gäbe, durch ein einmiithigeS Votum die Spitze der Staats-leituug zu einer Aenderung ihrer Haltung dem Duell gegen-ilber zu veranlassen. Sehr bedauerlich fand er es im In-teresse der herrschenden Gesellschaftsordnung, daß gerade dieSozialdemokraten immer deren Schäden aufdeckten. Gröbervom Zentrum sprach kräftiger als gestern Bachem. Es be-gegnele ihm aber das Mißgeschick, daß er in dem Bemühen,die vom Zentrum in der Umsturzkommisfion eingenommeneStellung gegenüber dem Duell zu rechtfertigen, offen er-klärte, das sei zur Rettung der Umsturzvorlage geschehen.Bekanntlich ist vom Zentrum öfter bestritten worden, daßes das Zustandekommen der Umsturzvorlage gewollt habe.Jetzt haben wir auch das Zeugniß des Herrn Gröber dafür,daß das Zentrum die Umsturzvorlage zu stände bringenwollte, ja, daß ihm an dem Zustandekommen irgend einesGesetzes gegen die«Umsturzpartei" mehr lag als an derUebereinstimmung des Gesetzes mit den sonstigen An-sichten des Zentrums. Herr von Manteuffesuchte Herrn von Kotze zu vertheidigen. DasHaus hörte allen diesen Rednern aufmerksam zu. Da esdann aber die meisten nach dem Foyer oder der Restau-ration lockte, so sprach ein halbes Stündchen lang der Abg.Förster- Neustettm. Darauf ergriff Bebel nochmals dasWort. Er ging mit Bennigsen gründlich ins Gericht,kritisirte aber auch scharf das Vorgehen der Zentrumspartei,die für den Duellunsug der oberen Klassen durcheine Verschärfung der Strafgesetzbestimmungen über dieBeleidigung das Volk und die Presse bestrafen will;dem Frhrn. v. Mantenffel, dem dieser Antrag des Zentrumssehr gefiel und der die gewöhnlichen Strafen wegenBeleidigung viel zu gering fand. erwiderte Bebeltreffend, daß der Vorredner fich offenbar nurfür die Strafen seiner Klassengenoffen interessire.Bei Sozialdemokraten pflegen die Strafen sehr hochund sehr oft Freiheitsstrafen zu sein. Für einen Satz, dereine Kritik am Kaiser übte, erhielt Bebel einen Ordnungs-ruf. Die weitere Debatte verlor fich in einen zwecklosenDisput über die Ansicht der oder jener«Autorität" betreffsder Form der Gesellschafts-Umwälzung. Laßt die Dingeund laßt die Personen unserer Gegner doch nur so weiterfür uns arbeiten, dann kommen wir ziemlich früh zum Sozialis-mus— rief Bebel ihnen zu, als sie kein Ende findenkonnten. Herr v. Bennigsen bereicherte bei dieser Gelegenheitübrigens die Nationalökonomie um die Bezeichnung„vierteKlasse" für das Proletariat.-Die Abstimmung hatte ein nicht vorausgesehenesResultat. Es wurde nämlich der nationalliberale Antrag,die freisinnige Resolution dahin abzuändern, daß die ver-bündeten Regierungen ersucht werden,„mit allen zu gebötestehenden Mitteln dem mit den Strafgesetzen in Widerspruchstehenden Tuellwesen mit Entschiedenheit entgegenzuwirken",nach Zurückziehung aller anderen Anträge einstimmig an-genommen wurde. Demonstrativ entfernte sich vor der Ab-ftimmung— Herr v. Stumm.Der preußische Minister deS Innern und der Justiz-minister wohnten der ganzen Sitzung schweigend bei. AuchHerr v. Bötticher nahm keinen Anlaß, eine Meinung zuäußern. Dieses Schweigen der Herren vom Bundesraths-tische ist beredter, als die Herren glauben.� Morgige Tagesordnung: Interpellation der Abgg.Freiherr v. Manteuffel und Genossen, betreffend die Be-stimmungen des Bundesrathes über den Betrieb vonBäckereien und Konditoreien. Zweite Berathung des Anti-Jmpfantrages.