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Norbert Jacques  :

Der geheimnisvolle Schoner

Begegnung auf 22 Grad Nord, 42 Grad West.

Oft werde ich gefragt: Welches war auf Ihren Reisen die größte Gefahr, der Sie zu begegnen hatten?

Das ist eine Frage, die man nicht beantworten kann. Denn die Gefahren in fremden Ländern und Völkern sind meist wie die Anwesenheit eines Geiftes. Vielleicht war einer da?

Im Jahre 1913 zum Beispiel ging ich einmal in der Nähe von Namatanet auf Neu- Mecklenburg   in den Busch hinein, dem Innern der Insel zu. Die Männer in den Dörfern dieser Südseeinsel waren nicht unfreundlich zu mir, auch nicht besonders entgegenkommend. Aber wenn mich dürftete, kletterte einer einen Balmstamm hinauf und schlug mir mit seinem Buschmesser eine Kotosnuß herab. Sie ließen mich ungehindert in ihre Hütten eintreten und schauten untätig und gleichmütig allem zu, was ich verrichtete. Ich hatte das Gefühl einer Gefahr nicht stärker, als wenn ich etwa am Rande einer autodurchrasten Stadtstraße über den Steig gehe. Schließlich fann in jedem Augenblick die Steuerung eines der Wagen verjagent und dieser sich über mich werfen.

Und drei Monate später wurden auch in einem dieser seiben polynesischen Dörfer, durch die ich scheinbar ungefährdet gegangen war, zwei deutsche Forscher ermordet. Der Geist dieser Todes­gejahr hatte wohl ebenfalls schon an jenem Tag im Busch gelegen, an dem ich dort gewesen war. Aber ich hatte ihn und er hatte vielleicht auch mich nicht gesehen.

In diesen Zusammenhang gehört die Geschichte der Begegnung mit dem Yankeeschoner auf 22 Grad Nord und 42 Grad West.

Das liegt fast auf dem Wendekreis des Krebses und ist eine Stelle etwa halbwegs Antwerpen  , von wo ich ausgefahren war, und Westindien  , wo auf einer Fahrt von 3000 Seemeilen nichts anderes besteht, als die Höhe des Himmels über den Masten und die Tiefe des Ozeans unter dem Schiff. Es geschah an jenem Tag, der mit dem Sonnenuntergang endete, in dem die ganze westliche Welt mie in Gold und Blut verwabern zu wollen schien.

Das Schiff war ein kleiner Frachtdampfer, der Platz für 3000 Tonnen Ladung und für sechs Reisende hatte. Das heißt, der Raum für die Reisenden war farg zugemessen und ging nicht um den Platz für einen Klappstuhl über das Allernotwendigste hinaus. Man hatte dann Stunden, in denen man diese Beengung nicht er­tragen zu können glaubt. Man sucht nach einer Tätigkeit, in der man sich vor ihr rettet und die wunden Nerven sänftigt.

Da rief der Kapitän: Dort gehen Haie mit uns!" Und mit diesem Ausruf hatte ich die Art der ersehnten Be­schäftigung gefunden. Ich sah den Haien zu, die in einer Entfernung von vielleicht 300 Meter vom Schiff durcheinander schneidend mit dem Lauf des Schiffes mitgingen.

Ich werde auf sie schießen!

Schiff an Steuerbord! hörte, ich die Wache in dem Augenblick melden, wo ich mir den Bootsmann nahm, um mir den Gepäc­

Die Flaggen tamen auseinander und flatterten geordnet unter­einander in dem leichten Nordost. Es waren zwei Zeichen. Das erste hieß R Z, gelbes Kreuz in rot und schwarzgeld, blaurot in quergeteiltem Feld. Das bedeutet: mo bin ich?

,, Kannst du haben, Yanki!" hörte ich meinen Kapitän neben mir sagen.

ba, Mein, blaß, hatte die 3ähne aufeinandergebiffen, hielt die Fäufte geballt etwas zurückgehalten an den Schenkelnt

Und dann raste es durch mein Blut und ließ es wie in Eis und Feuer erstarren. Mein Herzschlag gerann.

