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Morgenausgabe

Nr. 437

A 220

47.Jahrgang

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Vorwärts

Berliner   Boltsblatt

Donnerstag 18. September 1930

Groß- Berlin 10 Pf. Auswärts 15 Pf.

Die ein paltige Nonpareillezeile 80 Pfennig. Reflamezeile 5,- Reichs mart. Kleine Anzeigen" das lettge brudte Mort 25 Pfennig( zulässig zmei fettgebrudte Borte), jebes meitere Bort 12 Pfennig. Stellengesuche das erste Bort 15 Pfennig, jedes weitere Bort 10 Pfennig. Worte über 15 Buchstaben zählen für zwei Worte. Arbeitsmarkt Beile 60 Pfennig. Familienanzeigen Zeile 40 Pfennig. Anzeigenannahme imhaupt aeschäft Lindenstraße 3, wochentäglich von 81%, bis 17 Uhr.

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so

Kapitalertragssteuer fällt. Barum fo befcheiden?

Blinder Eifer des Leberwachungsausschusses.

Der Ueberwachungsausschuß des Reichstages| in den nächsten 8 Tagen einzuberufen. Dieses Berlangen trägt wie nahm am Mittwoch mit 14 gegen 12 Stimmen der Sozial- fast alle tommunistischen Forderungen den Stempel der De m- demokraten und Kommunisten eine Berordnung der Reichs- agogie an der Stirn. Es steht heute amtlich nicht einmal fest, regierung an, durch die die Kapitalertragssteuer für feft- wer gewählt ist und es wird ebensowenig in 8 Lagen endgültig verzinsliche Werte mit Wirkung vom 2. Januar 1931 aufgefeftſtehen, wer in den neuen Reichstag einzieht. Das Feststellungs­hoben werden soll. Ein sozialdemokratischer Antrag, verfahren gestaltet sich diesmal außerordentlich schwierig, weil ins. diesen Bunkt von der Tagesordnung abzusehen, da die Erledigung besondere die Nationalsozialisten und die Kommunisten in zahlreichen nicht so dringlich sei, wurde abgelehnt. Ebenso wurde ein so Wahlkreisen die gleichen Spitzenkandidaten aufgestellt hatten. Da zialdemokratischer Antrag verworfen, der die Beseitigung der Kapis jeder Kandidat aber nur einmal gewählt werden fann, muß bei talertragssteuer beschränkt wissen wollte für nach dem 1. Juli 1930 den nachfolgenden Kandidaten jeweils Rückfrage gehalten werden, neu aufzugebende festverzinsliche Wertpapiere. ob sie die durch den Verzicht ihres Spizenkandidaten zu ihren Gunsten ausgefallene Wahl annehmen oder nicht. Diese Rückfragen, hauptsächlich notwendig geworden burch die Kandidatenaufstellung ist also nichts als Demagogie, wenn ausgerechnet die Kommunisten der Nazis und Kommunisten, erfordern viel Zeit und Arbeit. Es heute die Einberufung des Reichstages innerhalb 8 Tagen fordern, obwohl gerade sie dazu beigetragen haben, daß eine der artige Einberufung völlig ausgeschlossen ist.

Die Kommunisten verlangten im Verlauf der Sigung, die Reichsregierung zum Rücktritt aufzufordern und die Notverordnung Die Mehrheit des Ausschusses lehnte die Beratung entsprechender Anträge ab, ba ber leberwachungsaus schuß dafür nicht zuständig ist.

aufzuheben.

Eine andere Forderung der Kommunisten ist die, den   Reichstag

Bazille am Ende.

Das Ergebnis in   Württemberg.

