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Nr. 437 47. Jahrgang

1. Beilage des Vorwärts

Arbeitslos im Schiffswrack.

In einer Zeit größter Woh­nungsnot müssen alle möglichen und unmöglichen Zufluchtsstätten als Behausung dienen. Der ,, Vor­märts" berichtete oft von solchen Notstandswohnungen und ihren vielen Leiden. Ein Idyll" der Wohnungsnot liegt an dem schma­len Verbindungskanal, der den Stößensee mit der Havel bei Spandau verbindet. Ein arbeits­loser Schiffsführer wohnt hier mit seiner Frau und zwei Kindern auf zwei alten Schiffsroracks. Die eigentliche Wohnung ist ein ehe­maliges Rettungsboot der eng­ lischen Marine, während das an­dere, das in mühsamer Arbeit aus­gebaut wird, noch Fahrten unter­nehmen soll. Sehen wir uns zu­nächst das ehemalige Rettungsboot

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an. Vorn am Bug sind noch die eingebauten amtlichen Zahlen zu lesen, für 36 Personen ist es geeicht. Das Boot lag als Wrack auf Grund, bis es der jetzige Besitzer er­marb. Wie sieht es in diesem Hausboot" aus. Am Heck eine kleine Schlafkoje, in der Mitte die Wohnküche, zwei ,, Prunkstücke" sind zu bewundern, ein Zinkblechschreib­tisch und-schrank von der ,, Kaiserlichen" Jacht Hohen­ zollern . Im Heck ein kleiner Arbeitsraum für die Frau, die durch Heimarbeit zum Lebensunterhalt beisteuern muß. Sehr eng ist es; aber im Sommer ist ja ,, draußen"

genügend Raum. Das Boot liegt in einem toten Seiten­arm des Kanals am Ufer, so daß man das schwimmende Haus direkt vom Land betreten kann. Das zweite Schiff ist ein alter Schleppdampfer, der seines Kessels und der Maschine beraubt ist. Sein Schornstein sitzt auf dem Deck des Wohnbootes. Der Schiffsführer hat die Absicht, sich diesen alten Dampfer zu einem Schleppmotorschiff umbauen zu lassen. Die Wohnung" aber ist sogar staatlich" anerkannt; denn der Briefträger bringt auch hier regelmäßig Post.

Donnerstag, 18. September 1930

,, Leder und Mode."

Die internationale Lederschau in den Ausstellungshallen.

Für die heute in den Messehallen der Stadt Berlin am Kaiser­damm zur Eröffnung tommende Internationale Lederschau fand gestern nachmittag eine Pressebesichtigung statt. Die Ausstellung selber war, wie alle Ausstellungen unmittelbar vor ihrer Eröffnung, erft zu zwei Drittel fertig, gewährte aber trotzdem einen vollkom­menen Einblid in alles, was geboten wird.

Das für das Publikum interessanteste sei vorweg genommen: Die modische Jahresschau Leder und Mode". Diese fünstlerisch und werbetechnisch sehr gut aufgebaute Sonderschau wird sich großen Zulaufs erfreuen. Weiterhin wird man in einer einzigen großen Halle nichts weiter als Schuhwaren sehen. Angefangen von den winzigsten Babyschuhen zu den großmächtigen Soldaten­Stiefeln. In einer weiteren Halle werden Leder und Lederwaren gezeigt. In einer dritten Halle Lederfabrikationsbedarfsartikel und in einer vierten Schuh- und Gerbereimaschinen.

