Beilage
Donnerstag, 2. Oktober 1930
Der Abend
Shalausgabe des Vorwärts
Achtundvierziger Revolutionslyrik
Fast jeder Dichter damals eine ,, eiserne Lerche"
Was für geflügelte Worte hat die deutsche Revolution von 1918 geprägt? Ein einziges und das aus Monarchenmund, Friedrich Augusts klassischen Abschiedssay an seine Sachsen : Macht eich eiren Dreck alleene! Und welche Lieder und Gedichte sind aus dieser Novemberrevolution im Gedächtnis des Volks geblieben? Nicht ein einziges! Darin unterscheidet sich der Umsturz am Ende des Welt friegs gründlich von der Revolution, die siebzig Jahre zuvor auf deutschem Boden ihre Fahne schwenkte: das Jahr 1848 entfaltete die üppigste lyrische Blütenpracht, fast jeder Dichter verwandelte sich, Heinrich Heines auf Herwegh gemünztes Wort anzuwenden, in eine ,, eiserne Lerche", und, als Flugblätter gedrudt, wirkten viele dieser Strophen unmittelbar zündend auf die Massen. Hat 1882 Helfert in seiner Anthologie ,, Der Biener Barnaß im Jahre 1848" die Erzeugnisse der Revolutionsmuse in Desterreich gesammelt und 1903 Pe get in seiner Blütezeit der deutschen politischen Lyrif von 1840 bis 1850" viele Liedproben aus dem Sturmjahr in seinen Text eingeschoben, so legt jetzt der Verlag von Philipp Reclam jun. in Leipzig in seiner bedeutenden Sammlung ,, Deutsche Literatur " einen Band
Die Dichtung der ersten deutschen Revolution von 1848 bis 1849
vor, der im Spiegel von rund 180 Gedichten aus der Zeit jene deutsche Freiheits- und Einheitsbewegung vom süßen Beginn bis zum bitteren Ende einfängt. Die Blütenlese, die von Dr. Elfriede Underberg gesichtet und eingeleitet wurde, zerfällt in zehn Abschnitte: Borzeichen der Revolution, Märzrevolution in Wien , Märzrevolution in Berlin , Freiheitsjubel im Frühjahr 1848, Der Hederputsch im April 1848, Das junge Parlament, Ermattung im Sommer 1848, Umschwung im Herbst und Winter 1848, Scheitern der Verfassung, Realtion von 1849; alle großen Nummern der deutschen Dichtung aus der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts, von Heine bis Gottfried Keller , von Eichendorff bis Grillparzer , von Freiligrath bis Serwegh, fommen zu Wort, die ausgesprochenen Zeitdichter Dingelstedt, Grün, Hartmann, Hoffmann von Fallersleben , Pfau, Bruz und andere fehlen erst recht nicht, und hinter ihnen drängt sich ein ganzer Schwarm Kleinerer und Namenloser.
Schon die Vorahnung fommender revolutionärer Ereignisse bringt die Leier einzelner Dichter zum Tönen, und die Februar revolution in Paris weckt auch Iyrisches Echo in Deutschland , aber erst als am 15. März, sich erhebend, Wien seine Metternichs und Machthaber niederschlägt, hebt das große poetische Jubelrufen an; auch der Schweizer Keller neigt sich der Stadt, die er fälschlich für ein leichtgefinntes Capua gehalten hat:
Stadt der Freude, Stadt der Töne, Morgenfrohes, stolzes Wien ,
Dessen frühlingsheitre Söhne
Nun der Freiheit Rosen ziehn.
18. März
Die Barrikadenschlacht des 18. März hinterläßt neben dem Glücksgefühl des Sieges, dem Freiligrath hinreißend Ausdruck leiht, Wut und Ingrimm, daß durch den Starr: finn Friedrich Wilhelms IV. erst so viele Opfer fallen mußten. Ludwig Pfau flagt und zürnt:
Da liegen sie, Mann und Knabe,
Starr, mit zerfeztem Leib;
Da kommen sie weinend und klagend,
Braut, Schwester, Bruder, Weib.
Da schauen Väter und Mütter
Die toten Söhne an:
Herrgott! Und das hat ein König,
Ein deutscher König getan!