Der Wahlausfall in   Württemberg entspricht in feiner allge. meinen Tendenz im wesentlichen dem Gesamtergebnis des Reichs. Die Zahl der abgegebenen Stimmen ist um 242732 20,7 Pro3. gegen 1928 gestiegen. Aus dieser gesteigerten Wahlbeteiligung ergeben sich in erster Reihe wohl die Erfolge, die einerseits vom 3entrum und dem, Christlichen Bolts. dienst, andererseits von den beiden radikalen Flügelparteien, den Kommunisten und Nationalsozialisten gebucht werden können. Den letzteren Parteien ist außerdem die verzweifelte Stimmung. zugute gekommen, die durch die große und durch ihre lange Dauer zer­mürbend wirkende Arbeitslosigkeit sich weiterer Schichten der arbeitenden Bevölkerung bemächtigt hat. Es hat sich im einzelnen schlüssig nachweisen lassen, daß der Kampf der Reichsregierung und der hinter ihr stehenden Parteien gegen die Erwerbslosen­Dersicherung wie gegen die Sozialreform überhaupt dem politischen Nihilismus

in diesen Kreisen einen starken Auftrieb gegeben hat. Mit dem Motto ,, Nun soll meinetwegen auch alles hin sein" sind von sonst ganz be= jonnenen Leuten diesmal Stimmen für die Kommunisten abgegeben morden, während die Nationalsozialisten in der Hauptsache von der Unreife, Krititlosigkeit und Radaulust gewiffer Jungwählerschichten

profitiert haben.

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Neben diesen allgemeinen Merkmalen zeigt der Wahlausfall in Bürttemberg noch einige besondere Erscheinungen, die der Er. mähnung mert sind. So ist es freudig zu begrüßen, daß die Sozialdemokratie, deren Position ja von allen Seiten am stärksten angegriffen murde, noch einen Stimmenzuwachs von 11319 4,1 Proz. verzeichnen konnte. Wenn in anderen Be­zirken des Reichs, deren soziale Schichtung noch wesentlich günstiger für die Sozialdemokratie ist als in   Württemberg, ein ähnliches Er­gebnis erzielt worden wäre, würden die Aussichten für die parlamen­tarische Arbeit der Partei wesentlich bessere sein. Es gelang in  Württemberg, nicht nur die bisherigen vier Mandate zu behaupten, sondern mit Hilfe der badischen Reststimmen noch ein fünftes dazu zu gewinnen. Die Bartei wird jetzt durch die Genossen Keil, Hildenbrand, Roßmann, Dr. Schu= macher und Ulrich im Reichstag vertreten sein. In zweiter Linie ist es bemerkenswert, daß die Deutsch nationalen 16 479. 23 Broz. verloren haben, die Herr Bazille trotz seiner geschwollenen Artikel und Reden nicht einmal an sich zu feffeln vermochte, denn auf seinen so hochtönend ,, Nationale Bolksgemeinschaft" betitelten Wahlvorschlag sind im ganzen Land nur 13 056 Stimmen entfallen, ein Beweis, was für eine

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fünfilich aufgepuffte Größe"

er bisher gewesen ist. Hoffentlich scheidet dieser Schwadroneur nun endlich einmal, nachdem seine Nichtigteit in so bengalische Beleuch­tung gesetzt worden ist, aus dem politichen Leben des Landes aus. In dritter Reihe ist bemerkenswert, daß trotz der gesteigerten Wahlbeteiligung und trotz seines demonstrativen Abrückens von der vorher in der Agitation so start begünstigten Hugenberg- Boliti?- man dente nur an den fanatischen Kampf gegen den Young- Plan­der württembergische Bauernbund 18 670= 10,3 Broz. seiner Stimmen verloren hat. Mit knapper Not hat er seine drei Mandate zu halten vermocht. Was er verlor und aus der stärkeren Wahlbeteiligung in den ländlichen Kreisen nicht zu ge winnen vermochte, ist dem   Christlichen Boltsdienst, den Hakenkreuz­lern und dem Zentrum zugute gekommen. Zuletzt ist des eklatanten Mißerfolgs zu gedenken, den die mit soviel Applomb inszenierte ,, Einheitstifte" der Deutschen Bolts

Nationalsozialisten und Polizei.- Wirtschaft und Sozialdemokratie.

Von Paul   Löbe.

Auf der Siegesfeier" im Sportpalast in   Berlin hat Herr Dr.   Goebbels die Ansprüche bekanntgegeben, welche die nationalsozialistische Fraktion bei ihrer etwaigen Re­gierungsbeteiligung zu stellen gedenkt. Mit Emphase kündigt er als Gegenforderung für seine wertvolle Hilfe die Ueber­lassung der Polizeiministerien im Reiche und in Preußen, sowie des Polizeipräsidiums in Preußen, sowie des Polizeipräsidiums in  Berlin an. Nebenher erfolgte auch die Erwähnung des Wehrministeriums, aber das war vorläufig noch nicht so ernst gemeint, da er es selbst nicht für möglich hält, daß der Reichspräsident, der ja nur wegen hohen Alters von ihm be­gnadigt werden soll, den Austausch des Herrn Groener gegen Herrn Straßer mitmachen könnte.

