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Beilage

Montag, 20. Oktober 1930

Der Abend

Shadausgabe des Vorwärts

Ja, ja, die Nazis!

Ein französischer Parteigenosse, Mitglied der französischen  Parteileining, sendet uns nachstehende politische Plauderei, die von einem der bekanntesten und wizigsten französischen  Karikaturisten, 5. P. Gassier, besonders illustriert wor­den ist. Paris  , 15. Oktober.

Ich weiß nicht, ob man in Deutschland   gegenwärtig viel von Frankreich   spricht. Aber ficher ist, daß man in Frankreich   viel von Deutschland   redet. Hitler und die Nationalsozialisten bilden ein Hauptgesprächsthema.

Ein Pariser   Brief

Die französischen   Kleinbürger, denen man im Autobus begegnet, legen einen Finger auf den Mund, zwinkern mit den Augen und flüstern sich mit vielsagender Miene gegenseitig zu: Ja, ja, die Nazis!" Ach, wie stolz sind sie, daß sie dieses neue Wort tennen: ,, Nazi." Das flingt in ihren Ohren wie eine türkische Zigaretten­forte oder wie ein Heid aus Tausendundeiner Nacht  . Nazi! Fast stellen fie fich Hitler   mit einem Fez, einem orientalischen Schwert, einer Leibgarde und- einem Harem vor.

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Und was unsere Nationalsozialisten betrifft, so find fie natürlich im siebenten Himmel. Seit Jahren hatten sie feine so schöne Gelegenheit, ihre Reitstiefel zu schmieren und auf ihre Baufen zu schlagen. Herr Pertinar prophezeit jetzt täglich die entsetz­lichsten Katastrophen. Kennen Sie nicht Herrn Pertinag? Um so besser für Sie! Herr Pertinag ist der außenpolitische Redakteur des E cho de Paris". Er ist ein Mann, der jeden Tag beruflich über die schwächliche Haltung der französischen   Regierung ein Weh gefchrei anzustimmen hat. Er hätte gern die alltierten Truppen im Rheinland bis zum Jahre 2000 gesehen, und in seinen Augen ift Briand ein ganz gewöhnlicher Landesverräter.

Die Herren haben natürlich befchloffen, ihre Offensive vor allem gegen Briand   zu führen. Man muß nur lesen, wie die Zeitungen vom Schlage des Ami du Peuple  " und der Action Française" über unseren Minister des Auswärtigen schreiben!

Mit einem Wort: unsere Hitler und unsere Hugenbergs find Mit einem Bort: unsere Hitler und unsere Sugenbergs find mit ihren feinen deutschen   Gesinnungsgenossen überaus zufrieden. Wie man sich denten kann, benutzt die reaktionäre Presse seit dem 14. September die Gelegenheit, um den Sozialismus zu brand­marten. Léon Blum   ist der Agent Deutschlands  , und die sozia­listische Partei Frankreichs   trägt für den Erfolg der Nazis die Ber antwortung. Es ist Ihnen hoffentlich bekannt, daß die deut schen Sozialdemokraten hierzulande als ausgezeichnete Patrioten und Staatsbürger hingestellt werden, während wir fran­zösische Sozialisten eine Bande von vaterlandslosen Gesellen sind. In Deutschland   erzählen die Feinde des Sozialismus genau das Gegenteil oder vielmehr genau das gleiche: die deutschen   Natio­nalisten entrüsten sich über die Baterlandsfeindlichkeit der deutschen  Sozialdemokraten und preisen die nationale Gesinnung der fran­ zösischen   Sozialisten. Dieses nedische Spiel ist freilich nicht gerade neu.

*

Sie haben vielleicht davon gehört, daß Herr André Tardieu  eine große Rede vor Staatsbürgern der Normandie   gehalten hat. Das hat sich in dem Departement Orne   ereignet, dessen Senator Alexandre Millerand   ist. In diesem Departement, das reaktionär und flerifal ist wie fein anderes, hat nämlich der Renegat des So­zialismus, nachdem er vor sechs Jahren aus dem Präsidentenhaus verjagt worden war, nach vielen Abenteuern und Niederlagen schließlich eine politische Unterkunft gefunden.