—Das preußische Abgeordnetenhaus beendete am Dienstagdie erste Berathung der Kreditvorlage, soweit sie sich auf dieForderung von Eisenbahnbauten bezieht. Auch heute kamenwieder fast ausschließlich lokale Wünsche zur Sprache und Herrv. Plötz, der Vorsitzende des Bundes der Landwirthe, hielt dieZeit für eine kleine Agitationsrede gekommen, in der er energisch«inen weiteren Ausbau deS Kleinbahnwesens zum Wohle derLandwirthschast verlangte; man solle aufhören, nur den Groß-Handel und die Großindustrie zu unterstützen.— Die Berathungüber die zweite Forderung der Vorlage(landwirthschafilicheKornhäuser) wurde auf Vorschlag des Präsidenten vorläufig aus-gesetzt. Am Mittwoch soll zunächst das Lehrerbesoldungs- Gesetzrn dritter Lesung erledigt werden, damit das Herrenhaus, dasEnde nächster Woche zusammentritt, Stoff zur Berathung hat.Außerdem stehen kleinere Vorlagen auf der Tagesordnung.—Ein heistes Eisen, das jedermann, insbesondere jederbürgerliche Rechtsanwalt schleunigst wieder fallen läßt, nach-dem er kaum die Finger darum zusammengeschlossen hat,scheint ein Prozeß zu sein, der sich m Essen angesponnenhat. Der«Rheinisch- Westsälischen Arbeiterzeitung" wirdaus Essen darüber geschrieben:„Jakob," sagte sie, und in ihrer Stimme klang einleichtes Zittern:„Wir werden kaum so viel kriegen, wiedas vorige Mal. Zu spät hineinkommen sind wir mit denErdäpfeln, ich Hab' es mir gleich gedacht."Und Jakob sah auf und ihr in die Augen. Er hattesich dasselbe gesagt, schon nach dem zehnten Gabelstich.Man fuhr heim. Die Lehrerin hatte sich auf denWagen gesetzt. Weiß schritt vorn neben den Kühen einher.Keinem war zum Lachen. Der Lehrer hatte noch einenGrund, sich niedergedrückt zu fühlen. Jetzt ging das schoneinige Jahre so fort. Jedesmal ließen ihn die Bauernwarten mit dem Ackern, und bei der Ernte zeigte sich dannerst der Schaden, den das zu späte Bestellen verursacht.Und er mußte ihn tragen, obwohl die Schuld auf anderewies. Ja, einmal hatte er mit den Kartoffeln Glückgehabt: Vor dem Lehrer stand seine Jugend. Vor mehr alszwanzig Jahren war er als Webergeselle nach dem Eger-lande gekommen. Aber nirgends hatte er Arbeit gefunden.Da hatte er drunten im Falkenauer Land ans reiner Neu-gierde im Vorbeigehen emen Erdäpselschopf gezogen; dieKnollen sahen blau und glatt aus, und wenn man dieobere Haut abzog, kam ein schönes Rosenroth zum Vor-schein. Die Kartoffel gefiel ihm und er stopfte sich eine ganzeTasche voll. Beim alten Lehrer in Mühlessen, den er ansprach,kam die Rede darauf, er zeigte die Sorte, die man in dieserGegend noch nie gesehen, ein Wort gab das andere, deralte Lehrer hieß ihn bleiben, und nach Jahren wurde erfein Nachfolger. In vielen Dörfern der Umgegend wurdenletzt diese„Blauen" gezogen, alle Bauern halten den Samender Frühkartoffel von ihm erhalten, was er aber selbstbaute, bauen konnte, reichte nur von Jakobi bis Vicentzi...Sollte das damals doch ein Diebstahl gewesen sein? Unddeshalb...!?Jakob Weiß senkte das Haupt, als erwarte er einenSchlag, und er blickte nicht eher auf, bis der Wagen vorder Schule hielt.(Fortsetzung folgt.)„Ende vorigen und Anfang dieses Jahres erschien im Essener„Allgem. Beobachter", einem bürgerlich- demokratischen Blatte,eine Serie von Artikeln, die einen Herrn Schmidt aus D u i s-bürg zum Verfasser hatten. Herr Schmidt ist ein alter ehemaligerGrubenbesitzer. Wie er in seinen Artikel» behauptet,ist er von seinen früheren Geschäftsfreunden inder schmählichsten Weise betrogen worden! Dagiebt es nicht viele Verbrechen, die Herr Schmidt nicht seinenStandesgenossen zur Last legt. Nur einige Blüthen des dustigenStraußes seien hier gepflückt. Nach Schmidt