Rr. 449 47. Jahrgang
1. Beilage des Vorwärts Donnerstag, 25. September 1930
Schwindelpartei am Pranger!
Zusammenbruch einer Verleumdung.- Bolschewistenblatt hält den Rekord im Lügen. Redakteur ist Kuli. - Denken verboten!
Das
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erweiterte Schöffengericht Berlin Mitte verurteilte gestern den verantwortlichen Redak teur der ,, Roten Fahne", Hauswirth, wegen Be leidigung und übler Nachrede gegenüber dem Genossen Franz Künstler zu 500 Mark Geldstrafe.
Dies der Tatbestand: Am Sonnabend, dem 25. Januar 1930, stand in großer Baltenüberschrift in dem Kommunistenblatt zu lesen:„ odspiel Künstlers Borarbeit zum Berliner KPD. Verbot. Antibolschewistische Lügenzentrate für die bürgerliche Presse." Das Blatt sprach dann von ,, zuverlässigen Informationen" aus sozial demokratischen Kreifen, wonach im Berliner sozialdemokratischen Bezirksbüro mit einem Berbot der KPD .- Organisation bereits in den nächsten Wochen bestimmt gerechnet wird. Wieder sei Künstler derjenige, der die intensivsten Borbereitungen für die Durchführung des Berbots getroffen hat. Auf seine und auf die Initiative Littes sei eine besondere Kommission zur Diskreditierung der KPD. in der öffentlichen Meinung, in den Gewerkschaften, Sport- und Freidenkerorganisationen eingesetzt. Es wurde von engster Zusammenarbeit mit 3örgiebels Polizeipräsidium gesprochen. Zum Schluß hieß es im Ton der„ Roten Fahne":" Diese schmutzigen Machen fchaften des Lodspitels Künstler und seiner Freunde kenne zeichnen nicht nur den Grad der inneren Verfaultheit der sozialfaschistischen Führerclique, sondern sind auch ein Beweis für die Verzweiflungsstimmung der SPD .- Bonzen", deren Partei angeblich innerlich zerfällt. Zum Schluß wird gejagt:„ Das revolutionäre Proletariat Berlin wird das Lockspitzelmanöver Künstlers durch
freuzen."
In der Berhandlung sagte der Angeklagte aus, daß er keinerlei Veranlaffung hatte, den Artikel nachzuprüfen. Er sei ihm vom Getretariat der Kommunistischen Partei mitgeteilt worden,
flage nicht als Person, als Franz Künstler, denn die ,, Rote Fahne"| auf, daß man in der Politif mit schlagfräftigen Zeilen arbeite und fann mich als Menschen nicht beleidigen.
Jch flage als Vorsitzender der Berliner Sozialdemokratie, der durch die„ Rote Fahne" der Vorwurf gemacht wurde, einen Lodfpihel als Führer zu haben.".
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Genosse Karl Litte bestätigte als 3euge die Aussagen Künstlers in vollem Umfange. Ergänzend führte er aus: Wir Sozialdemokraten find grundfäßlich Gegner des Verbots von Barteien und Organisationen. Doppelt und dreifach aber sind wir gegen ein Verbot der Kommunisten, weil nach unserer Ueberzeu. gung die Kommunisten auf die Dauer bei der Berliner Arbeiterschaft Don selbst abwirtschaften und deshalb ein Verbot nur diesen Prozeß aufhalten könnte."
Der vom Angeklagten geladene kommunistische Reichstags: abgeordnete Pied wußte zur Sache wenig zu sagen und versteckte sich hinter dem großen Unbekannten. ,, Das fommunistische Sekretariat erhielt sein Material für den Artikel von einem Vertrauensmam, der seinerseits das Material von einem Mitglied der Sozialdemokratischen Partei bekommen hat. Das Sefretariat, nicht ich als Person, leitete den Artikel an die Redaktion der„ Roten Fahne" weiter.
Es besteht für die Redaktion die vertragliche Verpflichtung, Mitteilungen des Sekretariats zu veröffentlichen."
Der Staatsanwalt beantragte in seinem Plädoyer 500 m. Geldstrafe. Die Beleidigung und die üble Nachrede seien um so schwerer zu werten, als durch die Beweisaufnahme auch nicht das geringste von den erhobenen Beschuldigungen übrig geblieben sei. Die Kennzeidynung als Lodspiel werde unter den Angehörigen der Arbeiterklasse als Zeichen ganz besonderer Minderwertigkeit an loser Weise erhoben eine
daß Künstler eine feltsame Ueberempfindlichteft" zeige. Genosse Landsberg erwiderte ihm, daß eine Klage wegen des gemeinen Vorwurfs der Lockspitelei, die in der Arbeiterschaft als schimpflichstes Verbrechen gelte, wirklich nicht für Ueberempfindlichkeit zeuge.
