1930
Der Abend
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Nr. 428
B 213 47. Jahrgang
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Leibeigene des Fünfjahresplans
Sowjetbehörden zwingen Arbeiter zu Zwangsarbeits- Kontrakten
Nach Meldungen aus Moskau nimmt der Kampf gegen die Disziplinlosigkeit der Arbeiter in den Sowjelbetrieben immer schärfere Formen an. Die Behörden haben den Kampf in die Werke selbst verlegt und die Arbeiterausschüffe beauftragt, mit allen Mitteln gegen ungeeignete Arbeitskräfte vorzugehen. Auf einem großen Werk in Odessa sind 14 Arbeiter unter der Anklage der 3uchtlosigkeit" aus dem Betriebe entfernt und in den 2nflagezustand versetzt worden. In Kiew ist der Vorsitzende des Bezirksvollzugsausschusses wegen Unfähigkeit und Disziplinlosigkeit aus der Partei ausgeschlossen und von seinem Amt entfernt worden. Durch die Sowjetbehörden wird neuerlich, um der Arbeiterflucht enfgegenzuwirken, dafür Stimmung gemacht, daß die Arbeiter, insbesondere fommunistische Parteiangehörige, neue langfristige Arbeitsverträge abschließen. In einem großen Odessaer Wert und in der Ukraine ist es gelungen, die Arbeiter zur Uebernahme der Verpflichtung zu bewegen, bis 3 um Schluß der Durchführung des Fünfjahresplans auf ihrer jehigen Arbeitsstelle auszuharren. Diese Arbeiter haben sich zu„ Leibeigenen des Fünfjahresplanes" erflärt, was von der Moskauer Presse in großer Aufmachung gebracht wird.
Diese Arbeiterkontrakte, die dem Arbeiter seine Freizügigkeit nehmen, sind den folonialen 3wangsarbeitsverträgen nachgebildet, mit denen die fapitalistischen Kolonialausbeuter Hunderttausende und Millionen schußloser Eingeborener unter ihre Profitknute zwingen.
Das ,, Arbeiterparadies" ist auf die Stufe einer kapitalisti schen Ausbeuterkolonie gesunken.
Ehrenfalve für Rathenaumörder
Kameraden, wir meilen hier an den Gräbern unserer toten Kameraden Fischer und Kern. Sie waren echte deutsche Jungen. Sie haben Deutschland von jemandem befreit, der ein Schandfled war. Wir wissen, daß wir in Deutschland noch viel folche Schandflecke haben.
In der nicht gerade ruhmvollen Justizgeschichte der Republit hat| Agitators Friz Riedel. Riedel kommandierte Stillgestanden" der Naumburger Gerichtssprengel einen besonders und hielt folgende Ansprache: Wir erinnern an jenen Amtsrichter traurigen Ruf erworben. Beinert, der megen Beschimpfung Erzbergers und Rathenaus diszipliniert werden mußte, an den Freispruch des Halleschen Chefredakteurs Elze trotz schwerer Ministerbeleidigung, an die Haßurteile gegen den französischen Schwimmer Cuvelier, an die unglaubliche Milde gegen nationalsozialistische Rohlinge, deren einer für den eingeschlagenen Schädel eines Gegners zunächst einen Strafbefch über 20 Mark wegen ruheftörenden Lärms erhielt!
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Darauf wurde über den Gräbern von Fischer und Kern eine Ehrensalve abgegeben. Den Wortlaut der Ansprache hat der anwesende Kriminalsekretär 2o3e jofort notiert. Die Staatsanwaltschaft erhob Anklage auf Grund§ 5 3iffer 3 und 4 des Republitschuhgesetzes wegen Billigung des Mordes und Beschimpfung Bezt hat das Schofiengericht in Raumburg ein Urteil eines toten Ministers. Obwohl die Anklage von Oberstaatsanwalt er beantragte eine gefällt, das ähnlich wie der jüngst in Berlin erfolgte Freispruche ßler durchaus sachgemäß vertreten wurde Gefängnisstrafe von sieben Monaten kam das Schöffengericht Naumburg unter Vorsitz des Landgerichtsrats Dr. Albrecht zu einem glatten Freispruch.
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Am Sonntag Wahl
von 8 bis 5 Uhr
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Saarbahnschutz verschwindet. auf den Schluß nahelegt, daß gewiffe Juftizorgane
Rat wird seine völlige Aufhebung befchließen. Genf , 12. September.
