1930
Der Abend
Erfcheint täglich außer Sonntags. Zugleich Abendausgabe des Vorwärts". Bezugspreis beide Ausgaben 85 Vf. pro Woche, 3,60 M. pro Monat. Redaktion und Expedition; Berlin SW 68, Lindenstr. 3
Spätausgabe des„ Vorwärts
"
10 Pf.
Nr. 462
B 230 47. Jahrgang
Anzeigenpreis: Die einfpaltige Nonpareillezeile 80 Pf., Reklamezeile 5 M. Ermäßigungen nach Tarif. Bosscheckkonto: Vorwärts- Verlag G. m. b. H., Berlin Nr. 37536. Fernsprecher: Donhoff 292 bis 297
Der Sonderschlichter bestellt
Freitag Verhandlungen im Metallkonflikt
Das Reichsabeitsminifterium hat als Sonderschlichter für den Lohnkonflikt in der Berliner Metallindustrie den Vorfragenden Rat im Bremer Senat, Dr. Bölters, bestellt. Die Parteien sind bereits zu morgen, Freitagnachmittag, nach dem Reichsarbeitsministerium zu Verhandlungen geladen..
Dr. Bölders hat, wie amtlich hervorgehoben wird, verfchiedentlich wichtige Schlichtungsverhandlungen auch in der Metallindustrie geleitet. Auch das Schlichtungsverfahren im letzten Cohnstreit bei der deutschen Reichsbahngesellschaft wurde von ihm durchgeführt.
Metalltariffündigung in Hessen . Anschlag auf die Arbeitsbedingungen.
Frankfurt a. M., 2. Otfober.( Eigenbericht.) Der Berband der Metallindustriellen für Hessen - Naffau, Hessen und die angrenzenden Gebiete hat das Kollektivabkommen für die Metallindustrie zum 31. Dezember gekündigt. Abänderungsvorschläge zum bisherigen Abkommen sollen den Gewerkschaffen demnächst mitgeteilt werden. Hauptsächlich werden die Metallindustrien in Frank furt , Offenbach , Darmstadt und Hanau von der Kündigung beftoffen.
Zu Beginn der heutigen Berhandlung erteilte Reichsgerichtsrat Dr. Baumgarten dem letzten Berteidiger R.-A. Sack- Berlin das Wort, der das Folgende ausführte:
Ich bitte den hohen Senat, die Angeklagten. Scheringer und Wendt in vollem Umfange freizusprechen und die Akten der Dienststelle zuzuführen, die über derartige Delikte im Diszi plinarverfahren zu entscheiden hat.
Zwei Belten stehen sich in diesem Prozeß gegenüber. Die eine Belt, die das Verfahren in Gang brachte,
nervöse, ehrgeizige politiker in Berlin ,
auf der anderen Seite zehn Millionen Menschen, die nur dem alten Gesetz vom Kampf und Untergang gehorchen. Front und Büro stehen sich in diesem Saal gegenüber und die Angeklagten sind die Opfer der Spannung zwischen diesen beiden Polen . Mit Marquis Boja rufe ich Ihnen zu: Auch Sie werden dem Rade des Geschehenen nicht. in die Speichen fallen können!
R.-A. Dr. Sad ging dann zunächst auf das Ergebnis der Haupt
machen, wenn die Reichswehr ihr nicht zur Seite ft e he. Weiter hat der Angeklagte erklärt, daß die Reichswehr auf die nationalistischen Verbände nicht schießen dürfe. Aus der Aussage der Zeugen, daß Ludien und Scheringer Nationalsozialisten zur Aufklärung schicken wollten, geht die Berbindung der Angeflagten mit den Nationalsozialisten flar hervor. Wenn es den Angeklagten nur darauf angekommen wäre, den nationalen und den Wehrgeist bei ihren Kameraden zu meden, so wäre es nicht nötig gewesen, daß ein besonnener Offizier wie der Hauptmann Reipe fie ausdrücklich in einem Brief warnt und an ihren Treueid erinnert. Bei ihren verschiedenen Konferenzen in Berlin , Eisenach und so weiter haben die Angeklagten flar ausgesprochen, daß die Regierung gestürzt und die Reichswehr sich auf die Seite der Nationalsozialisten stellen müßte. Eine Sturz der Regierung hätte aber auch gleichzeitig eine Berlegung der Verfassung bedeutet. Den Angeklagten ist zuzubilligen, daß sie aus vaterländischen Motiven gehandelt haben, aber ein Hochverrat bleibt ein hochverrat, selbst wenn er aus den edelsten Beweggründen heraus begangen worden ist. Die WohlLeutnants regeln. ,
Die Besprechungen beginnen. Derhandlung ein und beſchäftigte sich mit den Aussagen der Zeugen fahrt des deutschen Boltes läßt sich nicht nach der Ansicht der Ulmer
Hermann Müller und Otto Wels bei Brüning. ,
Der Reichskanzler empfing heute vormittag die beiden sozialdemokratischen Führer Hermann Müller und Otto Wels . Die Besprechungen trugen nur informatorischen Charakter, da bisher weder der Fraktionsvorstand der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion noch die Fraffion gefagt hat.