Das Gericht verurteilte den Angeklagten nach dem Anfrage des Staatsanwalts zu 500 M. Geldstrafe. In der Urteilsbegründung heißt es:„ Von der Anschuldigung, die von der„ Rofen Fahne" gegen den Nebenkläger erhoben wurde, ist aber auch nichts erwiesen. Alles, was von der„ Roten Fahne" behauptet wurde, ist unrichtig.
Die Berurteilung mußte aus§§ 185 und 186 erfolgen, denn der Schuh aus§ 193( Wahrung berechtigter Interessen) konnte deshalb dem Angeklagten nicht zugebilligt werden, weil er leichtfertig seine Beschuldigungen erhob und jene Gewissenhaftigkeit vermissen ließ, die von jedem Redakteur verlangt werden muß. Er hat die aus dritter und vierter Hand kommenden Beschuldigungen nachzuprüfen nicht für nötig befunden. Sein Einwand, es bestände ein bindendes Abkommen zwischen Parteisekretariat und Parteiorgan zu einem Veröffentlichungszwang, ift unerheblich. Ebenso gut könne ja ein Dieb auftreten und fagen, es sei ihm von höherer Stelle zu stehlen befohlen. Dem Kläger wird die Publikationsbefugnis im„ Borwärts" und in der„ Roten Fahne zugesprochen. Die Platten werden vernichtet." Daß der Genosse Künstler in dem Prozeß obsiegen würde und daß die Behauptungen der Roten Fahne" jeden Grundes entbehrten, war für jeden denkenben Berliner Arbeiter selbstverständlich. Darüber hinaus aber ist interessant, daß ein Redakteur
und er sei verpflichtet gewesen, diesen Artikel zu bringen. gesehen. Deshalb müsse, wenn dieser Vorwurf in so verantwortung der Roten Fahne" kein selbsttätig arbeitender Partei Als
erfolgen. Der Vertreter des Nebenklägers, Rechtsanwalt Genosse Otto Landsberg , schloß sich in furzen Ausführungen dem Staatsanwalt an. Der Verteidiger des Angeklagten stellte die These
Genosse Franz Künstler :„ Es hat niemals im sozialdemokratischen Berliner Bezirtsbüro eine Sigung stattgefunden, die sich mit einem bevorstehenden Verbot der Berliner KPD .- Organisation beschäftigt hat. Es ist niemals eine Kommission eingesetzt zur Diskreditierung der KPD. in der öffentlichen Meinung, in den Gewerkschaften oder do g andersmo. Es hat niemals eine Zusammenarbeit mit dem Polizeipräsidium gegeben, um die Kommunistische Partei zu befämpfen. Richtig ist vielmehr, daß die Leiter der Berliner Sozialdemofratischen Partei sich bei jeder Gelegenheit, bei Unterhaltungen im Parlament oder in Parteifreifen, gegen ein Verbot der Kommunistischen Partei ausgesprochen haben.
Richtig ist, daß eine Kommission zur Diskreditierung der KPD. nie eingesetzt ist und deshalb nicht eingesezt zu werden braucht, weil Diese Partei sich selbst diskreditiere. Richtig ist zum
britten, daß weber ich noch ein anderes Mitglied des Bezirksvor: standes jemals im Polizeipräsidium eine Besprechung über ein Berbot der Kommunistischen Partei gehabt hat." 9 FT
Genosse Künstler überreichte dem Gericht ein Exemplar des ,, Borwärts", in dem seine einleitende Rede auf dem Bezirksparteitag der Berliner Sozialdemokratie steht. Hier marnt Künstler ausdrücklich davor, der Kommunistischen Partei den Gefallen eines Berbots zu erweisen. Vor Gericht fuhr Künstler fort: Der Bezirksvorstand setzt sich aus 60 Personen zusammen. Ich kann alle 60 Mitglieder laden, um die Wahrheit meiner Aussage zu erhärten. Es ist nur mein Freund Litke geladen, um als zweiter Vorsitzender unter Eid die Richtigkeit meiner Darstellung zu bestätigen. Ich
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DER ERWERB
ROMAN
Una hatte gewartet, bis Herr Sidney mit seiner Suppe und seinem Filet mignon zu Ende war. Sie sprach rüdhaltslos, beinahe streng. Sie öffnete ihr neues, filbernes Handtäschchen, zog eine tadellos maschinegeschriebene Liste hervor, und während er sie verwundert anstarrte, las sie ihm die speziellen Mängel jedes einzelnen Hotels vor, ihre jeweiligen Borschläge zur Beseitigung der Uebel, und ihre allgemeinen Ideen über gute Hotels mit wenigen Spudnäpfen, größerer Originalität und einem eigenen Raum, in dem sich Geschäftsreisende an einem regnerischen Sonntag zu Hause fühlen tönnten.