Wir sollten überfallen werden!

Die drei kamen näher, nicht hastig, aber mit einer unaushaltsam drohenden Gleichartigteit... wie drei Räuber in einem Traum zu eins verschmolzen.

Der mit dem Hut machte höhnische Augen. Die anderen schauten starr und verbissen her auf den fleinen Kapitän... wie sie die Hände so verflucht gefährlich immer in den Taschen festhielten! Ein leichtes Zittern tam in meine Kniekehlen. Eine Leere wie nach einem Sandsturm lag mir im Hirn.

Da sah ich, wie mit einer heftigen Plöglichkeit alle sechs Augen vom Kapitän fortflogen und über meine linke Schulter hinweg on uns vorbei sich irgendwo seitlich und höher von mir hefteten. Ich hatte den Mut nicht, die drei aus dem Blick zu lassen und dem­

Er rief zur Brücke hinauf dem Steuermann zu: Gib ihm Bescheid!" Bald höre ich, daß der Steuermann durch ein Sprachrohr Weg ihrer Augen nachzuschauen. hinüberrief: 22 Grad Nord, 42 Grad West!

Und als dann auch das zweite Signal sich an der Flaggenleine erkennbar machte, sagte der Kapitän: ,, Dunnerfiel! Dat auch! Dat hätt' ich mu nicht gedacht,' n Geschäft auf hoher See zu machen."

Denn dieses Zeichen hieß Y O und bedeutete: Haben un­verzüglich Lebensmittel nötig.

Die fleinen blauen Augen des Kapitans   leuchteten gierig und glücklich.

Wir haben beigedreht. Der Schoner fommit rasch heran. Der Kapitän schaut mit seinen Zeuglein verzüdt zu, rechnet wohl, was aus der Begegnung herausschauen wird. Bir hören, wie der Leib des Schoners an unser Schiff sich anreibt. Der Kapitän schaut nach dem Bootsmann oder nach einem Maat aus, um Befehl zu geben, ein Tau zu werfen, an dem der Schoner festmachen kann.

Da fommen auf einmal die drei Männer, die ich durch das Glas vorhin an der Luke auf dem Segler hatte liegen sehen, durch den Außendeckgang zu uns heran. Niemand von uns hatte gesehen, Sie famen heran, daß oder wie sie an Bord gekommen waren. nebeneinander, mit einer merkwürdigen Verbundenheit ihres vaga­bundenhaften Aussehens.. Meervagabunden. Langbeinige Steden und braun wie ein alter Pfeifenkopf. Barfuß, in schäbigen, verflichten und verwetzten Hosen, die Haare strohtrocken, verwühlt, ausgelaugt von Wind und Regen, rötlich wie abgegriffenes Leder. Der Hut, den der eine auf hatte, war ein alter verblitzter

Banamahut.

Das erste, was mir auffiel, war, daß alle drei in einer be= troffen machenden einmütigen Art die rechte Hand in der Hosentasche hatten, steif, als hielten sie sich dort an etwas fest, was noch un­sichtbar war, aber gleich in der nächsten Minute in Erscheinung treten könnte.

Ein unflarer Verdacht zuckte mir ins Herz und saß aufgeregt drin, wie ein Karpfen in einem Netz. Ich erschrat ein wenig, ohne zu wissen wovor. Dann schaute ich den Kapitän an. Der stand

Aber da lüftete der eine den Hut ein wenig, und die anderen schlugen mit einem Finger an.

,, Ich danke Ihnen, Käpten", sagte er näseind ,,, Good bye, Sir! Wir haben die Lebensmittel doch nicht notwendig."

Und mit dem schwangen alle drei, ohne ein weiteres Wort zu verlieren, über die Reeling und waren auf einmal wieder unten in ihrem Schiff, zwischen der Unordnung und dem Schmuz ihres verfrägten Decks.