Und Alfred Meißner rust in seiner Hymne ,, An Friedrich Wilhelm IV. , von Gottes Gnaden König von Preußen", gar zum Tyrannenmord auf:
Du darfst kein volles Jahr mehr sizzen
Auf Leichen hinter blut'gen Pfützen;
Mit solchen Taten, wie sie dein,
Kann Sklaven man zu Helden peitschen:
Doch ein Aristogiton sein.
Aber die finsteren Stirnen entrunzeln sich, als der Sieg des Volkes auf der ganzen Linie gesichert scheint. Hundert Dichter verwende immer wieder die gleichen Symbole des Lenzes, um
den deutschen Freiheitsfrühling geziemend zu feiern. Vorbei des Winters Druck und Qual, Frühling, Frühling auf Berg und Tal; Freiheit, o Völkerfrühling; das Eis von allen Strömen springt, Bächlein auf Bächlein jauchzend tlingt; das wird ein Wachsen, wird Blühn; im Blütenmond wird duftig sich gestalten der Blütenschmuck des neuen Völkerseins; O, heilig Auferstehn
In Wald und Berg und Tal!
D. Bölkerfrühlingswehn
Im Freiheitsmorgenstrahl!
Es lodern hell die Kerzen,
Die 3weige rings am Strauch - Und sieh! in unsern Herzen Da blüht und glüht es auch. Beschwingter, gegenwartsberauschter, zukunftsseliger war sicher nie ein Geschlecht, aber es mangelt nicht an Steptifern, die ob der Redeluft und Tatenschen der deutschen konstituierenden National verfammlung in der Frankfurter Paulskirche bange Ahnung beschleicht; Georg Herwegh höhnt nicht zu Unrecht:
Zu Frankfurt an dem Main Sucht man der Weisen Stein; Sie find gar sehr in Nöten, Moses und die Propheten, Präsident und Sekretäre, Wie er zu finden wäre
Im Parla Parla
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Barlament
Das Reden nimmt fein End'!
Nachdem sich die vormärzlich Gesinnten von ihrem ersten Schred erholt haben, stülpen auch sie der Muse die Pickelhaube auf und heißen sie zu Trommel und Querpfeife marschieren. Franz Dingel stedt gibt fund: Geht linkswärts ihr, uns lasset rechtswärts gehn! Betty Pa oly jubelt Radetzky, der die italienische Unabhändig keitsbewegung niederwirft, hysterisch- byzantinisch zu:
Mir scheint es schon vermessen, Wenn ich, im wachen Traum, Die Lippen möchte pressen Auf deines Mantels Saum.
Grillparzer schmäht
das Volk als blöde Menge,
die vor dem Thron vertrauend und gebeugt, nicht auf dem Thron an ihrer rechten Stelle,
und herrlich erweist sich das, was unheilbare Kommißköpfe noch heute den„ echten, alten Preußengeist" nennen, in Wilhelm Meinholds Preußischem Hurralied":
Bald ist
Was predigt der Pöbel von Volksmajestät Und Volksregiment uns früh und spät? Hurra, Kamerad, marsch, marsch, Kamerad! Das leidet kein preuß'scher Soldat!
Hat Preußen der Pöbel einst groß gemacht? Nein, Friedrich, der donnernde König der Schlacht! Hurra, Kamerad, marsch, marsch, Kamerad! Und mit ihm der preuß'sche Soldat!
die Gegenrevolution wieder im Sattel, Wortbrüche, Staatsstreiche und Oftronierungen der Herrscher folgen einander, im Dezember schon spottet, megen Schmerz in der Brust, Hoffmann von Fallersleben :
Ausgelitten, ausgerungen
Hast du endlich, deutsches Herz, Gut, daß er einmal verflungen, Dieser deutsche Freiheitsmärz. Weg mit allen Barrikaden!
Weg mit aller Bürgermehr! Hoch der Herr von Gottes Gnaden!" Hoch sein sieggewohntes Heer!
Mit der Friedenspfeif' im Munde Geht's ins Bierhaus auf die Wacht, Trinkt man bis zur Bürgerftunde, Und dann Freiheit, gute Nacht!