In einer Begrüßungsansprache erläuterte der Direktor des städtischen Meffeamtes Dr. S chic die Ziele dieser in ihrer Art einzigen Ausstellung, sprach allen Mitarbeitern am Wert, beson­ders auch den Angestellten und Arbeitern den Dank der städtischen Messeleitung aus und richtete zum Schluß besondere Worte des Dantes und der Anerkennung an den Ende des Monats aus seinem Amt scheidenden Presseleiter des Messeamtes Karl Better. Weiter hin sprachen vier Herren aus den Vorständen der Schuh- und Leder­induftriellen. Rechtsanwalt Blasse, Geschäftsführer des Reichs­verbandes der deutschen Schuhindustriellen betonte mit besonderem Nachdrud, daß man die Schwierigkeiten der heutigen Wirtschafts­müsse, ihrer Herr zu werden. Eine besondere Attraktion der Aus­lage nicht fatalistisch hinnehmen solle, sondern energisch versuchen ftellung ist die bunte lustige Reklamerevue von Ehrlich und Morgan: Wir ziehen vom Leder". Umrahmt von hübschen Bühnenbildern und gefälligen Melodien taten sich Artur Fleischer, Joop, van Hülsen, Oskar Meigner und Roli Buck hervor. Anne­marie Safe holte fich als lebensechte Berliner Type aus einem Portierteller einen Sonderapplaus. Mit einer sehr hübsch gestal­teten Szene in einem Schuhladen wurden die anspruchsvollen Damen und die unhöflichen Herren wirksam verspottet.

Flugzeugabsturz an der Heerstraße. Fahrkartenfäischer gefaßt.

Mißglückte Notlandung einer ,, Sturmvogel "-Maschine.

Bon einem schweren Berlust ist gestern nachmittag der Städtische Rettungsamt für den Abtransport des Schwerverletzten Sturmvogel", Flugverband der Werktätigen, durch den Ab- nach dem St. Hildegard Krankenhaus sorgte. Eberhard liegt sehr fturz eines feiner Uebungsflugzeuge betroffen worden. schwer danieder.

Gegen 18 Uhr war der dreißigjährige Sturmvogelpilot Eberhard mit seiner Maschine in Staaten zum Rüdflug nach Tempelhof gestartet. Schon nach wenigen Minuten hat der Führer offenbar einen Motorschaden gehabt, denn wie zahlreiche Spaziergänger am Ufer der Havelseen und im Grunewald beob achteten, freiste das Flugzeug in großen Schleifen über die Wald­gebiete und ging dabei langsam immer niedriger; man schließt daraus, daß der Pilot einen möglichst günstigen Landungs­platz suchen wollte. An der Heerstraße, unweit der Stößensee­brüde, an der Stelle, wo das bekannte Sportmonument ,, Vier Läufer" von Professor Lederer steht, ging dann der Apparat nieder. Das Schwanzende des Flugzeuges hat dabei vermutlich die Kronen der Bäume, die den freien Platz dicht umstehen, be= rührt und ist dann aus einer Höhe von etwa 15 Metern topfüber in die Tiefe gestürzt.

Die Flugmaschine wurde sehr schwer beschädigt. Der Pilot Eberhard wurde mit schweren Verlegungen aus dem zer trümmerten Führerstand befreit. Die alarmierte Feuerwehr nahm die Aufräumungsarbeiten an der Unfallstelle vor, während das

SINCLAIR LEWIS

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DER ERWERB

ROMAN

Ihr Gehalt war auf fünfundzwanzig Dollar wöchent­lich erhöht worden.

Sie faufte das blaue Kostüm und die blaue Crêpe de Chine- Bluse, die Fräulein Beatrice Joline ihr geraten hatte. Eddie Schwirt tat ihr immer noch leid; sie dachte dann und wann an ihn und wo er wohl sein möge. Aber das hinderte sie nicht daran, ihr Spiegelbild in der neuen blauen Bluse zu bewundern.

4.

Herr Truar hielt, während er Una diftierte, folgenden Monolog: Ich verstehe nicht, warum wir diefer Boutell­Familie feinen Baugrund verkaufen fönnen? Wir würden zwar nichts daran verdienen, so wie die Sache jetzt liegt, die Spesen haben schon alles aufgefressen, aber ich will die Sache nicht aufgeben, und Ihr Freund, Herr Fein, fagt, wenn wir wissenschaftlich Handel treiben wollen, dürfen wir gerade die Fälle, an denen andere Leute gescheitert sind, nicht fallen lassen."