Ich schaue unseren Kapitän an, zweifelnd und fragend, noch gestört und von der Plöglichkeit der Begebenheit und ihrer Auj­lösung. Da wies der Kapitän mit den Augen hinter mich und wie ich mich umdrehe, sehe ich den Lauf meiner Winchesterbüchse fich durch eines der Odsenaugen der Kombüse herausstreden ,. gerade in der Richtung, aus der die drei gekommen waren.

Keine Angst, fie fann fein Bumbum machen, sagte lachend der Maschinist, dessen Gesicht hinter dem Lauf erschien Ein Federchen ist aus dem Schloß herausgefallen.

Maschinentelegraph rappelte los. ,, Bolldampf voran", schrie der Kapitän zur Brüde hinauf. Der

Der Segler löfte sich rasch zurück. Die drei lagen wieder an der Luke auf dem Boden gestreckt, drei andere setzten Segel, einer holte die Signalflaggen ein, nachdem er wieder wie ein Affe mit Händen und Fußsohlen am Mast hinauffletterte.

,, Was war das nun?" fragte der Kapitän, schaut mich an und geht rasch auf die Brücke.

Ich werde nie wissen, ob der Scherz des Maschinisten mit meiner Büchse uns vor einem Ueberfall gerettet hat oder ob alles nur ein Spiel dummer kleiner Zusammenhänge war. Die Stunde mündete

in den Sonnenuntergang, in dem sich in einer fernen Schönheit am Himmel die blutigen Ereignisse vollzogen, die vielleicht verborgen geblieben und verronnene Absichten des Schicksals uns zugedacht hatten.

Der Kapitän hat die Begebenheit mit feinem Wort mehr er­wähnt, ein Zeichen, wie start sie auch ihn berührte.

raum aufschließen zu laffen. Ich pade das Gewehr hervor, eine Ivan Heilbut: Paule, der Star ift, und seitens fübft man sich vor dem Dummkopf da oben voll­

Schachtel Munition. Schon hatte mich eine fast fieberhafte Un­geduld erfaßt, zu schießen, von der scheußlichen Beute etwas unter­gehen zu sehen.

Als ich an Deck zurückfam, ging ich nicht wieder auf die Brücke hinauf, sondern wollte mich hinter der Kombüse bei Ladeluke 2 aufstellen. Dort war man nach vorn gegen den Fahrtwind geschützt, befand sich wenig hoch über dem Wasser und in der Milfe des Schiffes in den besten Schießverhältnissen.

Den Kapitän hatte die Neugier herabgerufen. Er stand

neben mir.

Da sagte ich: ,, Das Schiff ist doch Steuerbord gemeldet morden, 2íuf einmal ist es Backbord." Sie zudeln herum", antwortele der Kapitän ,,, als wüßten fie nicht wohin, weiß der Teufel! So'n oller Schoner."

Ich zog das Magazin des Gewehres heraus und hatte die Augen gierig auf der Schar der Haie liegen, die in mildem Eifer das Wasser durchschnitt. Jetzt waren sie, wie eine fahrende Unterboots­formation, einer hinter dem anderen. Nur die starken, nach vorn steilen Dreiecke der Rückenflossen jagten außerhalb des Wassers, mie grausige breite Messer.

Aber bald marjen sich die ersten Flossen um, die folgenden teilten sich zwischen die plöglich umgefehrten, ein schlagendes, jumpendes Spielen begann. Bald schoß aus dem Bündel ein Kopf, bald meit und hoch ein Hinterleib heraus.

Jetzt hineinpfeffern! Hölle und Himmel, da gab's Fehen! Ich stoße das Magazin geladen wieder ein. Es war eine Winchesterbüchse mit zwölf Schuß, richtiges Kaliber. Es wird singen. Etmas trillerte in mir wie eine eiserne Lerche, ein grausames, blut­rünftiges Jagd- und Zerstörungsgefühl, Gegentraft gegen die unter Vereinsamung und einengendem 3wang zerflatternden Nerven.

Ich hatte nur eine Angst auszustehen, das Bündel käme dus­einander und nehme seinen Wettlauf mit dem Schiff, einer hinter dem anderen, wieder auf, bevor ich schießfertig war. Aber sie überfügelten sich nach wie vor, mit der Fahri des Schiffes mit­strebend, während ich das Gewehr an die Schuiter setzte.