Und als im letzten Akt des Dramas, das da heißt ,, 1848/ 49", der habsburgische Absolutismus mit russischer Hilfe die magnarische Revolution zu Boden schlägt, findet sich wahrhaftig ein Josef Weyl , der, aller Scham bar, seinen lyrischen. Weihrauch den Rosaten zur Ehre anzündet:
Es naht der tapfre Steppensohn,
Er fommt vom Dnjepr , schied vom Don; Er fürchtet keine Tadler
Und schart sich um den Adler! Hei, wie das Steppenrößlein schnaubt! Kossuth, umjonst hast du geglaubt, Die Krone einzusacen Drumkommen die Kosaken!
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In ihrer Einleitung erwähnt Dr. Elfriede Underberg, daß In ihrer Einleitung erwähnt Dr. Elfriede Underberg, daß die wirtschaftlichen und sozialen Nöte
in der Dichtung des Revolutionsjahres fast gar keine Rolle spielen. Immerhin gibt es neben einem Eduard Gottwald, der all den Freiheitsphrasenschwulst auf die nüchtern bourgeoise Feststellung reduziert:
Ein Rechtsgesetz, ein Zollverband, Den Handel frei durchs ganze Land; Dies ist's vor allen Dingen, Wonach die Völler ringen.
Ja, seht! Das sind die Proletaren, Der Zukunft Rächerparlament, Das nur ein machtlos Wort des Zaren Bom hellen Tag des Sieges trennt. Gefangen im Verbrecherreigen, Erwählen sie der Nächte Schweigen Zu Baffenbahn und Kriegeszelt, Und hinter Riegel, Schloß und Gittern, Wie in das Kampfes Ungewittern, Berhandeln sie das Los der Welt.
Bon denen, die 1848/49 unterlagen, befundet der Sprecher:
Int:
Sie fragten noch mit ernstem Munde
Nach Mark und Grenze, Schärp' und Band,
Und wußten doch: Es hat zur Stunde Der arme Mann fein Vaterland!
Gold! Gold! Um dich auf blut'ger Sohle Durchschweift der Welt der Reichen Heer, Es treibt sie fort von Pol zu Pole,
Es jagt sie über Land und Meer.
' s ist nicht der Geist, der glutentflammte, Der ihres Wuchersinns verdammte Geschwader in die Fremde trug;
Die Welt ein Krämerhaus der Waren Und selbst die fernsten der Barbaren Verschonte nicht des Goldes Fluch! Der Redner schließt:
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Für alle Licht und Lust und Leben Und mit dem Feuersaft der Reben Besiegeln wir den Völkerbund! Die gleiche Zuversicht ist es, die aus Hermeghs ,, Im Früh ling" stammenhaft ausschließt:
O, laß sie träumen noch eine Nacht! Dann wetzen wir aus die Scharte, Dann werden Fidibusse gemacht Aus der europäischen Karte.
Die Völker kommen und läuten Sturm Ermache, mein Blum, erwache! Bom Kölner Dome zum Stefansturm Wird brausen die Rache, die Rache.
Aber acht! vofderhand sind das Hoffnungen und Entwürfe, denen gleich, von denen es im Heckerlied heißt:
Er hängt an feinem Baume,
Er hängt an feinem Strid,
Er hängt nur an dem Traume
Deu deutschen Republik.
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Menschenalter und mehr, ehe wenigstens dieser schwarzrotgoldene ,, Traum der deutschen Republit" es dauerte schon noch zwei Traum Wirklichkeit ward.
Treviranus als Literat
Herr Reichsminister Treviranus ist ein vielseitiger Mann. Sofern er nicht regiert, hält er Reden, sofern er nicht diese Reden hält, ist er damit beschäftigt, sie zu widerrufen, und sofern er nicht widerruft, setzt er sich hin und schreibt. Freuen wir uns über die Tatsache, daß der kleine freundlich- rundliche Herr Treviranus so beweglich ist, wer hätte ihm so viel Aktivität zugetraut? Pflegen sich nicht sonst deutsche Politiker und Militärs oft genug durch eine er schreckende, fast barbarische Einseitigkeit ihres Geistes auszuzeichnen? Bolkspartei bei seiner noch vor dem Seeckt zu genießenden Rede Allerdings machte letthin der biedere Dr. Scholz von der Deutschen indem er zu deren besten und repräsentativiten Stücke das im Großen Schauspielhaus einen Ausflug in die deutsche Literatur, Preußische Infanteriereglement zählte, aber auch so viel Geistigfeit erscheint noch als Ausnahme,
Dichter, die mit der hungernden Masse empfinden. Die Frauen die der Feind noch zu zahlen hat. Aber nein, im Gegenteil, der rechtlerin Quise Otto ruft:
Arbeit und Brot! Ihr werdet's nicht vergessen- Das ist die Losung dieser neuen Zeit! Gebt dem sein Recht, der keines noch besessen! Denkt an der Armut, an des Hungers Leid!
Der Wiener Ferdinand Sauter enthüllt ,, Den Proletariern": Und ihr müßt noch immer darben. Euch berührt der Jubel nicht, Der, beschwingt von deutschen Farben, Aus der Jugend Kehlen bricht. Gleichheit ist euch eine Fabel, Wißt, die Habsucht blieb sich gleich; Kärrner ihr am Turm zu Babel, Glaubt, ihr wedet nimmer reich.
Von dem welthistorischen Rhythmus aber des Kommuni. stischen Manifests", dessen Geburtsjahr auch 1848 ist, lebt am meisten in Strootmanns düster gewaltigem ,, Kasematten Parlament in Rastatt ", das leider, und auch das nur in Bruch ftüden, in die Anmerkungen der Anthologie verwiesen ist. Bon den Revolutionsfoldaten ist die Rede, die als Festungsgefangene in Rastatt Sand karren, abends aber, im gemeinsamen Schlaffaal
Zusammentreten sie mit braunen Gesichtern ernst und still und raunen Bom Weh, das in der Seele brennt; Sie fürchten nicht das Los der Schächer, Sie wählen trogig gar den Sprecher Zum Kasematten- Parlament.
Seht her! Das war ein ander Tagen, Ein Wort von andrer Glut getauft, Als wo um Gold die Menschheitsfragen Ein Professorenvolk verkauft!
Kehren wir nun zum Seekadetten zurück. Was schreibt er denn eigentlich? Man möchte nach seinen letzten Taten annehmen, daß er anhaltend damit beschäftigt ist, die Rechnungen auszuschreiben, Herr Reichsminister hat wahr und wahrhaftig den pazifistischen Kriegsroman ,, Good bye to all that" des Engländers Robert Graves ins Deutsche übersetzt- wobei wir denn allerdings hoffen wollen, daß das Deutsch der Uebersetzung denn doch noch etwas besser ist als das des Vorworts zur deutschen Ausgabe, das Herr Treviranus höchstpersönlich beigesteuert hat. Treviranus und ein Friedensbruch ja, da staunt man Bauklößer. Aber es ist wohl besser mit diesen Klößern nicht zu bauen, es ist fraglich, wie lange sie halten...
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Im Borwort bekennt sich der Herr Minister, der eben erst eine Rede hielt, als ob er sich aufs Pferdchen sehen wollte, um gen Ostland zu reiten, zum verhaßten Pazifismus mit einer Eindeutigkeit, die außer der Grammafif, deren sie sich bedient, nichts zu münschen übrig läßt. Laß hören: Mütter, die im Zwiespalt des Herzens die Jahre durchlebt haben, als die eigene Nation mit der Heimat der Kinder im Kampfe auf Leben und Tod stand, haben beten gelernt, daß der Stolz auf die eigene Nation auch die tiefere Erkenntnis über Wesen und Sein der Nachbarn, aus dem Gegeneinander ein Miteinander selbstbewußter Nationen reifen lassen möge, dem allein die wahre Friedens. frone gebührt. Deshalb erwachte der Wunsch, dieses Buch auch dem deutschen Bolle weiterzugeben."
Nun, ich denke von jedem Menschen das Beste, sogar von Herrn Treviranus. Und es sei deshalb fern von mir, ihn, der diese Sätze sicher schrieb, als er noch nicht Minister war, einen Heuchler zu nennen. Ob Herr Treviranus die Kriegstrompete bläst oder die Friedensschalmei sicher meint er es in jedem Falle ehrlich. Heute so und morgen so, Herr Treviranus kann sein Seefadettentum nicht verleugnen: Schiffsplanken sind die Grundlagen seiner Weltan schauung und das Schaufeln fann er nicht lassen.
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Erich Gottgetren