Herr André Tardieu   hat also wieder einmal eine große Rede" gehalten. Mit seinem gut gepugten Kneifer, mit seinen glänzenden Zähnen, die fast so weiß sind wie die von Fräulein Mistinguette, unserem ruhmreichen Revuestar, ist der Ministerpräsident mit der Entschlossenheit eines Jägerhauptmanns aufgetreten, und er hat eine überaus energische Rede gehalten. Denn nan tann alles Mög: liche von Herrn Tardieu denten, es läßt sich nicht bestreiten, daß er sin energifcher Mann ist. Er spricht mit einer großartigen Energie, mbes widerforidht sich mit einer und großartigenen Energie,

Ich will nicht diese Rede Tardieus hier im einzelnen schildern. Sie wissen, daß er von der Sicherheit" gesprochen hat. Sicherheit zunächst, dann Abrüstung. Später wird man schon sehen! Denn Sie verstehen: Schwere Gefahren bedrohen uns ja, ja, diese Nazis!

Es sind wohl auch die Nazis, die Herrn Poincaré   aus seiner Ruhe von Sanpignn aufgestöbert haben. In einer fleinen Rede, die er vor dem Generalrat der Meuse   gehalten hat, legte Herr Poincaré  - auch so ein Jägerhauptmann der Reserve- Wert darauf, zu betonen, daß er nicht zu jenen Träumern gehöre, die sich durch Friedenshymnen einlullen lassen. Er wenigstens hat die Sorge um unsere Sicherheit!

Na, endlich wissen wir's! Ramond Poincaré ist meder so ein gewöhnlicher Pazifist, noch so ein vaterlandslofer Gefelle. Wie man fich manchmal täuschen kann!

Aber da ich gerade dabei mar, von den ,, Daterlandslosen Gesellen zu sprechen, muß ich doch ein Wort über den wirk­lichen, den einzigartigen dieser Spezies etwas sagen: Gustave Hervé  .

Nein, nein, er ist nicht gestorben. Er lebt noch. Er leitet eine unter dem Ausschluß der Deffentlichkeit erscheinende Zeitung, die Victoire". Mit jedem neuen Tag seit sechzehn Jahren bereute er immer etwas mehr seinen Antipatriotismus von ehedem, und er versucht mit jedem neuen Tag entwas gründlicher Buße zu tun und seine Jugendfünden wieder gutzumachen: indem er nämlich

einen hundertprozentigen Nationalismus und, mas vielleicht noch fomischer ist, einen hundertprozentigen Klerikalismus an den Tag legt. Außerdem hat er in seinen freien Stunden und die scheinen ihm nicht zu fehlen eine sozialistisch nationale Partei gegründet, die angeblich schon 23 Mitglieder zählt. Aber dies dürfte cine ungeheuer übertriebene Zahl sein, die sein Propagandachef in die Welt gesetzt hat. Ich glaube eher, daß die Mitgliederzahl seiner Partei ebenso groß ist wie die Leserzahl seiner Zeitung, das heißt 0,0.

Der Genosse Hervé hat nun teinen ruhigen Augenblid mehr seit dem Wahlfieg der Nazis.

Nationalsozialisten Sozialistisch- Nationale, das ist doch beinahe dasselbe! Und nun läuft ,, General Hervé" höchst aufgeregt herum, und er will seine Partei umtaufen lassen um nicht mit Hitler   ver­wechselt zu werden. Ist das nicht zum Totlachen?

*

Das ist wohl das wesentlich Neueste. Wenn Sie sich für Lokalgeschichten interessieren fann ich Ihnen berichten, daß Paris  ebenso wie Chikago scine Autobanditen dieser Tage erlebt hat. Aber da sie bald verhaftet wurden, spricht niemand mehr davon. In Frankreich   werden Berbrechen und Einbrüche nur dann ganz be­sonders groß aufgemacht, wenn die Regierung in Gefahr ist: um nämlich die öffentliche Meinung von der Politik abzulenken. Aber mie Sie sich denken fönnen, ist die reaktionäre Regierung Tardieu nicht gefährdet, da 107 Nazis ihren Einzug in den Reichstag   ge­halten haben...