Ich zielte und drückte ab. Ein menig zitterten mir die Ellbogen in der Gier. Aber die Zunge des Abzugs gleitet ohne Widerstand unter meinem Finger, der nicht meniger gespannt war, als meine Phantasie, kraftlos zurüd. Das Schloß war in Unordnung geraten. Bei allem Fluchen war nichts zu machen. Ich drohte mich in der Flamme des Jagdgefühls zu verzehren.

Haben Sie nicht ein Gewehr an Bord?" fragte ich ungeduldig und unglücklich den Kapitän.

,, Nein, nur'n ollen Revolver, der verrostet ist, und ich weiß nicht einmal, wo er liegt. Aber der Maschinist tann doch mal Thre Büchse nachsehen."

Ich lieferte diesem also das Gewehr aus, und als ich zurückkam an die Stelle, wo ich den Kapilän verlassen hatte, sah ich, daß das vorhin gemeldete Schiff nahe vor uns war und den Union Jack hochfierte.

..Wat will der olle Jänki?" knurrte der Kapitän. Denn das Hochziehen der Nationalflagge bedeutet, daß das Schiff einen Wunsch hat. Es war ein alter Dreimastschoner.

Der Kapitän ließ stoppen. Der Schoner war jetzt etwa dort, wo auch die Haie gewesen wären. Er hatte sich in unsere Fahrt­richtung gedreht und durchs Glas erkannte ich sehr deutlich, daß auf Dem unordentlich gehaltenen Deck drei Männer, lange Stangen, faul am Boden ausgestreckt lagen und sich mit dem Rücken gegen eine Ladeluke stützten. Sie waren barfuß und trugen nur Hose und ein Leibchen. Einer hatte einen alten Hut auf. 3mei andere zogen ein Segel ein. Drei Fockegel und das Großiegel standen. Ein Mann arbeitete an der Floggenleme und zog Signalflaggen hoch, die sich nicht auseinander lösen wollten, Gie blieben oben in einem Ballen hängen. Da sah ich, mie dieser Mann, der ebenfalls barfuß mar, nach Affenart an dem Most hochetterie, indem er niit beiden Händen an gestredten Armen sich voranzng und mit den Fußsohlen fich hintennad) am Baum hochstemmte.

Jm Theater in der Stresemannstraße bildet der Hund Baule den Mittelpunkt des Stüdes Sturm im Wasserglas". Was diesen Schauspieler von allen übrigen unterscheidet, ist, äußerlich gesehen, seine Fähigkeit, auf vier Beinen zu gehen. Näher betrachtet, ist dies ein Merkmal seiner vollkommenen Bescheidenheit. Kein Mensch, und am wenigsten der Fachmann, würde einem An­fänger auf der Bühne, der mit dem furchtbaren Fluch der Bescheiden heit behaftet wäre, eine Karriere vorausjagen; zumal in einer Zeit, da diese tomische Eigenschaft auch in der übrigen Welt höchstens noch in einer Gogolschen Novelle zu finden ist. Baule jedoch jetzt sich spielend durch. Er fann was und damit ist die Sache zur Hälfte gut; er weiß nichts davon, welch ein Genius in ihm steckt und hiermit ist die Leistung fertig. Ja, dies ist seine eigentliche Leistung: er ist der Darsteller des Unbewußten. All seine Pointen und Höhepunkte sind unberechnet, find nichts als das sichtbare Spiel jeiner Natur und seiner sehr großen Verwunderung über die däm

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kommen sicher. Eine Backpfeife, eine moralische, von dem da? Aus­geschlossen. Man braucht ihm nur in die Augen zu sehen...