Bleiben also die Polizeiposten. Wollte sich Herr   Goebbels wirklich damit begnügen, die Gendarmenrolle in   Deutschland zu übernehmen? Die stärkste Partei der kommenden Rechts­toalition, die dem   deutschen Bolfe in ihren Versammlungen und Flugblättern doch ganz andere Erlösungen in Aussicht stellte, hat nur Polizeimünsche?

partei und Staatspartei erlitten hat. Ihre Stimmenzahl Barum, Herr   Goebbels, nicht das Außenministe ist um 36 645= 21,1 Proz. hinter den von Deutscher Volkspartei rium? Hier liegt doch nach Ihrer Ansicht der Krebsschaden und Deutschdemokratischer Partei vor zwei Jahren erzielten Ziffern der   deutschen Politit. Hier gilt es doch, die Kriegstribute zurückgeblieben. Wo blieb da der erhoffte Zuwachs durch Ver- abzuwälzen, den Young Plan umzubringen, die ganze Ber schmelzung mit dem Jungdeutschen Orden und wo der Auftrieb failler Schmach auszutilgen,   Deutschland von der Kriegs­der sogenannten bürgerlich individualistischen Geschuldlüge zu befreien und nebenher die Korridorfrage und dantenwelt durch das Zusammengehen der beiden ,,, liberalen" Bar teien?

Ob man in diesen Kreisen endlich einmal zur Besinnung fommen, sich von der

politischen Unfruchtbarkeit und Wirkungslosigkeit aller Schlagworte

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dieser Art überzeugen und erkennen wird, daß nur ein ganz rückhalt. loses Bekenntnis zu einer sozialorientierten Demokratie den völligen Berfall verhüten fann? Der Auftrieb der Wirtschaftspartei, die um 24 222 38,3 Pro3. ihre Stimmen zu steigern vermochte, und mit den badischen Reststimmen dadurch zu einem Mandat ge­langte, sollte sowohl den Demokraten wie der Deutschen   Volkspartei bewiesen haben, daß ein noch so großes Entgegenkommen gegen die sozialpolitische Rückständigkeit gewisser fleinbürgerlicher Schichten deren Abwanderung nicht zu verhindern vermag und den Verlust nicht aufwiegt, den die Parteien eben wegen dieses Entgegenkommens aus den ehrlich demokratisch und liberal gesinnten Kreisen zu erleiden hatten. An den Demokraten im besonderen rächt es sich bitter, daß sie den warnenden Borten, die Bayer und andere demokratische Borfämpfer an fie gerichtet haben, feine Folge gegeben haben. Daß es gelungen ist, ihre zwei Mandate zu halten, ist ein schwacher Trost gegenüber dem großen Prestigeverlust, den sie erlitten haben. Berthold  

Heymann,   Stuttgart.

Regierung und Sozialdemokratie.

Warnung vor einer Milchmädchenrechnung.

Im Berliner Tageblatt" erörtert Paul Steinborn die parlamentarische Lage, wie sie aus den Wahlen entstanden ist. Dabei erläutert er gewiffe Rettungspläne folgender

maßen:

,, Borauf aber läuft das im Endergebnis hinaus? Daß man fall dem Kabinett die zwanzig bis dreißig Stimmen zu stellen, der Sozialdemokratie zumuten will, jeweils im Ernſt die nötig sind, um es zu halten. Das bedeutet, daß die Sozial demokratie in wahrscheinlich nicht zu furzen Zwischenräumen die Berantwortung für gefeggeberische Maßnahmen und Gefeße übernehmen müßte, obschon sie der verantwortlichen Mitarbeit an diesen Gesetzen absichtlich ferngehalten wird. Es braucht wohl nicht betont zu werden, daß das eine Milchmädchen­rechnung ist, die bei der ersten besten Gelegenheit von den Tatsachen über den Haufen geworfen werden würde. Man möchte es daher nicht recht glauben, daß solche Gedanken wirklich gehegt werden, und man muß ernstlich hoffen, daß Herr Brüning ihre Undurchführbarkeit noch rechtzeitig genug erkennt.

ähnliche wunde Punkte der   deutschen Außenpolitik zu lösen, die die Ursache der   deutschen Not geworden sind. Wollen die Nationalsozialisten die Außenpolitik in den Händen der Schwächlinge lassen, die in den Völkerbund eingetreten sind und den Dames- Plan zum Leben verhalfen, und die wieder umfallen werden, wie sie es nach ihrer Meinung immer getan haben? Das wäre unverantwortlich.

Nein, sie haben den Sieg und die Macht! Sie sind die stärkste Partei einer Rechtstoalition, man darf nicht plöglich so zurückhaltend sein, sondern muß aufs Ganze gehen! Setzen Sie dort ein, wo Ihre Kritit am hef­tigsten war, wo ihre Anhänger die radikalste Abkehr von der bisherigen Schmachpolitit erwarten!

Und wie steht es mit dem Finanzminister? Gilt es nicht die Ausrottung der Korruption, der Verschwendung und der hohen Gehälter, gilt es nicht die Enteignung der Bank- und Börsenfürsten, die Wegsteuerung der Millionäre? Wie in aller Welt können Sie, so stark geworden, gerade auf diesen zweiten, entscheidenden Plaz verzichten, der doch für das Wohl des Landes viel wichtiger ist als die Gendarmerie gegen zwei Fünftel des eigenen Boltes zu führen, die sich auch bei diesen Wahlen zum Margismus bekannt haben. Sie hatten die Rezepte in der Tasche, wie Finanz- und Wirt­schaftskrise beseitigt werden können. Nur nicht schüchtern, paden Sie dort zu, mo, am meisten zu wirten ist!

Denten Sie an die Wirtschaftskrise, die Ihnen die meisten Wähler zugeführt hat, sei es die der Landwirtschaft, sei es, die der Industrie! Die Jungbauern hoffen auf Be­freiung von der Agrarnot durch die Nationalsozialisten, die Industrie soll, so raunt man, wie einst Herr Kirdorf, ihre Be­wegung begrüßt haben. Da gilt es anzupacken, Ernäh rungsminister oder Wirtschaftsminister auch diese beiden Bläge ausschlagen fönnen, wenn sie ernst­werden die zukünftigen Koalitionsgenoffen der größten Partei lich darauf besteht? Sie können darauf nicht verzichten. Es ist doch übler, Hungrige mit Polizei zur Ordnung zu bringen, als sie satt zu machen, als die Ursache ihrer Unruhe zu be­feitigen.

Wie ist es möglich, daß Herr   Goebbels diese Angelpunkte der   deutschen Politik übersehen und sich auf die Gendarmen­rolle zurückziehen fonnte? Gewiß wird ein Teil seiner An­hänger den ,, Futterfrippen" wechsel begrüßen und sich freuen, menn Kommunisten und Sozialdemokraten von Polizei und Justiz verprügelt werden. Die Mehrheit ihrer Wähler aber glaubt doch Arbeit und Brot, Lastenerleichterung und Be­freiung von außenpolitischem Druck zu erhalten. Deshalb etwas mehr Unternehmungsgeist und Mut auch für die praktische Besserungsarbeit, nicht nur für die Miniffer ohne Portefeuille. Der Reichsminifter Agitation! für die besetzten Gebiete, Treviranus, siedelt mit dem Lage Der Auflösung feines Ministeriums, bem 30. September, als Miheit, die bei der sogenannten Wirtschaft" nach der Wahl Uebrigens überrascht nicht minder die Bescheiden nister ohne Portefeuille in die Reichskanzlei über, mo er in erster Linie als Reichstommiffar für die Osthilfe Gestern noch der Ruf: Los von den Ketten des Marrismus, gegenüber der Sozialdemokratie zutage tritt. tätig fein foll.

Gewisse Zentrumsblätter find freilich in der Erkenntnis noch nicht so weit. Sie schimpfen nämlich immer noch auf Die Sozialdemokratie, als ob man noch im schönsten Wahl­tampf wäre.

Treviranus