LA

VICTOIRE

Charlie Chaplin   filmt

Reportage aus Hollywood  

Richtung gibst!"

In Charlies Heim in Beverly Hill   gibt es in einem Zimmer| Krücke deinen rechten Fuß faßt und dir so mechanisch eine andere des ersten Stodes einen Erfer. Von diesem Erfer geht der Blid über die sanftgewellten Hügel des Beverly- Gebirges bis zur silbernen Küste des Ozeans. Es ist ein stimmungsvoller Erker, der fast zum Turmzimmer einer mittelalterlichen Burg gehören könnte. Hier, in diesem Erker, sigt Charlie, menn er über seinen neuen Film nachdenkt. Besser gesagt, er liegt, denn Charlie liebt Bequem­lichkeit.

,, Also, ich komme herein und sehe das Kind mit dem Butterbrot. Ich schaue das Brot begehrlich an und... und was mache ich dann, menn ich das Brot begehrlich angeschaut habe?"

Charlie bleibt ruhig liegen, den Blick nach vorn gewandt, als spräche er zu sich selbst, als würde ihn nichts auf der Belt, nur der filberne Strich da vorn, interessieren. Und doch hat er die Frage an irgendjemand gerichtet. An irgendjemand, der hinter Charlie in der Dämmerung sigt...

Irgendwo aus der Dämmerung fommt eine Stimme:

Du winkst dein Kind erst schalthaft mit dem Finger und be ginnst mit ihm zu spielen, bis du das Brot hast!..." Charlie bleibt unbeweglich. Die Lösung scheint ihm nicht zu gefallen:

Ich soll dem Kind das Brot wegnehmen. Das ist gemein.. da lachen die Leute nicht!"

,, Sie lachen, verlaß dich darauf!" sagt die müde Stimme aus der Dämmerung.

Und die Leute lachen, brüllen bei der Vorführung. Genau so, wie es der Mann hinter Chaplin vorausgesagt hat.

Der Mann hinter Chaplin heißt Franky Dawson und ist der König der Gag- men. Franky Dawson ist ein fleiner, alter, müder Mann, der irgendeinmal als Clown gearbeitet hat. Chaplin hat ihn Lloyd weggeschnappt, und obwohl bei den Aufnahmen zu einem Chaplin Film mindestens zehn Gag- men im Atelier sind, fagt Charlie eine noch so teure Aufnahme bedenkenlos ab, menn Franty zufällig frank ist. Franky ist vom ersten Augenblick an dabei". Er arbeitet am Manuskript mit, aber die Einfälle, die er hier liefert, sind sozusagen nur Roharbeit". Schmache Lichter, die dem Manuskriptgefüge da und dort aufgesetzt werden. Die Haupt arbeit fommt erst im Atelier, während der Arbeit. Denn Franky ist ein Meister der Improvisation. Was die anderen liefern, fleine Witze und Witzelchen, ist für den Aufputz sehr gut zu ge­brauchen, die Essenz liefert erst Franky. Er trägt das Lachen in den Film, er spielt" auf Charly Chaplin   wie auf einem wunder­baren Instrument. Charlie ist sehr nervös im Atelier, unerträglich nervös. 3appelig und ungeduldig, schwach vor Hunger, denn et hat stundenlang nichts gegessen, dafür aber Dugende Zigaretten geraucht. Er hat Lampenfieber, als müßte er persönlich vor fein Millionenauditorium treten. Franty sigt, mit verschränkten

Beinen, in tiefes Brüten versunken, irgendwo. O, er sieht gar nicht luftig aus. Man würde ihn für einen abgebauten Elektriker halten, den das Heimweh ins Atelier getrieben hat...

Die Szene wird laut Manuskript begonnen. Charlie strafft sich und tänzelt hinaus in das Scheinwerferlicht. Unsicher, unbeholfen, als ginge er ins Ungewisse. Ein verstohlener Blick streift Franky, der unbeweglich auf seinem Stuhl sigt. Plöglich kommt eine dünne, gar nicht müde Stimme von oben:

Es flingt gar nicht luftig, aber Charlie begreift. Etwas strafft sich in ihm, er mittert die Wirkung, tänzelt vor, schwingt luftig sein. Stöckchen, fommt wie zufällig mit der Krücke an sein rechtes Bein und dirigiert sich in die Richtung, in der das Mädchen geht. Er wollte es ja gar nicht, der Stock, gedankenlos herumgewirbelt, wollte es! Es sieht urtomisch aus. Chaplin sieht die fröhlichen Ge­fichter der Assistants, der Arbeiter, er strahit. Franky sitzt unbeweg­lich auf seinem Stuhl.

