Morgenausgabe
Nr. 481
A 242
47.Jahrgang
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Vorwärts
Berliner Boltsblatt
Dienstag
14. Oftober 1930
Groß- Berlin 10 Pt. Auswärts 15 Pf.
Die eta paltige Nonpareillezetle 80 Pfennig. Reklamezeile 5,- Reichs. mart. Kleine Anzeigen das iettge. brudte Wort 25 Pfennig( zulässig amei fettgebrudte Borte), jedes weitere Bort 12 Bfennig. Stellengesuche das erste Wort 15 Pfennig, jedes weitere Bort 10 Pfennig. Borte über 15 Buchstaben Arbeitsmarkt zählen für zwei Borte. Beile 60 Pfennig. Familienanzeigen Zeile 40 Pfennig. Anzeigenannahme im Haupt geschäft Lindenstraße 3, wochentäglich von 81%, bis 17 Uhr.
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Trillerpfeifen und Steine.
Reichstagsskandal/ Straßenfrawall Metallfonflikt.
Hakenkreuzkrawalle in der Stadt.
Schaufenstersturm in der Leipziger Straße . Jm Kaufhaus Wertheim
36 Schaufenster eingeworfen.
Der Polizeipräsident teilt mit: Bereits vor der Eröffnung des Reichstages fammelten sich gegen 2½ Uhr nachmittags größere Menschenmengen- anscheinend Nationalsozialisten- im Tiergarten und in den angrenzenden Straßen an, die verfuchten, bis zum Reichs tagsgebäude vorzubringen. Sie wurden durch die bereitgestellte flarte Polizeimannschaft immer wieder zurückgedrängt. Ein neuer Borstoß wurde gegen 34 Uhr unternommen. Nachdem sich in der Friedens. allee größere Trupps angesammelt hatten, gingen sie unter dem Gefang nationalsozialistischer Lieder gegen die Polizeisperrtette vor, um fie zu durchbrechen. Berstärkungen. die herangezogen wurden, Sprengten die Demonstranten auseinander und drängten sie durch den Tiergarten in Richtung Brandenburger Tor ab. Um 4 Uhr fegte ein neuer Sturm auf das Reichstagsgebäude ein. Dabei wurden nach Anwendung des Polizeifnüppels 50 Personen, fiftiert.
Nachdem vor dem Reichstagsgebäude stärkere Menschenansammlungen durch das Eingreifen der Schuhpolizei zerstreut worden waren, strömte ein beträchtlicher Teil der dorf abgedrängten Perfonen durch die Friedrich- Ebert- Straße in Richtung Potsdamer Plah und Leipziger Straße ab.
Cima um 16 Uhr 10 Minuten wurden zunächst beim Café Dobrin mehrere Fensterscheiben durch Steinwürfe zerstört und faft unmittelbar anschließend in der Leipziger Straße die dortige Schaufensterfront des kaufhauses Wertheim eingeworfen bzw. eingeschlagen. Ferner wurden bei den Firmen Grünfeld, Bette, Cords und Adam mehrere Schaufenster zerstört. Außerdem wurde in der Charlottenstraße bei der Firma
Behrendt und in der Kronenstraße bei der Darmstädter Bant mehrere Fenster eingeworfen.
Die fofort eingesetzten Polizeistreitkräft zerstreuten die Anfammlungen und nahmen insgesamt 53 personen, die der NSDAP . angehören, fest. Die Festgenommenen wurden zur Strafverfolgung der Abteilung I A eingeliefert. Weitere 3wischenfälle find nicht mehr eingetreten.
Großer Sachschaden.
Der Sachschaden, den die Hakenkreuzbanden angerichtet haben, ist sehr erheblich. Jm Kaufhaus Wertheim wurden nicht weniger als 36 große Spiegelscheiben eingeschlagen.
Nach Geschäftsschluß.
Nach Geschäftsschluß bot die Berliner City den üblichen ruhigen Eindruck. Lediglich am Potsdamer Platz pendelten kleine Trupps von Nationalsozialisten hin und her, die sich mit dem Faschistengruß begrüßten. Verschiedentlich bildeten fich größere Diskussionszirtel, die schnell und leicht von berittener Polizei zerstreut wurden. Wenn die Polizisten kamen, riefen die Nazis ihren Anhängern zu:„ Caßt euch nicht von den Strolchen fofframpeln, imorgen gibt's noch mehr!" Gegen 10 Uhr schlugen halbwüchsige Burschen 5 Schaufensterfcheiben im Warenhaus Tieh am Dönhoffplatz ein. Sie entfamen über den Dönhoffplak.