haben seinefrüheren Mit- Grubenbesitzer durch Fälschung derGeschäftsbücher, durch Unterschlagung an Ka-pitalien. Stehlen der Belege und Schwöre»von falschen Eiden, ihn(Schmidt) um sein Eigen-thum gebracht, so daß der nun schon sehr bejahrte Mannnahezu ein Bettler ist."Daß der Mann etwa geistig nicht völlig zurechnungsfähigsei, bestreitet der Briefschreiber. Seien seine Beschuldigungenaber wahr, so gehören die von ihm angegriffene Geschäfts-männer ins Znchthaus. Trotzdem ward keine Beleidi-gungsklage von den Angegriffenen erhoben.„Dies ist um somerkwürdiger, als die Arbeiterpresse aus eigener traurigerErfahrung ein recht erbauliches Liedchen von der Empfind-samkeit jener Herren singen kann."„Etwas geschah aber doch: Zwei Nummern des„Allg.Beobachters" wurden konfiszirt wegen Beleidigungder Essener Staatsanwaltschaft. Die heutigen Be-amten dieser Behörde sind aber garnichl an der Sache betheiligt,da der hier in betracht kommende Staatsanwalt, heute gar-nicht mehr im Staatsdienst ist. Irren wir nicht, so ist derBetreffende wegen Vergehens im Amt aus dem Staats-dienst entfernt worden. Die heutige Essener Staatsanwaltschaft aberfühlte sich dennoch beleidigt und wie schon gesagt, sie konfiszirtezwei Nummer» des„Allg. Beobachters". Jetzt erst wird die Sachefür den Politiker symptomatisch. Die Angeklagten, HerrSchmidt- Duisburg als Verfasser der Artikel und HerrS ch o r e ck- Esse» als verantwortlicher Redakteur des„A. B."stellten derartige Beweisanträge, daß die Anklagebehörde noth-gedrungen die ganze Sache Schmidt in de» Kreis ihrer Er-wägung zu ziehen hatte, nicht nur die vielleicht eventuell be-leidigenden 3 bis 4 Zeilen des betreffenden Artikels."Zum IS. April war Termin angesetzt. Ter AngeklagteSchmidt(politisch Antisemit) wandte sich an den Abg. Lieber-mann v. Sonnenberg— keine Antwort. Darauf unter-breitete Schmidt seine Sache detaillirt dem Reichstags-Abgeord-neten L e n z m a n n, Rechtsanwalt in Hagen. Auch hier keineAntwort! Der Rechtsanwalt N i e m e y e r in Essen,bekannt aus dem Essener Meineidsprozeß, wo er sichsehr tapfer benommen hat, erklärt auf die Anfrage, ob er dieVertheidigung übernehmen wolle:„Ja. wenn Sie mich damitbeaustragen, will ich es thun, doch lieber wäre esmir wenn Sie zu einem anderen gingen."Der Angeklagte verzichtet auf Herrn Niemeyer undwendet sich an den Rechtsanwalt K o h n in Dortmundund dieser sagte sofort zu. Da— am 18. April war derTermin— erhielt der Redakteur des„A. B." von Herrn Kohndie Nachricht, daß er(Kohn) die Vertheidigung nichtübernehmen könne!So stand in letzter Stunde der Angeklagte ohne Ver-theidiger da. Zum Glück für ihn wurde der Termin noch-nmls aufgehoben. Zu dieser auffälligen Erscheinung, daß derAngeklagte Schmidt mit so schlechtem Erfolg bei den bekanntestenRechtsanwälten des Ruhrbezirks angepocht hat, bemerkt nun dre„Rhein.-Westf. Arbeiterzeitung":„Interessant, hoch interessant ist die Materie, handelt es sichdoch um Beschuldigungen, deren wahrheitsgemäße Bestätigungein tiefes sittliches Niveau der Kapitalisten-klasse des Ruhrgebietes zeigen würde... unddoch kein Vertheidiger, der Lust hätte, diesen angeblichenAugiasstall bloßzulegen!"Nun, hoffentlich gelingt es jetzt noch, die Vertheidigung indie richtigen Hände zu bringen.