,, Und schließlich wissen Sie so gut wie ich," schloß fie zufammenfassend, daß das Ideal jedes Hotelbefizers ein Haus ist, zu dem die Gäfte am Sonnabend abend sechzig Meilen weit fahren, um ihren Sonntag dort zu verbringen. Befolgen Sie meine Vorschläge, und Sie werden sehen, daß Sie diese Art von Hotels haben werden. Außerdem werden Sie dadurch auch das weibliche Publikum anlocken, und die ansässige Bevölkerung wird Ihr Hotel besuchen, wenn man zu Hause gerade teine Köchin hat, oder die Frau verreist ist, oder ein Festessen gegeben werden soll."
,, Die Sache flingt so, als ob sie nicht ganz unmöglich wäre," fagte Herr Sidney, als Una innhielt, um Atem zu schöpfen nach dieser leidenschaftlichsten Rede ihres ganzen Lebens.
Dann stürzte sie sich nochmals hinein:
Aljo, der Kernpunkt der ganzen Geschichte ist natür lich, daß ich oberster Leiter eines bestimmten Refforts bei der White- Line werde- Lebensmittelversorgung. Bersonalüberwachung, Ausstattung und so weiter. In den finanziellen Teil der Sache will ich mich nicht einmischen, und den Einlauf fönnen wir gemeinschaftlich bestimmen. Sie wiffen ja, baß es die frauen find, bie ein heim mohnlich machen;
genosse, sondern ein Kuli ist, der die Befehle der vor gesetzten Parteiinstanz auszuführen hat, ohne sie nachprüfen zu dürfen.
Von Ratten zerfressen...
Grauenhafter Fund im Keller.- Eine Leiche unter alten Kisten. Vom Freund umgebracht und versteckt.- Selbstmord des Täters.
Einen grauenhaften Fund machte gestern ein Bewohner des Hauses Annenstraße 23. Er entdeckte in einer abgelegenen Ede des Kellers unter einer großen kiste die start verweste Leiche eines Mannes und setzte sofort, ohne etwas berührt zu haben, die Kriminalpolizei in Kenntnis. Wenn nicht alles täuscht, so ist der Tote im Keller der seit dem 7. Juni als vermißt gemeldete 25 Jahre alte Schneider Caurin.
Das Haus Annenstraße 23 ist eines der ältesten Gebäude in " Berlin . Es hat weitverzweigte schmale und niedrige Kellergänge, in denen elektrisches Licht noch unbekannt ist. An einem Ende verbreitert sich der Kellerraum und an dieser Stelle wurden früher die Kohlen aufgeschichtet. Seit Anfang 1930 hat aber niemand mehr den Ort betreten. Nur ein Stapel leerer Kisten verschiedener
marum nicht auch für Männer, die auf der Reise sind? Ich bin Vertreterin der Firma Truar u. Feinverkaufe direkt an Kunden und habe sechs weibliche Hilfskräfte unter mir. Ich kann Ihnen meine Verkaufsabschlüsse zeigen. Ich mar Sefretärin bei einem Architekten und habe auch ein wenig Architektur studiert. Hatte auch noch eine ganze Reihe anderer Posten. Nehmen Sie also, bitte, meine Vorschläge da mit nach Hause und überprüfen Sie die Sache ein wenig ingehender, besprechen Sie sie auch mit Ihrem Kompagnon, und dann wollen wir mit der Zeit von einer Stelle für mich in Ihrer Firma reden."
Sie verließ ihn so schnell sie konnte, fehrte ins Büro zurück und wurde nach einem Weinkrampf wieder die alte schüchterne Una.
5.
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Die Unterhandlungen zwischen Una und Herrn Sidney und seinem Partner waren langwierig. Sie wollten gern ihre Hotels von ihr einrichten lassen und doch hatten, sie noch nie eine solche Nihilistenidee gehört, wie etwa: ein richtiges Hotelbüro zu haben, ohne das übliche Stehpult darin. Sie brauchten Una, und waren sich nicht ganz klar darüber, ob sie, solange die Sache sich noch in diesem Stadium befand, die Gehaltsspesen vergrößern fönnten.