Gegen Mitternacht waren insgesamt etwa 100 Personen verhaftet.( Weitere Nachrichten im lokalen Teil.)
Urabstimmung der Metallarbeiter.
Dreiviertelmehrheit gegen den Schiedsspruch.
Obgleich das Gesamtresultat der Urabstimmung in Die Abstimmung zeigt die glänzende Kampfentschloffen= den Betrieben des Verbandes Berliner Metallindu heit der Arbeiterschaft. Gemeinsam mit dem Deutschen Metallstrieller noch nicht vorliegt, geht schon aus den bis arbeiterverband ist sie entschlossen, den Schiedsspruch nicht 10 Uhr abends eingelaufenen Abstimmungsergebnissen nur abzulehnen, sondern auf dem Wege des Arbeitskampfes unzweideutig hervor, daß mehr als die statutarisch not- einen für die Arbeiterschaft günstigen Vertrag herbeizuführen. Der Streit wird voraussichtlich am Mittwoch beginnen.
wendige Dreiviertelmehrheit der Berliner Metallarbeiter und arbeiterinnen sich für die Ablehnung des Lohnabbauschiedsspruches des Sonderschlichters Dr. Wölfers entscheiden wird.
Von den 276 Betrieben, die zur Zeit dem VBMI. angeschlossen find, lag bis gestern abend das Abstimmungsergebnis aus 192 Betrieben vor.
In diesen Betrieben find 80 673 Stimmen abgegeben worden. Davon waren für Annahme des Schieds. spruchs 14 311, für Ablehnung 64 592 Stimmen und ungültig 1770.
Da in einem Teile der Betriebe am Montag. nicht gearbeitet wird. wie zum Beispiel in der NAG.- Oberschöneweide, ist erst bis heute abend das Endresultat zu erwarten.
zugreifen, Verhandlungen herbeizuführen und dahin zu Jezt ist es die Aufgabe der Regierung, vermittelnd einwirken, daß diese Verhandlungen mit einem Ergebnis enden, das den Forderungen der Gewerkschaft gerecht wird! Der ADGB. gegen Verbindlichkeitserklärung.
Die Tagung des Bundesvorstandes und des Bundesausschusses des Allgemeinen Deutschen Gemert schaftsbundes befaßte sich am Montagnachmittag mit dem Schiedsspruch des Sonderschlichters Dr. Bölfers in dem Lohnkonflikt zwischen dem Verband Berliner Metallindustrieller und dem Deutschen Metallarbeiter- Verband. Das Ergebnis der furzen Aussprache über den verhängnisvollen Lohnabbau- Schiedsspruch ist in der folgenden Ent schließung zusammengefaßt.
Alus mehreren Großbetrieben ist das Abstimmungsergebnis In dem Schiedsspruch für die Berliner Metallgestern ebenfalls noch nicht dem Metallarbeiterverband übermittelt industrie erkennt der Bundesausschus des Allgemeinen worden. So liegen noch teine Resultate vor aus den Großbetrieben: Deutschen Gewerkschaftsbundes die Absicht, die staat. Ambi und Ambi- Bud, Johannisthal , Lokomotivfabrit Maffenliche Schlichtung einseitig zugunsten der Arbeitgeber Schwarzkopff, Bildau, Mig u. Genest, Lokomotivfabrik Drenstein u. gegen die Arbeiterschaft einzusehen. Mit dem gegen die Arbeiterschaft einzusetzen. Mit dem Koppel, Nomawes, Schuchardt u. Schütte, Spandauer Str., Daimler Deutschen Metallarbeiter- Verband sind daher alle Ge Benz, Marienfelde , Kabel- sowie Metallwert Siemens, Eisengießerei werkschaften einig in der entschiedenen Verurtei von Siemens u. Halste usw Iung dieses Mißbrauchs der Staatsgewalt und erheben Heute vormittag tritt zunächst das Metallfartell und im im voraus Protest dagegen, daß etwa durch Ver Anschluß daran treten die Obleute aus den Betrieben des VBMI. bindlichkeitserklärung dieses Schiedsspruches zufammen, um das Abstimmungsergebnis entgegenzunehmen und versucht wird, der Arbeiterschaft den Lohnabbau aufzubie notwendigen Schritte zu beschließen. zwingen."