sowie mit den vielumstrittenen Akten der Voruntersuchung, die nach dem Wort des Präsidenten, wie der Verteidiger ausführte, nur ein Torso seien. Nach dem allgemeinen Eindruck, den man aus der Verhandlung erhalten habe, hätten alle Zeugen, die durch den Untersuchungsrichter Landgerichtsdirektor Braune vernommen wor den waren, das Gefühl gehabt, daß sie durch den Untersuchungsrich ter festgelegt werden sollten.
Nach dem Ende der Besprechungen trat der Fraktionsvor- Berteidiger, sich am beffen auf Scharnhorst, Gneisenau und stand zu einer Sigung zusammen.
Das Reichsbanner ruft!
Aufmarsch im Luftgarten.
Der Gauvorstand des Reichsbanners Schwarz- Rot- Gold, Gau Berlin- Brandenburg, erläßt folgenden Aufruf: Kameraden Republikaner! Die Feinde des demokratischen Volksstaates glauben ihr reaktionäres Spiel schon gewonnen. Es gilt ihnen zu zeigen, daß die Reihen der organisierten Republifaner, die bereit sind, alle Angriffe auf die Republit mit den Mitteln zurückzuweisen, mit denen sie unternommen werden, stärker als je zuvor sind. Es gilt zu zeigen, daß wir start genug sind, den Sput der Staatsstreichler an den Formationen des Reichsbanners scheitern zu lassen. Jetzt gilt es zu handeln, und darum, Reichsbanner vorwärts, marsch.
Durch seinen
Aufmarsch am Sonntag, dem 5. Oftober, nachmittags 4 Uhr, im Luftgarten
wird das Reichsbanner befunden, daß es zur Stelle ist. Wir fordern die werktätige republikanische Bevölkerung Berlins auf, in Massen zu diesem Aufmarsch zu kommen und mit uns das Gelöbnis des Kampfes gegen alle Putschisten, Staatsstreichler und Bürgerkriegler
zu erneuern.
Für die Einstellung der Angeklagten könne er, der Clausewitz berufen, die übereinstimmend lehren, daß ein Bolt nichts höheres zu verteidigen habe, als seine Freiheit und seine Ehre, und daß selbst nach einem ehrenvollen Untergang immer wieder die Hoffnung auf eine Wiedergeburt vorhanden sei. Der heutige Soldat fann nicht unpolitisch sein. Er muß, wenn er seine Aufgabe erfüllen will, politisch denken können. Ich kann mir vorstellen, daß in einem fommunistischen Heer eine straffe, eiserne Disziplin, eine hervorragende Wehrhaftigkeit, basierend auf
einer großen Idee, herrschen,
aber ich fann mir nicht denken, daß ein Soldat ein Ideal haben fann in einem Staat, der jederzeit die Verfassung mit Zweidriffelmehrheit ändern kann.
Hierauf nahm Reichsanwalt Dr. Nagel zur Replit das Bort:„ Die Verhandlung hat ergeben, daß Lubien mehrfach behauptet hat, die Notionalsozialistische Partei würde feinen Butsch
Sie wollten, daß das ganze deutsche Bolt nach der Pfeife einiger Leutnants tanzen sollte."
( Bei diesen Worten des Reichsanwalts erhob sich im Zuhörerraum ein lautes Johlen, Oho- und Pfuirufe.)
Bors. Wenn diese Kundgebungen des Mißfallens nicht ver. stummen, laffe ich sofort den Saal räumen.
Reichsanwalt( fortfahrend): Der Staat ist nicht ein Spielball für ein paar Leutnants, er ist vielmehr für das ganze deutsche Volk da. Darum ist auch die beantragte Strafe für diese unbotmäßigen jungen Offiziere nicht nur gerecht, sondern hoffentlich auch heiljam!
Groener gegen Künstler.
Der Strafantrag gestellt.