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Größen war dort noch, für den aber zunächst niemand Bermendung oder Intereſſe hatte." Am Mittwoch wollte ein Bewohner bes Hauses ausziehen und benötigte Risten zum Verpacken. Niemand hatte etwas dagegen, daß er das herrenlose Gerümpel im Keller durchstöberte und nach Kisten suchte. Als er in dem breiteren Rellerende eine Riste anhob,
fah er zu seinem Entsetzen die halbverdorrte Hand eines Mannes herausragen.
Der Mieter ließ alles stehen und rannte nach dem nächsten Polizeirevier, wo er Mitteilung von seinem Funde machte. Der Zustand der Leiche, die seit mehr als einem Bierteljahr in dem engen Versteck gelegen haben muß und von Ratten stark zerfressen ist,
diese
einander zu vergleichen, hatte etwas Faszinierendes, vier Männer, die sich nicht sehr voneinander unterschieden hätten, sähe man sie in einem Straßenbahnwagen nebeneinander sigen, und die doch sehr verschieden für den waren, der mit ihnen arbeitete: Schwirk, der Schwerfällige; Tron Wilkins, der Schreier; Truax, der höfliche Wimmerer, und Bob Sidney, der Zauderer.
Die Unterhandlungen schienen zu keinem Ergebnis zu
führen. Dann, ganz unerwartet, rief Bob Sidney sie eines Abends in ihrer Wohnung an: Mein Kompagnon, und ich haben uns soeben entschlossen, Sie zu engagieren, wenn Sie mit dreitausendachthundert im Jahr einverstanden sind."
Una hatte an Gehalt gar nicht gedacht. Sie hätte die neue Stelle, die ihr ein selbständiges, schöpferisches Arbeiten ermöglichte, auch gerne um dreitaufendzweihundert, ihr gegenwärtiges Gehalt, angenommen. Doch sie bewies ihre neuerworbene Tüchtigkeit und verlangte: ,, Biertausendzweihundert."
fürs erste Jahr." ,, Na, teilen wir die Differenz und sagen wir viertausend ,, Einverstanden!"
nießen könnte.
Sie setzte sich nieder und dachte an den beinahe vergeffenen Blan, ein Kind zu adoptieren. geffenen Plan, ein Kind zu adoptieren.
6.
Una stand in der Mitte des Zimmers. Sie hatte Erfolg Inzwischen verkaufte Una Baugründe und studierte den in ihrem Berufsleben. Und nun wurde ihr bewußt, daß sie ökonomischen Einkauf für den Hotelbedarf. Sie war jeder- jemanden brauche, mit dem sie die freudigen Nachrichten gezeit bereit, mit Herrn Sidney und seinem Kompagnon Mittagessen zu gehen aber das waren stets nur kurze zu jammenfünfte. Sie habe viel zu tun, jagte sie, und feine Zeit, gelegentlich einmal im Büro der Herren vorzusprechen. Als Herr Sidney einmal versuchte, ihre Hand in der seinen zu halten( nicht ernstlich, sondern aus dem geschäftlichen Brinzip, niemals eine Möglichkeit zu verfäumen), sagte sie abweisend: Bitte. lassen Sie das.wir wollen uns Zeit und Unannehmlichkeiten ersparen und von vornherein darüber klar sein, daß ich das bin, was Sie vermutlich eine anständige Frau" nennen." Er bat um Entschuldigung und versicherte ihr, daß er sie schon immer für' ne erftrangige, wirkliche Dame" gehalten habe.
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Die einfache Derbheit, die sie an Schwirk so abgestoßen hatte, interessierte sie an Herrn Sidney. Sie verstand es nun beffer, mit Menschen umzugehen. Diese vier Typen von Geschäftsmännern, die sie näher tennengelernt hatte, mit
Herr Sidney hatte bei seiner telephonischen Mitteilung auch vorgeschlagen: Kommen Sie morgen ins Büro, damit wir Sie hier bekannt machen können. Wir haben hier teinen fehr großen Betrieb, wie Sie wissen, aber doch ein paar Stenotypistimmen, brave Mädels, die darauf brennen, ihren neuen Borgesetzten kennen zu lernen; und dann noch einen sehr gescheiten Menschen aus dem Westen, den wir vielleicht als Hilfskraft und Reflamemann für Sie ausprobieren werden; und dann ist noch ein kleiner Laufjunge da, und das wäre so ziemlich alles. Also fommen Sie herüber, um Ihre Untergebenen zu begrüßen, wie die Leute jagen."
( Schluß folgt.)]