Trillerpfeifen tönen im Sigungssaal, Schaufenster splittern in der Leipziger Straße . Der Reichstag ist er öffnet. Die Befreiung des deutschen Boltes von Vernunft und Anstand hat begonnen. Hörbar und sichtbar nähern wir uns dem dritten Reich.
Man muß es den Nationalsozialisten lassen, bei ihnen gibt es feinen Unterschied zwischen Führern und Geführten; beide sind einander mert.
Die Einhundertundsieben, die sich vermummi in den Reichstag schlichen, um dann in voller Kriegsbemalung in den Saal einzumarschieren, hätten, statt drinnen zu pfeifen und zu johlen, ebensogut draußen Steine schmeißen können.
Und die dreihundert Söhne der besseren ge= bildeten Stände, die ihre mitgebrachten Wurfgeschosse mit einer Uebung verratenden Sicherheit in die Schaufenster von Kaffee und Warenhäuser entlandten, um nach vollbrachter Tat die Flucht zu ergreifen sie hätten ebensogut den rechten Flügel des Reichstags zieren fönnen, man hätte nicht den geringsten Unterschied der Qualität bemerkt.
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Wer den Reichstag noch erlebt hat in der Zeit, in der ganz lints Bebel und Bollmar, ganz rechts Kardorff, der Bater, und v. Heydebrand saßen, den packt ein Graufen.
Kann man sich damit trösten, daß es im Reichstag im Mai 1924 ähnlich ausgesehen hat? Damals war freilich manches ebenso wie jezt, aber auch manches anders.
Anders: denn die wirtschaftliche Krise war im Abflingen, die radauluftigen Wahlfieger pfiffen links, nicht rechts im Reichspräsidentenhaus aber faß Friedrich Ebert .
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Heute vermag niemand zu sagen, wie lange die Krise. noch dauern wird. Erster Wahlfieger ist nicht der Kommunismus, sondern der unendlich gefährlichere Fafch is mus. Ob die ganze Gefahr, die von ihm droht, jetzt im Reichspräsidentenhaus erkannt wird, ob die richtigen Schlüsse daraus gezogen werden, ist eine wichtige, aber eine ungeklärte Frage.
Für die Arbeiterklasse war der 14. September eine Warnung, der 13. Oftober ein Alarmsignal. Sie steht jetzt ihrem Todfeind Leib an Leib gegenüber und sieht das Weiße seines Auges. Ein Sieg dieser Horden würde sie materiell und ideell über die Kaiserzeit hinaus zurückwerfen. Rechtlos geworden würde sie vergeblich die begrabene Demotratie mit den Nägeln auszugraben versuchen.
Der Kampf muß sofort aufgenommen werden und er muß geführt werden mit wirksamen Mitteln. Auch die kommunistisch gesinnten Arbeiter müßten jezt begreifen, daß mit Hochrufen auf die Weltrevolution und auf Sowjetdeutschland ein wirklicher Kampf gegen den Faschismus nicht geführt werden kann.
Die Macht, die die Arbeiterklasse später einmal vielleicht haben wird, nügt ihr in dem gegenwärtigen Kampfe gar nichts. Aber Machtpofitionen, die sie im heutigen Staate besitzt oder gewinnen kann, können den Ausschlag geben.
Unter dem Beifall aller politischen und sozialen Reaktionäre, beschäftigungsloser Prinzen, abgetafelter Hofschranzen und scharfmachender Unternehmer, vollzieht die sogenannte und scharfmachender Unternehmer, vollzieht der sogenannte Nationalsozialismus seinen Angriff auf die demokratische, Republik .
Die Arbeiterklasse verteidigt sich heute selbst, indem sie die demokratische Republit verteidigt.
Die Arbeiterklasse würde unflug handeln, wenn sie in diesem Entscheidungskampf nicht jede Hilfe annehmen würde, die sich ihr darbietet.
Der Nationalsozialismus ist der Preisfechter des versinkenden Mittelstandes und der äußersten Reaktion, nicht des gesamten Bürgertums. des gesamten Bürgertums. Weite Kreise des Volkes, auch außerhalb der sozialistischen Arbeiterschaft, sehen in ihm. eine ungeheure Gefahr und sind bereit, sich dem Führer anzuvertrauen, der sie gegen ihn in den Kampf führt. Dieser Führer kann nur die Sozialdemokratische Partei sein!
Die Parteien der bürgerlichen Mitte, mehr noch die Wähler, die hinter ihnen stehen, sind vor die Frage gestellt, ob sie Staat und Wirtschaft den Hatenkreuzhorden ausliefern