Herr Truar hatte Una immer mehr und mehr als intelligente Kraft anerkannt, und oft lächelte er sie wegen ihrer Bewunderung für Herrn Feins Geschäftstüchtigkeit. Diesmal aber schien er beinahe bei ihr Rat holen zu wollen, als er fläglich weitererzählte:

,, Jeder einzelne von unseren Agenten hat schon ver­fucht, dieser blöden Boutell- Familie etwas zu verkaufen, und feinem ist es noch gelungen. Wir haben die Baugründe - sind bereit, ihnen alles zu geben, angefangen von einer Baufostengarantie von fünfzehntausend Dollar, Aussicht auf den Fluß, erstklassige Lage, bis zu einem romantischen Bau­grund hinter einer italienischen Gmüsegärtnerei. Sie haben feit einem Monat einen Baugrund im Billenviertel in Aus sicht genommen und sie sind nicht-"

Dreizehnjähriger aus dem Fenster gestürzt!

Ein Dreijähriger beim Spielen erfrunten. Gestern nachmittag lehnte sich der 13jährige Schüler Horst Bodemann aus der Kantstraße 85 so weit aus dem Fenster der im 3. Stockwerf gelegenen elterlichen Wohnung, daß er das Gleichgewicht verlor und auf die Straße stürzte. Trotzdem die Markise eines Lebensmittelgeschäftes den Fall erheblich minderte, erlitt der Junge lebensgefährliche Verlegungen. Er fand im Westend - Krankenhaus Aufnahme.

Auf tragische Weise kam der dreijährige Günter Mall aus der Weserstraße ums Leben. Beim Spielen an einem Bootssteg in Rauchfangswerder stürzte das Kind vor den Augen der Mutter, die mit dem Jungen einen Ausflug unternommen hatte, ins Wasser und ging sofort unter. Obgleich Hilfe sofort zur Stelle mar und das Kind schon nach wenigen Minuten geborgen merden konnte, blieben alle Wiederbelebungsversuche ohne Erfolg.

,, Lassen Sie mich's versuchen." ,, Was wollen Sie versuchen?" ,, Den Leuten etwas zu verkaufen."

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Nun, wenn Sie's versuchen wollen in Ihrer freien Beit, außerhalb der Bürostunden. Darüber sollte eigentlich die Verkaufsabteilung entscheiden, aber natürlich, wenn Sie gerne wollen-"

Ja, ich will. Ich werde es an einem Sonnabendnach­mittag versuchen, nächsten Sonnabend." ,, Aber was wissen Sie denn von dem Billenviertel?" ,, Ich habe erst legten Sonnabend das ganze Grundstück abgegangen. Habe eine Stunde lang mit dem dortigen Ver­taufsagenten gesprochen."

"

,, Sehr gut. Ich wollte, alle unsere Bertreter wären fo." Die ganze Woche hindurch schmiedete. Una Pläne, wie sie die gefürchteten Boutells angehen sollte. Sie telephonierte ( wobei sie sich bemühte, so gewählt und flug zu reden, wie fie nur fonnte) und verabredete eine Zusammenkunft für Sonnabendnachmittag. Die Boutells wollten zu einer Matinée gehen, wie die Dame Una mit heiserer Stimme mitteilte, doch würden sie sich freuen, Frau Schwirh nach der Vorstellung zu empfangen. Die ganze Woche hindurch holte sich Una bei Charles, dem Verkaufsleiter, Ratschläge; zwischen langen, eingehenden Warnungen, sich vom Ver­kaufe fernzuhalten denn das ist der schwierigste Teil von der ganzen Sache, und glauben Sie mir, der undankbarste!- gab Charles ihr gute Lehren über die Tattit, einem Kunden einen Vorschlag zu unterbreiten, den Interessenten davon zu überzeugen, was für ein fachmännisches Berständnis der Agent für den Wert eines Objekts habe, einen Handel ab­zuschließen, fachlich zu sprechen und die Vorzüge der Lage hervorzuheben.

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Am Mittwoch abend ging Una nochmals nach dem Billenviertel, um den Grund neuerlich zu besichtigen, und fie führte eine lange fingierte Unterhaltung mit den Bou­tells über die Nähe der besten Schule in Nassau County

Doch Sonnabend vormittag fühlte sie sich frant. Im Büro weinte sie an der Schulter einer mitleidigen Kollegin, daß sie niemals imstande sein würde, diese Sache durchzu­führen und somit würde sie ihre erste Gelegenheit versäumen, vorwärts zu fommen.

Mittags ging sie heim und schlief bis vier.