—Zu den ZeugnißzwangSverfahren gegen die Partei-presse liegen heute solgende Angaben vor. Unser HallenserOrgan theilt mit, daß von sämnitlichen in Zwangshast Ge-nommenen bereits am Sonnabend in einer Kollektiveingabe a»den Regierungspräsidenten zu Merseburg gegen die Maßregelals ungesetzlich Protest erhoben worden ist, da sämmtliche Be-strafte soweit Zeugniß abgelegt haben, als sie dem Gesetze»achdazu verpflichtet zu sein glauben und da ihnen bei Verweigerungdes Eides bez. anderweiter Angaben der Schutz der§s 54 bez. 56zur Seite steht.—Die Beschwerde des Genossen Wiertelarz von der„Thüringer Tribüne" gegen die Anwendung des Zeugnißzwangeswurde vom Landgericht zurückgewiesen und die erkannte Strafevon 50 M. event. 10 Tage Haft bestätigt. Auf den von demGenossen Wiertelarz erhobenen Einwand geht das Gericht nichtnäher ein.—Anarchistische Reklame. AuS bekannter polizeianarchistischer Quelle werden seit einiger Zeit wieder einmalnnl besonderem Eifer Reklamenotizen über, oder richtigerfür die„mehr und mehr wachsende anarchistische Bewegung"verbreitet, die„in ganz Deutschland" in der Zunahme be-griffen ist. Die letzte Reklame(ein Telegramm an sämmt-liche Ordnungsorgane) lautet:„Berlin, 20. April. Die Haussuchungen bei denAnarchisten in den v e r s ch i e d e n st e n St ä d t en desDeutschen Reichs dauern fort. Dieser Tage wurde bei einerAnzahl Anarchisten in Magdeburg und SudenburgHaussuchungen gehalten."Vielleicht hat der Reklamemacher einmal die Güte unsmitzutheilen, wie viele— Millionen Anarchisten wir inunserem polizeibegnadeten Deutschland haben. Und danngiebt er uns auch hoffentlich gleich das nöthige Vergröße-rungsglas.—Es lebe die Zivilisation! Kaum haben wir er-fahren, daß die Franzosen 470 Millionen Franks für dieEinführung einer neuen Kanone ausgeben wollen, diedoppelt so viele Menschen ins Jenseits befördern soll, alsdie alten Mordröhreil, so kommt aus England folgendeNotiz:Bei dem britisch-egyptischen Sudanzuge sollen einige neu-artige Geschütze ihre erste Probe bestehen. Sie ent-enden ihre Geschosse zehn englische Meilen weit. Die Kugelnsind hochexplosiv und tödten oder verwunden3 0 0 Manu, wenn sie in eine geschlossene Kolonne fallen.Dabei feuern diese Kanonen so schnell, daß dererste Schuß kaum eingeschlagen hat, wenn derzweite schon wieder abgefeuert wird. Da dieKugelfabrik des Woolwicher Arsenals nicht im stände ist,den Bedarf zu decken, hat die Regierung großeMengen Schießbedarf bei Kyuoch u. Komp. in Vinning-ham, Armstrong in Elswick, Whitworth in Manchesterund Hatfield in Sheffield bestellt. Die Kugeln sindaus dem feinsten Stahl angefertigt. Ihre Füllung wird imköniglichen Laboratorium in Woolwich vorgenommen werden.Das ist ja eine glänzende Leistung! DreihundertMenschen getödtet mit einem Schuß! Und wie— christ-""i, daß„die Probe" an Heiden gemacht wird!Und die Moral der Geschichte? Natürlich dürfen wirnicht zurückbleiben; und auf einige hundert Milliönchenmüssen wir uns vorbereiten— o h n e die„uferlosenFlottenpläne".—Uever den permanenten Kolonialkrieg in Atschiu, mitdem die Holländer belastet sind, wird uns aus A n: st e r d a mgeschrieben: Kaum ist der Lombok-Aufstand im Bluterstickt, als vom Schauplatz des Atjehkrieges, wo eine Zeitlang die Kriegsoperationen der Aljeher aus einige kleine Schar-mützel beschränkt geblieben waren, die Nachrichten einesneuen größeren Aufstandes kommen. Dieser Krieg hatteursprünglich nur den Zweck, den Seeräubereien der AtjeherEinhalt zu thun, ist aber nach und nach in einen Eroberungs-krieg ausgeartet, der jetzt schon seit 1873 fortdauert. Er ist dieschleichende Krankheit, an der die Niederlande als Kolonialmachtzu Grunde gehen können. Unsummen hat dieser langwierigeKrieg den niederländischen Steuerzahlern gekostet; ohneSystem angewandt, sind sie einfach ins Wasser ge-warfen; mit Verstand gebraucht, hätten sie vielleicht schonlängst die Ruhe herbeigesührt. Tausende von Menschenopfernhalb umsonst, denn der Kolonialkrieg wird nnt unmenschlicherRohheit geführt. Kriegsgefangene werden nicht gemacht. DerAufständische, der i» die Hände der Niederländer fällt, wird ohneweiteres niedergestoßen, und die Atjeher bezahlen mit gleicherMünze. Doch alle die Opfer sind umsonst. Der Zustand bleibtderselbe. Wir sind aber so daran gewöhnt, daß wir diesenKrieg haben, daß wir garnicht daran denken, ihn einmallos zu werden. Die politische Indolenz des nieder-ländischen Volkes läßt der Regierung freies Spiel. Undso kann jedes neue Ministerium, jeder neue General-Gouverneur, ohne auch im geringsten belästigt zu werden, ausseine Weise versuchen, wie er am besten die Atjeher— nichtunterwirft. Dieser jüngste Ausstand, der„Verrath" TukuU m a r' s oder Tuku D j o h a n's(als er sich vor einigenJahren dem niederländischen Gouvernement unterwarf, erhieltTuku Umar, um seine ausrührerische Vergangenheil vergessen zumachen, auch einen neuen Namen, daher der zweite Name Djohan)erweckt die Niederländer für einen Augenblick aus ihremSchlummer. Sie erfahren, daß General Vetter wieder ein„neues System" einführe» will. Der Kranz von Festungen, densein Vorgänger General Deykerhoff mit großen Kosten umdie Hauptstadt Kotta-radja aufgerichtet hat. soll preis-gegeben und geschleift werden. So sind wir denn nach23 jährigem Kamps endlich in die nördliche Ecke zurück-gedrängt worden. Und dieser Rückzug ist keine Niederlage, bei-leibe nicht, das ist„System". Die niederländischen Steuerzahlerfangen aber an, de» Kopf zu schütieln, und in der uichtverkaufienPresse taucht die bedeutungsvolle Frage auf: Giebt es auch ge-Heime Gründe, welche es gewissen Kreisen erwünscht machen, denAtjch-Krieg möglickst lange schleppendzuhalten?Sind dieMillionen,die verausgabt werden zur Proviantirnng, Kleidung:c. der Truppenund zu deren Transport, auch schuld daran, daß der Krieg längerdauert als nöthig wäre? Die Frage, erst nur schüchtern geäußert.wird immer lebhafter diskutirt. Wenn das Volk in der zweitenKammer vertreten wäre, so würde die Regierung gewiß nicht umhinkönnen, der Frage näher zu treten. Es braucht übrigens keine nähereBeleuchtung, daß dieser ganze Krieg, der so große Aehnlichkeithat mit dem 50jährigen Freiheitskrieg, der die Niederlande vonder spanischen Unterjochung befreite, und in dem die Atjeher dieRolle der damaligen Niederländer spielen, von den Sozialdemo-traten verabscheut wird. Wenn wir uns aber auf den Standpunktder Regierung stellen, so müssen wir fordern, daß der Kriegwenigstens energisch, das ist in diesem Fall zugleich mit möglichstwenig Verlust an Menschenleben und Geld, geführt wird. Wennschon, denn schon.—Chronik der Majestätsbeleidigungs- Prozesse.Prozeß Jahn. Unter der Anklage der M a j e st ä t s«beleidigung stand gestern unser Parteigenosse Paul Jahnvor der vierten Strafkammer des Landgerichts I. Der An-geklagte bat in einer sozialdemokratischen Versammlung zu demThema„Gefängnißarbeit" das Wort ergriffen und dabei er-wähnt, daß er selbst einmal in Kottbus in Gemeinschaft miteinem Zirkusdirektor(Schumann) zusammengesessen habe.Der wegen Fahnenfluchts inhaftirt gewesene ZirkuSdirektorsei nach zehn Tagen begnadigt worden. Ueber den Gnindder Begnadigung hatte der Angeklagte dann eine Bemerkung ge-macht, die aus die im Zirkus vorhandene gedachte