Der Völkerbundsrat hält heute nachmittag eine Sitzung ab, die hauptsächlich der Frage des Bahnschutzes im Saargebiet gewidmet ist. Der italienische Delegierte Scialoja wird in feiner Eigenschaft als Berichterstatter dem Rat einen Vorschlag unterbreiten, der in den gemeinsamen Besprechungen des Dreier- Ausschuffes ( Curtius, Briand , Scialoja) mit dem Präsidenten der Regierungsfommission des Saargebietes vorbereitet worden ist. Scialoja wird, wie man hört, dem Bölkerbundsrat vorschlagen, die Bahnschuhtruppen bis spätestens 1. Januar 1930 vollständig zurüdzuziehen. An der Zustimmung des Rates wird nicht gezweifelt.
Der französische Außenminister hat gestern beim Präsidenten Der Bundesversammlung den Antrag gestellt, die Entschließung, die die Bertreter der europäischen Staaten am 8. September zur Frage der europäischen Föderation angenommen haben, auf die Tagesordnung der Bundesversammlung zu setzen.
Begeisterte Wahlfundgebung für den Befreiungsfanzler Wiesbaden , 12. September. ( Eigenbericht.) Bor einer vieltausendköpfigen Menschenmenge sprach am Donnerstagabend in der Stadthalle Reichstanzler a. D. Her. mann Müller. Der Andrang war so start, daß viele teinen Einlaß bekommen fonnten und Müller, der wegen seiner Befreiungspolitik stürmisch gefeiert wurde, noch in einer Parallelversammlung sprechen mußte
Ernste Worte richtete der Redner vor allem an das Zentrum, das den Wahlkampf gegen die Sozialdemokratie mit den unsachlichsten Mitteln führt. Warum, fragte Hermann Müller , hat uns bas Zentrum 21 Monate regieren lassen, und warum hat das Zentrum mit regiert, wenn wir nur Mißwirtschaft getrieben haben? Dem Zentrum habe der gute Wille gefehlt, mit der Sozialdemokratie überhaupt zu einer Einigung zu fommen. Wenn die Politit Brünings nach dem 14. September Trumpf werde, fönne das deutsche Volt noch was erleben.
Mit aller Schärfe wandte sich Hermann Müller gegen die Bee hauptung, sein Kabinett habe ebenfalls mit dem Artikel 48 gespielt. Niemals hätten Ebert oder er eine Verordnung auf Grund des Artikels 48 erlassen, die vom Reichstag abgelehnt worden sei. Sein entschiedenes Bekenntnis für die Sozialpolitit, ohne die Deutschland nicht mehr leben könne, wurde mit großem Beifall aufgenommen.
wegen ,, Judenbastard" und ,, lächerlicher Bonze" beinahe zwangsläufig den Schluß nahelegt, daß gemiffe Justizorgane ob Schöffen oder gelehrte Richter, läßt sich zunächst nicht übersehen-
die Gesetze der Republik nicht anwenden und ausführen wollen, zumal dann nicht, wenn diese Gesetze zum Schutz der Republik und ihrer Organe angewandt werden.
Hier der Tatbestand: Am Pfingstsonntag dieses Jahres erschien auf dem Friedhof Saaled, wo sich die Gräber der Rathenaumörder Fischer und Kern befinden, eine Schar von 15 Haten freuzlern mit geschulterten Gewehren(!) unter Führung des
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Die mündliche Begründung des Freispruchs ist so widerspruchsvoll und unlogisch, daß es schwer fällt, an die Ueberzeugung dessen, der sie vorgetragen hat, von der Beweiskraft seiner Gründe zu glauben. Um zum Freispruch zu gelangen, operiert die Urteilsbegründung fogar mit handgreiflichen unrichtigkeiten. So wird eingangs der Urteilsbegründung behauptet, der Angeklagte hätte ursprünglich eine Feier für gefallene Kriegsfame= raden veranstalten und auf die Gefallenen des Weltkrieges sprechen wollen. Eine Unmöglichkeit, denn
auf dem Friedhof Saaled liegen, wovon das Gericht sich jederzeit überzeugen fonnte, überhaupt feine Kriegsgefallenen.
Es liegen dort nur die Rathenaumörder Fischer und Kern. Aber diese Ausrede brauchte das Gericht, um weiter folgern zu können, daß der ungebildete" Angeklagte er ist gewohnheitsmäßiger Agitator, wenn er sich auch ,, Arbeiter" nennt! ohne Vor= bereitung gesprochen habe. Er habe sich bei dem Worte Schandfleck" womöglich etwas ganz arderes gedacht, als
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Der erschlaffte Diftator
DEUTSCHLA
ERWACHE
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„ Die Kraftnatur Hitlers bat die Anstrengungen der Sportpalaft Versammlung nicht ertragen. Wir haben ihn in die Badewanne sehen und zu Bett bringen müffen"
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