Als sie in der Wohnung der Boutells antam, sah sie wie

Insgesamt vier Personen auf frischer Tat ertappt.

Nachdem die Ueberwachungsabteilung der Reichs­bahndirektion Berlin vor einiger Zeit einen Ingenieur in Hamburg überführen fonnte, für eine Bekannte aus Ostpreußen eine Fahrtarte von Berlin nach Königsberg i. pr. ge­fälscht zu haben, ist es der Ueberwachungsabteilung nach längerer Beobachtung jetzt gelungen, einen Ingenieur in Berlin auf frischer Tat dingfest zu machen, als er mit gefälschten Fahrkarten eine Reife nach Westdeutschland angetreten hatte. Eine Haussuchung förderte umfangreiches Belastungsmaterial zutage, das nicht nur auf großangelegte Fahrkartenfälschungen, sondern auch auf Urkundenfälschung anderer Art hindeutet. Der Täter und ein Helfer wurden dem Untersuchungsrichter vorgeführt. Gleichzeitig konnte auf dem Bahnhof Schmargendorf ein junger Mann dingfeft gemacht werden, der fortgesetzt mit eigens für diesen Zwed vorbereitete Metallstückchen einem Automaten Fahrkarten entnommen hatte.

Wieder ein Sittlichkeitsvergehen.

Unter dem Verdacht, sich an seinen 17. und 19jährigen Töchtern schwer vergangen zu haben, wurde gestern ein 47jähriger Ba u- arbeiter, der mit seiner Familie in einem östlichen Vorort lebt, festgenommen. Der Mann gab die ihm zur Last gelegten Ber­fehlungen auch zu; er wurde daraufhin dem Richter vorgeführt.

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ein verwelftes Blatt aus. Sie versuchte, unbefangen zu er= scheinen vor Frau Boutell einem Drachen mit gebrannten Haaren, die ihr gewichtig mitteilte, daß Herr Boutell erst gegen sechs nach Hause lomme, daß sie das Billenviertel­Projekt jedoch nochmals miteinander besprochen hätten und zu der Einsicht gekommen wären, die Sache sei noch nicht spruchreif man müsse besseres Wetter abwarten, damit man sich umsehen fönne.

,, Ach, Frau Boutell, ich kann mit Ihnen nicht herum­streiten", schluchzte Una. Ich kenne das Villenviertel und weiß, daß es für Sie das Richtige ist, aber es ist mein aller­letter Versuch im Verkauf, und ich fühle mich, zu meinem Bech, gerade heute ganz elend."

,, Sie armes Kind!" tröstete Frau Boutell. Sie sehen wirklich frant aus. Kommen Sie schnell hier herein und legen Sie sich ein wenig hin; ich werde Ihnen von meinem russischen Koch eine Tasse Bouillon machen lassen."

Während Frau Boutell Unas Hand hielt und sie mit Bouillon fütterte, zeigte Una ihr Photographien des Billen­viertels und machte schwache rhetorische Versuche, es zu loben, und als Herr Boutell um sechs Uhr dreißig nach Hause fam, aßen sie alle zusammen ein leichtes Abendbrot und gingen dann miteinander ins Rino, zwischendurch sprachen sie von Grundstücken, und um elf Uhr nahm Herr Boutell zögernd die Füllfeder, die Una energisch ihm hinhielt, und unterzeich nete einen Kontratt zum Anfauf von zwei Baugründen im Billenviertel und einen Scheck als Anzahlung. Una war vom Rang einer Hilfskraft zum Rang einer selbständigen Kraft emporgestiegen.

Einundzwanzigstes Rapitel.

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Für Una und Herrn Fein schien es selbstverständlich, daß Frauen Vorstadtvillen mit mindestens ebensogutem Erfolg verkaufen könnten wie Männer, da beim Antauf eines Häuschens die Frauen im Familienrat mindestens die halbe Stimme haben. Doch Herr Truar wußte eine Menge guter, gesunder, konservativer" Gründe, warum dem nicht so sei, und darum weigerte er sich, den Beweisen, die Una, Beatrice Joline und weibliche Agenten anderer Firmen erbrachien. Glauben zu schenken.

( Fortsetzung folgt: