführen, wie sie es für richtig hält. Die Vertreter der Bersicherten haben aber keine Veranlassung, den Behörden die Selbst­verwaltung auszuliefern. Aufgabe des neuen Reichstages wird es rielmehr sein, den Abbau der Krankenversicherung mieder rüd­gängig zu machen und der Selbstverwaltung die Pflicht auf. zuerlegen, ihr aber auch die Möglichkeit zu geben, die Mängel der Krantenverficherung, die insbesondere durch eine unzwedmäßige Gestaltung des faffenärztlichen Dienst es hervorgetreten find, zu beseitigen.

d/ l atle

Von New York  nach Berlin  gefunkt

Diese Aufnahme vom Empfang des franzöfifchen Fliegers Coftes in New York   wurde über London   nach Berlin   durch Radio übertragen

einem zweiten Rebner der Staatspartei, Rechtsanwalt Dr. Beil, das Wort gegeben wurde. Dieser Redner bemühte sich, feine Auf­ftellung als einziger jüdischer Kandidat in der Staatspartei als heroische Tat zu feiern, was die Versammlung zu schärfstem Wider­fpruch veranlaßte. Diese Wahlfundgebung hat jedenfalls flar auf­gezeigt, in welcher Bartei wahre Kameradschaftlichkeit und Treue zur Verfaffung lebt. Der Jüdische Frontkämpferbund wird in seiner überwiegenden Mehrheit der Liste 1 seine Stimme geben.

Finnland   und Ungarn  .

Glückwünsche der deutschen Sozialdemokratie.

Der Parteivorstand hat an die Sozialdemokratische Partei Finnlands   folgendes Telegramm gefandt:

Werte Genossen! Die deutsche Sozialdemokratie steht zur Zeit in einem Wahlkampf zur Sicherung ihrer demokratischen und sozialen Errungenschaften. Sie sendet den finnischen   Sozialdemokraten, die in ihrem Wahlkampf auf östlichem Borposten heldenmütig den frei. heitlichen Aufstieg der Arbeiterflaffe verteidigen, den Ausdruck ihrer brüderlichen Solidarität.

Der Sozialdemokratische Parteivorstand. Otto Wels  .

Der Sozialdemokratischen Partei Ungarns   wurde anläßlich der großen Demonftration telegraphiert:

Die Deutsche Sozialdemokratie beplüdwünscht die unga rische Bruderpartei zu ihrem grandiosen Aufmarsch, der beweist, daß die sozialistische Bewegung auch in Ungarn   unüber windlich ist.

Der Parteivorstand. Otto Wels  .