Das Reichswehrminifterium teilt mit, daß es Strafantrag gegen den Reichstagsabgeordneten Franz Künstler gestellt hat. Damit ist der Forderung des Vorsitzenden der Berliner Sozialdemokratischen Bezirksorganisation Rechnung getragen. Selbstverständlich muß über die Behauptungen Künstlers von mehr als sonderbaren Vorgängen in der Reichswehr vor Gericht öffentlich verhandelt werden!
Städte brechen zusammen
Sintende Steuereinnahmen- Steigende Soziallaften
Die Finanzlage in den Städten des Ruhrgebiets nimmt infolge der steigenden Wohlfahrtsaften auf der einen und der sinkenden Steuererträg. aiffe infolge der Wirtschaftskrise auf der anderen Seite einen immer bedrohlicheren Charakter an. Die jetzt wieder einsetzenden Beratungen der Stadtparlamente ergeben ein trübes Bild für die kommenden Monate.
Im Laufe des gestrigen Mittwoch wurden weitere Ber- referenten drei Millionen Marf einzusparen, um nur für haffungen von früheren Abgeordneten des polnischen Sejm vorgenommen. In Warschau ist einer der rührigsten Führer der radikalen bäuerlichen„ Wyzwolenie"-Partei, Smola, wegen Mißachtung der Behörden festgenommen worden.
Wie aus Tarnopol verlaufet, wurden dort zwei frühere ukrainische Abgeordnete, Prälat Sunidi von der Undo- Partei und Ladyka von der Sozial- Radifalen Partei, verhaftet. Beiden werden staatsverräterische Umtriebe zur Caft gelegt.
Bei Czenstochau wurde ein Mitglied der polnischen Bauernpartei ..Stronniotwo Chlopffie", Olo3nt, verhaftet. Der Grund der Berhaffung war, daß Olozyk taufend Stüd Aufrufe des Zentrolew bei fich trug, die feinerzeit beschlagnahmt wurden.
dem Anleihewege beschafft werden. Die vom Magistrat vorgeschlagene Erhebung einer Bürgersteuer und die Erhöhung der Biersteuer wurde von der Stadtverordnetenversammlung abgelehnt.
Noch schlimmere Verhältnisse als in Dortmund liegen in a gen vor, das auch durch die Eingemeindung schwere Lasten zu übernehmen hatte. Dazu kommt, daß die Hagener Industrie besonders start unter der Krise leidet. Die Stadt steht vor dem finanziellen Zusammenbruch. Hagen hat mit
85 Arbeitslojen auf 1000 Einwohner doppelt soviel Arbeitslosigfeit als die anderen Städte des Westens. Beim preußischen Innenminister liegt ein dringlicher Antrag der Stadt Hagen vor, einen Zuschuß von 24 Millionen zu überweisen, menn nicht die Stadt in wenigen Wochen entsprechend den Erlassen über die kommunale Finanzgebarung die Zahlungsunfähig - feit ertlären muß. Auch ist die Regierung gebeten worden, einen Regierungstommissar zu entfenden, der die wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse der Stadt prüfen soll. Um eine Drosselung der Ausgaben zu erzielen, sollen die Beamten gehälter, und zwar Gehälter von 4000 bis 5000 M. um 1 Pro3., Gehälter von 12 000 m. um 9 Proz. und Gehälter von 20 000 m. um 20 Pro3. gekürzt werden. Die Kürzung will die Stadt als Wohl
die dringendsten Bedürfnisse Geld zu haben. Bei allen Steuern sind große Ausfälle zu verzeichnen, allein bei der Lohn summen. steuer über eine Million Mart. Dazu kommen noch zwei Millionen Mark Schulden aus anderen Sparten der Verwaltung. Die Wohlfahrtsbeträge reichten bei weitem nicht aus. Wenn der Zuwachs der Erwerbslosen in dem gleichen Maße anhalte wie in den Sommermonaten, so fet mit einem Mehrbedarf von 2 bis 2½ Millionen für den Wohlfahrtsetat zu rechnen. Die Differenz gegenüber den Jahren besserer Wirtschaftslage beträgt bei den Einnahmen nicht weniger als 4 Millionen Mart und bei den Ausgaben 3 Millionen Mark, so daß für 7 Millionen ein Ausgleich gesucht werden müsse. Für Notstandsarbeiten sollen 1½ Millionen Mart unter Mithilfe des Reiches, der Reichsbahn und des Staates auffahrtsbeitrag vorläufig bis zum nächsten Frühjahr erheben.