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Dem Schauspieler, der die Rolle des Dummen spielt, sind gute mütiges Gelächter und wohlmollender. Beifall willkommen; im Hintergrund steht seine Gage. Derjenige Teil der Menschheit aber, der das Gelächter, das Wohlwollen ohne die Gage empfängt, fieht seit einiger Zeit. den Fall anders an.. Sa, als ob Paule gines Abends mitten in der Vorstellung aus dem Traum seines Humidi lebens erwachte und jählings begriffe, daß er der Unentbehrlichste in dieser Welt und gleichzeitig der am schäbigsten Entlohnte märe. Da beginnt er zu bellen, er will den Direktor sprechen, hau, hau... Seine großen Augen funkeln wütend, sein Gebiß droht hinumter, er duct sich zum Anlauf, zum Sprung ins Parkett. Niemand lacht, das Publikum ist erbleicht, der Direktor ziltert, die Kasse flüchtet. Denn Baule hat aufgehört, doof zu sein.

liche Situation, in die er sich hineinversetzt sieht. Um ihn herum Roman eines einfachen Mannes.

ist viel Buntheit und Licht, die Leute gehen, laufen, quaffeln, schweigen, haben sichtbar Konflikte miteinander, tragen einen Bier­ernst zur Schau, den Baules unverdorbenes. Hundegehirn für echt und aufrichtig halten muß. Ihm gegenüber aber flafft ein unge­heurer, dunkler Raum, aus dem zweifellos Bisagen zu ihm hinauf starren, aus dem sehr oft etwas Dumpfes, Brausendes kommt. Bin ich dämlich?" fragt Paule sich selber ,,, oder was iſt?" Antwort heischend wendet er den langen und eckigen Kopf mit der haar­bewachsenen Naje seiner Führerin zu und in seinen großen glänzenden Augen spiegelt sich die Unschuld seiner erstaunten Seele so leuchtend deutlich, daß miederum das Brausende an sein erschreckt guckendes Ohr dringt und seine Empfindung wieder nach vorn lenkt. Freilich, er ist dressiert, so daß er nicht in einem großartigen Satz über die Lichter hinweg in die Anhäufung der Smokings und fost baren Toiletten fegt; freilich haben ihn Proben halbwegs an diefen merkwürdigen Auftritt gewöhnt: aber zum Rapieren tonnte der Regiffeur ihn nicht bringen. Und Paule beruhigt sich immer wieder durch einen Blick auf die handelnden Personen über seinen Zweifel, ob hier auch alles richtig sei. Er sieht, daß sie sich in der gewohnten Weise wichtig nehmen, daß sie ihn immerhin als und behandeln, er fühlt sein Fell hin und wieder getraut und das genügt ihm. Wenn diese Schauspieler und ihr Regisseur nicht so tüchtig in ihrer Sache wären, so müßten sie fürchten: ,, Hier stinten wir ab." Sie wissen es auch ganz genan, daß der Beifall am Ende zum großen Teil Herrn Baule gilt. Sie stellen ihn allein auf die Bühne, und wenn der Borhang dem Applaus nachgibt wer steht da? Er, der Star. Er hat gelernt, allein auf der Bühne zu stehen, sein plumpes Schwänzlein aber perpenditeft crregt hin und her in Erwartung des Endes dieser Tortur. Die Sadje geht ihm ein klein wenig ans Gedärm, aber er fann sich beherrschen er hat es gelernt. Dann wird er endgültig in die Kulisse abgeführt und nach Hause. Er bellt einmal es läßt sich nicht einwandfrei be­ftlimmen, aus welchem Gefühl. Wahrscheinlich aus Erleichterung, vielleicht aber auch aus Protest. Nicht als ob er nach seiner Gage verlangte. Er hat seinen Lohn bereits in Form von Rosenamen, Streicheln und Wurst dahin. Aber er wünscht dennoch dringend, nicht noch einmal in eine so unklare Lage verjetzt zu werden.

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Die Schauspieler aber fragen sich: Mein Gott, wie hat dieser Hund die Routine weg! Er hat vor seinem Auftritt nicht einmal in den Spiegel geschen. auch trägt er nicht neueste Kleider von Michels, im Gegenteil, ausgesprochen doof ist dies Tier... Und dennoch die Raserei im Bartett und in den Rängen?