Dft tommt zuerst der Einfall. Ein toller, wirkungsvoller Ein­fall. Fügt er sich nicht in das Manuskriptgefüge, dann wird eben das Manuskript diesem Einfall zuliebe geändert, szenen, aftelang. Der Einfall ist das Wichtigste, wenn er nur gut und wir­tungsvoll ist. Aus den fleinen Einfällen, den gags", entsteht dann langjam der Film. In wochen, monatelanger Arbeit. Manches sah

im Atelier urfomisch aus, aber auf der Projektionsfläche bleibt es ganz ohne Wirkung. Zum Verzweifeln. Dann mußte die ganze Szene, oftmals der ganze Aft eliminiert und frisch gedreht werden. Em   paar tausend Dollar, ein paar Wochen Arbeit dürfen da keine Rolle spielen.

Wenn der Film fertig ist, dann ist er absolut noch nicht fertig. Dann packen Charlie und Franky die Kopie und gehen mit ihr in eins der kleinen Eastside Kinos in Los Angeles  , die den ganzen Tag geöffnet haben und uralte Reprisen spielen. Der Film, der funkelnagelneue Film, wird so zwischendurch eingeschoben, ohne Ansage. Und Charlie und Franky fihen mitten unter den Meri­fanern, Marktweibern und Gassenjungen und horchen. Jezt kommt Frankys großer Einfall. Charlie krampft die Hände um die Stuhl­lehne, aber Franky bleibt unberührt. Er weiß, daß die Wirkung unfehlbar ist, und gleich darauf toben die Leute vor Lachen. Charlie greift im Dunkeln nach Frankys Hand und drückt fe dankbar. Die

Sache ist o. t. Dann fann es wieder vorkommen, daß ein gag" ganz wirkungslos bleibt. Franty bleibt ungerührt, aber Charlie schäumt. Beim nächsten Lacher hat er ihm aber wieder verziehen. Die tote" Szene wird einfach ausgeschnitten. Bei Harald Lloyd hatte Franky einmal einen gag", der die Kleinigkeit pon viertausend Dollar foftete. Es wurden hunderte mechanische Fische hergestellt. Für eine einzige Szene, für einen einzigen Ein­fall. Aber er war tot", fein Mensch lachte, die Szene mußte herausgeschnitten werden, und die viertausend Dollar waren futsch. Aber Harald Lloyd hat dennoch alles aufgeboten, um Franfy zu halten, als Charlie nach ihm griff. Er wußte genau, daß Franky sich nur höchst selten irrt. und daß auf eine Niete fünfzig Treffer fommen. Und Franky ist unerschöpflich, übersprudelt von Einfällen.

Charlie wiegt ihn mit Gold auf. Er bekommt natürlich ein Gehalt, das eine ansehnliche vierstellige Ziffer repräsentiert, und außerdem jeden ,, gag" feparat mit Gold aufgewogen Charlie meiß, was er tut. Frankys Einfälle sind auch Gold mert, denn sie find seine Erfolge. Die Szene mit dem Sandsad im Birtus" hat Charlie mit dreitausend Dollar bezahlt.

Franty könnte sich schon lange zurückziehen, er hat aber nicht das Herz, Charlie zu verlassen. Denn Franty liebt Charlie nicht des vielen Geldes megen, das er ihm zu verdienen gibt. Und wenn auch in vielleicht freut ihn auch das Bewußtsein, daß er direkt Millionen Menschen zum Lachen bringt. Er ist sich seiner Bedeutung bewußt. auch wenn er nur der Mann hinter Randolph Edgeworth- Hollywood,

Charlie, hminge bos Stödjer fo, baß bez hinten mit der Chaplin iff.