kaiserlich« Logehinwies. Diese Bemerkung, welche Genosse Jahn gemacht zuhaben aufs energischste bestrilt, enthielt nach Ansicht des Staats-anwalts zugleich eine Majestätsbeleldigung, für welche er v i e rMonate Gefängniß in Antrag brachte, wobei er diewiederholten Vorstrafen des Angeklaglen wegen Beleidigung unddie Thatsache berücksichtigte, daß es inneuerer Zeit in gewissen Kreisen fast zumSports!) werde, die Ausübung des dem Kaiserzustehenden Begnadigungsrechts abfällig zuk r i t i s i r e n.Jahn erklärte in seiner Vertheidigungsrede, daß es ihm garnicht in den Sinn gekommen sei, eine Kritik am Begnadigungs-recht zu üben. Andererseits aber sei es doch genügend bekannt.daß die meiste» Ordensverleihungen und Begnadigungenweniger aus der Initiative des Kaisers, als auf Veranlassungder Behörden und des Ministeriums erfolgen, mithinauch keine persönliche Beleidigung des Kaisers bei Erwähnungeines derartigen Falles darin erblickt werden kann. Er setzediejenige Objektivität bei den Richtern voraus, daß sie nur aufFreisprechung erkennen werden.Nach längerer Berathung, zu welcher sich die Richter zurück-gezogen, verkündete der Borsitzende, Landgerichts- DirektorD i n s e folgendes: Da die Aussagen der Zeugen über diezur Anklage stehende Aeußerung die Wahrheit derselbendargethan und die Richter aus der Vertheidigungsrede desAngeklaglen die Ueberzeugnng gewonnen haben, daß derselbe„ein redegewandter und kluger Mann sei, der jedes seiner Wortesehr wohl abwäge", so sei gerade daraus zu entnehmen, daß derAngeklagte diese vorsichtig gehaltene Aeußerung mit Absicht der-artig sormulirte, daß darin eine direckte Beleidigung nicht ge-sunden werden könne. Aber nichts destoweniger beweisen dievielen Vorstrafen, daß er sich leicht zu Beleidigungen hinreißenläßt. Aus diesem Grunde habe auch der Gerichtshof keineVeranlassung gehabt, Milde walten zu lassen, um auf das ge-ringst« Strafmaß von zwei Monaten, sondern dem Antrag desStaatsanwalts entsprechend auf vier Monate Gefängnißzu erkennen.Prozeß Handhansen. Wie grundverschieden die An-sichten zweier Gerichtshöfe über denselben Zeitungsartikel seinkönnen, zeigte sich gestern bei der Berhaudlung einer Anklagewegen Majestätsbeleidigung gegen den RedakteurHandhausen vor der 4. Strafkammer des Landgerichts l.Der Angeklagte, welcher eine zumeist für Blätter der Volks-partei bestimmte Leitartikel-Korrespondenz herausgiebt, behandeltin einem Artikel das Begnadigungsrecht. Er gabdarin eine objektive Kritik des Rechtsinstituts der Be»gnadigung und dehandelt einzelne Fälle der Begnadigung,die von dem Volksbewußtsein nicht verstanden werde»könnten.— Dieser Artikel war von einer ganzen Reihevon Blättern aufgenommen worden. ohne daß die zu-ständigen Staatsanwaltschaften einen Grund zum Einschreitensahen. Nur in Düsseldorf wurde auf grund des ArtikelsAnklage gegen den Redakteur Klee erhoben und dieser wegenMajestätsdelcidigung zu 3 Monaten Gefängniß ver-urtheilt. Die Düsseldorfer Strafkammer las aus dem Artikelheraus, daß dieser keine objektive Kritik des Begnadigungsrechts.sondern eine Kritik der persönlichen Handhabung dieses Rechtsdurch den König habe liefern und beweise» wollen, daß diesesHobeitsrecht der Krone in parteiischer und leichtfertigerWeise ausgeübt werde. Da bei Gelegenheit jener Ver»Handlung auch der Verfasser des Artikels bekannt ge-worden war, wurde auch gegen diesen die Anklage er»boben. Der Staatsanwalt stellte sich gestern ganz auf denStandpunkt der Düsseldorfer Straskammer und beantragte gleich»