Um aber die volle Babrheit zu sagen: Es gibt hin und wieder Menschendarsteller, die der Leistung dieses Hundes annähernd Graßes, mitunter auch Gleichwertiges on die Seite zu sehen haben. Durch Ausschaltung des sonst in überaus gesojästen Berstandes täuschen sie eine Unschuld vor, die das Bublifum felbstverständlich begeistern muß, denn einmal liebt man, was man längst nicht mehr

Hiob. Von Josef Roth  . Berlag Gustav Kiepen­ heuer  .

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Hiob  , der Mann aus dem Lande Ur, ist nach der Bibel der Gerechte, den Gott schlägt, um die Festigkeit seines Glaubens zu erproben. Nach langen Gesprächen, deren Tief- und Widersinn uns heutigen ziemlich unverständlich ist, gelangt Hiob  , der anfänglich Murrende und Klagende, zur Unterwerfung unter Gott  , und dieser erscht ihm alle Verluste doppelt, nicht nur Rinder, Schafe und Ramele, sondern auch die erschlagenen Söhne und Töchter. Roths Siob" ist im Gegensatz zu seinem von Haus aus reichen biblischen Better ein armer, ukrainischer Jude aus irgendeinem Nest in Wolhynien  . Schlicht und anschaulich wird das arbeitsreiche und fummervolle Leben dieses Mannes erzählt, der sich an die sechzig Jahre plagt, ohne Lohn zu finden. Seine Familie, für ihn feine Welt, geht ihm verloren. Die Kinder werden den Eltern fremd. Der Aelteste unbegreiflich für oftjüdische Denkart geht mit Lust und Liebe zu den Soldaten, der zweite desertiert nach Amerika  , die Tochter, ein vermunftloses Bündel Sinnlichkeit, gibt sich den Rosaken hin, und der Jüngste bleibt ein lallender Krüppel ohne einen Funken Erleuchtung. Einen Augenblick scheint das Glück zu lädjeln, is der nach Amerika   ausgewanderte Sohn, dort zu Wohl­stand gehangt, die Eltern nachkommen läßt. Aber Amerika   bleibt dem Alten eine fremde, unheimliche Welt, und obendrein bricht der Weltkrieg aus, unter der Lawine des Elends auch diese Einzel­schicksale begrabend. Mendel Singer  ( so heißt Roths Hiob) ist nun ganz von Gott   geschlagen, ohne Frau, ohne Kinder, ohne Vermögen und Beruf ein lächerlicher Greis. Er hadert mit seinem Gott, den er doch nicht aus dem Herzen reißen kann: sein Entschluß, Gebetrlemen und Gebetmantel, die Attribute jüdischer Frömmigkeit, zu verbrennen, bleibt unausgeführt. Aber gerode da erscheint das Glück: der als Krüppel in Rußland   zurückgelassene Sohn tritt ein, geheilt, ein aus Dumpfheit und Betäubung erwachtes musitalisches Genie.

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Roth, in seinen früheren Romanen Steptifer und Zeitkritiker von unerbiitlichem Scharfolid, hat sich in das Mysterium der. Legende geflüchtet. Er verlangt von uns, nicht nur das Wunder der Heilung des Krüppels zu glauben( das nicht notwendig ein Wunder zu sein braucht), sondern auch seine Voraussage schon bei der Geburt des Krüppels durch den Wunderrabbi von Klucznik. Aber merimärdig: man glaubt. In dieser Atmosphäre idlichter, ein jältiger und goftgläubiger Menschen erscheinen Wunder beinate möglich. Beinahe... Aber das ist nicht das Wesentliche. Wesentlich ist, mie hier die Scele des Ostjuden unter feinem fächerlichen und nerachteten Aeußeren, unter der Hülle von Dürftigkeit und Armut, erfaßt und dargestellt mird. Bir missen nicht, wie es geschieht: plöglich ist alles Lächerliche abgeton und mir sehen vor uns biblische Gestalten- biblische Gestalten mitten im 20. Jahrhundert. E. K- r,